OGH vom 09.10.1991, 1Ob611/91
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Kodek, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Christian F*****, vertreten durch Dr. Karl Grigkar, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Dr. Michael F*****, vertreten durch Dr. Robert Krepp, Rechtsanwalt in Wien, 2.) Marianne F*****, wegen Entzug der Vertretungsmacht und Geschäftsführungsbefugnis (Streitwert S 90.000,--) und Zustimmung zur Klagsführung (Streitwert S 10.000,--), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom , GZ 4 R 18, 19/91-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Teilurteil des Handelsgerichtes Wien vom , GZ 26 Cg 157/90-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der außerordentlichen Revision wird nicht Folge gegeben. Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit S 5.094,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 849,-- Ust) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger und die beiden Beklagten sind Geschwister und zur Geschäftsführung berechtigte Gesellschafter der prot. Firma A. F***** (OHG, im folgenden Gesellschaft) mit dem Sitz in Wien.
Der Kläger belangt 1) den Erstbeklagten, diesem werde mit Rechtskraft des Urteiles die Vertretungsmacht und Geschäftsführungsbefugnis der Gesellschaft entzogen, in eventu, der Erstbeklagte sei schuldig, es zu unterlassen, a) aus dem Vermögen des Unternehmens der Gesellschaft ein monatliches Präzipuum zu entnehmen sowie ihn persönlich betreffende Prozeßkosten aus diesem Vermögen zu bezahlen. b) in eventu, aus dem Vermögen des Unternehmens der Gesellschaft ein monatliches Präzipuum von mehr als S 20.000,-- zu entnehmen; sowie 2) die Zweitbeklagte wegen Zustimmung zu seiner Klagsführung - auch in Ansehung der eventualiter gestellten Begehren - gegen den Erstbeklagten.
Die Zweitbeklagte erstattete keine Klagebeantwortung; der Kläger stellte im Verfahren erster Instanz keinen Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteiles gegen die Zweitbeklagte. In der mündlichen Verhandlung wurde der Kläger zu einer Antragstellung nicht aufgefordert. Nach Erstattung der Berufungsschriften stellte der Kläger einen derartigen Antrag. Das Erstgericht verhielt mit dem nach der Aktenlage in Rechtskraft erwachsenen Teil (Versäumungs)urteil vom die Zweitbeklagte dazu, der Klagsführung des Klägers gegen den Erstbeklagten zu AZ 24 Cg 102/91 (ex 26 Cg 157/90) zuzustimmen.
Das Erstgericht hat I.) mit Teilurteil das gegen den Erstbeklagten gerichtete Klagebegehren abgewiesen, weil die Entziehungsklage nach §§ 117,127 HGB von allen übrigen Gesellschaftern zu erheben sei und die zweitbeklagte Gesellschafterin - mangels Antrags auf Fällung eines Versäumungsurteiles nicht rechtskräftig zur Zustimmung zur Entziehungsklage verhalten worden sei, sowie II.) mit Beschluß die Verhandlung über die "Eventualklagen" wiedereröffnet, die Klagsänderung zugelassen und die "Eventualklagen" gegen die Zweitbeklagte zurückgewiesen.
Das Berufungsgericht bestätigte sowohl das Teilurteil als auch den Beschluß, letzteren unangefochten. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit mehr als S 50.000,-- und ließ die ordentliche Revision nicht zu. In rechtlicher Hinsicht vertrat die zweite Instanz im wesentlichen die Auffassung, zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz sei keine Zustimmungserklärung der Zweitbeklagten zur Klagsführung vorgelegen; erst die rechtskräftige Verurteilung der sich weigernden Mitgesellschafterin ersetze deren Teilnahme an der Entziehungsklage. Nur wenn alle übrigen Gesellschafter nachweislich ihr Einverständnis mit der Klage erklärt haben, sei die Klagsführung auch durch nur einen Gesellschafter ausreichend. Die Mitwirkung der übrigen Gesellschafter sei nur dann nicht erforderlich, wenn die am Prozeß nicht beteiligten Gesellschafter mit verpflichtender Wirkung zum Ausdruck bringen, daß sie mit der Entziehung (der Geschäftsführungsbefugnis bzw der Vertretungsmacht) einverstanden sind. Der Mangel der Beteiligung aller Gesellschafter an der Klagsführung sei durch ein Prozeßvorbringen gedeckt.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Die vorliegende Personalhandelsgesellschaft ist dreigliedrig. (Gestaltungs)Klagen auf Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis nach § 117 HGB und der Vertretungsmacht nach § 127 HGB sind von allen "übrigen" Gesellschaftern, das heißt von jenen, deren Befugnisse nicht beschränkt werden sollen und die dabei eine notwendige Streitgenossenschaft iS des § 14 ZPO bilden (SZ 55/8;
Fasching II 194, 197; Torggler-Kuczko in Straube, Rz 18 zu § 117 HGB; Koppensteiner in Straube, Rz 5 zu § 127 HGB mwN;
Schlegelberger-Geßler, HGB4 Rz 6 zu § 117; Fischer in GroßkommHGB3 Anm 16 zu § 117), zu erheben. Als Ausfluß der gegenseitigen Treuebindung der Gesellschafter untereinander und zur Gesellschaft und der daraus resultierenden Verpflichtung, an einer Klage nach §§ 117, 127 HGB mitzuwirken, sofern dies die wohlverstandenen Interessen der Gesellschaft erfordern, kann der einzelne Gesellschafter zur Mitwirkung an der Entziehung der Geschäftsführungs- bzw Vertretungsbefugnis im Klagewege verhalten werden (SZ 60/285 mwN; Kastner-Doralt-Nowotny, Grundriß des österr. Gesellschaftsrechts5 98 mwN in FN 71). Der erkennende Senat erachtet es schon aus prozeßökonomischen Gründen grundsätzlich für zulässig, daß der Kläger die Zustimmungsklage gegenüber dem einen Mitgesellschafter mit der Entziehungsklage gegenüber dem anderen Mitgesellschafter verbindet
(vgl Torggler-Kuczko aaO, Rz 17; Koppensteiner aaO, Rz 5; Frotz in GesRZ 1974, 108; Fischer aaO, Anm 17 zu § 117 HGB und Anm 7 zu § 127 HGB; Baumbach-Duden-Hopt aaO, 417). Da erst die Zustimmung eines Gesellschafters zur Klagsführung seine an sich erforderliche Teilnahme am Verfahren ersetzt, muß bei einer Verbindung der Entziehungs- mit der Zustimmungsklage zuerst die Frage der Zustimmung (durch Teilurteil) rechtskräftig (Torggler-Kuczko aaO, Rz 17) bejaht werden, ehe eine klagsstattgebende Entscheidung im Entziehungsverfahren denkbar ist. Das Gericht darf daher im allgemeinen bei einer Verbindung von Entziehungs- und Zustimmungsklage durch den Kläger erstere nicht vor einer Entscheidung über letztere deshalb abweisen, weil nicht alle "übrigen" Gesellschafter als Kläger auftreten. Im vorliegenden Fall war aber dem Erstrichter eine Entscheidung über die Zustimmungsklage versagt, weil die zur Verfahrensbeendigung über die Zustimmungsklage erforderliche Erlassung eines Versäumungsurteiles gegen die säumige Zweitbeklagte nach §§ 243 Abs 4 letzter Satz, 398 Abs 1 ZPO mangels entsprechenden Antrags des Klägers ausgeschlossen war. Die unterlassene Antragstellung zur Fällung eines Versäumungsurteiles nach § 398 ZPO führt - anders als beim Versäumungsurteil nach § 396 ZPO - nicht zum Ruhen des Verfahrens, weil der Kläger nicht von einer Tagsatzung ausgeblieben ist (§§ 170, 133 Abs 2 ZPO), sondern zu einem dem Ruhen ähnlichen faktischen Stillstand des Verfahrens (vgl Fasching Lehrbuch2 Rz 596). Die Beklagten bilden schon im Hinblick auf die Verschiedenheit der Streitgegenstände keine einheitliche Streitpartei, weshalb der Rechtsstreit jedes Streitgenossen grundsätzlich als selbständiger Prozeß aufzufassen ist (Bajons, Zivilverfahren, Rz 66; Fasching II 188 und Lehrbuch2 Rz 378); der im Verfahren gegen die Zweitbeklagte ausschließlich durch die Untätigkeit des Klägers eingetretene faktische Verfahrensstillstand berührte das gegen den Erstbeklagten geführte Verfahren in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht. Das Erstgericht, das von sich aus das Verfahren gegen die Zweitbeklagte nicht zu Ende führen konnte, war deshalb nicht gehindert, nun das gegen den Erstbeklagten gerichtete Klagebegehren wegen fehlender Zustimmung der Zweitbeklagten und damit mangelnder aktiver Klagslegitimation abzuweisen. Die prozessuale Säumnis der Zweitbeklagten bewirkt auch keine materiellrechtliche Geständnisfiktion iS der §§ 266 f ZPO (Fasching III 613), sodaß eine schlüssige Zustimmung der Zweitbeklagten zu dem gegen den Erstbeklagten erhobenen Klagebegehren nicht anzunehmen ist. Ob der Prozeßrichter im Rahmen seiner Verpflichtung zur materiellen Prozeßleitung (§ 182 ZPO) den Kläger in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom anzuleiten gehabt hätte, ein Versäumungsurteil gegen die Zweitbeklagte zu beantragen, kann hier deshalb ungeprüft bleiben, weil eine einen Verfahrensmangel begründende Verletzung der richterlichen Anleitungspflicht im Rechtsmittel gerügt werden muß, was im vorliegenden Fall nicht geschehen ist.
Der außerordentlichen Revision ist nicht Folge zu geben. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.