OGH vom 29.05.2001, 1Ob125/01s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann Z*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Rohringer, Rechtsanwalt in Tamsweg, wider die beklagte Partei Matthias B*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Stolz, Rechtsanwalt in Radstadt, wegen Entfernung einer Wasserleitung (Streitwert S 130.000,--) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 54 R 407/00t-12, womit das Urteil des Bezirksgerichts Tamsweg vom , GZ 2 C 712/99y-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger ist Eigentümer der Liegenschaft EZ 231 einer Katastralgemeinde im Salzburger Land mit dem Grundstück 585, auf dem eine Quelle entspringt. Der Beklagte ist Eigentümer der Liegenschaften EZ 118 und 345 derselben Katastralgemeinde. Auf der Liegenschaft EZ 345 errichtete er eine Hütte, die mit Wasser aus einer auf dem Grundstück 585 entspringenden Quelle versorgt wird. Auf diesem Grundstück verlegte er eine zur Ableitung des Wassers erforderliche Wasserleitung.
1957 verkaufte der Großvater des Beklagten dem Vater des Klägers unter anderem das Grundstück 585; darin wurde auch vereinbart:
"An dem Kaufgegenstande bleibt aber dem Verkäufer und seinen Rechtsnachfolgern im Besitz der Liegenschaft EZ 118 Grundbuch ..... auf immerwährende Zeiten das vollständige Nutzungsrecht mit Ausnahme des Jagdrechtes vorbehalten."
Auf der Liegenschaft EZ 231 ist die Dienstbarkeit des Nutzungsrechts unter anderem auf dem Grundstück 585 für die Liegenschaft EZ 118 einverleibt.
Der Kläger begehrte die Entfernung der vom Beklagten auf dem Grundstück 585 verlegten Wasserleitung und die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Die Nutzungen, die sich der Rechtsvorgänger des Beklagten vorbehalten habe, bestünden in der Ausübung der Almwirtschaft, nicht aber in der Ableitung von Wasser auf das Grundstück des Beklagten. Die Dienstbarkeit des Nutzungsrechts sei durch den Umstand, dass der Beklagte keine Landwirtschaft mehr betreibe, erloschen. Im Übrigen leite der Beklagte das Wasser vom Grundstück des Klägers nicht auf die Liegenschaft EZ 118, sondern zu der von ihm auf der Liegenschaft EZ 345 errichteten Hütte; zu Gunsten dieser Liegenschaft bestehe jedoch keine Dienstbarkeit.
Der Beklagte wendete ein, der Verkauf der Grundstücke im Jahre 1957 habe nur bezweckt, dem Rechtsvorgänger des Klägers einen zur Ausübung der Eigenjagd berechtigenden Liegenschaftsbesitz zu verschaffen. Sämtliche Nutzungsrechte sollten - mit Ausnahme des Jagdrechts - auf immerwährende Zeit dem Veräußerer vorbehalten bleiben. Demnach sei der Beklagte als Eigentümer der Liegenschaft EZ 118 zur Wasserentnahme und -ableitung vom Grundstück 585 des Klägers berechtigt, selbst wenn er das Wasser nicht zur Versorgung der Liegenschaft EZ 118 benötige.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es führte aus, den Eigentümern der Liegenschaft EZ 118 stehe vertraglich das vollständige Nutzungsrecht - ausgenommen das Jagdrecht - unter anderem am Grundstück 585 zu, und dieses Recht sei als Dienstbarkeit einverleibt worden. Ungeachtet des Umfangs seiner landwirtschaftlichen Aktivitäten sei der Beklagte deshalb berechtigt, die Quelle auf dem Grundstück 585 zu fassen und das Wasser auf ein anderes Grundstück abzuleiten.
Das Gericht zweiter Instanz gab dem Klagebegehren hingegen statt; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands zwar S 52.000, nicht aber S 260.000 übersteige; die ordentliche Revision wurde letztlich für zulässig erklärt. Es führte aus, es sei unerheblich, auf welche Art die betroffenen Grundstücke im Jahre 1957 bewirtschaftet worden seien. Das Recht zur Wasserentnahme und -ableitung für den jeweiligen Besitzer der Liegenschaft EZ 118 sei eine Grunddienstbarkeit gemäß § 477 ABGB. Als solche diene es dem Eigentümer des herrschenden Grundstücks zur Deckung des möglichen oder tatsächlichen Bedarfs der herrschenden Liegenschaft. Der Beklagte entnehme das Wasser nicht für den Bedarf der Liegenschaft EZ 118, sondern zur Bewirtschaftung der Liegenschaft EZ 345 und bewege sich somit außerhalb des Vertragsbereichs. Das Wasserbezugsrecht sei keine persönliche Dienstbarkeit. Das Begehren des Klägers sei demnach berechtigt.
Die Revision des Beklagten ist zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Strittig ist, in welchem Umfang dem Rechtsvorgänger des Beklagten das Nutzungsrecht an bestimmten in der EZ 231 vorgetragenen Grundstücken eingeräumt (genauer: vorbehalten)wurde. Das Erstgericht hat dazu festgestellt, dem Rechtsvorgänger des Beklagten und dessen Rechtsnachfolgern "im Besitz der Liegenschaft EZ 118 ...." sei im Vertrag vom , mit dem dieser dem Rechtsvorgänger des Klägers mehrere Grundstücke - darunter auch das Grundstück 585 - verkauft habe, "an dem Kaufgegenstande ... auf immerwährende Zeiten das vollständige Nutzungsrecht mit Ausnahme des Jagdrechts vorbehalten" geblieben. Demgemäß wurde auf der Liegenschaft EZ 231 auch die "Dienstbarkeit Nutzungsrecht auf Grundstück 584, 585 und 632 für EZ 118" einverleibt.
Bei wörtlicher Auslegung der Wendung "vollständiges Nutzungsrecht" könnte diesem Recht gewiss nur der Inhalt des Fruchtgenusses als dingliches Recht, eine fremde Sache ohne jede Einschränkung, aber unter Schonung der Substanz zu gebrauchen (§ 509 ABGB), beigemessen werden. Der Fruchtgenuss ist allerdings an sich eine Personalservitut, wogegen das "vollständige Nutzungsrecht" an den erwähnten Grundstücken dem jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft EZ 118 vorbehalten wurde. Nach der Rechtsprechung (JBl 1983, 580 = NZ 1993, 237 [Hofmeister]; NZ 1998, 154 [Hoyer]) ist, obwohl § 479 ABGB den verbücherungsfähigen Typus der "unregelmäßigen Servitut" nur im Zusammenhang mit Dienstbarkeiten erwähnt, die ihrem Inhalt nach an sich Grunddienstbarkeiten sind, vereinbarungsgemäß aber "der Person allein" zustehen sollen, auch die seltener vorkommende Abweichung, dass ein an sich den persönlichen Dienstbarkeiten zugerechnetes Recht dem jeweiligen Eigentümer eines Grundstücks gebühren soll, rechtlich möglich.
Der Auffassung, eine gewöhnlich als Personaldienstbarkeit in Erscheinung tretende Servitut könne als Grunddienstbarkeit bestellt werden, pflichtete Hofmeister (in NZ 1993, 242) zwar nicht für alle persönlichen Dienstbarkeiten, wohl aber für den Fruchtgenuss und das Wohnungs-Fruchtnießungsrecht bei, weil diese Personalservituten im Gegensatz zum Gebrauchsrecht nicht auf individuelle Bedürfnisse des Berechtigten abgestimmt sein müssten, warnte aber vor der Gefahr der Aushöhlung bzw Spaltung des Liegenschaftseigentums im Wege allzu großzügiger Ausgestaltung der beschränkt dinglichen Rechte durch die Rechtsprechung. Das zur Grunddienstbarkeit erweiterte Fruchtgenussrecht sei nicht zuletzt mangels zeitlicher Beschränktheit ein "Art wiederbelebtes Nutzungseigentum" (§ 357 ABGB). Es frage sich deshalb, ob nicht die einschränkende Formel des § 1095 zweiter Halbsatz ABGB auf solche Rechte analog angewendet werden müsse. Demgemäß könnten "irreguläre" Grunddienstbarkeiten nur auf bestimmte Zeit verbüchert werden.
Dem folgen Spielbüchler und Hofmann (in Rummel, ABGB2 §§ 357 - 360 Rz 1 bzw § 479 Rz 1a): Da Art 7 StGG die neuerliche Belastung von Liegenschaften mit unablösbaren Leistungen nach Art des geteilten Eigentums verbiete, könne jedenfalls der Fruchtgenuss nicht als zeitlich unbeschränkte Grunddienstbarkeit bestellt werden, würde doch dadurch "geteiltes Eigentum in seiner reinsten Form geschaffen". Es müsse - so Spielbüchler - zumindest "die Grenze des § 612" ABGB "analog beachtet werden".
Erstmals in der Revisionsbeantwortung führt der Kläger auch entsprechende rechtliche Argumente ins Treffen, zieht allerdings aus der Tatsache, dass die Dienstbarkeit ohne zeitliche Beschränkung intabuliert wurde, den nicht ganz verständlichen Schluss, es könne sich daher "nur um eine Grunddienstbarkeit, nicht um eine persönliche Dienstbarkeit handeln".
Nach neuerlicher Prüfung der Rechtslage gelangt der erkennende Senat zum Ergebnis, dass den im Schrifttum geäußerten Bedenken Rechnung zu tragen ist: Es kann zwar der nicht auf die individuellen Bedürfnisse des Berechtigten abgestimmte Nießbrauch - der gewöhnlich als Personalservitut in Erscheinung tritt - (gerade) auch als Grunddienstbarkeit bestellt, jedoch in verfassungskonformer Auslegung der §§ 357, 361f und 479 ABGB nur mit einer zeitlichen Begrenzung begründet und verbüchert werden, ordnet doch Art 7 StGG an, jede aus dem Titel des geteilten Eigentums auf Liegenschaften haftende Schuldigkeit oder Leistung sei ablösbar, und es dürfe in Zukunft keine Liegenschaft mit einer solchen unablösbaren Leistung belastet werden. Nun kann nicht bezweifelt werden, dass das zur Grunddienstbarkeit erweiterte Fruchtgenussrecht, da es als solche an sich keiner zeitlichen Begrenzung unterläge, dem verpönten Nutzungseigentum gleichkommt, stünde doch dem Eigentümer - wie ehedem dem Obereigentümer - auf Dauer (hier: "auf immerwährende Zeiten") nur das Recht auf die Substanz (die "nuda proprietas"), dem jeweiligen Eigentümer des herrschenden Guts als Fruchtgenussberechtigtem - wie früher dem Nutzungseigentümer - hingegen das dauernde ausschließliche und auch nicht ablösbare Recht auf die Nutzungen zu. Da ein solches Fruchtgenussrecht - wie Hofmeister (aaO) zutreffend bemerkt - für die Gläubiger der belasteten Liegenschaft eine ähnliche Wirkung äußert, wie sie einem ohne zeitliche Begrenzung verbücherten Bestandrecht, das nach der Rechtsprechung (SZ 45/47 ua; aA Binder in Schwimann, ABGB2 § 1095 Rz 5) indes nicht zulässig ist, zukäme, vor allem aber, um ein grundrechtlich verpöntes Ergebnis hintanzuhalten, erscheint es in analoger Anwendung des § 1095 zweiter Halbsatz ABGB geboten, Fruchtgenussrechte als unregelmäßige Grunddienstbarkeiten nur auf bestimmte Zeit zu verbüchern; nur mit dieser Einschränkung vermag sich der erkennende Senat der Entscheidung JBl 1993, 580, in der diese Frage nicht erörtert wird, anzuschließen.
Damit ist aber noch weder die Frage, bis zu welchem zeitlichen Ausmaß ein solches Recht wirksam begründet und verbüchert werden könne, noch die weitere Frage beantwortet, ob und bejahendenfalls, welche Wirkungen der dennoch - so wie hier - verfügten Einverleibung eines zeitlich nicht begrenzten Fruchtgenussrechts als Grunddienstbarkeit nach Verstreichen der rechtlich noch tolerierbaren Befristung beizumessen sei.
Der erkennende Senat vertritt als insoweit sachgerechte Lösung die Auffassung, die zeitliche Beschränkung solcher Rechte sei - was auch Spielbüchler (aaO) noch hinnimmt - an den Wertungen des § 612 ABGB zu messen: So wie das Nachlassvermögen der freien Vererblichkeit nicht auf unbegrenzte Zeit entzogen sein soll (Kralik in Ehrenzweig3, Erbrecht 186), darf auch die freie Verfügbarkeit des Eigentümers nicht auf Dauer ausgeschlossen werden. Die sinngemäße Übertragung der zeitlichen Schranken des § 612 ABGB auf die Belastung mit Fruchtgenussrechten in Form von Grunddienstbarkeiten lässt sich deshalb auch damit rechtfertigen, dass dem Vorerben eine dem Fruchtgenussberechtigten vergleichbare Rechtsstellung zukommt (§ 613 ABGB), und dass der Erblasser, könnte er die fideikommissarische Substitution ohne jede zeitliche Schranken ("auf immerwährende Zeiten") anordnen, die Rechtslage dem geteilten Eigentum bzw der Belastung von Liegenschaften mit einem Fruchtgenuss als Grunddienstbarkeit vergleichbar gestalten könnte, weil stets einem Vorerben ein Nacherbe gegenüberstünde.
Ist aber § 612 ABGB auf die als Grunddienstbarkeiten bestellten Fruchtgenussrechte analog anzuwenden, so kann das - ohne zeitliche Begrenzung begründete - Nutzungsrecht zwar auf Zeitgenossen, die bei Vertragserrichtung bereits geboren sind, als spätere Eigentümer des herrschenden Gutes in unbegrenzter Zahl, bei solchen Rechtsnachfolgern hingegen, die bei Bestellung der Dienstbarkeit noch nicht geboren sind, nur auf den ersten von ihnen erstreckt werden. Da der erste Rechtsnachfolger nach dem Großvater des Beklagten, der sich das Nutzungsrecht vertraglich vorbehalten hatte, der Vater des Beklagten, noch Zeitgenosse war (er ist am geboren [vgl ON 6, S 5]), kann der zweite, der Beklagte, das Nutzungsrecht jedenfalls noch für sich in Anspruch nehmen, obwohl er kein Zeitgenosse mehr ist (er wurde am geboren [vgl ON 6, S 2]). Daher muss nicht geprüft werden, was rechtens wäre, wenn die rechtlich noch tolerierbare Befristung bereits verstrichen wäre. Demnach wäre der Beklagte zum unbeschränkten Bezug des Wassers aus der Quelle berechtigt, selbst wenn er das Wasser nicht zur Deckung des Bedarfs des herrschenden Gutes (EZ 118) verwendete, sondern um den Bedarf einer anderen Liegenschaft zu decken (vgl 1 Ob 20/83; SZ 50/89; Hofmeister aaO), ist doch das Nutzungsrecht nach dem Wortlaut des Vertrags vom bloß an den Besitz der Liegenschaft EZ 118 geknüpft, inhaltlich aber vollständig unbeschränkt.
Nun hat aber der Kläger behauptet, der Rechtsvorgänger des Beklagten habe sich lediglich die Ausübung der Almwirtschaft als Nutzung vorbehalten und dieses Nutzungsrecht sei infolge Beendigung der landwirtschaftlichen Tätigkeit des Beklagten erloschen. Der Beklagte wendete dementgegen ein, sämtliche nur denkbaren Nutzungsrechte sollten - mit Ausnahme des Jagdrechts - dem jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft EZ 118 erhalten bleiben. Zu diesen widersprüchlichen Standpunkten wurden zwar Beweise aufgenommen, doch mangelt es an Feststellungen, in welchem Umfang das Nutzungsrecht im Jahr 1957 dem jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft EZ 118 konkret vorbehalten blieb, welche Rechte also nach dem Willen der vertragschließenden Parteien tatsächlich dem Veräußerer und dessen Rechtsnachfolgern erhalten bleiben sollten. Erst wenn danach der Umfang des dem Beklagten gebührenden Nutzungsrechts feststeht (vgl dazu auch die Ausführungen des Gerichtes zweiter Instanz in seinem Beschluss vom [S 3]), wird über die Berechtigung des Klagebegehrens verlässlich abgesprochen werden können.
In Stattgebung der Revision sind deshalb die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Ergänzung des Verfahrens aufzuheben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.