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OGH vom 19.09.2001, 3Ob111/01x

OGH vom 19.09.2001, 3Ob111/01x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Mario C*****, vertreten durch Dr. Gerald Herzog ua Rechtsanwälte in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Horst W*****, vertreten durch Dr. Dieter Stromberger, Rechtsanwalt in Villach, wegen S 98.000,-- s.A., über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom , GZ 2 R 38/01t-41, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Bezirksgerichtes Villach vom , GZ 16 C 817/98x-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die von der klagenden Partei eingebrachte Revisionsbeantwortung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt vom Beklagten Zahlung von S 98.000,--; hiebei handle es sich um den Schaden, der dadurch entstanden sei, dass der Beklagte der von ihm bei Reparatur eines PC des Klägers ausdrücklich übernommenen Verpflichtung zur Sicherung der gespeicherten Daten nicht nachgekommen sei.

Der Beklagte wendete ein, bei Übernahme des PC zur Reparatur seien die gespeicherten Daten bereits gelöscht gewesen. Im Übrigen sei auch der Benützer zur Sicherung der Daten verpflichtet.

Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruches ein und erkannte mit Zwischenurteil zu Recht, der auf Leistung gerichtete Klagsanspruch, der daraus abgeleitet werde, dass der Beklagte im Rahmen der am in Auftrag gegebenen Reparatur des Computers des Klägers die Sicherung der Daten unterlassen habe, bestehe dem Grunde nach zu Recht.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil infolge Berufung der beklagten Partei und sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig, weil Fragen der Datensicherung durch den beauftragten Werkunternehmer im Fall einer Reparatur bzw. Installation von Betriebssystemen auf Computeranlagen bisher - soweit ersichtlich - nicht Gegenstand der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gewesen seien. Schließlich stehe der bisherigen Judikatur der Gerichte, die Schließung der Verhandlung vor Erstellung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens bilde allenfalls eine Mangelhaftigkeit, die Lehrmeinung Rechbergers entgegen, es stelle eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und damit eine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO dar, wenn die Parteien von vornherein keine Gelegenheit haben, in der Verhandlung Aufklärung zu verlangen; würde die Schließung der Verhandlung nach § 193 Abs 3 ZPO zur Einholung eines (ergänzenden) Gutachtens aber eine Nichtigkeit darstellen, wäre dies vom Amts wegen aufzugreifen.

Als Verfahrensmangel wurde in der Berufung der beklagten Partei folgende Vorgangsweise des Erstgerichtes releviert:

Das Erstgericht schloss - nach schriftlicher Erstattung des Gutachtens aus dem Fachgebiet der Computertechnik und wiederholter Gelegenheit der Parteien zur Erörterung ihnen relevant scheinender Sachfragen mit dem Sachverständigen in der Tagsatzung vom die Verhandlung gemäß § 193 Abs 3 ZPO, nachdem es demselben Sachverständigen nochmals aufgetragen hatte, ein (ergänzendes) schriftliches Gutachten zu erstatten und es sich die Parteien vorbehalten hatten, einen Antrag auf Wiedereröffnung des Verfahrens (zwecks Erörterung des Gutachtens) zu stellen. Nach dem Inhalt des Protokolls wurde ihnen dies seitens des Gerichtes "zugesagt".

Hiezu führte das Berufungsgericht aus, ob ein Antrag auf Wiedereröffnung des Verfahrens berechtigt sei, ergebe sich letztlich nur daraus, ob die Sache auch ohne Wiedereröffnung erschöpfend erörtert und gründlich beurteilt werden konnte (§ 496 Abs 1 Z 2 ZPO). Sei dies nicht der Fall, dann sei die Entscheiung mit einem Verfahrensmangel behaftet. Der Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit sei nicht von Amts wegen aufzugreifen, sondern bleibe der Anfechtung durch die Parteien vorbehalten. Bei dieser Anfechtung seien nach der Rechtsprechung bestimmte Inhaltserfordernisse zu beachten, solle sie erfolgreich sein. Demnach müsse der Berufungswerber in seiner Verfahrensrüge dartun, welche konkreten Bedenken gegen die Richtigkeit des Gutachtens bestehen bzw. welche ergänzenden Fragen er noch zu stellen gehabt hätte und inwieweit durch eine mündliche Erörterung des Gutachtens allenfalls ein anderes Verfahrensergebnis hätte herbeigeführt werden können. Die Mängelrüge des Beklagten werde den vorauszusetzenden inhaltlichen Erfordernissen nicht gerecht. Der Berufungswerber habe lediglich ausgeführt, die Erörterung des (ihm zugleich mit dem angefochtenen Urteil zugestellten) Gutachtens wäre unabdingbar erforderlich gewesen, weil der Sachverständige ausgeführt habe, es könne nicht mit 100%-iger Sicherheit nachvollzogen werden, ob die Anwenderdateien durch den vom Beklagten durchgeführten Reparaturvorgang oder aber schon vorher durch den Kläger gelöscht worden seien. Auch aus dem Zusammenhang mit den übrigen Rechtsmittelausführungen lasse sich nicht mehr gewinnen, weil der Beklagte nur darzustellen versuche, warum das erstattete Gutachten keine taugliche Grundlage für bestimmte Feststellungen bilde.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist berechtigt.

Der Prüfung, ob die Sachentscheidungen der Vorinstanzen nichtig sind, steht (ähnlich wie bei der Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 2123/96d = SZ 70/60) kein prozessuales Hindernis entgegen. Die beklagte Partei macht nämlich den behaupteten Nichtigkeitsgrund erstmals in der Revision geltend. Bei Behandlung der Mängelrüge in der Berufung der beklagten Partei hat das Berufungsgericht die - auch von Amts wegen aufzugreifende - Frage der Nichtigkeit nicht behandelt, sondern nur in der Begründung des Ausspruchs über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision auf die Lehrmeinung Rechbergers hingewiesen, ohne sich mit deren Richtigkeit auseinanderzusetzen.

Die Parteien regten in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am zwar an, das Verfahren gemäß § 193 Abs 3 ZPO zur Einholung eines (ergänzenden) schriftlichen Gutachtens zu schließen, behielten sich aber vor, einen Antrag auf Wiedereröffnung des Verfahrens zu stellen; dies wurde seitens des Gerichtes "zugesagt". Das Erstgericht stellte dieses Gutachten aber den Parteien weder vor Zustellung der Urteilsausfertigung noch gemeinsam mit dieser zu.

Diese Vorgangsweise ist folgendermaßen zu beurteilen:

Gemäß § 276 ZPO sind die Beweise grundsätzlich im Laufe der Verhandlung vor dem erkennenden Gericht aufzunehmen. Gemäß § 289 Abs 1 ZPO können die Parteien bei der Beweisaufnahme zugegen sein und an den Sachverständigen diejenigen Fragen stellen oder stellen lassen, die sie zur Aufklärung oder Vervollständigung der Aussage für dienlich erachten. Gemäß § 357 ZPO kann das Gericht zwar die schriftliche Begutachtung anordnen. In diesem Fall ist der Sachverständige verpflichtet, auf Verlangen über das schriftliche Gutachten mündliche Aufklärungen zu geben oder dasselbe bei der mündlichen Verhandlung zu erläutern. Gemäß § 360 Abs 2 ZPO sind die Parteien von dem Einlangen des schriftlichen Gutachtens in Kenntnis zu setzen.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung RZ 1937, 296 erkannt, dass diese Vorschriften über die Unmittelbarkeit des Beweisverfahrens durch Einholung eines Sachverständigengutachtens unverzichtbar und von Amts wegen ohne Rücksicht auf eine Mängelrüge zu beachten sind.

Rechberger in Rechberger, ZPO2 § 357 Rz 5 lehrt - dieser Entscheidung folgend -, dass dann, wenn der Richter die Verhandlung gemäß § 193 Abs 3 ZPO vor Erstellung des schriftlichen Sachverständigengutachtens schließt, sodass die Parteien von vornherein keine Gelegenheit haben, noch bei der Verhandlung weitere Aufklärungen zu verlangen, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Parteien und damit der Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO vorliege.

Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung EvBl 1953/492 demgegenüber die Ansicht vertreten, die Unterlassung der nach § 360 Abs 2 ZPO vorgesehenen Verständigung der Parteien vom Einlangen des schriftlichen Sachverständigengutachtens durch das Berufungsgericht könne nur einen Verfahrensmangel (§ 503 Z 2 ZPO) darstellen, der in diesem Falll nicht gegeben sei, weil der Revisionswerber keine ernstlichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Sachverständigengutachtens erwecken könne. Diese Ansicht wird auch in weiteren Entscheidungen (in RIS-Justiz RS0036909) aufrecht erhalten.

Fasching, Komm III 494 vertritt unter Berufung auf EvBl 1953/492 ebenfalls die Ansicht, erachte das Gericht das Gutachten als unbedenklich und könnte auch den Bedenken der Parteien keine entscheidende Bedeutung zukommen, dann stelle eine Verletzung der in § 360 Abs 2 ZPO enthaltenen Verständigungspflicht keine erhebliche Mangelhaftigkeit iS des § 496 Abs 1 Z 2, § 503 Z 2 ZPO dar.

Nach Fasching, Komm III 491 haben die Parteien keinen Rechtsanspruch auf Ergänzung eines schriftlichen Gutachtens. Dieser Ansicht ist die Rechtsprechung nicht gefolgt. Die Parteien haben das Recht, an den Sachverständigen alle jene Fragen zu stellen, die ihnen zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Klarstellung und Vervollständigung des Gutachtens notwendig erscheinen, soweit der Vorsitzende die Fragen nicht unangemessen findet (SZ 51/134 mwN).

Bei der Beurteilung, ob hier ein von Amts wegen wahrzunehmender Nichtigkeitsgrund vorliegt, muss der nun vom Obersten Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung (SZ 58/142; SZ 64/1; SZ 68/1 uva in RIS-Justiz RS0074920) vertretene Grundsatz beachtet werden, dass das rechtliche Gehör iS des Art 6 Abs 1 MRK nicht nur dann verletzt wird, wenn einer Partei die Möglichkeit, sich im Verfahren zu äußern, überhaupt genommen wird, sondern auch dann, wenn einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Das Gericht hat daher den Parteien Verfahrensvorgänge, die erkennbar für sie wesentliche Tatsachen betreffen, bekanntzugeben und ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, dazu Stellung zu nehmen.

Eine diesem Grundsatz Rechnung tragende Beurteilung führt dazu, folgend der Entscheidung RZ 1937, 296 und Rechberger in Rechberger, ZPO2 § 357 Rz 5 das Vorliegen eines Nichtigkeitsgrundes nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs der Parteien zu bejahen, weil der Erstrichter den Parteien die Möglichkeit genommen hat, sich zu dem schriftlichen Sachverständigengutachten zu äußern. Die ältere Rechtsprechung, die bloß eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens annimmt, ist im Hinblick auf die angeführte jüngere, Art 6 Abs 1 MRK berücksichtigende Rechtsprechung überholt. Liegt aber eine Nichtigkeit vor, ist nicht zu prüfen, ob ernstliche Bedenken gegen das Gutachten bestehen, weil Nichtigkeitsgründe ohne Rücksicht auf ihre Auswirkung im Einzelfall auch - von den Rechtsmittelinstanzen aber nur aus Anlass eines zulässigen Rechtsmittels - von Amts wegen aufgegriffen werden müssen (Kodek in Rechberger, ZPO2 § 477 Rz 2 mwN).

Es waren daher die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben. Dem Erstgericht obliegt es, nach Einräumung der Äußerungsmöglichkeit zum Sachverständigengutachten eine neuerliche Entscheidung zu treffen.

Die Revisionsbeantwortung ist als verspätet zurückzuweisen, weil sie nicht an das Erstgericht, sondern an das Bezirksgericht Klagenfurt abgeschickt wurde und beim Erstgericht erst nach Weiterleitung am einlangte. Die Anwendung des § 89 GOG, wonach die Frist bei rechtzeitiger Postaufgabe gewahrt ist, hat aber zur Voraussetzung, dass die Anschrift der Postsendung an jenes Gericht lautet, bei dem die Eingabe gesetzmäßig zu überreichen ist, andernfalls entscheidet nur der Tag ihres Einlangens bei dem zuständigen Gericht (RIS-Justiz RS0041608).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.