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OGH vom 24.09.2019, 5Ob115/19a

OGH vom 24.09.2019, 5Ob115/19a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*****, vertreten durch Brauneis Klauser Prändl Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei V***** AG, *****, vertreten durch Freshfields Bruckhaus Deringer LLP Rechtsanwälte in Wien, wegen 2.783.725 EUR sA und Feststellung (Streitwert 239.500 EUR), infolge der Revisionsrekurse der klagenden und der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 2 R 31/19x-22, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom , GZ 4 Cg 77/18s-13, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Verfahren 5 Ob 115/19a wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen des Landesgerichts Klagenfurt zu 21 Cg 74/18v, Rechtssache C343/19, vom unterbrochen.

Nach Ergehen dieser Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

Text

Begründung:

Der Kläger ist ein nach § 29 KSchG klagebefugter Verband und macht aufgrund Zession Ansprüche von 515 aktuellen bzw vormaligen Eigentümern von Fahrzeugen der Marken ***** wegen von der Beklagten zu verantwortender Abgasmanipulationen geltend. Er wirft ihr die Verletzung von Schutzgesetzen (Verordnung EG Nr 715/2007), absichtlich sittenwidrige Schädigung und unlautere Geschäftspraktik vor. Der Schaden bestehe darin, dass die Verbraucher dem Händler bzw Voreigentümer einen Kaufpreis für ein nicht manipuliertes Fahrzeug bezahlt hätten, während die Fahrzeuge tatsächlich bedingt durch die Ausstattung des Motors mit einer verbotenen und zulassungswidrigen Software um zumindest 30 % weniger wert seien. Die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gründe sich auf Art 7 Nr 2 der Verordnung (EU) Nr 2015/2012 (EuGVVO 2012). Der Abschluss des Kaufvertrags, die Zahlung des Kaufpreises und die Übergabe und Auslieferung des Fahrzeugs seien jeweils im Sprengel des angerufenen Gerichts erfolgt. Dort habe sich das deliktische Verhalten der Beklagten erstmals ausgewirkt, sodass es sich dabei um den Erfolgsort handle.

Die Beklagte wendete die internationale, örtliche und sachliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ein. Der Erfolgsort liege nicht im Inland. Dabei sei nicht auf den für die Beklagte nicht vorhersehbaren Ort der Übergabe der Fahrzeuge abzustellen. Der geltend gemachte Schaden sei ein bloßer Folgeschaden, der für die Bestimmung des Erfolgsorts nicht maßgeblich sei.

Das wies – insoweit unbekämpft – den Antrag auf Senatsbesetzung nach § 7a JN ab, erklärte sich für international unzuständig und wies die Klage zurück. Die Klägerin könne sich nicht auf Art 7 Nr 2 EuGVVO stützen. Nach der Judikatur des EuGH sei der Erfolgsort eines reinen Vermögensschadens nicht eng anhand der konkreten Rechtsgutverletzung zu ermitteln, sondern der Geschehensablauf im jeweiligen Einzelfall gesamthaft zu analysieren. Dass der Kläger an die Übergabe der Fahrzeuge anknüpfe, greife zu kurz, weil der reine Vermögensschaden der Fahrzeugkäufer dadurch zum Sachschaden am Fahrzeug umfunktioniert werde. Der geltend gemachte Schaden wäre im Hinblick auf die vorgeworfene schädigende Handlung bloßer Sekundärschaden, der bei jedem Verkauf weiter wandere. Diese Auffassung missachte das laut EuGH anzuwendende Kriterium der Vorhersehbarkeit. Aus Sicht der Prozesseffizienz könne hier grundsätzlich das Gericht am Sitz der Beklagten sach und beweisnah entscheiden, weil sich die strittigen Fragen unabhängig vom Ort der Übergabe der Fahrzeuge stellten. Auf die Frage der sachlichen Zuständigkeit sei mangels internationaler Zuständigkeit nicht näher einzugehen.

Das gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Klägers dahin Folge, dass es die Einrede der internationalen Zuständigkeit verwarf. Nach ständiger Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Wien, Graz und Linz sei die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte für Klagen von PKWKäufern gegen die Herstellerin wegen des Abgasmanipulationsskandals zu bejahen. Als Erfolgsort iSd Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 für Schadenersatzansprüche des Käufers gegen die KFZHerstellerin wegen Manipulation von Abgaswerten sei jener Ort anzusehen, an dem der Käufer das KFZ vom Händler erworben und übergeben erhalten habe. Der in der Vermögensminderung (bezahlter Kaufpreis für ein KFZ mit manipulierter Software) liegende bloße Vermögensschaden des Käufers bilde keinen Folge, sondern einen zuständigkeitsbegründenden Primärschaden. Der Gerichtsstand sei für die Herstellerin, die sich eines österreichischen Vertragshändlers bediene, ausreichend vorhersehbar und im Hinblick auf den Abschluss eines Kaufvertrags und die Auslieferung des Kraftfahrzeugs in Österreich sach und beweisnah. Dies stehe im Einklang mit den vom Obersten Gerichtshof zu 5 Ob 240/18g im Zusammenhang mit einem Anlegerschaden zum Deliktsgerichtsstand getroffenen Rechtsausführungen. Die Abtretung der Ansprüche ändere nichts an dem für den ursprünglichen Geschädigten maßgeblichen Gerichtsstand; über die bestrittene sachliche Zuständigkeit des Erstgerichts werde dieses noch zu entscheiden haben.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei hinsichtlich sämtlicher abgetretener Ansprüche zuzulassen, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur internationalen Zuständigkeit für Schadenersatzklagen von PKWKäufern gegen die Herstellerin wegen behaupteter Abgasmanipulationssoftware vorliege.

In ihrem Revisionsrekurs macht die Beklagte im Wesentlichen geltend, eine Lokalisierung des Erfolgsorts in Österreich nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 widerspreche der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Der Europäische Gerichtshof verlange, den Deliktsgerichtsstand als Ausnahme vom Grundsatz „actor sequitur forum rei“ eng auszulegen. Der Gerichtsstand müsse für den Beklagten vorhersehbar sein, er habe den Zweck das Verfahren an einem Ort durchzuführen, der sich durch Sach und Beweisnähe auszeichne. Bei der Lokalisierung des Erfolgsorts sei auf eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls abzustellen. Hier sei von der größeren Sach und Beweisnähe der deutschen Gerichte und der mangelnden Vorhersehbarkeit der Gerichtspflichtigkeit in Österreich für die Beklagte auszugehen. Der Ort der Übergabe des Fahrzeugs bilde keinen zuständigkeitsbegründenden Anknüpfungspunkt iSd Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012. Aufgrund des vom Landesgericht Klagenfurt in einem Parallelfall gestellten Vorabentscheidungsersuchens werde die Unterbrechung des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH darüber beantragt.

Der Kläger wendet sich in seinem Revisionsrekurs dagegen, dass es das Rekursgericht unterlassen habe, auch über die von der Beklagten erhobene Einrede der örtlichen Unzuständigkeit zu entscheiden und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen. Da die internationale und örtliche (Un)Zuständigkeit nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 untrennbar miteinander verknüpft sei, komme eine getrennte Prüfung der Einreden nicht in Betracht.

Rechtliche Beurteilung

Jedenfalls der Revisionsrekurs der Beklagten ist ungeachtet des bei einzelnen Zedenten unter 5.000 EUR liegenden Streitgegenstands gemäß § 502 Abs 5 Z 3 ZPO (vgl RISJustiz RS0122125 [T7]) zur Klarstellung der Rechtslage zulässig.

Das Revisionsrekursverfahren ist im Sinn des von der Beklagten gestellten Antrags bis zur Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C343/19, betreffend das Vorabentscheidungsersuchen des Landesgerichts Klagenfurt zu 21 Cg 74/18v zu unterbrechen.

Das Landesgericht Klagenfurt legte nämlich bei einem vergleichbaren Sachverhalt – ebenfalls eine Sammelklage österreichischer Prägung betreffend Schadenersatzklagen mehrerer durch die behaupteten Abgassoftwaremanipulationen der Beklagten geschädigter Fahrzeugkäufer nach Abtretung an die auch hier klagende Partei – dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

Ist Art 7 Nr 2 der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- bzw Handelssachen dahin auszulegen, dass unter Umständen wie in jenen des Ausgangsverfahrens als „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, der Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden kann, an dem der Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der die unmittelbare Folge einer unerlaubten Handlung ist, die sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat?

Die Beantwortung dieser Frage ist auch für das vorliegende Verfahren maßgeblich. Da der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat, ist das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RS0110583). Eine acte clairSituation liegt – entgegen der Meinung des Klägers – nicht vor. Die Frage der internationalen (und örtlichen) Zuständigkeit für die (auch) hier gegenständlichen deliktischen Schadenersatzansprüche betrifft eine große Anzahl von PKWKäufern, wurde in mehreren Entscheidungen erst und zweitinstanzlicher Gerichte unterschiedlich gelöst und im Schrifttum kontroversiell diskutiert. Für die vom Kläger selbst hilfsweise angeregte Ergänzung des Vorabentscheidungsersuchens besteht nach derzeitigem Verfahrensstand kein Anlass (vgl 4 Ob 119/19g).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0050OB00115.19A.0924.000

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