OGH vom 22.06.2011, 2Ob207/10w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Norbert T*****, vertreten durch Brandtner Doshi Rechtsanwälte OG in Feldkirch, gegen die beklagte Partei V***** e. Gen., *****, vertreten durch Dr. Andreas Oberbichler und Dr. Michael Kramer, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen 18.263,88 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 130/10z 32, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom , GZ 6 Cg 122/09t 27, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.119,24 EUR (darin enthalten 186,54 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Begründung:
Am kaufte der Kläger Anleihen von Lehman Brothers Inc. um 21.000 EUR; im Herbst 2008 verkaufte er sie, wobei er einen Verlust in Höhe des Klagsbetrags erlitt.
Dem Kauf war ein Gespräch des Klägers mit einem Mitarbeiter der beklagten Bank vorausgegangen, in dessen Zug ein Anlegerprofil des Klägers ausgefüllt wurde. Dabei wurde der Kläger in die Risikoklassen 1 bis 3, „ ertragsorientiert “, eingestuft. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der Mitarbeiter der Beklagten den Kläger über die Möglichkeit eines Totalverlusts der Lehman Brothers Anleihen aufgeklärt hat.
Grundsätzlich wurden die vom Kläger gekauften Lehman Brothers Anleihen in die Risikoklasse 3 eingestuft, die Beklagte stufte sie allerdings in die Risikoklasse 4 ein. Für die Risikoklassifizierung von Anleihen gibt es keine gesetzlichen Vorgaben, sondern die Banken beurteilen selbst, wobei sie sich an den Ratings orientieren.
Da der Kläger im Anlageprofil in der Risikoklasse 3 eingestuft wurde und die Lehman Brothers Anleihen in die Risikoklasse 4 fielen, konnte der Wertpapierkauf mit diesen Angaben über das Computersystem der Beklagten nicht durchgeführt werden, da die vom Kunden angegebene Risikoklasse überschritten wurde. Deshalb wurde der Wertpapierkauf als „beratungsfreies Geschäft“ abgewickelt.
Am wurde dem Kläger von der Beklagten ein Schreiben mit dem Inhalt seines Wertpapierkaufs ausgefolgt. Als Art der Beratung wird dort ein „beratungsfreies Geschäft“ angeführt. In diesem Schreiben ist weiters angeführt, dass keine Übereinstimmung mit dem Kundenprofil bestehe und mit diesem Geschäft die Risikoklasse überschritten werde.
Der Kläger begehrt von der Beklagten den Ersatz des Verlusts. Die Anleihe sei für ihn unangemessen und ungeeignet gewesen. Auf das Risiko eines Totalverlusts sei er nicht hingewiesen worden. Wäre er über dieses Risiko aufgeklärt worden, so hätte er die Anlage nicht erworben.
Die Beklagte wendete ein, sie habe ausreichend aufgeklärt, und zwar auch über die Möglichkeit eines Totalausfalls. Die Papiere der Lehman Brothers seien zum Zeitpunkt des Ankaufs durch den Kläger an sich in die Risikogruppe 3 gefallen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, weil der Beklagten der Nachweis nicht gelungen sei, den Kläger ausreichend beraten zu haben. Die Voraussetzungen eines beratungsfreien Geschäfts iSd § 46 WAG 2007 seien nicht vorgelegen.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab, weil die Beweislast für die mangelhafte Aufklärung als (schadenstiftendes) rechtswidriges Verhalten beim Kläger liege. Mit der Risikobereitschaft des Klägers und der Risikoklasse der gezeichneten Wertpapiere befasste sich das Berufungsgericht nicht.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist unzulässig.
Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).
Das Berufungsgericht hat erst nachträglich gemäß § 508 Abs 3 ZPO die Revision zugelassen: Die Auffassung, die vom Kläger erworbenen Wertpapiere seien von vornherein ungeeignet gewesen, werde nicht geteilt, weil der Kläger in die Risikoklassen 1 bis 3 und die erworbenen Anleihen ebenfalls grundsätzlich in die Risikoklasse 3 eingestuft worden seien. Weil im Hinblick auf die Einstufung der Anleihen in die Risikoklasse 4 durch die Beklagte selbst auch nicht gänzlich von der Hand gewiesen werden könne, dass die erworbenen Anleihen für den Kläger nicht geeignet gewesen seien, sei die Revision zulässig.
Aus den Feststellungen ergibt sich, dass sich die Banken bei der Risikoklassifizierung ohne gesetzliche Vorgaben an den „Ratings“ orientieren. Diese „Ratings“ lassen wie der vorliegende Fall zeigt offenbar eine Risikoklassifizierung in einer gewissen Bandbreite zu. Wenn nach den Feststellungen die hier gegenständlichen Anleihen „grundsätzlich“ in die Risikogruppe 3 eingestuft wurden, die Beklagte aber möglicherweise aus besonderer Vorsicht die Papiere in die Risikoklasse 4 einstufte, kann im vorliegenden Einzelfall in der (impliziten) Beurteilung des Berufungsgerichts, die gezeichneten Wertpapiere seien für den Kläger geeignet gewesen, keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung erblickt werden. Dass die gegenteilige Ansicht „nicht gänzlich von der Hand gewiesen werden“ könne und daher möglicherweise ebenfalls vertretbar wäre, ändert daran nichts.
Davon ausgehend, zeigt auch der Kläger keine (sonstige) erhebliche Rechtsfrage auf.
Die Relevanz seiner Frage, wann eine Empfehlung iSd § 44 Abs 1 WAG 2007 vorliege, ist nicht erkennbar.
Von der vertretbaren Ansicht des Berufungsgerichts ausgehend, es sei eine für den Kläger geeignete Anleihe vorgelegen, ist auch die Frage, was die Rechtsfolgen einer ungeeigneten Empfehlung seien, irrelevant.
Der Kläger leitet aus der Tatsache, dass der Wertpapierkauf als „beratungsfreies Geschäft“ abgewickelt wurde, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht gegeben gewesen seien, ab, es sei von einem Verstoß gegen die Wohlverhaltensregeln des WAG auszugehen. Ein solcher Verstoß läge nur dann nicht vor, wenn die Beklagte den Kläger trotzdem anleger- und anlagegerecht beraten hätte. Es sei daher nicht Sache des Klägers zu beweisen, dass er mangelhaft aufgeklärt worden sei, sondern Sache der Beklagten zu beweisen, dass der Kläger trotz an sich nicht zulässiger Abwicklung als beratungsfreies Geschäft anleger- und anlagegerecht aufgeklärt wurde.
Wie schon das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, lagen im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für ein sogenanntes „beratungsfreies Geschäft“ iSd § 46 WAG 2007 nicht vor. Daran kann auch die Abwicklung des Geschäfts als „beratungsfreies Geschäft“ durch die Beklagte wegen der sonst nicht möglichen Durchführung im Computer nichts ändern. Rechtsfragen im Zusammenhang mit einem „beratungsfreien Geschäft“ stellen sich somit nicht. Davon abgesehen ist auch nicht nachvollziehbar, inwiefern sich wegen der unzutreffenden Einordnung als „beratungsfreies Geschäft“ die vom Berufungsgericht zutreffend beurteilte Beweislast hinsichtlich der erfolgten Aufklärung (RIS Justiz RS0106890 [T8, T 9]) ändern sollte.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.