OGH vom 17.12.2013, 4Ob192/13h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** P*****, vertreten durch Dr. Franz Terp, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. J***** P*****, 2. C***** P*****, vertreten durch Dr. Manfred Michalek, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 8.720 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom , GZ 21 R 38/13f 26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Gänserndorf vom , GZ 12 C 2142/11g 21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 818,66 EUR (darin 136,44 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Kläger und Erstbeklagter sind Brüder. Der Kläger ist Eigentümer der Liegenschaft EZ 505 KG B*****, der Erstbeklagte (Bruder des Klägers) und seine Gattin sind jeweils Hälfteeigentümer der benachbarten Liegenschaft EZ 293. Die beiden Liegenschaften bildeten bis 2004 einen einheitlichen Grundbuchskörper, der im Eigentum der Eltern der Geschwister stand.
2001 gestatteten die Eltern dem Kläger, auf ihrem (noch ungeteilten) Grund als Zubau im rechten Winkel zu einem bereits bestehenden Gebäude ein Büro samt Werkstatt zu errichten. Die heutige Grundstücksgrenze verläuft zwischen Altbau (heute Eigentum der Beklagten) und Zubau (heute Eigentum des Klägers). Im Zuge dieser Bauführung wurde die Regenableitung des Altbaus wie folgt geändert: Ursprünglich wurde das auf das Dach des Altbaus fallende Regenwasser in einer Regenrinne gefasst und in zwei Sickergruben auf den nunmehrigen Grund des Klägers abgeleitet. Durch den Zubau wurde eine der beiden Sickergruben überbaut; die Regenrinne auf dem Altbau wurde daher im Bereich des Zubaus abgeschnitten, sodass das Regenwasser, das in diesem Bereich auf das Dach des Altbaus fällt, auf einer Breite von 15 Metern (wo sich keine Dachrinne mehr befindet) direkt auf das Dach des Zubaus abrinnt. Auf einer Länge von weiteren 15 Metern wird das Regenwasser in der verbliebenen Dachrinne des Altbaus gesammelt und in den verbliebenen Sickerschacht abgeleitet.
2004 wurde die Liegenschaft in die beiden heute bestehenden Grundbuchskörper geteilt, die mit Schenkungsverträgen von 2004 (Beklagte) und 2005 (Kläger) an die Streitteile übergeben wurden. Die Schenkungsverträge enthalten keine Bestimmungen über die etwaige Duldung von Regenwasserableitung; dieses Thema wurde im Zuge der Schenkung auch nicht erörtert. Die Problematik wurde kurz nach Übergabe des Grundstücks an den Kläger erkannt. Die Eltern versuchten beim Notar, der den Vertrag errichtet hatte, eine Änderung zu erreichen, dieser riet ihnen zu einer gütlichen Einigung. Nunmehr beginnt durch die Wasserableitung die Blechabdeckung des Zubaus zu rosten.
Der Kläger begehrte mit seiner Klage, die Beklagten schuldig zu erkennen, die Ableitung von Regenwasser im Sinne einer unmittelbaren Zuleitung von den Grundstücken der Beklagten auf das dem Kläger gehörende Grundstück ab sofort zu unterlassen. Eine direkte Zuleitung iSd § 364 ABGB sei unzulässig.
Die Beklagten bestritten das Klagebegehren. Der jetzige Zustand der Regenwasserableitung sei in Kenntnis und mit Wissen des Klägers zu einem Zeitpunkt geschaffen worden, als beide Liegenschaften im gemeinsamen Eigentum der Eltern als Voreigentümer gestanden seien. Die Streitteile hätten die Liegenschaften im heutigen offenkundigen Zustand übernommen, der zumindest konkludent Vertragsinhalt geworden sei. Die vertragliche Regelung schließe nachbarschaftsrechtliche Ansprüche aus.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. In rechtlicher Hinsicht ging es davon aus, dass die direkte Ableitung von Wasser gemäß § 364 ABGB unzulässig sei. Eine davon abweichende vertragliche Vereinbarung habe nicht festgestellt werden können. Es sei auch nicht zur Ersitzung oder schlüssigen Zustimmung zur Einräumung einer Dienstbarkeit gekommen.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es das Klagebegehren abwies; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige und auf Antrag der Beklagten gemäß § 508 Abs 1 ZPO die ordentliche Revision zulässig sei, weil ein Verstoß gegen § 498 ZPO geltend gemacht werde. Übereigne der Eigentümer zweier Liegenschaften eine von beiden, von denen die eine offenkundig der anderen diene und weiter dienen soll, entstehe eine offenkundige Dienstbarkeit auch ohne entsprechende Vereinbarung und Eintragung ins Grundbuch. Dies gelte auch dann, wenn zwei dem selben Eigentümer gehörende Liegenschaften, von denen eine offenkundig der anderen diene, an verschiedene Personen übertragen werde bzw wenn aus dem bisher einheitlichen Eigentum durch Teilung der Liegenschaft neues Eigentum entstehe. Durch Teilung des ursprünglich im Eigentum der Eltern der Streitteile stehenden Grundstücks und Übertragung der neu entstandenen Grundstücke an die Söhne unter Beibehaltung des bestehenden baulichen Zustands, den die Streitteile gekannt hätten, sei eine Dienstbarkeit der Wasserableitung entstanden, die keinen rechtswidrigen Zustand zum Nachteil des Klägers schaffe.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1.1. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens soll dadurch verwirklicht worden sein, dass das Berufungsgericht folgende Feststellung des Erstgerichts ohne Begründung und ersatzlos entfallen ließ:„Wäre dies [gemeint: das Problem der Wasserableitung] bedacht worden, so hätten die Eltern dem Beklagten auferlegt eine Änderung im Sinne des Klagebegehrens vorzunehmen.“
1.2. Ein dem Berufungsgericht unterlaufener Verfahrensverstoß ist nur dann ein Revisionsgrund nach § 503 Z 2 ZPO, wenn er abstrakt geeignet war, eine unrichtige Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz herbeizuführen (vgl RIS Justiz RS0043027, RS0043049, RS0043366, RS0043144).
1.3. Solches ist hier nicht der Fall. Es steht nämlich unstrittig fest, dass das Problem der Wasserableitung erst nach Übergabe des Grundstücks an den Kläger erkannt wurde, sohin also erst ein Jahr nach Übergabe des Grundstücks an die Beklagten. Wie sich die Voreigentümer gegenüber den Nacheigentümern nach Übergabe verhalten hätten, ist aber für die Frage, welche Rechtsfolgen die Übergabe einer Liegenschaft bei bestehender offenkundiger Dienstbarkeit im Zeitpunkt des Erwerbs hat, ohne Bedeutung.
2.1. Soweit der Kläger dem Berufungsgericht vorwirft, eine ergänzende Feststellung ohne Beweisaufnahme getroffen zu haben, unterliegt er einem sprachlichen Missverständnis: Das Berufungsgericht hat nämlich keine neue Feststellung „kreiert“, sondern nur zum Ausdruck gebracht, dass sich die von den Beklagten in der Berufung begehrte Feststellung (dass die Streitteile die ihnen übertragenen Liegenschaften so erhalten haben, wie die Geschenkgeber diese Liegenschaft vorher besessen und benützt haben) ohnehin aus dem Ersturteil ergibt („ergibt sich im Zusammenhalt der getroffenen Feststellungen mit der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung“).
2.2. Diese Beurteilung des Berufungsgerichts ist zutreffend, hat doch das Erstgericht festgestellt, dass die nunmehr strittige Führung der Wasserableitung im Zuge des Neubaus durch den Kläger im Einvernehmen mit den damaligen Grundeigentümern geschaffen wurde; dass dieser Zustand sodann bis zur Übergabe der Liegenschaften an die Streitteile ein weiteres Mal verändert worden wäre, wurde von keiner Seite behauptet.
3. Der Kläger macht geltend, das gesetzliche Verbot des § 364 Abs 2 ABGB stehe der Begründung einer Dienstbarkeit durch Auseinanderfallen der Eigentümerstellung entgegen.
3.1. § 364 Abs 2 ABGB enthält dispositives Recht. Die sich aus dem Nachbarrecht ergebenden Ansprüche sind daher modifizierbar, und zwar auch durch rein schuldrechtliche Vereinbarungen. Besteht eine solche Sonderrechtsbeziehung zwischen Nachbarn, so bestimmt sie das Ausmaß der hinzunehmenden Immissionen (RIS Justiz RS0010534 [T1, T 2]). Eine nachbarrechtliche Haftung kommt daher nur dort in Betracht, wo mangels anderen Rechtstitels der Nachbar in die Schranken, die die §§ 364 ff ABGB der Ausübung seines Eigentums setzen, gewiesen werden soll. Besteht hingegen über die gegenseitigen Rechte und Pflichten unter Nachbarn eine vertragliche Regelung, ist nur diese für die Ausübung und die Grenze der beiderseitigen Rechte und Verbindlichkeiten maßgebend (RIS Justiz RS0010642). Allein die ohne Rechtstitel erfolgte Zuleitung von Immissionen ist unzulässig (RIS Justiz RS0010528, RS0010592).
3.2. Nach ständiger Rechtsprechung entsteht bei Übereignung einer von zwei Liegenschaften desselben Eigentümers, von denen eine offenkundig der anderen dient und weiterhin dienen soll, auch ohne spezifische Vereinbarung und Verbücherung eine Dienstbarkeit, wenn der tatsächliche Zustand im Zeitpunkt der Übertragung durch offenkundige oder doch ersichtliche Anlagen erkennbar war (vgl RIS Justiz RS0011618, RS0011547, RS0011628, RS0011554, RS0119170).
4.1. Das Berufungsgericht ging daher zutreffend davon aus, dass durch die Realteilung der Liegenschaft der Eltern von Kläger und Erstbeklagtem eine Dienstbarkeit (nämlich die Haus Servitut nach § 475 Abs 1 Z 6 ABGB, also das Recht, die Dachtraufe auf fremden Grund zu leiten) entstanden ist. Der Kläger hat durch seine Bauführung auf vorerst fremdem Grund erst jene bauliche Situation herbeigeführt, die Voraussetzung für das Entstehen dieser Dienstbarkeit war; er war daher in voller Kenntnis vom Sachverhalt und erwarb 2005 die Liegenschaft, belastet mit der offenkundigen Dienstbarkeit nach § 475 Abs 1 Z 6 ABGB. Diese Sonderrechtsbeziehung ist somit für die Ausübung und die Grenze der beiderseitigen Rechte und Verbindlichkeiten der Nachbarn maßgebend.
4.2. Besitzen demnach die Beklagten einen Rechtstitel für die vom Kläger beanstandete Wasserableitung auf seinen Grund, bildet § 364 Abs 2 ABGB keine taugliche Grundlage für den verfolgten Anspruch. Der Revision ist deshalb ein Erfolg zu versagen.
5. Die Kostenentscheidung ist in den § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO begründet.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2013:0040OB00192.13H.1217.000