OGH vom 09.07.2013, 4Ob108/13f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragstellerin Republik *****, vertreten durch deren Botschaft, *****, diese vertreten durch Mag. Ulrich Salburg, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Antragsgegner R***** H*****, vertreten durch Ebert Huber Swoboda Oswald Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Rückgabe eines Kulturguts, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , GZ 16 R 66/13p-42, mit welchem der Zwischenbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 61 Nc 5/11m 38, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben, und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung:
Der Antragsgegner ist Inhaber einer unrechtmäßig aus dem antragstellenden Mitgliedstaat der Europäischen Union verbrachten Statue. Dieser Staat begehrt mit Antrag vom deren Rückgabe nach dem Bundesgesetz zur Umsetzung der Richtlinie 93/7/EWG über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft verbrachten Kulturgütern , BGBl I 1998/67 idF BGBl I 2003/112 (in der Folge: KulturgüterrückgabeG bzw Richtlinie ). Im Revisionsrekursverfahren ist ausschließlich strittig, ob der Rückgabeanspruch nach § 11 Abs 1 KulturgüterrückgabeG erloschen ist, nämlich
„ein Jahr nach dem Zeitpunkt, zu dem der ersuchende Mitgliedstaat davon Kenntnis erhalten hat, wo sich das Kulturgut befindet und wer es innehat“.
Ermittlungen der Polizei des antragstellenden Staats hatten „im Jahr 2008 Hinweise auf die Versteigerung der Figur und den derzeitigen Inhaber ergeben“. Davon hatte sie das Kulturerbedepartement im Kulturministerium dieses Staats mit Schreiben vom (richtig) informiert. Dem Schreiben ist zu entnehmen, dass es in dieser Sache schon zuvor eine Korrespondenz zwischen der Polizeidienststelle und dem Kulturerbedepartement gegeben hatte.
Der antragstellende Staat bringt vor, dass es ausschließlich auf den Kenntnisstand des Kulturministeriums ankomme. Dieses sei die nach der Richtlinie benannte „zentrale Stelle“, die die in der Richtlinie vorgesehenen Aufgaben wahrzunehmen habe. Da das Ministerium erst aufgrund des Schreibens vom vom Verbleib der Statue erfahren habe, sei die in § 11 Abs 1 KulturgüterrückgabeG genannte Frist gewahrt.
Der Antragsgegner wendet ein, dass sich der Staat das Wissen der Polizei zurechnen lassen müsse. Die Beweislast für das Nichterlöschen treffe nach § 12 Abs 2 KulturgüterrückgabeG den Antragsteller.
Das Erstgericht stellte mit Zwischenbeschluss fest, das der Rückgabeanspruch dem Grunde nach zu Recht bestehe. Maßgebend sei ausschließlich der Kenntnisstand des Kulturministeriums.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei. Es nahm ebenfalls an, dass es nur auf die Kenntnis des Kulturministeriums ankomme. Ergänzend stellte das Rekursgericht fest, dass das Kulturerbedepartement der Polizei erst am bestätigt habe, dass das Kulturgut unrechtmäßig verbracht worden sei. Den Revisionsrekurs ließ es zu, weil Judikatur zur Frage fehle,
„ob sich ein Staat (früher mögliche) Erhebungen seiner Polizeibehörden auf die Frist des § 11 KulturgüterrückgabeG anrechnen lassen müsse, ob solche Tatsachen über bloß einen Zweifel behauptende Einwendungen des Antragsgegners gegen den beweisbelasteten Staat zu erheben sind, oder ob erst die positive Kenntnis der zuständigen zentralen Stelle von allen antragsbegründenden Tatsachen fristauslösend ist“.
Der gegen diese Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs des Antragsgegners ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig , er ist im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt .
Rechtliche Beurteilung
1. Eine Grundlage für die Auffassung der Vorinstanzen, dass es nur auf den Kenntnisstand der nach der Richtlinie benannten zentralen Stelle ankomme, ist nicht erkennbar.
1.1. Sowohl das KulturgüterrückgabeG als auch die ihm zugrunde liegende Richtlinie (Art 7 Abs 1) lassen die Frist für das Erlöschen des Anspruchs mit der Kenntnis des „ersuchenden Mitgliedstaats“ von Ort und Inhaber des Kulturguts beginnen. Eine Regelung, dass es nur auf die Kenntnis der nach der Richtlinie benannten zentralen Stelle ankomme, enthält weder die Richtlinie noch das Umsetzungsgesetz. Die Gesetzesmaterialien (EB zu RV, 690 BlgNR 20. GP, 20) stellen auf die Kenntnisnahme durch eine „zuständige Behörde“ ab, wofür beispielsweise („zB“) eine Vertretungsbehörde im Ausland, der Zoll oder eine „Zentrale Stelle“ genannt werden. Die Auffassung Garzons (Glosse zu 3 Ob 111/10k, ecolex 2011, 213), dass nur die Kenntnis der nach der Richtlinie benannten zentralen Stellen maßgebend sei, hat daher keine Grundlage in den Materialien. In 3 Ob 111/10k war diese Frage nicht entscheidungsrelevant, weil auch die zentrale Stelle selbst mehr als ein Jahr vor der Antragstellung Kenntnis vom Verbleib des Kulturguts erlangt hatte. Welche Behörde für die Ausforschung verbrachter Kulturgüter „zuständig“ ist, wird nach dem Recht des ersuchenden Staats zu beurteilen sein. Eine Beschränkung auf die primär für den Verkehr nach außen zuständige „zentrale Stelle“ iSv Art 3 der Richtlinie ist schon deswegen nicht anzunehmen, weil Art 4 der Richtlinie ausdrücklich anordnet, dass die „zentralen Stellen“ eine „Abstimmung zwischen den zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten“ fördern. Diese Bestimmung setzt voraus, dass es neben der zentralen Stelle (weitere) zuständige Stellen geben kann.
1.2. Unstrittig zuständig ist im konkreten Fall jedenfalls das Kulturministerium des antragstellenden Staats. Aus dem von der Antragstellerin vorgelegten Schreiben des „Polizeidepartements unter dem Innenministerium“ ergibt sich jedoch, dass auch dieses bei der Ausforschung der Statue tätig war. Dabei ist unerheblich, ob es dabei aufgrund eigener Zuständigkeit oder auf Ersuchen des Kulturministeriums handelte. Im ersten Fall wäre von vornherein (auch) sein Wissensstand maßgebend, im zweiten wäre dieser Wissensstand dem jedenfalls zuständigen Kulturministerium zuzurechnen. Entschiede man anders, könnten Mitgliedstaaten die im Gesetz und in der Richtlinie vorgesehene Jahresfrist ganz einfach dadurch umgehen, dass sie Ermittlungstätigkeiten an formal „unzuständige“ Dienststellen auslagerten. Ein solches Ergebnis kann weder dem österreichischen noch dem europäischen Gesetzgeber unterstellt werden. Vielmehr hat die staatsinterne Aufgabenverteilung bei der Ausforschung von verbrachten Kulturgütern für die Beurteilung des Kenntnisstands des Staats außer Betracht zu bleiben. Anders wäre nur zu entscheiden, wenn eine unzuständige Stelle außerhalb ihres Aufgabenbereichs auf ein verbrachtes Kulturgut gestoßen und erst nachträglich für die zuständige Stelle tätig geworden wäre. Solches hat die Antragstellerin hier aber weder behauptet, noch ergibt es sich aus dem von den Vorinstanzen festgestellten Sachverhalt.
2. Auf die bloße Möglichkeit , sich Kenntnis zu verschaffen, kommt es demgegenüber nicht an. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 3 Ob 111/10k (SZ 2010/126 = ecolex 2011, 211 [ Garzon ]) ausführlich dargelegt, dass unter „Kenntnis“ iSv § 11 Abs 1 KulturgüterrückgabeG objektives, auf gesicherter Grundlage beruhendes Wissen über die maßgebenden Tatumstände zu verstehen ist. Zweifel an der Erweisbarkeit des bereits bekannten anspruchsbegründenden Sachverhalts schieben nach dieser Entscheidung den Fristbeginn nicht hinaus; der bloße Verdacht oder Vermutungen, wo sich das Kulturgut befindet und wer es innehat, ist der Kenntnis aber nicht gleichzusetzen. Umso weniger kann die bloße Möglichkeit, die maßgebenden Tatsachen früher zu ermitteln, den Beginn der Frist auslösen.
3. Entscheidend ist daher, wann das Polizeidepartement gesicherte Kenntnis davon erhalten hat, „wo sich das Kulturgut befindet und wer es innehat“. Lag dieser Zeitpunkt mehr als ein Jahr vor der Antragstellung, wäre der Rückgabeanspruch erloschen. Auf die Kenntnis weiterer Umstände etwa das sichere Wissen, dass es sich bei der Statue um „Kulturgut“ im Sinn der Richtlinie handelte kommt es dabei nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes und der Richtlinie nicht an. Dass die Antragstellung die Präklusionsfrist des § 11 Abs 1 KulturgüterrückgabeG unterbricht, ergibt sich aus einer - durch die Richtlinie nicht ausgeschlossenen - analogen Anwendung von § 1497 ABGB.
4. Auf dieser Grundlage ist die Sache noch nicht spruchreif. Denn aufgrund seiner vom Senat nicht geteilten Auffassung, wonach es ausschließlich auf den Wissensstand des Kulturministeriums ankomme, hat das Erstgericht keine eindeutige Feststellung zum Kenntnisstand des Polizeidepartements getroffen. Dass dieses „im Jahr 2008“ vom Verbleib der Statue erfahren habe, lässt offen, ob dieser Zeitpunkt innerhalb oder außerhalb eines Jahres vor der am erfolgten Antragstellung lag. Dies führt zur Aufhebung in die erste Instanz. Das Erstgericht wird eine eindeutige Feststellung gegebenenfalls auch Negativfeststellung zur Frage zu treffen haben, wann das Polizeidepartement vom Verbleib der Statue erfahren hat. Zuvor wird es der insofern nach § 12 Abs 2 KulturgüterrückgabeG beweispflichtigen Antragstellerin Gelegenheit zu einem ergänzenden Vorbringen zu gewähren haben. Unaufklärbarkeit des Zeitpunkts fiele nach § 12 Abs 2 KulturgüterrückgabeG der Antragstellerin zur Last.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 Abs 1 AußStrG.
Fundstelle(n):
CAAAD-33667