OGH vom 21.12.2017, 6Ob178/17w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. F*****, 2. Dr. K*****, 3. H***** Limited, *****, 4. B***** Privatstiftung, *****, 5. C***** Privatstiftung, *****, alle vertreten durch Dr. Karl Grigkar, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei N***** GmbH, *****, vertreten durch Sunder-Plaßmann Loibner & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 18.669.528,53 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 2 R 104/17d-10, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Kläger veräußerten 2009 ihre Anteile an einer Gesellschaft mbH an die Beklagte („Anteilskaufvertrag“). Diese machte 2011 Ansprüche aus vertraglichen Garantiezusagen vor dem Internationalen Schiedsgerichtszentrum der Wirtschaftskammer Österreich gegen die Kläger geltend. Das Schiedsgericht sprach ihr mit Schiedsspruch vom Schadenersatz von rund 74,68 Mio EUR samt Zinsen zu. Im Schiedsverfahren hatten die Kläger die Schadensberechnung – Vergleich des theoretischen [entgangenen] Gewinns ohne Garantieverletzung mit dem tatsächlich erzielten Gewinn und Festsetzung des Ergebnisses als entgangener Gewinn ohne Berücksichtigung der Ertragssteuer – bekämpft, weil die Beklagte bei dieser Berechnung um die Körperschaftssteuer ungerechtfertigt bereichert sei. Der Schadenersatz selbst sei als die Anschaffungskosten mindernd nicht zu versteuern. Die Beklagte hielt dem entgegen, dass der entgangene Gewinn vor Abzug der Ertragssteuern zu berechnen sei, weil der Schadenersatzbetrag der Ertragssteuer unterliege und diese Schadensberechnungsmethode der herrschenden Recht-sprechung entspreche. Das Schiedsgericht ermittelte den Schadenersatz ohne Berücksichtigung einer allfälligen Steuer. Dazu hielt es in der Begründung des Schiedsspruchs fest:
„N. Ertragssteuern
Es erübrigt sich auf die jeweiligen Behauptungen der Parteien zu diesem Themenbereich einzugehen. Der Schiedsrichtersenat ist nicht befugt, Entscheidungen zu treffen, welche den dafür als ausschließlich zuständig erklärten Behörden (zB den österreichischen Finanzbehörden) obliegen. Da die steuerliche Behandlung der in diesem Schiedsverfahren der Klägerin zugesprochenen Beträge nicht unter die Jurisdiktion des Schiedsrichtersenats fällt, war folglich ebenfalls nicht in diesem Schiedsverfahren auf etwaige mit einer Entscheidung durch die zuständigen Behörden in Zusammenhang stehenden Ansprüche der Parteien einzugehen.“
Der Tenor des unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Endschiedsspruchs lautete auf Zahlung und Feststellung und enthält eine Kostenentscheidung. Abschließend heißt es dort: „Alle sonstigen und/oder darüber hinausgehenden Ansprüche und Anträge der Schiedsparteien werden abgewiesen.“
Die Kläger begehren von der Beklagten die Zahlung von 18.669.528,53 EUR sA, weil die Beklagte den ihr zugesprochenen und gezahlten Schadenersatz als Anschaffungskostenminderung auf die erworbene Beteiligung verbucht und nicht der Körperschaftssteuer unterworfen habe. Die Beklagte sei daher in Höhe der Ertragssteuer für den entgangenen Gewinn ungerechtfertigt bereichert. Die Kläger hätten daher in diesem Umfang einen Rückforderungsanspruch (Bereicherungsanspruch, wobei sich die Kläger auch auf den Vertrag über den Anteilserwerb stützen). Die steuerlichen Auswirkungen seien erst mit der Einreichung des Jahresabschlusses der Beklagten für das Jahr 2014 im August 2015 effektuiert worden.
Die Beklagte erhob die Einrede der Unzuständigkeit, weil der ordentliche Rechtsweg nicht zulässig sei. Der mit der Klage verfolgte Anspruch sei von der Schiedsklausel des Unternehmenskaufvertrags umfasst.
Mit dem angefochtenen Beschluss bestätigte das Rekursgericht den die Klage zurückweisenden Beschluss des Erstgerichts. Der Schiedsspruch enthalte keine Unzuständigkeitsentscheidung des Schiedsgerichts. Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch sei von der Schiedsklausel des Anteilskaufvertrags umfasst.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs zeigt keine erhebliche Rechtsfrage (§ 528 Abs 1 ZPO) auf.
1. Nach Ansicht der Rechtsmittelwerber ist der außerordentliche Revisionsrekurs zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob Tenor und Entscheidungsbegründung bei der Auslegung von Schiedssprüchen trotz Unanwendbarkeit des § 417 ZPO getrennt zu beurteilen sind.
2.1. Die Auslegung von Schiedssprüchen folgt den Grundsätzen der Auslegung von Urteilen (RIS-Justiz RS0000296 [T8]). Eine Entscheidung liegt auch dann vor, wenn sie nur in den Gründen, nicht auch im Spruch erfolgt, sofern ein Entscheidungswille daraus unzweifelhaft hervorgeht (RIS-Justiz RS0110742). Ein nicht zweifelsfrei erkennbarer Entscheidungswille ist unbeachtlich (RIS-Justiz RS0110742 [T1]). Die Auslegung von Urteilen ist regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn der §§ 528 Abs 1 und 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0118891).
2.2. Entgegen den Ausführungen der Rechtsmittelwerber vertrat das Rekursgericht nicht die Auffassung, eine Unzuständigkeitsentscheidung des Schiedsgerichts liege deshalb nicht vor, weil „ein Unzuständigkeitsausspruch nicht im Spruch des Endschiedsspruchs [Datum], sondern lediglich in der Endscheidungsbegründung erfolgt ist“. Es führte nämlich umfangreich aus, dass dem Entscheidungstenor des Schiedsspruchs eine Unzuständigkeitsentscheidung nicht entnommen werden kann und auch die Begründung des Schiedsspruchs (dessen Abschnitt N.) nicht erkennen lässt, das Schiedsgericht habe einen Ausspruch im Sinn des § 592 Abs 2 ZPO treffen wollen.
2.3. Demnach stellt sich die von den Revisionsrekurswerbern als für die Entscheidung erheblich bezeichnete Rechtsfrage nicht. Es stellt sich daher nur die Rechtsfrage, ob das vom Rekursgericht erzielte Auslegungsergebnis nach den Umständen des Falls unvertretbar ist, wenn man die Auffassung vertritt, dass sich ein Unzuständigkeitsausspruch eines Schiedsgerichts nicht nur im als Tenor bezeichneten Teil sondern auch im Begründungsteil des Schiedsspruchs wiederfinden kann, dennoch aber aufgrund seiner materiellen Qualifikation als Teil des Spruchs anzusehen ist (Hausmaninger in Fasching/Konecny³ IV/2 § 607 ZPO Rz 62).
2.3.1. Die Rechtsmittelwerber behaupten nicht, dass dem Tenor des Schiedsspruchs eine Unzuständigkeitsentscheidung zu entnehmen ist.
2.3.2. Dem Rekursgericht ist aber auch nicht entgegenzutreten, wenn es in den Ausführungen des Schiedsgerichts im Abschnitt N. der Begründung des Schiedsspruchs eine Unzuständigkeitsentscheidung nicht erblickte. Unter Zugrundelegung des Gesamtzusammenhangs der Ausführungen ist die ausführlich begründete Beurteilung des Rekursgerichts in Punkt 2.4. seines Beschlusses nicht zu beanstanden, dass diese ausschließlich die Frage der Schadensberechnung (Ersatz des entgangenen Gewinns brutto oder netto) betreffen.
3. Die im Anteilskaufvertrag vereinbarte Schiedsklausel erfasst nach ihrem Wortlaut „sämtliche Streitigkeiten aus diesem Geschäftsanteilskauf- und Übertragungsvertrag“.
3.1. Für die Auslegung eines Schiedsvertrags – ein reiner Prozessvertrag – ist grundsätzlich Prozessrecht maßgebend. Soweit die Vorschriften des Prozessrechts nicht ausreichen, sind analog die Auslegungsregeln des ABGB heranzuziehen (RIS-Justiz RS0045045; 4 Ob 533/95). Entscheidend für die Zuständigkeit des Schiedsgerichts ist der Text der Schiedsvereinbarung unter Heranziehung einer vernünftigen und den Zweck der Vereinbarung favorisierenden Auslegung (RIS-Justiz RS0044997 [T1]). Welche Streitigkeiten von der Schiedsvereinbarung umfasst sind, ist aufgrund ihres – nach dem Parteiwillen auszulegenden – Inhalts zu ermitteln (RIS-Justiz RS0018023). Schiedsklauseln sind ausdehnend auszulegen (RIS-Justiz RS0045337). Lässt der Wortlaut der Erklärung zwei gleichwertige Auslegungsergebnisse zu, so gebührt jener Auslegung der Vorzug, die die Gültigkeit des Schiedsvertrags favorisiert (RIS-Justiz RS0018023 [T4]). Das Ergebnis der Auslegung eines Schiedsvertrags ist einzelfallbezogen und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage, sofern nicht eine unvertretbare Auslegung vorliegt (RIS-Justiz RS0045045 [T7] mwN).
3.2. In der Entscheidung 4 Ob 80/08f führte der Oberste Gerichtshof aus, eine Schiedsklausel, die – ähnlich wie hier – „alle aus einem Vertrag entstehenden Streitigkeiten“ erfassen soll, gelte damit etwa auch für Schadenersatzansprüche wegen einer behaupteten Vertragsverletzung, für Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung oder für deliktische Ansprüche, insoweit das (konkret) schädigende Verhalten und eine bestimmte Vertragsverletzung einen einheitlichen Lebensvorgang bilden. Insoweit kann eine auf Ansprüche aus dem Vertrag beschränkte Schiedsvereinbarung auch rein außervertragliche Ansprüche erfassen. Nicht erfasst werden dagegen außervertragliche Ansprüche, die mit den vertraglichen zwar noch in einem weiten, funktionell indes nur noch illustrativen Sinnzusammenhang stehen.
3.3. Nach Ansicht des Rekursgerichts fällt der mit der Klage geltend gemachte Bereicherungsanspruch in den Anwendungsbereich der Schiedsklausel, resultiere dieser Anspruch doch daraus, dass die Beklagte die ihr wegen Nichteinhaltung vertraglicher Zusagen zugesprochene und geleistete Schadenersatzzahlung steuerlich so behandelt habe, dass sie bereichert sei. So wie der im Schiedsverfahren von der Beklagten verfolgte Entschädigungsanspruch nehme der von den Klägern geltend gemachte Anspruch seinen Ursprung im Anteilskaufvertrag, auf den die Kläger ihren Anspruch ausdrücklich stützten. Für die Ansicht des Rekursgerichts spreche der tendenziell weite Wortlaut der Schiedsvereinbarung und der Umstand, dass es wohl nicht dem Parteiwillen und jedenfalls nicht dem Zweck der Vereinbarung entspräche, für das Verfahren über die Ersatzforderung eine andere Zuständigkeit zu begründen, als für deren (teilweise) Rückforderung.
3.4. Vor dem Hintergrund der unter Punkte 3.1. und 3.2. zitierten Rechtsprechung ist diese Beurteilung des Rekursgerichts jedenfalls vertretbar.
4. Soweit die Rechtsmittelwerber dem Rekursgericht vorwerfen, es habe einen hypothetischen Parteiwillen konstruiert, ohne den wahren Parteiwillen tatsächlich erforscht zu haben, ist ihnen zu erwidern, dass sie nicht behaupten, über die vorgelegten Urkunden hinausgehende Beweise zum Parteiwillen in erster Instanz angeboten zu haben.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00178.17W.1221.000 |
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