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OGH vom 19.07.1988, 1Ob618/88

OGH vom 19.07.1988, 1Ob618/88

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*** St. J*** IN T***, vertreten durch Dr. Wolfgang Berger jun., Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei F*** St. J*** in Tirol, St. Johann in Tirol, Reitham 2, vertreten durch Dr. Josef Lenz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom , GZ 3 a R 94/88- 45, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom , GZ 2 C 2917/86-38, unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die klagende Marktgemeinde ist Eigentümerin der Grundstücke 543/2 und 544/4, jeweils EZ 1658 KG St. Johann in Tirol, sowie der Grundstücke 544/7 und 544/8, jeweils EZ 1953 KG St. Johann in Tirol. Diese Grundstücke bilden eine geschlossene Fläche, auf der der beklagte Fliegerclub den Zivilflughafen St. Johann in Tirol betreibt. Die Grundstücke, die früher ortsansässigen Bauern gehört hatten, waren der beklagten Partei um einen beträchtlichen Zins vermietet worden. Über deren Vorschlag, allenfalls auch in Eigeninitiative kaufte die klagende Partei die Grundstücke und schloß mit der beklagten Partei am einen als "Gebrauchsvertrag" bezeichneten Vertrag, mit welchem sie ihr den Gebrauch der Grundstücke für Zwecke des Flugplatzbetriebes zu den in diesem Vertrag näher ausgeführten Bedingungen gestattete (Punkt II).

Punkt III dieses Vertrages lautet:

"Die Benützungsbewilligung beginnt am . Sie endet nach Ablauf von zehn Jahren, sohin am . Wenn nicht spätestens 11 Monate vor dem Ende der zehnjährigen Gebrauchszeit seitens eines der beiden Vertragsteile eine Erklärung mittels eingeschriebenem Brief erfolgt, daß eine Verlängerung nicht erfolgt, verlängert sich die Gebrauchszeit jeweils um ein weiteres Jahr. Die Auflösungserklärung im Falle einer oder mehrerer Verlängerungen hat ebenfalls in der oben beschriebenen Form und unter Einhaltung der gleichen Fristen zu erfolgen....."

Punkt IV hat nachstehenden Wortlaut:

"Der Fliegerclub hat der M*** St. J*** i.T. sämtliche Kosten zu ersetzen, die ihr als Eigentümer des Flugplatzgeländes und aus der Erhaltung des Flugplatzes entstehen, das sind unter anderem:

a) die Kosten der Schneeräumung für den Zufahrtsweg von der Almdorferbrücke bis zur Reithamerbrücke, b) die Erhaltungskosten für diese beiden Brücken, soweit sie auf die Gemeinde entfallen, c) die Kosten der Wegerhaltung und einer allfälligen durch die Aufrechterhaltung des Flugbetriebes notwendigen Wegverbreiterung, d) eventuelle Gebühren, Entschädigungen der Kostenanteile, die die M*** St. J*** i.T. an die Großachengenossenschaft für die in diesem Bereich liegenden Dämme zu leisten hat, e) die auf das Flugplatzgelände entfallende Grundsteuer und andere damit zusammenhängende öffentliche Abgaben."

Die klagende Partei begehrt die Verurteilung der beklagten Partei zur Räumung der ihr gehörigen Grundstücke. Der Gebrauchsvertrag sei ein Leihvertrag, der im Hinblick auf eine entsprechende Erklärung der klagenden Partei am

aufgelöst worden sei. Seither benütze die beklagte Partei die Grundstücke ohne Rechtstitel, habe sie aber bisher weder geräumt noch den Flugplatzbetrieb eingestellt.

Die beklagte Partei wendete ein, der Gebrauchsvertrag sei kein Leihvertrag. Die beklagte Partei habe vielmehr erhebliche Leistungen zu erbringen, weshalb ein Mietvertrag über Geschäftsräume anzunehmen sei, der lediglich aus wichtigen Gründen aufgekündigt werden könne. Im zweiten Rechtsgang - der Verlauf des ersten Rechtsganges kann dem Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom , 1 Ob 695/86-23 (JBl.1987, 320 = RdW 1987, 258 = MietSlg.38.119/49) entnommen werden - gab das Erstgericht dem Räumungsbegehren statt. Es stellte fest, gleichzeitig mit der durch den Abschluß des Gebrauchsvertrages ermöglichten Ausdehnung des Flugbetriebes sei 1975 auf dem Grundstück 544/8 ein Parkplatz angelegt und befestigt worden. Für diese Arbeit seien Kosten von S 145.677,45 und S 141.288,-- erwachsen. 1985 habe die beklagte Partei auch die Flugplatzzufahrtsstraße um S 174.214,19 asphaltieren lassen. Diese Arbeiten habe die beklagte Partei durchwegs in Eigeninitiative durchführen lassen, ohne daß ihr von der klagenden Partei entsprechende Verpflichtungen im Vertrag auferlegt worden wären. Die beklagte Partei habe auch die im Punkt IV des Gebrauchsvertrages aufgeführten Kosten bestritten. Die an die Großachengenossenschaft geleisteten Beiträge hätten sich von 1975 bis 1980 auf S 2.203,20, von 1981 bis 1984 auf S 1.436,-- und für die Jahre 1985 und 1986 auf S 718,-- belaufen. Für die Schneeräumung auf der Zufahrtsstraße und dem Parkplatz habe die beklagte Partei 1976 S 3.293,--, 1977 S 4.266,--, 1978 S 6.690,--, 1979 S 6.745,--, 1980 S 7.556,66, 1981 S 6.211,--, 1982 S 9.252,--, 1983 S 6.970,-- und 1984 S 2.739,-- aufgewendet. Vereinbarungen über die Schneeräumung auf dem Parkplatz seien zwischen den Streitteilen nicht getroffen worden. Ob und in welchem Umfang der Parkplatz nicht nur von den Flugplatzgästen, sondern auch von anderen Personen benützt wird, könne nicht festgestellt werden. Der im Gebrauchsvertrag in Punkt IV lit. a genannte Zufahrtsweg teile sich nach der Almdorferbrücke in zwei Äste und führe zu drei Bauernhöfen. Auch der Weiler Reitham könne über diesen besonders im Sommer, aber auch im Winter stark frequentierten Weg erreicht werden. Über den Umfang der Schneeräumung, vor allem also über deren Breite hätten die Streitteile nie besondere Vereinbarungen getroffen; jedenfalls räume die beklagte Partei den nach der Flughafenzufahrt weiterführenden Weg seit Beginn des Gebrauchsverhältnisses im gleichen Umfang wie den davor liegenden Teil dieses Weges. Mit Bescheid des Gemeinderates der klagenden Partei vom sei die Almdorferbrücke zur öffentlichen Interessentenbrücke erklärt worden; neben anderen seien auch die Streitteile - diese zu je 40 Beitragsanteilen - als Interessenten verpflichtet worden. Für die Instandsetzung der Brücke habe die beklagte Partei 1977 S 24.784,80, für eine Reparatur 1982 S 4.908,09 und für die Errichtung einer Stützmauer bei der Brücke S 45.368,96 entrichtet. Jeweils die Hälfte dieser Beiträge hätte an sich bescheidmäßig die klagende Gemeinde getroffen; sie sei vertragsgemäß von dieser auf die beklagte Partei überwälzt worden. Dasselbe gelte für den 1978 geleisteten Beitrag der beklagten Partei von S 3.518,40 an die Brückengemeinschaft Almdorferbrücke. An Wegerhaltungskosten habe die beklagte Partei 1979 S 1.806,90, 1980 S 2.435,46 und 1981 S 1.431,81 auslegen müssen. Die klagende Partei habe nie um die Befreiung von der Entrichtung der Grundsteuer für die in Benützung überlassenen Grundstücke angesucht, so daß die darauf entfallende Grundsteuer stets der beklagten Partei vorgeschrieben worden sei. Diese habe 1975/76 S 1.834,--, für den Zeitraum von 1977 bis 1979 S 3.066,--, 1980 S 1.134,--, 1981/82 S 2.268,-- und 1983 S 1.225,-- bezahlen müssen. Ab 1984 seien die Einheitswerte neu festgesetzt worden, worauf die beklagte Partei von 1984 bis 1987 jährlich einen Grundsteuerbetrag von S 15.666,-- zu entrichten gehabt habe. Nach dem Flächenwidmungsplan der klagenden Gemeinde vom sei der Zivilflugplatz eine Sonderfläche im Freiland. Das Areal bestehe aus einer befestigten Piste samt Parkplatz im Ausmaß von 17.950 m2, einer Rasenfläche von 18.920 m2, Abstellflächen von insgesamt 4.894 m2 und landwirtschaftlich nutzbaren Flächen von 17.430 m2. Für die Pistenfläche sei ein Bestandzins von S 8,--/m2, für die Rasenfläche ein solcher von S 5,--/m2, für die Abstellfläche sei ein Zins von S 4,--/m2 und für die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen ein solcher von S 3,75 m2 angemessen und ortsüblich. Daraus errechne sich ein ortsüblicher und angemessener Bestandzins von jährlich zumindest S 323.138,50.

Rechtlich meinte das Erstgericht, die Kosten der Errichtung des Parkplatzes sowie der Asphaltierung desselben und des Zufahrtsweges sei nicht als Entgelt im Sinne des § 1090 ABGB zu beurteilen, weil die beklagte Partei zur Vornahme dieser Arbeiten vertraglich nicht verpflichtet gewesen sei. Die von der beklagten Partei entrichteten Beiträge und Gebühren seien hingegen Verpflichtungen, die die klagende Partei auch ohne Zusammenhang mit einem Benützungsverhältnis im Sinne des § 981 ABGB treffen, kämen aber zufolge ihrer geringen Höhe bloß einem Anerkennungszins gleich. Damit sei das Benützungsverhältnis zwischen den Streitteilen als Leihe zu beurteilen, weshalb dem Räumungsbegehren angesichts der rechtzeitigen Auflösungserklärung seitens der klagenden Partei stattzugeben sei.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung durch das Erstgericht auf, ordnete einen Rechtskraftvorbehalt an und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes zwar S 15.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteige. Soweit die beklagte Partei Feststellungen über die ortsüblichen Pachtzinse für Grünland vermisse, genüge der Hinweis, daß von Anfang an Vertragszweck der Betrieb eines Flugplatzes gewesen und daher bei der Bewertung von Leistung und Gegenleistung von diesem Vertragszweck auszugehen sei, so daß die angestrebten Feststellungen entbehrlich seien. Dennoch reichten die erstinstanzlichen Feststellungen zur verläßlichen Beurteilung des Vertragsverhältnisses nicht aus. Unterscheidungsmerkmal der Vertragstypen Leihe und Miete sei die Unentgeltlichkeit. Nur wenn die Überlassung des Gebrauchs unentgeltlich erfolge, liege Leihe vor. Es sei jedoch nicht jeder Aufwand, den der Entlehner zu tragen habe, als Entgelt für die Gebrauchsüberlassung anzusehen. Der Unentgeltlichkeit stehe es gleich, wenn bloß ein Anerkennungszins oder ein derart niedriges Entgelt zu zahlen sei, das gegenüber dem Wert der Benützung praktisch nicht mehr ins Gewicht falle. Ob das zutreffe, sei nicht erst nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Auflösung des Vertrages oder gar des Schlusses der Verhandlung erster Instanz zu prüfen, sondern es sei die rechtliche Einordnung des Gebrauchsvertrages auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zurückzubeziehen. Daher könne - entgegen der Auffassung des in erster Instanz beigezogenen Sachverständigen und des ihm folgenden Erstgerichtes - nicht von der Bewertung zum ausgegangen werden; Stichtag sei vielmehr der (Vertragsdatum) bzw. der (Beginn der Benützungsbewilligung). Auf diesen Stichtag werde die Bewertung des ortsüblichen angemessenen Bestandzinses abzustellen sein. Den so ermittelten Beträgen müßten sodann die von der beklagten Partei vom Beginn des Vertragsverhältnisses an geleisteten durchschnittlichen jährlichen Entgelte gegenübergestellt werden.

Rechtliche Beurteilung

Der von der klagenden Partei gegen den berufungsgerichtlichen Beschluß erhobene Rekurs ist nicht berechtigt.

Zur Frage der Abgrenzungskriterien zwischen Miete (Pacht) und Leihe ist zur Vermeidung von Wiederholungen auf den (mehrfach veröffentlichten) Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom zu verweisen. Nur wenn die Gegenleistung in einem geringfügigen, gegenüber dem Wert der Nutzung wirtschaftlich nicht ins Gewicht fallenden Betrag besteht, der nach dem Willen der Parteien gar nicht als Entgelt geleistet, sondern bloß als Anerkennung für die Gebrauchsüberlassung gegeben wird, etwa um die Ersitzung zu verhindern, kann von einem die Annahme einer Leihe (gegebenenfalls Bittleihe) rechtfertigenden "Anerkennungszins" gesprochen werden (vgl die Nachweise in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes im ersten Rechtsgang; ferner noch EvBl 1973/165; EvBl 1964/360; EvBl 1948/164; 7 Ob 764/78 ua; Stanzl in Klang2 IV/1, 684f). Da die rechtliche Einordnung eines Vertrages in erster Linie an der Absicht der Parteien, welche Wirkungen dem Vertrag zukommen sollen, zu messen ist (EvBl 1973/165; MietSlg 17.129 uva; Stanzl aaO), entscheidet der Parteiwille auch darüber, ob die Gegenleistung des Benützungsberechtigten Entgelt oder bloßer "Anerkennungszins" sein soll, sofern nicht die Umgehung mieter- oder pächterschutzrechtlicher Vorschriften in Betracht kommt. Schon deshalb kann es für die Beurteilung eines Vertrages stets nur auf die Verhältnisse bei Vertragsabschluß ankommen, weil nur diese Rückschlüsse auf den Parteiwillen zulassen (vgl Würth in Rummel, ABGB,§ 1090 Rz 3; Stanzl aaO).

Dem Berufungsgericht ist somit darin beizupflichten, daß der bei Abschluß des Gebrauchsvertrages vom für die der beklagten Partei überlassenen Grundstücke angemessene ortsübliche Bestandzins zu ermitteln und den nach den damals herrschenden Verhältnissen zu erwartenden vertraglichen Gegenleistungen - für deren Feststellung die vom Erstgericht ermittelten tatsächlich erbrachten Gegenleistungen ein gewisses Indiz sein können - gegenüberzustellen ist; erst auf Grund dieser Gegenüberstellung wird verläßlich beurteilt werden können, ob die vertraglichen Gegenleistungen der beklagten Partei in Wahrheit Bestandzins sind oder doch nur einem Anerkennungszins, der die Annahme einer Leihe rechtfertigt, gleichkommen. Da nicht auszuschließen ist, daß der für die Überlassung der Grundflächen angemessene ortsübliche Bestandzins im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (bzw. des wenige Tage danach tatsächlich begonnenen Vertragsverhältnisses) als wesentlich geringer anzunehmen war als der vom Sachverständigen für einen unmaßgeblichen späteren Zeitpunkt ermittelte Zins, hat das Gericht zweiter Instanz dem Erstgericht zu Recht eine Verfahrensergänzung aufgetragen.

Dem Rekurs ist daher ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.