OGH 24.06.2020, 1Ob116/20w
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin C*****, vertreten durch Mag. Alexander Eppelein, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Antragsgegner Dr. C*****, vertreten durch die Berlin & Partner Rechtsanwälte (OG), Salzburg, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 48 R 85/20k-100, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 96 Fam 21/19x-95, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Akten werden dem Rekursgericht übermittelt.
Text
Begründung:
Das Rekursgericht bestätigte den erstinstanzlichen Beschluss, mit dem der Antrag der Antragstellerin auf Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse abgewiesen wurde, weil sie das Verfahren nach Wegfall eines Unterbrechungsgrundes nicht gehörig fortgesetzt habe. Es traf keinen
Bewertungsausspruch und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.
Diese Entscheidung bekämpft die Antragstellerin mit „außerordentlichem“ Revisionsrekurs.
Rechtliche Beurteilung
Das Erstgericht legte das Rechtsmittel unmittelbar dem Obersten Gerichtshof vor. Diese Vorlage ist verfehlt.
1. Nach § 62 Abs 3 AußStrG ist der Revisionsrekurs – außer im Fall des § 63 Abs 3 AußStrG – jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert insgesamt 30.000 EUR nicht übersteigt und das Rekursgericht nach § 59 Abs 1 Z 2 AußStrG den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig erklärt hat. In einem solchen Fall kann nur eine Zulassungsvorstellung gemäß § 63 Abs 1 AußStrG an das Rekursgericht erhoben werden.
2. Der Anspruch des geschiedenen Ehegatten auf Aufteilung des
ehelichen Gebrauchsvermögens und der
ehelichen Ersparnisse nach den §§ 81 ff EheG ist in Geld bewertbar und rein vermögensrechtlicher Natur (RIS-Justiz RS0007124 [T5, T8]). Obwohl ein Entscheidungsgegenstand rein vermögensrechtlicher Natur vorlag, der nicht ausschließlich in einem Geldbetrag besteht, hat das Rekursgericht entgegen § 59 Abs 2 AußStrG nicht ausgesprochen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 30.000 EUR übersteigt oder nicht. Dies wird es nachzuholen haben.
3. Sollte eine
Bewertung mit einem 30.000 EUR nicht übersteigenden Betrag erfolgen, wäre zu prüfen, ob das vorliegende Rechtsmittel als (mit einem ordentlichen Revisionsrekurs verbundene) Zulassungsvorstellung iSd § 63 Abs 1 AußStrG zu qualifizieren ist. Ob der Rechtsmittelschriftsatz in diesem Fall der Verbesserung bedürfte, bliebe in diesem Fall der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten (RS0109623 [T8, T14]).
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin C*, vertreten durch Mag. Alexander Eppelein, MSc, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Antragsgegner Dr. C*, vertreten durch die Berlin & Partner Rechtsanwälte OG, Salzburg, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 48 R 85/20k-100, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 96 Fam 21/19x-95, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Beschlussfassung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Das Erstgericht wies den Antrag der Frau auf Aufteilung der ehelichen Ersparnisse und des ehelichen Gebrauchsvermögens als „verjährt“ ab. Der Aufteilungsanspruch sei zwar innerhalb der Jahresfrist des § 95 EheG gerichtlich geltend gemacht, das Verfahren jedoch nicht gehörig fortgesetzt worden, weil die Antragstellerin die Fortsetzung des im Hinblick auf eine vom Antragsgegner im Scheidungsverfahren eingebrachte Wiederaufnahmsklage unterbrochenen (Aufteilungs-)Verfahrens erst am beantragt hat, obwohl der Unterbrechungsgrund schon im Mai 2018 aufgrund rechtskräftiger Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage wegfiel. Hätte sich die Antragstellerin regelmäßig (alle zwei bis drei Monate) nach dem Stand des Wiederaufnahmeverfahrens erkundigt, wäre ihr spätestens im August 2018 der Wegfall des Unterbrechungsgrundes (Zurückweisung des gegen die Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage gerichteten außerordentlichen Revisionsrekurses des Mannes) bekannt geworden. Ein Zuwarten mit dem Fortsetzungsantrag für weitere fünf Monate stelle keine gehörige Verfahrensfortsetzung dar.
[2] Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und führte ergänzend aus, dass es der Antragstellerin als beklagter Partei des Wiederaufnahmeverfahrens möglich gewesen wäre, sich durch Akteneinsicht sofort Kenntnis von der im Mai 2018 rechtskräftig gewordenen Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage zu verschaffen. Aufgrund ihrer mehr als acht Monate dauernden Untätigkeit seit Wegfall des Unterbrechungsgrundes könne die erst im Jänner 2019 beantragte Fortsetzung des unterbrochenen – und nur über Parteiantrag aufzunehmenden – Aufteilungsverfahrens nicht mehr als dessen gehörige Fortsetzung betrachtet werden, woran es auch nichts ändere, dass dieses bereits längere Zeit anhängig war. Auf einen „subjektiven Rechtsverfolgungswillen“ der Antragstellerin komme es nicht an. Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil die Frage, ob eine „ungewöhnliche Untätigkeit“ vorliege, von den Umständen des Einzelfalls abhänge und daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufwerfe.
Rechtliche Beurteilung
[3] Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Antragstellerin ist zulässig, weil das Rekursgericht bei der Beurteilung der Frage, ob das Aufteilungsverfahren nach Wegfall des Unterbrechungsgrundes gehörig fortgesetzt wurde, einerseits zu Unrecht davon ausging, dass einem Fortsetzungsantrag der Antragstellerin – trotz ihrer Unkenntnis vom Verlauf des (einseitigen) Wiederaufnahmeverfahrens – ab nichts im Weg gestanden wäre, und es andererseits nahezu ausschließlich auf die Dauer der Untätigkeit abstellte; das Rechtsmittel ist mit seinem Aufhebungsantrag auch berechtigt.
[4] 1. Gemäß § 95 EheG erlischt der Anspruch auf Vermögensaufteilung, wenn er nicht binnen einem Jahr nach Eintritt der Rechtskraft der Scheidung geltend gemacht wird. Auf diese Präklusivfrist sind die allgemeinen Verjährungsbestimmungen und daher auch § 1497 ABGB analog anzuwenden (RIS-Justiz RS0034613 [T1, T2]). Die Unterbrechungswirkung eines rechtzeitigen Aufteilungsantrags setzt demnach eine „gehörige Fortsetzung“ des Verfahrens voraus (RS0034613 [T4]). Bei der Beurteilung, ob eine solche vorliegt, kommt es nicht so sehr auf die längere oder kürzere Dauer der Untätigkeit an, sondern auf den Umstand, ob diese „gerechtfertigt“ war (RS0034710; RS0034704 [T9]). Entscheidend ist demnach, ob das Verhalten des Klägers bzw Antragstellers ein mangelndes Interesse an der Verfahrensfortsetzung bekundet. Unter diesem Gesichtspunkt kommt es auch auf die Dauer der Untätigkeit an (vgl RS0034849; RS0034624 [T13]; RS0034710 [T4]). Eine gehörige Fortsetzung ist demnach vor allem dann auszuschließen, wenn eine ungewöhnliche Untätigkeit („beharrliche Nichtbetätigung“; vgl 8 Ob 36/84; 3 Ob 531/94; 6 Ob 73/08s) an den Tag gelegt wird, die darauf schließen lässt, dass dem Anspruchswerber an der Erreichung seines Verfahrensziels nicht mehr gelegen ist (RS0034765). Ob dies der Fall ist, richtet sich jeweils nach den Umständen des Einzelfalls (RS0034805), sodass auch keine „festen zeitlichen Grenzen“ gezogen werden können (9 ObA 116/03d). Je kürzer die Untätigkeit, desto eher wird sie aber als üblich gewertet werden können, je länger sie dauert, umso beachtlicher müssen die Gründe für den Verfahrensstillstand sein, um die Untätigkeit noch als angemessen anzusehen (4 Ob 290/97v).
[5] 2. Entgegen der Ansicht des Rekursgerichts berücksichtigte der Oberste Gerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung bei der Beurteilung, ob aus dem Gesamtverhalten einer Partei geschlossen werden kann, dass sie an der Erreichung ihres Prozessziels nicht mehr interessiert ist, durchaus auch die bereits verstrichene Prozessdauer. So sah er etwa zu 3 Ob 110/11i in der sechs Monate nach Ende der dreimonatigen Ruhensfrist beantragten Fortsetzung eines bereits vier Jahre dauernden Verfahrens, in dem schon beträchtliche Kosten aufgelaufen waren, noch keinen ausreichenden Hinweis darauf, dass dem Kläger nicht mehr an der Erreichung seines Prozessziels gelegen wäre. In einem anderen Fall (3 Ob 206/10f) wurde es als gehörige Verfahrensfortsetzung gewertet, dass ein bei Erhebung der Verjährungseinrede fast zwölf Jahre anhängiges Verfahren, in dem es wegen dem Beklagten zuzurechnender Verfahrensverzögerungen noch zu keiner Beweisaufnahme in der Hauptsache gekommen war, sechseinhalb Monate nach Kenntnis der klagenden Partei vom Wegfall des Unterbrechungsgrundes fortgesetzt wurde. Zu 6 Ob 569/85 argumentierte der Oberste Gerichtshof, aus einer etwa fünfmonatigen „Verspätung“ mit einer Prozesshandlung (Erlag eines Kostenvorschusses) könne „im Hinblick auf die wiederholte Klagserweiterung, die Dauer des Verfahrens und die langen Intervalle zwischen den einzelnen Verhandlungstagsatzungen“ noch nicht verlässlich auf ein mangelndes Interesse des Klägers an der Erreichung seines Prozessziels geschlossen werden, wobei auch berücksichtigt wurde, dass das (Erst-)Gericht nicht unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hatte, „dass es das Verfahren nur über Parteiantrag fortzusetzen gedenke.“
[6] 3. Im vorliegenden Fall erkundigte sich die Antragstellerin mehrmals telefonisch nach dem Stand des Wiederaufnahmeverfahrens. Da nicht festgestellt werden konnte, in welchen zeitlichen Abständen dies erfolgte, ging das Erstgericht zutreffend davon aus, dass solche Erkundigungen zumindest alle drei Monate zumutbar gewesen wären (vgl auch 1 Ob 121/20f, wo für die verjährungsrechtliche Erkundigungsobliegenheit beim Schadenersatz ungefähr dreimonatige „Erkundigungsintervalle“ – über den Stand eines für den Ersatzanspruch maßgeblichen Strafverfahrens – als angemessen erwogen wurden). Die Antragstellerin hätte daher bei einer solchen Erkundigung spätestens im August 2018 Kenntnis von der rechtskräftigen Zurückweisung der vom Antragsgegner eingebrachten Wiederaufnahmsklage und somit vom Wegfall des Unterbrechungsgrundes erlangen können. Berücksichtigt man, dass das Aufteilungsverfahren bereits mit erheblichem Kostenaufwand seit 2011 und somit fast neun Jahre lang geführt wird und noch nicht einmal der Antragsgegner einvernommen wurde, dass nach dem Akteninhalt Verfahrensverzögerungen – neben in der Sphäre des Gerichts gelegener Umstände (insbesondere mehreren Richterwechseln) – vor allem durch das Verhalten des Antragsgegners hervorgerufen wurden und dass der Unterbrechungsbeschluss keinen Hinweis darauf enthielt, dass das Aufteilungsverfahren nur auf Antrag einer Partei fortgesetzt werde, so begründete es bei objektivem Verständnis und redlicher Betrachtung (8 Ob 58/10b) insgesamt noch keine derart außergewöhnliche prozessuale Untätigkeit, die auf ihr mangelndes Interesse an der Erreichung ihres Verfahrensziels schließen ließe, dass sie erst im Jänner 2019 (also etwa fünf Monate nach – bei angemessener Erkundigung – möglicher Kenntnis vom Wegfall des Unterbrechungsgrundes) die Fortsetzung des unterbrochenen Aufteilungsverfahrens beantragt hat.
[7] 4. Da sich der Revisionsrekurs somit als berechtigt erweist, sind die zu Unrecht auf eine Verfristung des Aufteilungsanspruchs gestützten Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und ist dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach inhaltlicher Prüfung des Aufteilungsantrags aufzutragen.
[8] 5. Der Kostenvorbehalt beruht darauf, dass kein die Sache erledigender Beschluss im Sinn des § 78 Abs 1 Satz 2 AußStrG vorliegt (vgl etwa 1 Ob 46/20a mwN).
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00116.20W.0624.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
JAAAD-33977