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OGH vom 18.10.2017, 7Ob121/17w

OGH vom 18.10.2017, 7Ob121/17w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** AG *****, vertreten durch Dr. Raimund Danner, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei T***** Ö*****, vertreten durch die Paumgartner Rechtsanwälte OG in Salzburg, wegen 13.228,83 EUR sA, über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 22 R 43/17b-24, womit das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom , GZ 31 C 184/16y-20, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Revisionsbeantwortung wird in Ansehung eines Klagebegehrens von 2.880 EUR zurückgewiesen.

Im Übrigen, also hinsichtlich des weiteren Begehrens von 10.348,83 EUR, ist die klagende Partei schuldig, der beklagten Partei die mit 860,58 EUR (darin 143,43 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Werden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, so bilden sie nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand, wenn die Voraussetzungen der Zusammenrechnung nach § 55 Abs 1 JN erfüllt sind. Diese Regelung gilt auch für Rechtsmittelverfahren (§ 55 Abs 4 JN) und damit für den Entscheidungsgegenstand (RIS-Justiz RS0053096; RS0037838 [T38]).

1.1. Eine Zusammenrechnung hat nach § 55 Abs 1 Z 1 JN zu erfolgen, wenn mehrere Ansprüche von einer einzelnen Partei gegen eine einzelne Partei erhoben werden und die Ansprüche in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen. Bei der Prüfung ist von den Klagsangaben auszugehen (RIS-Justiz RS0106759). Fehlt es an einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang, so muss als Entscheidungsgegenstand jeder dieser Ansprüche einzeln betrachtet werden (RIS-Justiz RS0042753).

Ein tatsächlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die Ansprüche aus demselben Klagesachverhalt abgeleitet werden können, wenn also das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, um auch über den anderen Anspruch ohne ergänzendes weiteres Sachvorbringen entscheiden zu können (RIS-Justiz RS0042766; RS0037648 [T4]). Ein rechtlicher Zusammenhang liegt etwa dann vor, wenn die Ansprüche aus demselben Vertrag oder derselben Rechtsnorm abgeleitet werden. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein ganz verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann (RIS-Justiz RS0037648 [T11, T 18 und T 20]); in einem solchen Fall ist jeder Anspruch gesondert zu beurteilen, ohne dass eine Zusammenrechnung stattfindet. Gleichartige Forderungen verschiedener Gläubiger, die einem einzelnen abgetreten wurden, sind nicht zusammenzurechnen (RIS-Justiz RS0042882). So sind insbesondere Ansprüche mehrerer Geschädigter aus demselben Unfallereignis nicht zusammenzurechnen (RIS-Justiz RS0037838 [T32]), dies auch dann nicht, wenn sie durch Zession auf einen Kläger übergingen (RIS-Justiz RS0042882 [T1]).

1.2. Der klagende Kraftfahrzeug-Haftpflicht-
versicherer macht einerseits geltend, dass er Schadenersatzansprüche einer geschädigten Dritten in Höhe von 2.880 EUR befriedigt habe und dieser Anspruch auf ihn übergegangen sei, sowie andererseits dass ihm der beklagte „Schwarzfahrer“ restliche anwaltliche Rechtsverteidigungs-
kosten eines Vorprozesses zur Abwehr von Ansprüchen eines anderen beim Unfall Geschädigten – eines Mitfahrers des Beklagten – in Höhe von 10.348,83 EUR nach Art 16 Z 1 AKHB 2007 zu ersetzen habe.

Beide Klagsansprüche stehen zwar im Zusammenhang mit dem vom Beklagten im Rahmen einer „Schwarzfahrt“ verursachten Unfall und seinen Folgen, sie unterscheiden sich jedoch sowohl in ihren tatsächlichen Voraussetzungen als auch ihren rechtlichen Grundlagen und können ein gänzlich unterschiedliches rechtliches und tatsächliches Schicksal haben.

1.3. Da demnach eine Zusammenrechnung nicht stattzufinden hat, ist die Revision in Ansehung der Klagsforderung von 2.880 EUR nach § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig und aus diesem Grunde zurückzuweisen.

1.4. Dasselbe rechtliche Schicksal ist der Rechtsmittelbeantwortung in Ansehung der Klagsforderung von 2.880 EUR beschieden, weil dem Verfahrensgesetz die Beantwortung eines jedenfalls unzulässigen Rechtsmittels fremd und das Rechtsmittelverfahren insofern nicht zweiseitig ist (1 Ob 362/97k, 3 Ob 102/04b, 1 Ob 178/04i, 8 ObA 5/15s, 7 Ob 152/17d, 7 Ob 161/17b).

2. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein Versicherer bis zur rechtskräftigen Entscheidung, ob eine „echte“ Schwarzfahrt des Lenkers vorliege, befugt sei, nach Art 16 Z 1 AKHB 2007 auch gegen den Willen des Lenkers in dessen Namen einen Rechtsvertreter zu betrauen und die Kosten hiefür einzufordern.

Die Entscheidung hängt entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab.

2.1. Dem Versicherungsvertrag zwischen der Klägerin und dem Vater des Beklagten liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (AKHB 2007) der Beklagten zugrunde; sie lauten auszugsweise:

Artikel 2

Wer sind mitversicherte Personen, wie können diese ihre Ansprüche geltend machen und unter welchen Voraussetzungen ist der Versicherer ihnen gegenüber bei einem Fehlverhalten des Versicherungsnehmers leistungsfrei?

1. Mitversicherte Personen sind der Eigentümer, der Halter und Personen, die mit Willen des Halters bei der Verwendung des Fahrzeuges tätig sind oder mit dem Fahrzeug befördert werden oder die den Lenker einweisen.

[...]

Artikel 3

Was gilt als Versicherungsfall?

Versicherungsfall ist bei Personen- und Sachschäden ein Schadenereignis, bei Vermögensschäden eine Handlung oder Unterlassung, aus denen Ersatzansprüche gegen den Versicherungsnehmer oder eine mitversicherte Person entstehen könnten. […]

Artikel 16

Wozu ist der Versicherer bevollmächtigt?

Wann können Versicherungsansprüche abgetreten oder verpfändet werden?

1. Der Versicherer ist, außer im Fall der Freiheit von der Verpflichtung zur Leistung, bevollmächtigt, die ihm zur Befriedigung oder zur Abwehr der Entschädigungsansprüche des geschädigten Dritten zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen des Versicherungsnehmers und der mitversicherten Personen im Rahmen der Versicherungssumme und der übernommenen Gefahr abzugeben.

[...]“

2.2. Der Deckungsumfang des Versicherers ist in § 2 KHVG gesetzlich zwingend umschrieben (7 Ob 137/08k).

2.2.1. Nach § 2 Abs 1 KHVG umfasst die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung die Befriedigung begründeter und die Abwehr unbegründeter Ersatzansprüche, die aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen gegen den Versicherungsnehmer oder mitversicherte Personen erhoben werden, wenn durch die Verwendung des versicherten Fahrzeugs Personen verletzt oder getötet worden, Sachen beschädigt oder zerstört worden oder abhanden gekommen sind oder ein Vermögensschaden verursacht worden ist, der weder Personen- noch Sachschaden ist (bloßer Vermögensschaden).

Mitversichert sind nach § 2 Abs 2 KHVG (Art 2 Z 1 AKHB 2007) der Eigentümer, der Halter und Personen, die mit Willen des Halters bei der Verwendung des Fahrzeugs tätig sind oder mit dem Fahrzeug befördert werden oder die den Lenker einweisen.

2.2.2. Die Pflicht des Versicherers, Versicherungsschutz zu gewähren, setzt einen Versicherungsfall voraus, da diese Leistung nur unter der Bedingung seines Eintritts versprochen ist. Bei der Haftpflichtversicherung ist der Versicherungsfall dadurch gegeben, dass ein Dritter vom Versicherungsnehmer Schadenersatz fordert, ohne dass es darauf ankommt, ob diese Forderung berechtigt ist, da der vereinbarte Versicherungsschutz auch die Abwehr unberechtigter Ansprüche in sich schließt (RIS-Justiz RS0080013, RS0081228, RS0080384, RS0080086).

2.2.3. Benutzte jemand zur Zeit des Unfalls das Kraftfahrzeug ohne den Willen des Halters, so haftet er an Stelle des Halters für den Ersatz des Schadens; daneben bleibt der Halter für den Ersatz des Schadens haftbar, wenn die Benutzung des Kraftfahrzeugs durch sein oder der Personen Verschulden ermöglicht worden ist, die mit seinem Willen beim Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig gewesen sind (§ 6 Abs 1 EKHG).

Hat sich ein Schwarzfahrer eigenmächtig in den Besitz des Kraftfahrzeugs gesetzt, dann fällt der bei der Schwarzfahrt verursachte Schaden nicht mehr in den Bereich der Haftpflichtversicherung (RIS-Justiz RS0081083). Der Lenker eines Kraftfahrzeugs ist nur dann mitversichert, wenn er bei der Verwendung des Fahrzeugs „mit Willen des Halters“ tätig ist; ist dies nicht der Fall, liegt eine Schwarzfahrt vor und der Lenker scheidet als Mitversicherter aus. Der Versicherungsnehmer wäre aber dann geschädigten Dritten gegenüber zur Leistung verpflichtet, wenn die Voraussetzungen des § 6 EKHG vorlägen (vgl 7 Ob 8/80), wenn also der Halter selbst oder sein Betriebsgehilfe die Schwarzfahrt schuldhaft ermöglicht, also eine für die unbefugte Benützung günstige Bedingung gesetzt hätten (RIS-Justiz RS0106102).

2.2.4. Die gegen den nunmehrigen Beklagten, seine Mutter und die nunmehrige Klägerin gerichtete Klage des geschädigten Mitfahrers im Vorverfahren wurde darauf gestützt, dass der damals noch minderjährige Beklagte über keine gültige Lenkerberechtigung verfügte und seine Mutter (als „Mithalterin“) dadurch, dass sie den Fahrzeugschlüssel auf dem Küchentisch liegen gelassen habe, auffallend sorglos gehandelt und damit die Benützung des Fahrzeugs ermöglicht habe. Dem geschädigten Mitfahrer sei hingegen nicht bekannt gewesen, dass der nunmehr Beklagte zum Lenken eines Kraftfahrzeugs nicht legitimiert war.

Von diesen Klagsbehauptungen ausgehend hätte in Ansehung der nunmehrigen Klägerin (der Halter selbst
– der Vater des nunmehrigen Beklagten – wurde im Vorverfahren nicht beklagt) zwar ein Versicherungsfall vorliegen können, weil sie den behaupteten Anspruch, sie hafte, weil der Halter bzw dessen Betriebsgehilfin oder Vertrauensperson die Schwarzfahrt schuldhaft ermöglicht hätten, abzuwehren hatte. Dem Klagsvorbringen im Vorverfahren und dem der Klägerin bekannten Polizeiakt ist aber auch zu entnehmen, dass der nunmehrige Beklagte ohne Willen des Halters bei der Verwendung des Fahrzeugs tätig war, sodass er schon nach diesen Behauptungen im Vorverfahren nicht zu den Mitversicherten iSd § 2 Abs 2 KHVG zählen konnte. Die Frage, ob es sich um eine „echte“ oder eine „ermöglichte“ Schwarzfahrt handelte, hat für die Frage Bedeutung, ob nach § 6 Abs 1 zweiter Satz EKHG auch der Halter – und für ihn die nunmehrige Klägerin – einzustehen hatte (vgl RIS-Justiz RS0106102). Der hier beklagte Schwarzfahrer selbst ist hingegen in keinem Fall mitversichert, sodass der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer für ihn nicht einstehen muss; in diesem Umfang bestand daher auch in ex-ante-Betrachtung weder ein Befreiungs- noch ein Rechtsschutzanspruch des nunmehrigen Beklagten gegen die Klägerin.

Einen solchen Deckungsanspruch forderte der nunmehrige Beklagte auch gar nicht ein. Die Klägerin brachte selbst vor, der Beklagte habe keine Schadensmeldung erstattet, mit ihrem Rechtsvertreter keinen Kontakt aufgenommen und sich nicht an der Sachverhaltsermittlung beteiligt. Er verlangte vielmehr, den Anspruch des Geschädigten im Vorverfahren selbst abzuwehren; diesem Verlangen kam die Klägerin aus eigenem Antrieb nicht nach. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die Klägerin hätte im vorliegenden Einzelfall nicht davon ausgehen dürfen, der Beklagte könnte Mitversicherter sein, hält sich im Rahmen der Judikatur, zumal der Beklagte der Klägerin gegenüber nie als solcher aufgetreten ist.

2.3. Der Annahme nützlicher Geschäftsführung ohne Auftrag steht gerade der Umstand entgegen, dass sich der Beklagte ausdrücklich gegen die Vertretung durch den nunmehrigen Klagevertreter ausgesprochen hat. Nach § 1040 ABGB verliert aber ein Geschäftsführer, der sich gegen den gültig erklärten Willen des Eigentümers eines fremden Geschäfts anmaßt, auch den gemachten Aufwand, insofern er nicht in Natur zurückgenommen werden kann.

2.4. Nach dem festgestellten Sachverhalt hat der Beklagte an den nunmehrigen Klagevertreter auch keine Vollmacht für die Vertretung im Vorprozess erteilt.

2.5. Ein nach § 67 VersVG bestehender Anspruch des Versicherungsnehmers gegen einen Dritten ist nicht erkennbar.

2.6. Zur Erfüllung von gegenüber dem Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer bestehenden Obliegen-
heiten ist (lediglich) der mitversicherte Lenker verpflichtet (vgl RIS-Justiz RS0080866).

2.7. In Ansehung des Anspruchs auf Ersatz der Anwaltskosten des Vorprozesses ist daher die Revision
– mangels erheblicher Rechtsfrage – zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung in Ansehung der nicht von der absoluten Revisionsunzulässigkeit betroffenen Klagsforderung von 10.348,83 EUR beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Da der Beklagte in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente sein Schriftsatz insofern der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung, ist allerdings nur auf Basis von 10.348,83 EUR (Ansatz TP 3C: 476,70 EUR) zu honorieren.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00121.17W.1018.000
Schlagworte:
Vertragsversicherungsrecht

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