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OGH vom 17.01.2012, 4Ob198/11p

OGH vom 17.01.2012, 4Ob198/11p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** S*****, vertreten durch Dr. Stefan Rieder, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach der am ***** verstorbenen E***** K***** S*****, vertreten durch die erbserklärten erblichen Töchter H***** S*****, und H***** G*****, Deutschland, beide vertreten durch Dr. Peter Rosenthal, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Abgabe einer Erklärung (Streitwert 32.920 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 169/11w 51, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Die Lösung der Frage, inwieweit ein festgestellter Geisteszustand Testierunfähigkeit begründet, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, die von Fällen krasser Fehlbeurteilung abgesehen die Zulässigkeit der Revision nicht rechtfertigen kann (RIS Justiz RS0012408 [T2]).

1.2. Eine solche Fehlbeurteilung ist im Anlassfall nicht ersichtlich. Es steht fest, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung am in der Lage war, ihren Willen frei zu bilden und eine differenzierte Willensäußerung zu machen. Damit sind die Vorinstanzen auch ohne ausdrückliche Feststellung, dass die Erblasserin (zumindest) die kognitiven Fähigkeiten eines 14 jährigen hatte (vgl 8 Ob 155/08i), vertretbar davon ausgegangen, dass die Erblasserin nicht nur erkennen konnte, dass sie ein Testament errichtete, sondern auch in ihrer freien Willensbildung nicht behindert wurde (RIS Justiz RS0012402; RS0012424; RS0012427).

2.1. Der Erblasserin war am Tag der Testamentserrichtung ein Sachwalter bestellt; sie konnte somit mündlich notariell testieren (§ 568 ABGB).

2.2. Der Notar muss sich durch eine angemessene Erforschung zu überzeugen suchen, dass die Erklärung des letzten Willens frei und mit Überlegung geschehe; die Erklärung muss in ein Protokoll aufgenommen und dasjenige, was sich aus der Erforschung ergeben hat, beigerückt werden (§ 569 dritter Satz ABGB idF vor dem KindRÄG 2001; ab § 568 dritter Satz ABGB). Dem Notar obliegt nicht nur die Protokollierung der Willenserklärung des Testators, sondern auch die Erforschung dessen freien Willens; das Ergebnis dieser Erforschung muss dem Testament angeschlossen („beigerückt“) werden. Die im Protokoll über das Testament enthaltene Erklärung, dass sich der Notar in einem Gespräch mit der Erblasserin über ihre Handlungsfähigkeit überzeugt und ihre Testierfähigkeit festgestellt habe, entspricht den besonderen Formerfordernissen des § 569 ABGB aF. Danach genügt ein bloß allgemein gehaltener Vermerk über das Ergebnis der gepflogenen Erforschung (4 Ob 69/03f mwN; vgl RIS Justiz RS0015407).

2.3. Das Berufungsgericht ist von dieser Rechtsprechung nicht abgewichen. Der Notar hat in sein anlässlich der Testamentserrichtung hergestelltes Protokoll den Vermerk aufgenommen, er habe sich im Beisein der Zeugen durch angemessene Erforschung davon überzeugt, dass die Erklärung des letzten Willens der Erblasserin frei und mit Überlegung geschehe. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers kommt es für die Gültigkeit des Testaments nicht darauf an, dass der Notar festhält, auf welche Weise er sich von der Testierfähigkeit überzeugt hat und dass er „ein Gespräch geführt“ hat.

3.1. Der Kläger macht als Formfehler geltend, dass der bei der Testamentserrichtung anwesende Sachwalter der Erblasserin das notarielle Protokoll nicht unterfertigt hat.

3.2. § 70 NO id am geltenden Fassung sah vor, dass vor einem Notar und zwei Zeugen mündlich errichtete letztwillige Anordnungen gerichtlichen letztwilligen Verfügungen gleichzuhalten sind, sofern sie den einschlägigen Bestimmungen des ABGB und der NO genügen. Nach § 73 Abs 1 NO war über die Amtshandlung ein Protokoll unter Berücksichtigung des § 68 NO aufzunehmen. § 68 NO regelte die Voraussetzungen eines Notariatsakts, bei deren Verlust keine öffentliche Urkunde vorliegt (vgl dazu zuletzt 4 Ob 157/11h). Nach § 68 Abs 1 lit h NO erfordert der Notariatsakt die Unterschrift des Notars, nach lit g jene der Parteien „sowie, wenn die Zuziehung von Zeugen, Vertrauenspersonen oder Dolmetschern nach den Bestimmungen dieses Gesetzes notwendig ist, auch die Unterschrift dieser Personen“. Weder NO noch ABGB verlangten eine Unterfertigung durch den Sachwalter. Dies leuchtet auch deshalb ein, weil letztwillige Verfügungen als höchstpersönliche Rechte gerade nicht zum Aufgabenbereich des Sachwalters gehören (vgl Hopf in KBB³ § 268 Rz 3).

3.3. Kann eine unter Sachwalterschaft stehende Person vor dem Richter ohne Zuziehung des Sachwalters gültig testieren (6 Ob 2125/96k), muss dies gleichermaßen auch für notarielle Testamente gelten. Ein sonst gültiges Testament kann dann aber nicht allein deshalb ungültig sein, weil der bei Testamentserrichtung anwesende Sachwalter des Erblassers das aus diesem Anlass errichtete notarielle Protokoll nicht unterschrieben hat.