OGH 16.06.2004, 7Ob124/04t
Rechtssatz
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Norm | AVB Reiseannullierungskosten-Versicherung Art3 |
RS0119305 | Die Anzeige- und Stornierungsobliegenheit setzt nicht bloß die Kenntnis der dem Versicherungsfall begründenden Tatsachen voraus, sondern der Versicherungsnehmer muss auch um die Bedeutung der Krankheit (Erkrankung) - in Bezug auf die Auswirkung auf den Reiseantritt - wissen ("Kenntnisnahme"). Den Versicherten trifft somit die Pflicht, die Frage der Reisefähigkeit rechtzeitig zu klären, solange er jedoch um die objektive Bedeutung der Erkrankung nicht weiß und eine einigermaßen sichere ärztliche Diagnose fehlt, hat er (noch) keine Anzeigepflicht. |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, 1040 Wien, Prinz Eugen-Straße 20-22, vertreten durch Dr. Aldo Frischenschlager und andere, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei U*****, vertreten durch Dr. Widukind W. Nordmeyer, Rechtsanwalt in Wels, wegen (eingeschränkt) EUR 1.289 sA (Revisionsinteresse EUR 4.500), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom , GZ 15 R 478/03z-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei sowie Kostenrekurses der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom , GZ 13 C 1911/02h-17, in der Hauptsache bestätigt und im Kostenspruch abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihrer Vertreter binnen 14 Tagen die mit EUR 399,74 (hierin enthalten EUR 66,62 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Das Ehepaar Alois und Christine K***** schloss bei einem oberösterreichischen Reisebüro einen Reisevertrag über eine Pauschalreise nach Thailand vom 21. 2. bis sowie gleichzeitig einen Reisestornoversicherungsvertrag mit der beklagten Partei ab, dem die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Reiseannullierungskosten-Versicherung zugrunde lagen. Danach (Art 1 I) übernimmt der Versicherer die Annullierungskosten des Versicherungsnehmers, "sofern die Reise aus einem der folgenden, bei Abschluss der Versicherung bzw bei der Buchung nicht voraussehbaren Gründen nicht angetreten werden kann:
a) Plötzlich eintretende schwere Erkrankung oder Tod des Versicherten..."
Nach Art 3 dieser Bedingungen ("Obliegenheiten des Versicherten nach Eintritt des Versicherungsfalles") ist der Versicherte verpflichtet, "bei der Buchungsstelle unverzüglich nach Eintritt oder nach Kenntnisnahme eines versicherten Ereignisses die Stornierung der gebuchten Reise zu beantragen. Dem Versicherer ist unverzüglich Anzeige zu erstatten, jede gewünschte Auskunft zu geben und es sind ihm alle erforderlichen Beweismittel, die den Schadenfall betreffen, auf Kosten des Versicherten zur Verfügung zu stellen, wie zB Buchungsschein, Stornorechnung, ärztliche Atteste, Spitalaufenthaltes, Unfallprotokoll, Anzeigebestätigung, Todesurkunde usw. Der Versicherte erklärt sich mit einer den Schadenfall betreffenden Untersuchung durch einen Vertrauensarzt des Versicherers einverstanden..."
Nach Art 4 ("Rechtsfolgen aus der Verletzung der Obliegenheiten") ist der Versicherer berechtigt, die Entschädigung zu verweigern, wenn der Verletzte seine in Art 3 angeführten Obliegenheiten verletzt, ebenso führen unwahre Angaben oder Verschweigen von den Schadenfall betreffenden Umständen zum Verlust des Versicherungsanspruches.
Am brach sich Christine K***** die linke Schulter, worauf ihr im Landeskrankenhaus K***** ein Gilchristverband angelegt und auf ihre Frage nach Möglichkeit des Antrittes der gebuchten Fernreise vom behandelnden Arzt erklärt wurde, dass sie diese ohne weiteres antreten könne und das Schwimmen im Meer sogar eine gute Therapie sei. Auch im Rahmen zweier weiterer Nachuntersuchungen am 24. und wurde der Frau von ärztlicher Seite beteuert, dass sie die Reise werde antreten können. Erst bei der Nachuntersuchung am wurde eine Verzögerung des Heilungsverlaufes festgestellt, der Glichristverband für weitere zwei Wochen angeordnet und der Patientin vom Antritt der Fernreise (erstmals) abgeraten. Daraufhin begaben sich die Eheleute K***** noch am selben Tag zum Reisebüro und stornierten die Reise; am reichten sie eine entsprechende ärztliche Bestätigung nach.
Die beklagte Partei hat in der Folge lediglich einen Betrag von EUR 278 aus dem Reisestornoversicherungsvertrag geleistet; der Restbetrag der den Eheleuten zur Zahlung angelasteten Stornogebühr ist Gegenstand des Verfahrens, wobei die Genannten ihre Ansprüche gegenüber der beklagten Versicherung an die Klägerin abgetreten haben.
Mit der am überreichten Klage begehrt diese die Verurteilung der beklagten Partei zur Zahlung von EUR 1.365,96 samt 4 % Zinsen seit ; dieses Begehren wurde in der Streitverhandlung vom um Selbstbehalt und anteilige Versicherungsprämie auf restlich EUR 1.289 sA eingeschränkt und gleichzeitig das eingeschränkte Klagebegehren der Höhe nach beklagtenseits außer Streit gestellt. Durch die unmittelbar nach ärztlicher Auskunft über die Nichtantrittsmöglichkeit der Reise erfolgte Stornierung sei das Ehepaar K***** seiner Obliegenheitspflicht aus dem Versicherungsvertrag rechtzeitig nachgekommen, weil der Versicherungsfall erst dann eingetreten sei, als klar gewesen sei, dass aufgrund der Unfallverletzung die Reise nicht habe mehr angetreten werden können.
Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren und beantragte Klageabweisung, weil nicht rechtzeitig iS der AVB storniert worden sei. Der Verletzten sei schon bei erster Gipsanlegung eine Tragedauer desselben von vier Wochen samt anschließender zweiwöchiger Nachbehandlung mitgeteilt worden; da nicht angenommen habe werden können, dass ein Bruch des Oberarms bzw der Schulter innerhalb eines Monates beschwerdelos ausheile, hätte die Stornierung der Reise somit bereits am 17. bzw vorgenommen werden müssen, wodurch nur Stornokosten von 10 % entstanden wären, welche die beklagte Partei auch ersetzt habe. Bloß medizinisch prognostizierte Heilungschancen seien für die Einhaltung der vereinbarten Obliegenheiten nicht relevant; ein Zuwarten, ob eine Genesung vielleicht doch noch eintrete, würde die Versicherungsbedingungen sinnlos machen.
Die beklagte Partei hat überdies dem Reisebüro den Streit verkündet, welches jedoch dem Verfahren nicht als Nebenintervenientin beigetreten ist.
Das Erstgericht gab dem (eingeschränkten) Klagebegehren statt. Es beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin, dass dahingestellt bleiben könne, ob in der Anzeige der Verletzung nicht unmittelbar nach deren Eintritt bei der Buchungsstelle eine Obliegenheitsverletzung zu erblicken sei, weil die Eheleute hiebei keinesfalls vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hätten. Da ihnen von Seiten der behandelnden Ärzte erstmals am definitiv von der Reise abgeraten worden sei, treffe sie keinesfalls ein Verschulden, wenn sie in der Zeit bis dahin die Reise nicht storniert hätten. Leichte oder sogar schuldlose Obliegenheitsverletzungen seien nach § 6 Abs 3 VersVG sanktionslos, sodass sich der Versicherer nicht leistungsfrei erklären könne.
Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei erhobenen Berufung nicht (sowie nur einem von der klagenden Partei erhobenen Kostenrekurs) Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und führte in rechtlicher Hinsicht - zusammengefasst - aus:
Versichertes Ereignis sei nicht die schwere Erkrankung für sich allein, sondern die Tatsache, dass die Reise nicht angetreten werden könne (Reiseunfähigkeit) wegen einer schweren Erkrankung oder aus sonstigen näher bezeichneten Gründen; dies ergebe sich eindeutig bereits aus dem Einleitungssatz des Art 1 der AVB. Wollte man einem Versicherungsnehmer zumuten, schon bei Antritt einer plötzlichen schweren Erkrankung den Reisevertrag zu stornieren, ohne auf die Reisefähigkeit abzustellen, würde dies den Versicherungsnehmer unter Umständen dazu zwingen, seine Vertragspflicht gegenüber dem Reiseveranstalter zu verletzen, nur um nicht seine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zu verlieren. Die Argumentation der beklagten Partei hätte zur Folge, dass jede plötzlich eintretende schwere Erkrankung automatisch zur Stornierung der Reise führen müsse. Die Anzeige- und Stornierungsobliegenheit setze gemäß Art 3 jedoch den Eintritt oder die Kenntnisnahme eines versicherten Ereignisses voraus, dh, es bedürfe der Kenntnis der den Versicherungsfall begründenden Tatsachen. Der Versicherungsnehmer müsse also auch um die Bedeutung der Krankheit wissen; er müsse sich bei Auftreten derselben erkundigen, ob seine Reisefähigkeit beeinträchtigt sein könnte, damit er rechtzeitig stornieren könne. Nur wenn sich seine Hoffnung, eine ersichtlich schwere Erkrankung werde sich bis zum Antritt der Reise bessern, nicht auf eine entsprechende Auskunft des Arztes gründe und er die Buchung aufrecht erhalte, sei der Versicherungsnehmer nicht vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit entlastet. Nicht grob fahrlässig handle hingegen der Versicherte, dem ausdrücklich bestätigt werde, dass nach Art und Schwere der Krankheit und seiner persönlichen gesundheitlichen Gesamtverfassung mit einem normalen Heilungsverlauf und bis zum geplanten Reiseantritt mit Wiedergenesung zu rechnen sei, und er sodann erst nach ärztlichen Abraten von der Reise storniere. Daraus folge, dass es für den Antritt des Versicherungsfalles nach Art 3 der Versicherungsbedingungen auf den Eintritt oder die Kenntnisnahme der Reiseunfähigkeit wegen einer plötzlichen schweren Erkrankung ankomme, wobei eine vorhandene ärztliche Diagnose dabei eine entscheidende Rolle spiele. Unter diesem Gesichtspunkt habe für Christine K***** vor dem keine Obliegenheit zur Stornierung der Reise und Anzeige an den Versicherer bestanden; ex ante sei nämlich bis zu diesem Tag Reisefähigkeit gegeben und damit auch kein Versicherungsfall eingetreten gewesen. Selbst wenn man dies aber strenger sehe und etwa aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung über die Heilungsdauer eines Bruches der Schulter die Stornierungs- und Anzeigenobliegenheit bereits früher, nämlich am , einsetzen würde, käme man zu keinem anderen rechtlichen Ergebnis, weil der Versicherer gemäß § 6 Abs 3 VersVG, welcher diesbezüglich Art 4 der AVB überlagere, erst bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung leistungsfrei werde. Eine solche liege jedoch nicht vor, wenn ein Versicherungsnehmer als "medizinisch nicht versierter Durchschnittsbetrachter" auf die Diagnose der behandelnden Ärzte vertraut habe. Christine K***** habe auch nicht gleichgültig gehandelt, sondern sich nach ihrer Reisefähigkeit erkundigt, sodass auch von einem dreiwöchigen und deswegen grob fahrlässigen Zuwarten keine Rede sein könne. Da sohin Versicherungsfall nicht das bloße plötzliche Auftreten einer schweren Erkrankung, sondern vielmehr die daraus resultierende Reiseunfähigkeit sei, fielen die Zeitpunkte der Stornierung und die Anzeigenobliegenheit (zeitlich) zusammen; eine Verpflichtung zu einer bloß prophylaktischen Meldung könne dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen nicht entnommen werden.
Das Berufungsgericht begründete schließlich die Zulassung der ordentlichen Revision damit, dass - soweit ersichtlich - keine höchstgerichtliche Rechtsprechung, sondern nur eine Entscheidung des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien sowie ausländische Rechtsprechung zu der durchaus über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfrage bestünden, wann eine plötzlich eintretende schwere Erkrankung im Rahmen einer Reiseannullierungskosten-Versicherung dem Versicherer anzuzeigen bzw bei der Buchungsstelle zu stornieren sei, nämlich ob schon mit Eintritt der Erkrankung oder erst mit der ärztlich diagnostizierten Reiseunfähigkeit; die bezügliche Auslegung der Versicherungsbedingungen sei "offen".
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die klagende Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in welcher der Antrag gestellt wird, dem Rechtsmittel der Gegnerin keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.
Vorauszuschicken ist, dass es sich bei der Klägerin um eine nach § 55 Abs 4 JN iVm § 29 Abs 1 KSchG zur Verbandsklage legitimierte Partei handelt, sodass auch trotz Unterschreitens der Wertgrenze des § 502 Abs 2 ZPO zufolge der Ausnahmebestimmung des § 502 Abs 5 Z 3 ZPO infolge Vorliegens einer Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO der Weg zum Obersten Gerichtshof offensteht, um so der Absicht des Gesetzgebers, die Möglichkeit der Führung von Musterprozessen unabhängig vom Streitwert bis zum Höchstgericht einzuräumen, gerecht zu werden (Gitschthaler in Fasching/Konecny I² Rz 41 zu § 55 JN; Mayr in Rechberger, ZPO² Rz 4 zu § 55 JN).
Zweck und Wesen einer Reiserücktritts- oder Stornoversicherung bestehen darin, einem Reisenden bei einem im Vertrag angegebenen Rücktrittsgrund den finanziellen Verlust abzudecken (Tonner, Der Reisevertrag4 Rz 27), sodass sich das Buchungsrisiko des Touristen und Versicherungsnehmers in einem solchen vom Vertrag erfassten Fall auf einen eventuell auf ihn entfallenden Selbstbeteiligungsbetrag (Selbstbehalt) beschränkt, der regelmäßig erheblich hinter der ansonsten anfallenden - und im Regelfall nach Reiseart und Rücktrittszeitpunkt gestaffelten - Stornopauschale (zur Rechtsnatur siehe etwa Weiss, Pauschalreiserecht 75 ff) zurückbleibt (Eckert, Die Risikoverteilung im Pauschalreiserecht² 234 f). Insoweit besteht nur Einzelgefahrendeckung (Führich, Reiserecht4 Rn 616).
Dass es sich beim Schulterbruch der Christine K***** um eine "plötzlich eintretende schwere Erkrankung" der Versicherten iS der vertragsgegenständlichen AVB handelte (vgl hiezu auch Knappmann in Prölss/Martin, VVG26 2039 Rn 11 ff zu § 1 ABRV sowie Führich, aaO Rn 623), bildete von Verfahrensbeginn an zwischen den Parteien keinen Streitpunkt. Strittig ist (vorrangig) nur mehr die Frage des maßgeblichen Zeitpunktes der Obliegenheitserfüllung nach Art 3 AVB. Hiezu hat der Oberste Gerichtshof Folgendes erwogen:
Auszugehen ist davon, dass in aller Regel der Eintritt des (versicherten) Ereignisses - plötzlich eintretende schwere Erkrankung oder Tod - zugleich den Eintritt des Versicherungsfalles darstellt, zeigt doch bereits das Auftreten eines solchen Ereignisses in den meisten Fällen an, dass eine gebuchte Reise nicht angetreten werden kann. Infolge dessen knüpft die Pflicht zur unverzüglichen Beantragung der Stornierung der gebuchten Reise samt Anzeigeerstattung an den Versicherer (zur Erwirkung der Leistungspflicht desselben) schon dem Wortlaut der Bedingungen nach (Art 3 Abs 1 erster Fall) primär an den "Eintritt" eines dieser versicherten Ereignisse an und verpflichtet demgemäß den Versicherten bereits zu diesem Zeitpunkt zu stornieren (Nies, Reisebüro: Rechts- und Versicherungsfragen, Rn 402 f). Anders als etwa nach deutscher (insoweit strengerer) Bedingungslage gemäß § 4 Z 1 lit a ABRV (abgedruckt in Prölss/Martin, aaO 2043 und Führich, aaO Seite 593), wonach der Versicherungsnehmer/Versicherte verpflichtet ist, "dem Versicherer den Eintritt des Versicherungsfalles unverzüglich mitzuteilen und gleichzeitig die Reise bei der Buchungsstelle oder im Falle der schon angetretenen Reise beim Reiseveranstalter zu stornieren", trifft nach der österreichischen Bedingungslage den Versicherten diese Stornierungs- (samt Anzeige-)pflicht hingegen entweder "nach Eintritt oder nach Kenntnisnahme" eines der versicherten Ereignisse.
Nach ständiger Rechtsprechung sind allgemeine Versicherungsbedingungen nach Vertragsgrundsätzen auszulegen; die Auslegung hat sich dabei am Maßstab eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren (RIS-Justiz RS0050063) und objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut zu erfolgen (RIS-Justiz RS0008901), wobei Unklarheiten iS des § 915 ABGB zu Lasten des Verwenders der AVB, also des Versicherers, gehen (RIS-Justiz RS0008901; zuletzt 7 Ob 83/04p und 7 Ob 107/04t, jeweils mwN).
Schon nach dem Wortlaut der - entgegen der Argumentation der Revisionswerberin - in einem untrennbaren Wort- und Sinnzusammenhang stehenden und aufeinander insoweit auch Bezug nehmenden Art 1 und 3 öAVB ist Gegenstand der Versicherung nicht das in den Bedingungen aufgezählte Ereignis schlechthin, sondern nur in (untrennbarer) Verbindung mit einem daraus resultierenden Nichtantritt der gebuchten Reise. Insoweit setzt schon nach deutscher Bedingungslage (und umso mehr nach der insoweit zugunsten des Versicherungsnehmers weniger strengen österreichischen) die Anzeige- und Stornierungsobliegenheit nicht bloß die Kenntnis der dem Versicherungsfall begründenden Tatsachen voraus, sondern muss der Versicherungsnehmer auch um die Bedeutung der Krankheit (Erkrankung) - in Bezug auf die Auswirkung auf den Reiseantritt - wissen ("Kenntnisnahme"): Solange also eine einigermaßen sichere ärztliche Diagnose fehlt, treffen ihn die Obliegenheiten (noch) nicht, falls der Krankheitswert nicht auf der Hand liegt; im Zweifelsfall muss sich der Versicherungsnehmer erkundigen, ob seine Reisefähigkeit beeinträchtigt sein könnte, damit er rechtzeitig stornieren kann; nur die bloß subjektive Hoffnung, eine ersichtlich schwere Erkrankung des Versicherungsnehmers werde sich bis zum Antritt der Reise bessern, entlastet den Versicherungsnehmer nicht vom Vorwurf der Obliegenheitsverletzung und damit auch grober Fahrlässigkeit, wenn er sich hiebei nicht auf eine entsprechende Auskunft des Arztes stützen kann (Knappmann in Prölss/Martin, aaO Rn 1 zu § 4 ABRV mwN; Nies, aaO Rn 411). Der Eintritt einer Erkrankung ist also nicht Selbstzweck, sondern erfüllt den Versicherungsfall erst in dem Moment, in dem die Nichtantrittsmöglichkeit der gebuchten Reise infolge eines solchen Ereignisses zu erwarten ist; demgemäß vertritt auch Führich, aaO Rn 645 die Auffassung, dass den Versicherten zwar die Pflicht trifft, die Frage der Reisefähigkeit rechtzeitig zu klären; solange er jedoch um die objektive Bedeutung der Erkrankung nicht weiß und eine einigermaßen sichere ärztliche Diagnose fehlt, hat er (noch) keine Anzeigepflicht. Dem entspricht auch etwa jüngst Saria, Wer hat Recht im Urlaub? ([2002], 153 f), wonach ein Versicherungsnehmer, um seiner Obliegenheit in der Stornoversicherung zu genügen, nicht bloß eine Besserung seines Gesundheitszustandes abwarten darf, sondern seine in den Heilungsverlauf gesetzten Erwartungen durch Einholung einer entsprechenden Auskunft der behandelnden Ärzte untermauern muss; nur die bloß vom subjektiven Befinden genährte Hoffnung auf eine Verbesserung seines Gesundheitszustandes könnte ihn nicht vom Vorwurf grober Fahrlässigkeit entlasten (idS auch BGHS Wien 17 C 408/99m, abgedruckt in KRES 10/107 [S. 281]; AG München in VersR 1995, 701 sowie jüngst LG Osnabrück in r+s 2004, 156).
Nach der maßgeblichen Feststellungslage kann von einer derartigen auf bloß subjektiven Kriterien beruhenden Erwartungslage der Versicherungsnehmerin Christine K***** keine Rede sein, wurde ihr doch ärztlicherseits nicht nur mehrfach (17. 1., 24. 1. und ) versichert, sie könne die ab geplante Reise antreten, sondern dies sogar noch dadurch bestärkt, dass das "Schwimmen im Meer eine gute Therapie" sei. Wenn sie daher nach erstmaliger Feststellung eines verzögerten Heilungsverlaufes am noch am selben Tag stornierte, kann wohl nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden, dass sie damit auch unverzüglich - bezogen sowohl auf den Eintritt als auch die Kenntnisnahme des versicherten Ereignisses - die Stornierung beantragt hat, war doch erst zu diesem Zeitpunkt (objektiv wie subjektiv) klar, dass die Reise aus einem bei der Buchung nicht voraussehbaren Grund nicht (mehr) angetreten werden könne. Insoweit ist auch dem Berufungsgericht zu folgen, wonach das strikte Abstellen auf das Ereignis der plötzlich eintretenden schweren Erkrankung allein (ohne Bedachtnahme auch auf das in Art 1 AVB formulierte Mitabstellen auf das davon abhängige Risiko des Nichtantrittes bzw der Nichtantrittsmöglichkeit der gebuchten Reise) iS einer - von der Revisionswerberin auch in dritter Instanz vertretenen - sogleich ("automatisch") gegebenen Pflicht zur Stornierung der Reise ungeachtet des Umstandes, ob und dass (nach ärztlichem Ratschlag) die Reise im konkreten Fall doch (unbedenklich) angetreten werden kann, mit den Interessen eines Reisenden als Versicherungsnehmer und Konsument in einem geradezu unvertretbaren (weil unzumutbaren) Widerspruch stünde. Von einer "unvertretbar einseitig zugunsten des Versicherten" erfolgten Interpretation durch das Berufungsgericht kann damit ebensowenig die Rede sein wie von einer (von der beklagten Partei nach wie vor monierten) groben Fahrlässigkeit der Versicherungsnehmerin zufolge Zuwartens mit der Stornierungsanzeige bis drei Wochen nach ihrem Unfall (17. 1. bis ), wobei sich mangels Vorliegens einer Obliegenheitsverletzung Fragen des Entlastungs- bzw des Kausalitätsgegenbeweises nach § 6 VersVG gar nicht stellen.
Der Revision kommt daher Berechtigung nicht zu, weshalb die klagestattgebende Entscheidung des Berufungsgerichtes zu bestätigen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, 1040 Wien, Prinz Eugen-Straße 20-22, vertreten durch Dr. Aldo Frischenschlager und andere, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei U*****, vertreten durch Dr. Widukind W. Nordmeyer, Rechtsanwalt in Wels, wegen (eingeschränkt) EUR 1.289 sA den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom , 7 Ob 124/04t, wird dahin berichtigt, dass es im Kopf derselben statt "den Beschluss gefasst" richtig "zu Recht erkannt" und im Anschluss an den Spruch der Entscheidung statt "Begründung" richtig "Entscheidungsgründe" zu lauten hat.
Um die Vornahme der Berichtigung in den den Parteien zugestellten Ausfertigungen wird das Erstgericht ersucht.
Text
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof gab mit der aus dem Spruch ersichtlichen Entscheidung der Revision der beklagten Partei nicht Folge, woraus bereits folgt, dass es sich bei seiner Entscheidung nicht um einen Beschluss, sondern um ein Urteil (in der Sache: § 510 Abs 1 ZPO) handelte. Trotzdem wurde - aus einem offenkundigem Schreibfehler (§ 419 Abs 1 ZPO) - in den Ausfertigungen eine unrichtige Entscheidungsform ("Beschluss" statt richtig "Urteil" bzw darauf fußend "Begründung" statt richtig "Entscheidungsgründe") geschrieben (richtig hingegen in der Entscheidungsveröffentlichung ZVR 2004/70). Dieser offenkundige Fehler war demgemäß von Amts wegen nach der zitierten Gesetzesstelle richtigzustellen, wobei hinsichtlich der den Parteien bereits zugestellten Ausfertigungen (einschließlich jener im erstinstanzlichen Streitakt) zweckmäßigerweise die entsprechende Vorgangsweise über das Erstgericht anzuordnen war (7 Ob 11/04z).
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2004:0070OB00124.04T.0616.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
QAAAD-35427