OGH vom 16.05.2006, 5Ob111/06v

OGH vom 16.05.2006, 5Ob111/06v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch, Dr. Kalivoda, Dr. Lovrek und Dr. Höllwerth als weitere Richter in der außerstreitigen Heimaufenthaltssache des Rudolf S*****, geboren am , Wohnhaus der Lebenshilfe, *****, vertreten durch die Bewohner-Vertreterin Mag. Renate S*****, diese vertreten durch Dr. Friedrich Schwarzinger, Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwälte in Wels, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom , GZ 21 R 176/06p-13, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der geistig behinderte Rudolf S***** bewohnt seit rund 10 Jahren das Wohnhaus der Lebenshilfe in S*****. Tagsüber befindet er sich in der Tages-Werkstätte ***** der Lebenshilfe.

Mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichts wurde die Beschränkung der Freiheit des Bewohners Rudolf S***** im Wohnhaus der Lebenshilfe S***** in R***** in ***** durch Verschließen der Wohnungstür bis längstens für zulässig erklärt, weil die Voraussetzungen des § 4 Z 1 HeimAufG, nämlich eine ernstliche und erhebliche Selbstgefährdung des Bewohners zu bejahen war. Von seiner geistigen Entwicklung her ist er etwa mit einem zwei bis drei Jahre alten Kind zu vergleichen.

Hingegen wurde der Antrag, nachträglich die Freiheitsbeschränkung des Bewohners Rudolf S***** auch in der Werkstätte der Lebenshilfe, ***** in ***** durch Versperren der Werkstatttüre zu überprüfen, abgewiesen. Vom Geltungsbereich des HeimAufG seien gemäß § 2 Abs 2 nicht-stationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe ausgenommen. Sie dienten im Allgemeinen weniger der Pflege, als vielmehr der Förderung (zB dem Erlernen von Fertigkeiten) sowie der Unterstützung und Begleitung im Alltag, auch einer etwaigen Erwerbstätigkeit des Klienten in solchen Einrichtungen. Unvermeidbare Freiheitsbeschränkungen in solchen Einrichtungen dürften nicht auf Grundlage des HeimAufG vorgenommen werden. Vielmehr bedürfe es eines Rückgriffs auf allgemeine andere Rechtfertigungsgründe, wobei denkbar sei, dafür die Wertungen des HeimAufG heranzuziehen. Eine Überprüfung solcher Maßnahmen sei aber nicht nach den HeimAufG vorzunehmen. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig sei. Maßgeblich seien die besonderen Umstände des Einzelfalls.

Im außerordentlichen Revisionsrekurs wird die Ansicht vertreten, es liege eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG vor, weil im vorliegenden Fall die Freiheitsbeschränkung sowohl im Heim als auch in der nichtstationären Einrichtung der Behindertenhilfe durch denselben Rechtsträger erfolge, der Bewohner also 24 Stunden von derselben Einrichtung auf dieselbe Art und Weise in seiner Freiheit beschränkt werde.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesen Ausführungen liegt eine Rechtsfrage von der Bedeutung des § 62 Abs 1 AußStrG nicht vor. Nach der ausdrücklichen Anordnung des § 2 Abs 2 HeimAufG ist dieses nicht auf Einrichtungen der nichtstationären Behindertenhilfe anzuwenden. Soweit in solchen Einrichtungen unvermeidbar Freiheitsbeschränkungen stattfinden müssen, erfolgt dies nicht auf der Grundlage des HeimAufG; es bedarf hier eines Rückgriffs auf andere allgemeine Regelungen, etwa auf die sich aus dem Strafrecht ergebenden Rechtfertigungsgründe (vgl Barth/Engel, Heimrecht Anm 11 zu § 2 HeimAufG;

Laimer/Rosegger/Thiele, Heimvertrags- und Heimaufenthaltsgesetz 17;

so ausdrücklich in der RV 353 der Beilagen, worin Behindertenwerkstätten ausdrücklich als Beispiel für die nicht-stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe angeführt sind). Unbeschadet des Umstandes, dass die Tagesbetreuung von Behinderten in solchen Einrichtungen in ähnlichen Strukturen wie in Alten- und Pflegeeinrichtungen erfolgt oder derselbe Rechtsträger die Behindertenwerkstätte und das Behindertenheim führt, bietet das Gesetz selbst eine klare und eindeutige Regelung über seinen Anwendungsbereich. Im Hinblick auf die dadurch geschaffene klare Rechtslage ist aber das Vorliegen der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zu verneinen (vgl RIS-Justiz RS0042656, RS0111574). Das hatte zur Zurückweisung des außerordentlichen Rechtsmittels zu führen.