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OGH vom 04.11.2019, 3Ob109/19d

OGH vom 04.11.2019, 3Ob109/19d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Roch als Vorsitzenden sowie den Hofrat Priv.Doz. Dr. Rassi, die Hofrätinnen Dr. WeixelbraunMohr und Dr. Kodek und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Salburg Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. M***** AG, *****, vertreten durch BennIbler Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. A*****, vertreten durch DORDA Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 6.369 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 60 R 85/18g20, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom , GZ 17 C 433/16z16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 909,89 EUR (darin 151,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.343,92 EUR (darin 104,82 EUR USt und 715 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin macht einen Schadenersatzanspruch aus dem Erwerb von Zertifikaten geltend und begehrt Ersatz für den aus dem Wertverlust des Investments resultierenden Schaden. Die Erstbeklagte, eine österreichische Bank, fungierte als Depotbank. Die Zweitbeklagte ist (Rechtsnachfolgerin der) Emittentin der Zertifikate.

Das Verfahren zwischen der Klägerin und der Zweitbeklagten ruht. Verfahrensgegenstand (schon des Ersturteils) ist daher allein das der Höhe nach unstrittige Begehren der Klägerin gegenüber der erstbeklagten Bank.

Das Erstgericht ging von folgendem (zusammengefassten und systematisch geordneten) wesentlichen aus:

Die Klägerin hatte vor der Investition in die Zertifikate keine Erfahrungen mit Wertpapieren, sondern veranlagte ihre Ersparnisse konservativ mittels Sparbuch und Bausparverträgen. Sie „wollte 2005 Geld veranlagen“, das aus dem Verkauf ihres Hauses stammte. Es sollte ein sicheres Investment sein, bei dem ein Totalverlust nicht möglich ist, da sie aufgrund ihrer Berufsunfähigkeit ihre Arbeit verloren hatte. Erst sekundär kam es ihr auf das Erzielen von Gewinnen an, wobei sie sich mehr Rendite erwartete als im Fall der Veranlagung auf einem Sparbuch. Eine Freundin verwies sie an einen Anlageberater, der ihr die Zertifikate vorstellte. Die Klägerin wusste nicht, was ein Zertifikat ist, und dachte, dass sie eine Immobilien-Aktie erwerbe. Sie dachte, dass die Zertifikate die Eigenschaft eines sicheren Investments besitzen, bei dem ein Totalverlust nicht möglich ist, da sie davon ausging, dass durch die Investition in Immobilien nichts verloren gehen könne. Der Klägerin war zwar bewusst, dass sich der Kurs von Aktien auch verschlechtern könne, sie nahm aber nach dem Inhalt der die Grundlage der Beratungsgespräche bildenden Verkaufsprospekte aufgrund der Investition in Immobilien an, dass die Entwicklung der Zertifikate weiterhin positiv sein werde und diese Veranlagung mit einem geringeren Risiko verbunden sei als eine Investition in andere Aktien. Der Anlageberater wies sie zwar auf die theoretische Möglichkeit eines Totalverlustrisikos hin, es sei jedoch bei dieser Investition nicht wahrscheinlich. Es war ihr auch bewusst, dass Renditen der Vergangenheit keine Garantie für zukünftige Gewinne darstellen, sie erwartete aber, dass der in den Verkaufsprospekten dargestellte – stetig ohne große Schwankungen ansteigende – Kursverlauf sich weiter linear bei nur kleineren Schwankungen entwickeln würde und der Ertrag höher als auf einem Sparbuch sein werde.

In den Verkaufsprospekten wurden die Zertifikate mit umfangreichen Hinweisen auf Investitionen in Immobilien beworben; ua hieß es zum Thema „Sicherheit“ nur: „Sichere, breit gestreute Immobilienveranlagung in Zeiten stark schwankender Aktienmärkte, hoher Steuern und niedriger Zinsen.“ Ein Hinweis auf ein Kapitalverlustrisiko findet sich darin nicht.

Nach mehreren Beratungsgesprächen entschloss sich die Klägerin wegen des Inhalts der Verkaufsprospekte, in die Zertifikate zu investieren. Sie kaufte zunächst am Zertifikate und investierte gleichzeitig in Fonds. Am kaufte die Klägerin weitere Zertifikate, nachdem sie den Verkaufsprospekt gelesen und es ein weiteres Beratungsgespräch gegeben hatte. Im Zuge der Depoteröffnung füllte der Anlageberater ein Anlegerprofil für die Klägerin aus, in dem ihre Risikobereitschaft mit „hoch“ angekreuzt, obwohl diese tatsächlich geringer war, und handschriftlich „da Immobilienaktie“ dazugeschrieben wurde. Der Anlageberater sagte ihr dazu, dass man diese Risikobereitschaft angeben müsse, um in die Zertifikate Geld zu investieren.

Hätte der in den Verkaufsprospekten dargestellte Kursverlauf größere Schwankungen aufgezeigt, hätte die Klägerin die Wertpapiere nicht erworben. Wäre sie beim Beratungsgespräch oder im Verkaufsprospekt darauf hingewiesen worden, dass bei dem Investment auch ein (gemeint: nicht bloß theoretisches, nur wenig wahrscheinliches) Kapitalverlustrisiko besteht, hätte sie nicht in die Zertifikate veranlagt. Sie hätte dann ihr Geld zur Renovierung des Hauses ihres Ehemanns verwendet.

Die Klägerin verkaufte die Zertifikate am , nachdem ihr bewusst wurde, dass das erworbene Produkt nicht die vermittelte Sicherheit aufweist.

Die begehrte von der Beklagten den Differenzschaden zwischen dem investierten Betrag und dem niedrigeren Verkaufserlös. Die Organe der Erstbeklagten hätten in der – die Klägerin irreführenden – Werbung für die Veranlagung vorsätzlich falsche Angaben gemacht. Die Klägerin habe sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligte angeschlossen, weshalb keine Verjährung eingetreten sei.

Die wendeten zusammengefasst ein, allfällige Ansprüche seien verjährt. Eine Prospekthaftung komme nicht in Betracht, weil die Prospekte keine irreführenden Angaben enthalten hätten. Die Klägerin hätte den Schaden auch bei einem Alternativinvestment erlitten. Außerdem treffe sie ein überwiegendes Mitverschulden, weil sie Risikohinweise nicht gelesen habe.

Das gab der Klage statt.

Die Klägerin habe sich rechtzeitig einem Ermittlungsverfahren als Privatbeteiligte angeschlossen, was im Bezug auf die Verjährung die rechtlichen Wirkungen einer Klage entfalte. Dass mit diesem Anschluss auch das Formerfordernis der Schriftlichkeit erfüllt sei, habe der Oberste Gerichtshof bereits in Entscheidungen zu anderen durch die Erstbeklagte geschädigten Klägern klargestellt. Ein allfälliger Vollmachtsmangel betreffend den Privatbeteiligtenanschluss sei jedenfalls durch nachträgliche Genehmigung saniert worden. Auch die nach der Rechtsprechung erforderlichen Voraussetzungen für eine Haftung wegen unrichtiger Angaben in Werbeprospekten seien im konkreten Fall (ähnlich wie in vergleichbaren Parallelfällen) erfüllt: Die Erstbeklagte habe durch die konkrete Gestaltung der Verkaufsbroschüre der Klägerin den Eindruck einer sicheren Veranlagung verschafft, wobei die irreführenden Informationen für den Kaufentschluss der Klägerin ursächlich gewesen seien. Die Klägerin, die durch die irreführende Werbung über Eigenschaften (Wertstabilität) der Wertpapiere in Irrtum geführt worden sei, habe daher Anspruch auf Ersatz des Kapitals abzüglich des Verkaufserlöses.

Das änderte die Entscheidung dahin ab, dass es die Klage abwies, und ließ die Revision nachträglich mit der Begründung zu, dass ein vergleichbarer Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof bisher nicht entschieden worden sei.

Die Klägerin habe nicht dargelegt, dass die alternativ für Renovierungsarbeiten am Haus ihres Ehemanns geplante Verwendung des Geldes eine „kapitalerhaltende Investition“ gewesen wäre.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und auch , weil das Berufungsgericht die Rechtsprechung zu Anlegerschäden betreffend die Beweislast zur Alternativveranlagung missverstanden hat.

1. Nach der Rechtsprechung trifft den Geschädigten beim Anlegerschaden die Behauptungs- und Beweislast nicht nur dafür, dass er bei korrekter Information die tatsächlich gezeichneten Wertpapiere nicht erworben hätte, sondern auch für die Wahl einer hypothetischen Alternativanlage bei korrekter Information und deren Entwicklung (RS0030153 [T25]). Die Begründung dafür liegt darin, dass nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass der Anleger bei richtiger Beratung eine völlig risikolose Veranlagung genommen hätte (4 Ob 92/12s); der Anleger, der bei korrekter Information zwar vom Aktienkauf Abstand genommen, jedoch ein anderes Wertpapier erworben hätte, bei dem es inzwischen auch zu Wertverlusten gekommen wäre, würde durch die Rückerstattung des vollen Kaufpreises gegen Rückgabe der erworbenen Papiere insofern einen Vorteil gegenüber der hypothetischen Entwicklung erlangen, als die bei den hypothetischen Käufen sonst entstandenen Verluste nicht berücksichtigt würden. Dem entsprechend wäre die Lage nur dann anders, wenn der Anleger ausnahmsweise bei korrekter Information keine Wertpapiere erworben, sondern das Geld auf ein Sparbuch gelegt und jedenfalls keine Kursverluste erlitten hätte; allein bei Zutreffen dieser Umstände wäre also der volle Erwerbspreis an den Anleger zurückzuerstatten (7 Ob 77/10i = SZ 2011/40). Der Oberste Gerichtshof hielt an dieser Rechtsprechung fest, wonach die Behauptungs- und Beweislast für die Wahl und die Entwicklung der hypothetischen Alternativanlage – also des Minuenden bei der Ermittlung des rechnerischen Schadens – den Anleger trifft. Dies gilt selbstverständlich nur unter der Voraussetzung, dass der Kläger bei korrekter Beratung , was bei einem vorgefassten Anlageentschluss im Regelfall anzunehmen ist (4 Ob 67/12z; 4 Ob 19/12s; 7 Ob 221/13w; 3 Ob 167/17f; 1 Ob 73/18v).

Wie die Ausnahmen vom Regelfall durch Hinweise auf ein Sparbuch und das Fehlen von Kursverlusten zeigen, knüpft die dem Anleger auferlegte Behauptungs- und Beweislast an eine hypothetische an. Sie kommt also nicht zur Anwendung, wenn – wie hier – feststeht, dass der Anleger das zur Verfügung stehende Geld bei korrekter Beratung hätte. Abgesehen davon stellt die ausgesprochene Vermutung einer Veranlagung am Kapitalmarkt bei vorgefasstem Anlageentschluss keine die freie Beweiswürdigung ausschließende Beweisregel dar, sondern selbstverständlich bloß eine naheliegende Schlussfolgerung, die durch gegenteilige Feststellungen widerlegt werden kann. Das ist hier der Fall, weil vom Erstgericht – für den Obersten Gerichtshof bindend – festgestellt wurde, dass die Klägerin das Geld bei korrekter Beratung zur Renovierung des Hauses ihres Ehemanns verwendet, also zweifellos nicht dem Kapitalmarkt zugeführt hätte. Darauf, ob bei der Klägerin von vornherein ein vorgefasster Anlageentschluss bestand, der hier – wie den Feststellungen zu entnehmen ist – ohnehin von konkreten Bedingungen abhängig war, die nicht erfüllt waren – was der Klägerin allerdings verborgen blieb –, kommt es daher entgegen der Ansicht der Revisionsbeantwortung nicht an. Da zum hypothetischen Alternativverhalten feststeht, dass sie das in die Zertifikate investierte Geld bei korrekter Beratung nicht am Kapitalmarkt veranlagt hätte, bedurfte es naturgemäß weder Behauptungen (und Feststellungen) zur Entwicklung einer solchen Veranlagung noch zur Frage, ob der Klägerin dabei das Kapital erhalten geblieben wäre. Denn die unterbliebene Investition kann mit kapitalerhaltendem Vorgehen gleichgesetzt werden (8 Ob 2/17b). Der (hypothetische) Verbrauch des Geldes durch die Klägerin für andere (hier private) Zwecke hat daher bei der Prüfung der Kausalität und der Schadensbezifferung außer Betracht zu bleiben und kann der Beklagten deshalb nicht zugute kommen.

Die Begründung für die Abweisung des Klagebegehrens durch das Berufungsgericht trägt daher nicht. Eine Auseinandersetzung mit der Mängelrüge der Revision erübrigt sich deshalb.

2.1. Im Rahmen der Entgegnung der Ausführungen in der Revision zu einer Haftung der Erstbeklagten wegen List stellt diese in Abrede, dass sich die Klägerin in einem Irrtum über die Risikogeneigtheit der Zertifikate befunden habe und dieser kausal für deren Anlageentscheidung gewesen wäre. Allerdings handelt es sich dabei um den Obersten Gerichtshof bindende Tatfragen (2 Ob 19/13b; 9 Ob 23/19a), die die Vorinstanzen bereits abschließend zugunsten der Klägerin beantworteten. Diese nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgehenden Ausführungen der Revisionsbeantwortung sind daher nicht weiter zu behandeln.

2.2. Das gilt auch für die weitere Argumentation der Revisionsbeantwortung, die Erstbeklagte habe keine Täuschungshandlung gesetzt, womit sie erkennbar ihre Passivlegitimation bestreitet. Derartiges machte sie allerdings in ihrer Berufung gegen das Ersturteil nicht geltend, weshalb es (noch dazu in der Revisionsbeantwortung) nicht zulässig nachgetragen werden kann (RS0043338; RS0119592 [T1]).

2.3. Das Berufungsgericht behandelte – ungeachtet seiner zur Klageabweisung führenden Rechtsansicht – alle weiteren Argumente der Berufung (ua zum Verjährungseinwand der Erstbeklagten) und verwarf diese. Soweit dazu nicht bereits hier Stellung genommen wurde, hielt die Erstbeklagte diese Einwände in ihrer Revisionsbeantwortung nicht aufrecht, sodass es genügt, auf die unbeanstandet gebliebene und höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu vergleichbaren Sachverhalten entsprechende Begründung des Berufungsgerichts zu verweisen (§ 500a ZPO).

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 und 50 ZPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0030OB00109.19D.1104.000

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