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OGH vom 14.03.2006, 4Ob191/05z

OGH vom 14.03.2006, 4Ob191/05z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Gitschthaler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** GmbH, *****, vertreten durch Ploil Krepp & Partner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei R***** GmbH, *****, vertreten durch Knirsch, Gschaider & Cerha Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 50.000 EUR), über die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom , GZ 4 R 35/05d-12, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 19 Cg 94/04a-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird, soweit Nichtigkeit geltend gemacht wird, verworfen.

Im Übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 3.583,44 EUR (darin 597,24 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist die österreichische Tochtergesellschaft der (deutschen) R***** GmbH. Sie vertreibt in Österreich Medikamente. Die Beklagte ist ein Konzernunternehmen der F***** AG. Auch sie vertreibt in Österreich Medikamente; diese wurden von zum Konzern gehörenden Gesellschaften entwickelt und für diese patentiert. Ein weiteres Konzernunternehmen ist die (deutsche) R***** GmbH, vormals B***** GmbH.

Letztere meldete am in Österreich unter der Nummer AT 375639 das Verfahren zur Herstellung des Medikaments Carvedilol zum Patent an. Am wurde das Grundpatent in Österreich bekannt gemacht; am wurde das Medikament auf dem Gebiet der EU erstmals zum Verkehr zugelassen. Am erteilte das Österreichische Patentamt zu diesem Grundpatent das Schutzzertifikat Nummer 76/94 mit der Dauer (Ablauf des Grundpatents) bis .

Die Klägerin begehrte zuletzt die Feststellung, der Beklagten stehe ihr gegenüber ab in Österreich auf Grund des Schutzzertifikats Nummer 76/94 kein den Vertrieb des Wirkstoffs Carvedilol betreffender Unterlassungsanspruch zu, in eventu die Beklagte sei nicht berechtigt, ab diesem Zeitpunkt den Vertrieb dieses Wirkstoffs in Österreich zu untersagen. Gemäß § 28 Abs 1 PatG idF BGBl 1970/259 habe die Laufzeit des Grundpatents am (Höchstdauer 18 Jahre ab Bekanntmachung) geendet. Die SchutzzertifikatsVO sehe zwar eine Verlängerung des patentrechtlichen Ausschließlichkeitsanspruchs um Zeiten vor, die zwischen Anmeldung des Patents und seiner Genehmigung verstrichen seien; allerdings sei dieser Ausschließlichkeitsanspruch nach den Begründungserwägungen der VO mit höchstens 15 Jahren ab der ersten Genehmigung begrenzt. Das Patentamt hätte daher das Schutzzertifikat nur bis erteilen dürfen. Die Klägerin beabsichtige, nach diesem Zeitpunkt ein Medikament mit dem Wirkstoff Carvedilol zu vertreiben; die Beklagte habe ihr jedoch mitgeteilt, dies mit rechtlichen Mitteln bekämpfen zu wollen. Daraus leite sich das Feststellungsinteresse der Klägerin ab.

Die Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen. Das Grundpatent sei am abgelaufen. Nach Art 13 SchutzzertifikatsVO sei der Ausschließlichkeitszeitraum um 5 Jahre zu verlängern gewesen. Das Schutzzertifikat sei daher zutreffend bis erteilt worden. Die Klägerin stütze ihre Rechtsansicht lediglich auf die Begründungserwägungen der VO; diese stünden aber im Widerspruch zu deren Art 13, der eine Höchstdauer von 15 Jahren nicht vorsehe. Der Klägerin mangle es außerdem am Feststellungsinteresse; abstrakte Rechtsfragen oder rechtliche Qualifikationen seien nicht feststellungsfähig.

Das Erstgericht wies das Hauptbegehren ab, gab jedoch dem Eventualbegehren statt. Die Erteilung eines Schutzzertifikats für das Grundpatent sei zulässig gewesen. Allerdings dürfe eine „wörtliche Anwendung der Zeitberechnung" nach Art 13 SchutzzertifikatsVO nicht zu einem offenbar sinnwidrigen und „von den Gesetzgebern" nicht gewollten Ergebnis führen. Zweck des Schutzzertifikats sei, den Verlust von Schutzzeit, die sich aus den Anmelde- und Zulassungsverfahren ergebe, auszugleichen, um im Regelfall eine Mindestschutzdauer von 15 Jahren zu erreichen. Da die Schutzfrist für in Österreich vor 1996 angemeldete Patente nicht bereits mit der Anmeldung begonnen habe, sei Art 13 SchutzzertifikatsVO berichtigend dahin auszulegen, dass ein Schutzzertifikat nur für jenen Zeitraum erteilt werden könne, um den die Schutzdauer des Grundpatents tatsächlich verkürzt worden sei. Die Schutzdauer habe am mit Bekanntmachung des Grundpatents zu laufen begonnen, die Erstzulassung sei am erfolgt, somit 6 Jahre, 3 Monate und 3 Tage später. Davon seien nach Art 13 SchutzzertifikatsVO 5 Jahre abzuziehen, sodass das Schutzzertifikat nicht über den hinaus hätte erteilt werden dürfen. Die Beklagte habe die Berechtigung der Klägerin somit zu Unrecht bestritten, sodass diese ein Feststellungsinteresse habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Schutzfristberechnung nach der SchutzzertifikatsVO. Die geltend gemachte Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO sei nicht gegeben. Haupt- und Eventualbegehren seien zwar inhaltlich ident, das Gericht dürfe dem Urteilsspruch aber eine deutlichere und dem Sachvorbringen entsprechende Fassung geben. Der Urteilsspruch lasse über Inhalt und Umfang der Feststellung keine Zweifel aufkommen. Nach der Rechtslage vor 1996 habe die Schutzfrist eines Patents erst mit seiner Bekanntmachung zu laufen begonnen; dem gegenüber hätten bereits damals die „meisten ausländischen Patentgesetzgebungen" den Beginn bereits mit Anmeldung des Patents vorgesehen. Dies habe Art 63 EPÜ entsprochen, mit dem nunmehr § 28 Abs 1 PatG idF BGBl 181/1996 in Einklang stehe. Art 13 SchutzzertifikatsVO nehme bei der Fristberechnung ebenfalls auf Art 63 EPÜ Bedacht. Die Laufzeit von Patenten betrage 20 Jahre ab Anmeldung; der Zeitraum zwischen Anmeldung und erster Genehmigung des Patents könne bei Erteilung eines Schutzzertifikats mit höchstens 5 Jahren berücksichtigt werden. Damit ergebe sich eine patentrechtliche Ausschließlichkeitsfrist ab der ersten Genehmigung von höchstens 15 Jahren; dies entspreche auch den Begründungserwägungen der SchutzzertifikatsVO. Damit sei Art 13 leg cit jedenfalls bei vor 1984 in Österreich angemeldeten Patenten dahin einzuschränken, dass die effektive Schutzdauer durch ein Schutzzertifikat nicht auf einen 15 Jahre ab der ersten Genehmigung übersteigenden Zeitraum erweitert werden könne. Die Schutzfrist des Grundpatents, auf das sich die Beklagte berufe, ende somit am .

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

1. Die Beklagte bekämpft das Berufungsurteil als nichtig. Das Erstgericht habe das Hauptbegehren rechtskräftig abgewiesen. Das Berufungsgericht hätte daher auch das „idente Eventualklagebegehren" abweisen müssen.

Die Beklagte macht damit inhaltlich neuerlich jenen Umstand als Nichtigkeitsgrund geltend, mit dem sich bereits das Berufungsgericht auseinander gesetzt hat. Hat aber das Berufungsgericht einen geltend gemachten Nichtigkeitsgrund verworfen, kann dieser in der Revision nicht noch einmal aufgegriffen werden (Zechner in Fasching² [2005] § 503 ZPO Rz 69 mwN).

2. Die Klägerin begründet ihr Feststellungsbegehren damit, dass sich die Beklagte ihr gegenüber auf das Schutzzertifikat Nummer 76/94 berufe. Das Patentamt habe die Frist unrichtig berechnet und daher zu Unrecht eine Schutzfrist über den hinaus angenommen.

Die Beklagte bestreitet im Revisionsverfahren das Feststellungsinteresse der Klägerin nicht mehr. Sie wirft dem Berufungsgericht vor, bei der Schutzfristberechnung die SchutzzertifikatsVO „contra legem" ausgelegt und deren Begründungserwägungen mehr normativen Gehalt zuerkannt zu haben als dem Verordnungstext selbst. Tatsächlich ergebe sich aus Art 13 leg cit eine Schutzdauer bis .

3. Nach § 1 SchutzzertifikatsG BGBl I 1997/11 werden Schutzzertifikate, die in Österreich geltende Patente ergänzen, vom Österreichischen Patentamt nach Maßgabe von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft über die Schaffung ergänzender Schutzzertifikate erteilt. Die hier maßgebliche Verordnung ist die VO (EWG) Nr. 1768/92 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel (SchutzzertifikatsVO). Nach deren Begründungserwägungen soll durch die Erteilung eines Schutzzertifikats berücksichtigt werden, dass durch den Zeitraum zwischen Einreichung einer Patentanmeldung für ein neues Arzneimittel und der Genehmigung für das Inverkehrbringen der tatsächliche Patentschutz auf eine Laufzeit verringert wird, die für die Amortisierung der in der Forschung vorgenommen Investitionen unzureichend ist.

Nach Art 13 Abs 1 SchutzzertifikatsVO gilt das Zertifikat ab Ablauf der gesetzlichen Laufzeit des Grundpatents für eine Dauer, die dem Zeitraum zwischen der Einreichung der Anmeldung für das Grundpatent und dem Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft entspricht, abzüglich eines Zeitraums von 5 Jahren. Nach Abs 2 beträgt die Laufzeit des Zertifikats ungeachtet des Abs 1 höchstens 5 Jahre vom Zeitpunkt seines Wirksamwerdens an.

4. Zwischen der Anmeldung des Grundpatents, für das das hier strittige Schutzzertifikat erteilt wurde, am und der ersten Genehmigung auf dem Gebiet der EU am vergingen etwa 11 Jahre. Dieser Zeitraum ist gemäß Art 13 Abs 1 SchutzzertifikatsVO um 5 Jahre zu kürzen; es verbleiben also rund 6 Jahre. Die Schutzzertifikatsfrist ist nach Art 13 Abs 2 leg cit mit 5 Jahren begrenzt; das Schutzzertifikat wurde - wie dies dem Rechtsstandpunkt der Beklagten entspricht - für fünf Jahre ab Ablauf des Grundpatents am und somit bis erteilt.

Dabei wurde außer Acht gelassen, dass die Schutzdauer des Patents aufgrund der damaligen Rechtslage nicht bereits mit der Anmeldung, sondern erst mit der Bekanntmachung am zu laufen begonnen hat. Die Berücksichtigung der zwischen Anmeldung und Bekanntmachung verstrichenen Zeit hat dazu geführt, dass das Schutzzertifikat auch einen Zeitraum erfasst, um den sich die Schutzdauer des Grundpatents gar nicht verringern konnte. Die von der Beklagten angestrebte Anwendung der „mathematischen Formel" des Art 13 Abs 1 SchutzzertifikatsVO stünde daher ganz unzweifelhaft mit den dargelegten Intentionen der SchutzzertifikatsVO im Widerspruch.

5. Nach den Begründungserwägungen der SchutzzertifikatsVO müssen demjenigen, der gleichzeitig Inhaber eines Patents und eines Zertifikats ist, insgesamt höchstens 15 Jahre Ausschließlichkeit ab der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen des betreffenden Arzneimittels in der Gemeinschaft eingeräumt werden. Diese Frist endete im vorliegenden Fall am . Die Beklagte bestreitet zwar nicht die Richtigkeit dieser Berechnung, wendet aber dagegen ein, der Verordnungstext werde „contra legem" ausgelegt, die Begründungserwägungen könnten diesem nicht vorgehen.

Weder aus Art 13 noch aus sonstigen Artikeln der SchutzzertifikatsVO ergibt sich, dass die Annahme einer Höchstdauer von 15 Jahren ausgeschlossen wäre. Von einer Auslegung „contra legem" kann daher keine Rede sein. Damit bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob Begründungserwägungen einer VO ihren ausdrücklichen Bestimmungen vorgehen (können).

6. Dass aber die Begründungserwägungen der SchutzzertifikatsVO und insbesondere die dort erwähnte Höchstdauer bei der Auslegung des Art 13 SchutzzertifikatsVO zu berücksichtigen sind, hat der EuGH bereits klargestellt. In der Vorabentscheidung vom zu C-207/03, C-252/03 (Novartis ua/Comptroller-General of Patents ua; RNr 31) wird die Maßgeblichkeit der - in Liechtenstein automatisch anerkannten - Genehmigung des Inverkehrbringens in der Schweiz (ua) damit begründet, dass die Berechnung der Laufzeit des ergänzenden Schutzzertifikats aufgrund einer später im EWR erteilten Genehmigung dazu führen könnte, dass der Ausschließlichkeitszeitraum von 15 Jahren im EWR überschritten werden könnte. Als Ziel der SchutzzertifikatsVO wird in diesem Zusammenhang ausdrücklich genannt, demjenigen, der gleichzeitig Inhaber eines Patents und eines Zertifikats ist, höchstens 15 Jahre Ausschließlichkeit ab der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen des betreffenden Arzneimittels im EWR einzuräumen.

Da die Rechtslage insoweit klar ist, muss die - von den Vorinstanzen bejahte - Frage, ob die in den Begründungserwägungen genannte Begrenzung des Ausschließlichkeitszeitraums auf 15 Jahre bei der Auslegung des Art 13 SchutzzertifikatsVO zu berücksichtigen ist, dem EuGH nicht zur Vorabentscheidung vorgelegt werden.

7. Das Erstgericht hat seiner Berechnung der Schutzzertifikatsfrist nur den Zeitraum zwischen der Bekanntmachung des Grundpatents und der ersten Genehmigung - abzüglich von fünf Jahren gemäß Art 13 SchutzzertifikatsVO - zu Grunde gelegt. Es hat daher als Fristende den ermittelt und damit jenen Zeitraum ausgeschieden, um den die Schutzdauer des Grundpatents gar nicht verkürzt worden ist.

Auch die Berücksichtigung des Umstands, dass das Grundpatent nur eine Schutzdauer von 18 Jahren aufwies, während Art 63 EPÜ, auf den Art 13 SchutzzertifikatsVO abstellt, eine solche von 20 Jahren vorsieht, steht der oben dargelegten Berechnungsmethode - jedenfalls im vorliegenden Verfahren - nicht entgegen.

Verlängert man nämlich die Schutzzertifikatsfrist um die Differenz von 2 Jahren, ergibt sich als Fristende der . Auch dieses Datum liegt vor dem von der Klägerin selbst zugestandenen Ende.

8. Da die von den Vorinstanzen angewendeten Berechnungsmethoden den Zielen der SchutzzertifikatsVO im Einklang entsprechen und jeweils ein Schutzfristende jedenfalls vor dem ergeben, musste die Revision erfolglos bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten gründet auf §§ 41, 50 ZPO.