OGH vom 11.07.2006, 1Ob116/06z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Gerlinde G*****, vertreten durch Dr. Birgit Lajtai-Nagl, Rechtsanwältin in Villach, wider die beklagte und widerklagende Partei Dr. Gerwin M*****, vertreten durch Dr. Franz Müller-Strobl, Dr. Robert Kugler und Mag. Florian Mitterbacher, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Ehescheidung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 464/05w-44, womit infolge Berufungen beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom , GZ 3 C 38/04d-35, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Die klagende und widerbeklagte Partei ist schuldig, der beklagten und widerklagenden Partei die mit EUR 1.726,66 (darin enthalten EUR 110,94 USt und EUR 1.061 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Parteien haben am die Ehe geschlossen; der Ehe entstammt ein Sohn.
Der Beklagte und Widerkläger (im Folgenden nur „Beklagter") bezog ein sehr gutes Einkommen. Die Klägerin und Widerbeklagte (im Folgenden nur „Klägerin") arbeitete bei einer Frauenberatungsstelle und engagierte sich für eine politische Partei u. a. als Bildungsreferentin und Landesobfrau einer „elternverwaltenden" Kindergruppe.
Schon von Beginn der Ehe an kam es sehr oft zu Diskussionen, speziell über finanzielle Angelegenheiten. Das Verhalten der Klägerin war schon kurz nach Eheschließung von starker Eifersucht geprägt. Dennoch konnten sich die Streitteile immer wieder „zusammenraufen". Auf Grund der großen, immer wieder schwelenden Differenzen nahmen die Streitteile im Jahr 2000 eine Eheberatung in Anspruch. Unmittelbarer Grund dafür war die starke Eifersucht der Klägerin in Bezug auf eine bestimmte Frau. Diese und der Beklagte waren im selben Sportklub eingeschrieben, wodurch es zu laufenden Kontakten kam, welche von der Klägerin nicht gerne gesehen wurden. Dass der Beklagte mit dieser Frau eine außereheliche Beziehung unterhielt, konnte nicht festgestellt werden.
Dem Beklagten hingegen widerstrebte der enge Kontakt, den die Klägerin zu einem bestimmten Mann unterhielt. Mit diesem verband die Klägerin eine jahrelange, sehr intensive Freundschaft. Die Kontakte ergaben sich insbesondere auf Grund der politischen Tätigkeit dieses Mannes, der in derselben Partei wie die Klägerin eine Funktion ausübte. Der Beklagte sprach die Klägerin mehrfach auf diese Beziehung an; von Bekannten wurde er aufmerksam gemacht, „er solle einmal schauen, was denn mit der Geschichte sei". Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Klägerin mit diesem Mann und auch mit zwei weiteren Männern eine sexuelle Beziehung unterhalten hätte. Sexuelle Kontakte hatte sie aber von Jänner 2001 bis 2002 zu einem bestimmten Mann. Der Beklagte seinerseits unterhielt seit Juli 2001 eine sexuelle Beziehung zu einer Frau. Die Klägerin erfuhr davon Anfang Juni 2001. Nachdem der Beklagte die Klägerin hatte glauben lassen, er wolle diese Beziehung nicht fortführen, verzieh sie ihm. Dennoch brach der Beklagte die Beziehung nicht ab. Dies wurde der Klägerin im Sommer 2002 bekannt. Diese Situation war für sie sehr belastend. Sie hoffte immer wieder, der Beklagte werde sich für sie entscheiden und forderte ihn auf, definitiv Position zu beziehen. Eine spontane Entscheidung war dem Beklagten jedoch nicht möglich. Die nervliche Belastung der Klägerin ergab sich aber nicht nur aus dieser Situation, sondern im gleichen Maße aus beruflichen Problemen. Für den Beklagten wieder bestand eine belastende Situation infolge der von ihm nicht gewünschten, aber stetigen Kontakte der Klägerin zu dem ihr aus der politischen Tätigkeit bekannten Mann. Dessen Person verursachte immer wieder eine Krisensituation in der Ehe der Streitteile. Die Belastung verstärkte sich, als der Beklagte von der sexuellen Beziehung der Klägerin erfuhr und dass diese auch im ehelichen Haus mit diesem Mann Geschlechtsverkehr gehabt hatte. Darüber hinaus kam es mehrfach vor, dass die Klägerin dem Beklagten vor einer Gesellschaft als Lügner hinstellte und einen Streit begann, wodurch es immer weniger zu sozialen Kontakten und Einladungen kam, da dies für die eingeladenen Personen höchst unangenehm war. Während der ehelichen Lebengemeinschaft hatte der Beklagte mehrmals in Kleidergeschäften Schulden der Klägerin begleichen müssen.
Im Jänner 2004 begab sich die Klägerin in Krankenhausbehandlung. Ihre Erkrankung war in gleichem Maße auf berufliche Schwierigkeiten wie auch auf die Ungewissheit zurückzuführen, die der Beklagte dadurch verursachte, weil er sie über seine außereheliche Beziehung im Unklaren hielt. Während des Krankenhausaufenthaltes der Klägerin vereinbarten die Parteien, künftig eine räumliche Trennung vornehmen zu wollen. Wenige Monate später teilte jedoch der Beklagte der Klägerin mit, mit ihrem Auszug aus der ehelichen Wohnung nicht mehr einverstanden zu sein. Dennoch zog die Klägerin am aus. Mit ihrer am beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Die Ehe sei durch das Verhalten des Beklagten tiefgreifend und unheilbar zerrüttet, da dieser zumindest seit Juni 2002 eine sexuelle Beziehung zu einer Frau unterhalte. Entgegen seiner Versicherung, diese Beziehung aufzugeben, halte er sie nach wie vor aufrecht.
In seiner Widerklage beantragte der Beklagte die Scheidung aus dem Alleinverschulden der Klägerin. Diese habe ein ehebrecherisches Verhältnis unterhalten und zu zwei weiteren Männern ehebrecherische bzw. ehewidrige Beziehungen gehabt. Gegen seinen Willen sei die Klägerin nunmehr aus der Ehewohnung ausgezogen und unterhalte seit Juni oder Juli 2004 ein geschlechtliches Verhältnis zu einem Mann. Obwohl sie erwerbstätig gewesen sei, habe er jeweils allein die Kosten der Wohnversorgung getragen und auch allein Unterhalt für den studierenden Sohn geleistet. Die Klägerin habe übermäßigen Aufwand getrieben, für den er (zusätzlich) habe aufkommen müssen. Sie habe von ihm die Unterfertigung einer für ihn finanziell höchst ungünstigen Vereinbarung im Zusammenhang mit der ins Auge gefassten Auflösung der Ehe verlangt.
Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile aus deren gleichteiligem Verschulden. Der Beklagte habe eine langandauernde Verletzung der ehelichen Treue zu verantworten und darüber hinaus die Klägerin im Unklaren gelassen, ob er seine außereheliche Beziehung fortführen oder sich für die Ehe entscheiden werde. Die Klägerin ihrerseits habe eine Vielzahl von Verstößen gegen die Grundsätze der ehelichen Gemeinschaft zu verantworten. Wenngleich ihre außereheliche sexuelle Beziehung kürzer als jene des Beklagten angedauert habe, habe sie die eheliche Treue ebenfalls gebrochen. Ins Gewicht falle ferner das - wenn auch nicht sexuelle - Verhältnis der Klägerin zu ihrem Freund aus der Politik, gegen welches sich der Beklagte ausgesprochen habe. Darüber hinaus sei ihr eine verschwenderische Lebensweise anzulasten und habe sie sich gegenüber dem Kläger unleidlich verhalten, indem sie starke Eifersucht gezeigt und ihn in Gesellschaft als Lügner bezeichnet habe. Obwohl die unheilbare Zerrüttung der Ehe erst mit dem Auszug der Klägerin aus der Ehewohnung anzunehmen sei, könne ihr dieses Verlassen nicht als Verstoß angelastet werden, da sich der Beklagte bereits zuvor explizit gegen die Ehe und für ein Zusammenleben mit seiner Freundin entschieden habe. Unter diesen Umständen sei der Klägerin kein Vorwurf daraus zu machen, dass sie mit dem Beklagten nicht mehr im gemeinsamen Haushalt habe leben wollen. Beide Ehegatten hätten gleichermaßen zur Zerrüttung beigetragen.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es das überwiegende Verschulden des Beklagten an der Zerrüttung der Ehe aussprach. Es erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Der Beklagte habe durch seine jahrelange außereheliche Beziehung den Grundstein für die Zerrüttung der Ehe gelegt. Vorzuwerfen sei ihm, zunächst die Klägerin in Sicherheit darüber gewiegt zu haben, er hätte diese Beziehung abgebrochen. Er sei es zuletzt auch gewesen, der das Interesse an der Klägerin gänzlich verloren und mit deren Auszug aus der Ehewohnung einverstanden gewesen sei. Unter den der Klägerin vorzuwerfenden Ehewidrigkeiten wiege am gravierendsten die ehebrecherische Beziehung zu einem Mann, die allerdings im Jahr 2002 beendet worden sei und die durchaus als Reaktion auf die außereheliche Beziehung des Beklagten angesehen werden könne. Diese und auch die übrigen Eheverfehlungen der Klägerin seien gegenüber der ständigen und noch andauernden Beziehung des Beklagten von minderem Gewicht.
Die gegen dieses Entscheidung erhobene außerordentliche Revision des Beklagten, mit der er den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Klägerin anstrebt, ist zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Der geltend gemachte Begründungsmangel (unvollständige Erledigung der Beweisrüge) liegt nicht vor, da sich das Berufungsgericht nicht mit jedem einzelnen Argument der Beweisrüge auseinandersetzen muss und der - wenngleich hier sehr knapp gehaltenen - Begründung noch entnommen werden kann, weshalb das Berufungsgericht die geltend gemachten Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts nicht teilte (Zechner in Fasching/Konecny2 IV/1 § 503 Rz 144 mwN; 1 Ob 102/03m).
Hingegen ist die vom Revisionswerber geltend gemachte Aktenwidrigkeit gegeben. Sie stellt einen Verstoß gegen den tragenden Verfahrensgrundsatz des § 498 Abs 1 ZPO dar und ist daher auch über außerordentliche Revision wahrzunehmen (SZ 59/92; SZ 63/178):
Nach den Feststellungen unterhielt die Klägerin von Jänner 2001 bis 2002 sexuelle Kontakte zu einem Mann. Der Beginn der außerehelichen Beziehung des Klägers ist mit Juli 2001 festgestellt. Daraus folgt, dass die außereheliche sexuelle Beziehung der Klägerin schon vor der Aufnahme der außerehelichen Beziehung des Beklagten begonnen hatte. Demgegenüber kam das Berufungsgericht im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu dem (aktenwidrigen) Schluss, die ehebrecherische Beziehung der Klägerin könne als Reaktion auf den Beginn der außerehelichen Beziehung des Beklagten angesehen werden. Damit wurden der rechtlichen Beurteilung aber Tatsachenannahmen zu Grunde gelegt, die von den Feststellungen des Erstgerichts nicht gedeckt sind (Zechner aaO § 503 Rz 167 mwN). Gerade auf dieser Abweichung von den erstgerichtlichen Feststellungen fußt die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, es liege überwiegendes Verschulden des Beklagten vor, da die sexuelle Beziehung der Klägerin als „entschuldbare Reaktionshandlung auf den Beginn der außerehelichen Beziehung des Beklagten" zu sehen sei. Ausgehend von den Feststellungen fehlt es aber am nötigen zeitlichen Zusammenhang mit dem Verhalten des Beklagten, um von einer Reaktionshandlung ausgehen zu können. Es kann daher nicht die Rede davon sein, der Beklagte habe durch sein außereheliches Verhältnis mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe den Anfang gemacht, weswegen er als der im höheren Grade Schuldige anzusehen sei (vgl RIS-Justiz RS0056597). Im Übrigen ist zu beachten, dass eine entschuldbare Reaktionshandlung auch dann verneint werden muss, wenn sich das ehewidrige Verhalten längere Zeit hinzieht. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin im Juli 2001 vom Ehebruch ihres Mannes erfahren und ihre außereheliche geschlechtliche Beziehung erst ein halbes Jahr später beendet. Auch dieses zeitliche Moment spräche gegen die Qualifikation als entschuldbare Reaktionshandlung (siehe RIS-Justiz RS0057136). Zudem hat die Klägerin im Verfahren erster Instanz niemals ein Vorbringen in der Richtung erstattet, ihre sexuelle Beziehung sei als unmittelbare Folge des Verhältnisses des Beklagten zu einer Frau zu sehen. Mangels eines zeitlichen und ursächlichen Zusammenhangs mit dem Verhalten des Beklagten, der für eine entschuldbare Reaktionshandlung sprechen könnte, fällt das außereheliche Verhältnis der Klägerin gegenüber der vom Beklagten eingegangenen Beziehung daher nicht minder ins Gewicht. Entgegen den Ausführungen in der Revisionsbeantwortung ist das Berufungsgericht ausdrücklich von einer Reaktionshandlung der Klägerin und nicht davon ausgegangen, dass zu jenem Zeitpunkt, als die Klägerin ihre außereheliche geschlechtliche Beziehung einging, die Ehe bereits unheilbar zerrüttet gewesen sei.
Geht man von den getroffenen Feststellungen aus, ist die vom Erstgericht vorgenommene Gesamtbetrachtung des Verhaltens der Ehegatten (RIS-Justiz RS0056171) und die Abwägung der Verschuldenskomponenten lebensnah und durchaus richtig. Das Erstgericht stellte bei seiner Verschuldensabwägung in den Vordergrund, dass der von beiden Ehepartnern begangene Ehebruch gleichermaßen zur Zerrüttung der Ehe beigetragen habe. Als weitere wesentliche Eheverfehlung sei aber auch das Verhalten der Klägerin gegenüber ihrem Freund aus der Politik zu werten. Dies ist zutreffend. Gewiss stellt ein zwar freundschaftlicher, jedoch harmloser Verkehr mit Personen des anderen Geschlechts keine Eheverfehlung nach § 49 EheG dar. Im Rahmen der ehelichen Treuepflicht wäre die Klägerin jedoch zur Unterlassung jeglichen Verhaltens verpflichtet gewesen, das den objektiven Anschein ehewidriger Beziehungen zu erwecken geeignet war (RIS-Justiz RS0056151). Dennoch wählte sie ein Verhalten, das - auch für Dritte - einen derartigen Anschein hervorrief. In dieser Situation hätte sie die Verpflichtung getroffen, den Beklagten aktiv über die relevanten Umstände aufzuklären und mit ihm darüber das Gespräch zu suchen, folgt doch aus dem Wesen der Ehe als umfassender Lebensgemeinschaft und dem Partnerschaftsgedanken, dass die Ehegatten zur Aufrechterhaltung des für eine solche Gemeinschaft erforderlichen Vertrauensverhältnisses verpflichtet sind, einander Einblick in ihre privaten (und beruflichen) Tätigkeiten zu gewähren (9 Ob 62/05s ua; RIS-Justiz RS0056466). Dieser Verpflichtung kam die Klägerin nicht ausreichend nach, wäre es doch sonst nicht dazu gekommen, dass trotz mehrfacher Rückfragen des Beklagten gerade diese bestimmte Person immer wieder eine" Krisensituation" in der Ehe verursachen konnte und der Beklagte die Kontakte zwischen seiner Frau und diesem Mann weiterhin als belastend empfinden musste. Ferner hat die in Gesellschaft stattgefundene Bezichtigung des Beklagten als Lügner sowie das eifersüchtige Verhalten der Klägerin zur Zerrüttung der Ehe beigetragen, Letzteres aber aber nur insoweit, als es vor Beginn der ehewidrigen Beziehung des Beklagten unbegründet war. Demgegenüber ist dem Beklagten neben seiner - eine schwere Eheverfehlung darstellenden - geschlechtlichen Beziehung als Eheverfehlung anzulasten, dass er der Klägerin vortäuschte, er werde diese Beziehung nicht fortführen. Weiters ist als Verstoß zu werten, dass er - auch noch nachdem die Klägerin vom Fortbestehen seiner Beziehung durch Zufall erfahren hatte - diese weiterhin im Unklaren darüber ließ, ob er sich für oder gegen die Ehe entscheiden werde und sie dadurch erheblichen Belastungen aussetzte.
Demnach kann keine Rede davon sein das Verschulden der Klägerin trete gegenüber jenem des Beklagten fast völlig in den Hintergrund. Nur unter dieser Voraussetzung wäre aber vom überwiegenden Verschulden des Beklagten auszugehen (RIS-Justiz RS0057821).
Der Revision des Beklagten ist sohin Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 43 Abs 1, 41 ZPO.