OGH 20.12.2011, 4Ob191/11h
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende sowie durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach T***** G*****, zuletzt wohnhaft: *****, vertreten durch Mag. Marc Pfletschinger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei P***** E*****, vertreten durch Dr. Michael Kramer, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen 29.909,87 EUR sA und Feststellung (Streitwert 3.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 17.269,54 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 171/11y-80, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom , GZ 8 Cg 257/08h-70, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Das Berufungsgericht gab der Schadenersatzklage sowie dem Feststellungsbegehren der (erst im Berufungsverfahren) verstorbenen Klägerin, die auf dem Weg zur Toilette des vom Beklagten betriebenen Kaffeehauses über eine Treppe gestürzt war, zur Gänze statt. Da sich die Klägerin bis zum Unfall sicher auf den Beinen gefühlt habe, sei ihr nicht vorwerfbar, keine Vorsichtsmaßnahmen ergriffen zu haben. Die Sorgfaltspflicht der Klägerin würde in unzumutbarer Weise überspannt, wolle man von ihr verlangen, eine Begleitperson zum Weg zur Toilette anzufordern, obwohl sie sich bis zum Unfall sicher auf den Beinen gefühlt und keinen Gehstock benötigt habe.
Der Beklagte macht als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO geltend, das Berufungsgericht habe gegen die Grundsätze der Rechtsprechung zum Mitverschulden des Geschädigten bei Unfällen infolge Vernachlässigung von Verkehrssicherungspflichten entschieden.
Rechtliche Beurteilung
Die Beurteilung des Verschuldensgrades unter Anwendung der Grundsätze der Rechtsprechung, ohne dass ein wesentlicher Verstoß gegen maßgebliche Abgrenzungskriterien vorliegt und das Ausmaß eines Mitverschuldens des Geschädigten im Einzelfall bilden regelmäßig im Hinblick auf die Einzelfallbezogenheit keine erhebliche Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0087606, RS0044088 [T30], RS0042405 [T5], RS0022681 [T7, T8, T11]). Eine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt nicht vor. Gerade zu 2 Ob 86/06w - auf diese Entscheidung beruft sich der Revisionswerber - verneinte der Oberste Gerichtshof ein Mitverschulden der Geschädigten mangels Vorhersehbarkeit des Schadenseintritts. Im vorliegenden Fall geht es auch nicht um die Verpflichtung „vor die Füße zu schauen“ (vgl RIS-Justiz RS0027447), sondern darum, dass die Benützerin der nicht durch einen Handlauf gesicherten Stiege plötzlich Halt suchte und nicht fand.
Das nach § 228 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse muss zwar im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz vorliegen (RIS-Justiz RS0039085, RS0039204). Das Fehlen des rechtlichen Interesses ist in jeder Lage des Verfahrens - auch noch im Rechtsmittelverfahren - von Amts wegen wahrzunehmen (RIS-Justiz RS0039123). Dabei ist allerdings - entgegen den Ausführungen des Revisionswerbers - die Prüfung des rechtlichen Interesses bezogen auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz vorzunehmen (6 Ob 6/09i mwN). Das Ableben der Verletzten nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz führte daher nicht zum Wegfall des Feststellungsinteresses.
Da der Beklagte sohin keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen vermochte, war seine Revision zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2011:0040OB00191.11H.1220.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
VAAAD-33477