OGH vom 26.11.1991, 5Ob107/91

OGH vom 26.11.1991, 5Ob107/91

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Dr. Klinger, Dr. Schwarz und Dr. Floßmann als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin Dorothea G*****, Private, ***** Wels, A***** Nr. 19, vertreten durch Dr. Harry Zamponi, Rechtsanwalt in Linz, wider den Antragsgegner Peter P*****, ***** Wels, L*****straße Nr. 22, vertreten durch Dr. Günter Kottek, Rechtsanwalt in Wels, sowie alle anderen Miteigentümer der Liegenschaft EZ ***** des Grundbuches ***** L*****, wegen Neufestsetzung des Heizkostenverteilungsschlüssels (§ 26 Abs. 1 Z 5 WEG iVm § 19 Abs. 2 Z 2 WEG) infolge Rekurses der Antragstellerin sowie des Antragsgegners Peter P***** gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wels als Rekursgerichtes vom , GZ R 387/91-49, womit der Sachbeschluß des Bezirksgerichtes Wels vom , GZ Msch 10/89-41, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

I. Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art. 89 Abs. 2 B-VG (Art. 140 Abs. 1 B-VG) an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, den mit der Wortfolge "ist der Verbrauch ..." beginnenden zweiten Halbsatz des § 19 Abs. 1 Z 1 WEG 1975, BGBl. 1975/417), idF des § 56 Z 2 MRG, BGBl. 1981/520, als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Mit der Fortführung des Rekursverfahrens wird gemäß § 62 Abs. 3 VerfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes innegehalten.

Text

Begründung:

Die Antragstellerin ist Miteigentümerin der Liegenschaft EZ ***** GB ***** mit den Häusern L*****straße 18, L*****straße 20, L*****straße 22, L*****straße 24, A***** 17 und A***** 19; sie verfügt (mit einem Mindestanteil von 818/158.847) über Wohnungseigentum an der Wohnung Nr. 2 im Haus A***** Nr. 19.

Die Wohnanlage wurde etwa 1970 fertiggestellt und wird seither von der Elektrizitätswerk W***** AG mit Wärmeenergie versorgt.

Seit der Heizperiode 1984 werden die Heizkosten der gesamten Wohnungseigentumsanlage nach Maßgabe des § 19 Abs. 1 Z 1 zweiter Halbsatz WEG 1975 auf die Miteigentümer aufgeteilt, nachdem mit gerichtlicher Bewilligung (Beschluß des Bezirksgerichtes Wels vom , 3 Nc 15/83) sämtliche Heizkörper mit Wärmezählern der Marke "Techem Clorius", Type HKV 80, ausgestattet worden waren. Obwohl der Antragstellerin wegen der exponierten Lage ihrer Wohnung eine Heizkostenreduktion gewährt wurde, hält sie den auf sie entfallenden Heizkostenanteil für zu hoch, weil er sich - bedingt durch Fehler der Meßgeräte, aber auch wegen der Eigenheiten der Heizanlage - nicht am tatsächlichen Verbrauch orientiere. Sie hat daher in einem gegen alle übrigen Miteigentümer der Wohnanlage angestrengten Verfahren nach § 26 Abs. 1 Z 5 WEG 1975 iVm § 19 Abs. 2 Z 2 WEG 1975 die Abänderung des Heizkostenverteilungsschlüssels in der Weise beantragt, daß jeder Miteigentümer entsprechend seinem Miteigentumsanteil zur Deckung der Heizkosten beitragen soll.

Das mit diesem Antrag befaßte Bezirksgericht Wels wies diesen Antrag ab; das Kreisgericht Wels als Rekursgericht hob jedoch diesen Beschluß über Rekurs der Antragstellerin auf, weil es - bei seiner auf § 19 Abs. 1 Z 1 zweiter Halbsatz WEG 1975 gestützten rechtlichen Beurteilung des Streitfalls - eine Verbreiterung der Entscheidungsgrundlagen für notwendig hielt. In dieser Entscheidung wurde die Zulässigkeit des Rekurses an den Obersten Gerichtshof ausgesprochen, um die Rechtsfrage zu klären, unter welchen ganz konkreten Voraussetzungen der Anteil am Gesamtverbrauch (noch) als feststellbar gilt, welche Komponenten hiebei einzufließen und welche außer Betracht zu bleiben haben und welche Fehlerquote (plus/minus) noch tolerierbar ist.

Gegen den Aufhebungsbeschluß des Rekursgerichtes haben sowohl die Antragstellerin als auch der Antragsgegner Peter P***** fristgerecht Rekurs erhoben. Das Rechtsmittel der Antragstellerin zielt primär darauf ab, die notwendige Verfahrensergänzung nicht dem Erstgericht, sondern dem Rekursgericht aufzutragen; daneben enthält es die Anregung, vom Verfassungsgerichtshof die Verfassungskonformität des § 19 Abs. 1 Z 1 zweiter Halbsatz WEG 1975 überprüfen zu lassen. Der zweite Rechtsmittelwerber möchte die abweisliche Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt haben; hilfsweise soll dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung auf Basis des bereits festgestellten Sachverhalts aufgetragen werden.

Vorläufig steht fest:

Die Heizwasservorlauftemperatur der gegenständlichen Wärmeversorgungsanlage wird - mit zwei Regelzonen - nach der Außentemperatur geregelt. Die Heizung ist nach dem Einrohrsystem konzipiert, wobei jeweils ein Rohrring für eine große Wohnung oder zwei kleine Wohnungen vorhanden ist. Die Heizkörper sind "reitend" angeschlossen, d.h., daß sich die Anschlüsse für Vor- und Rücklauf jeweils links und rechts unten am Heizkörper befinden. Als Erfassungsgeräte für den individuellen Heizenergieverbrauch sind an den einzelnen Heizkörpern Heizkostenverteiler nach dem Verdunstungsprinzip eingesetzt.

Diese Verdunstungszähler entsprechen dem Stand der Technik. Sie sind funktionstüchtig, erfassen also die an den Heizkörpern herrschenden Temperaturverhältnisse.

Bezüglich des Umfanges der Einrohrringe wird in der gegenständlichen Wohnanlage der Einsatzbereich laut den gültigen Normen überschritten. Heizkostenverteiler nach dem Verdunstungsprinzip sind nämlich für Einrohrheizungen, "sofern sie über den Bereich einer Nutzeinheit hinaus verwendet werden", nicht geeignet.

Bezüglich der Fehlerabschätzung ist technisch gesehen nur eine grobe Schätzung möglich. Ein wesentlicher Anteil des möglichen Fehlers ergibt sich durch die Wärmeabgabe der Rohrleitungen. Dieser Fehler benachteiligt von seiner Systematik her die Antragstellerin sowie andere Miteigentümer in exponierter Lage. Fehler, die aus der Anschlußart der Heizkörper resultieren, tendieren wahrscheinlich, aber nicht unbedingt in die gleiche Richtung. Fehler, die sich aus dem Umfang des Einrohrringes ergeben, sind von der Systematik her so gelagert, daß bei Anschluß mehrerer Wohnungen an einen Ring die Heizkostenverteiler in den Wohnungen am Beginn des Einrohrringes zu höheren Anzeigen tendieren, solche in Wohnungen am Ende des Einrohrringes zu niedrigeren. Versorgt der Einrohrring hingegen jeweils nur eine größere Wohnung, wie z.B. bei der Antragstellerin, so erfolgt dort am Beginn des Einrohrringes eine zu hohe und an dessen Ende eine zu niedrige Anzeige. Im Mittel über alle Heizkörper ergibt sich somit üblicherweise eine mittelhohe Anzeige. Ansonsten ist die Tendenz der Fehler je nach Nutzverhalten und jeweiligen Betriebsbedingungen dem Zufall unterworfen. Betrachtet man alle diese Fehlereinflüsse gemeinsam, so erscheint ein maximaler Fehler von etwa plus oder minus 30 bis 40 % in einzelnen Wohnungen der Wohnanlage nicht unmöglich. Dabei tendieren von der Systematik her die Anzeigen in der Wohnung der Antragstellerin zu hohen Werten. Allerdings beträgt auch die Grundfehlerquote bei Meßgeräten, die nach dem Verdunsterprinzip funktionieren, und zwar auch bei guten Geräten, 20 bis 25 %. Eine Fehlerquote von plus/minus 50 % ist unwahrscheinlich, aber nicht absolut ausgeschlossen.

Im gegenständlichen Fall wurden zur Verminderung des Einflusses exponierter Wohnungslagen auf die Heizkosten Reduktionsfaktoren eingeführt. Diese wurden für die Wohnung der Antragstellerin und für andere besonders exponierte Wohnungen sogar vergrößert. Das Verwenden von Reduktionsfaktoren ist branchenüblich, jedoch von Abrechnungsunternehmen zu Abrechnungsunternehmen unterschiedlich. Der Umstand, daß sich die Wohnung der Antragstellerin in sehr exponierter Lage befindet, bedingt teilweise den hohen Verbrauch.

Bei Verwendung von elektronischen Heizkostenverteilern, die nach den geltenden Normen geeignet wären, wäre bei der derzeitigen Betriebsweise der Heizung eventuell mit noch größeren Diskrepanzen zu rechnen als jetzt. Der Hauptanteil des Fehlerpotentials ergibt sich aus dem Heizungskonzept in Kombination mit einer hohen Heizmitteltemperatur.

Rechtliche Beurteilung

Die nunmehr zur Behandlung vorliegenden Rekurse sind gemäß § 26 Abs. 2 WEG iVm § 37 Abs. 3 Z 16 und 18 MRG sowie § 528 Abs. 1 ZPO zulässig. Sie führen dazu, daß der Oberste Gerichtshof die Bestimmung des § 19 Abs. 1 Z 1 zweiter Halbsatz WEG anzuwenden hat, um die vom Rekursgericht aufgeworfene Rechtsfrage zu klären, sei es auch nur zur Absteckung des Rahmens für die noch ausstehende Verfahrensergänzung.

Der erkennende Senat hat aus folgenden Erwägungen Bedenken gegen die Verfassungskonformität der anzuwendenden Norm:

Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G 43/91-9, wurde der zweite Satz in § 14 Abs. 1 des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes, BGBl. Nr. 139/1979, idF des § 55 Z 2 des Mietrechtsgesetzes, BGBl. Nr. 520/1981, als verfassungswidrig aufgehoben, weil die Aussagekraft der zur Feststellung des Verbrauches (Verbrauchsanteiles) geeigneten Geräte aus vielfältigen Gründen sehr unterschiedlich ist und die durch eine solche Regelung häufig benachteiligte Minderheit es auch nicht in der Hand hat, die für eine genauere Verbrauchsfeststellung erforderlichen Maßnahmen zu setzen. Damit erweise sich das vom Gesetz geforderte (bloße) Anknüpfen an das Vorhandensein besonderer Vorrichtungen zur Verbrauchsfeststellung wegen der Starrheit des Schlüssels und der Größe des nach den Meßergebnissen aufzuteilenden Kostenanteils als unsachliche Einschränkung des den Beteiligten für allfällige Vereinbarungen (unter Kontrolle des Gerichts) zustehenden Beurteilungsspielraums. Wenn der Gesetzgeber meine, sich nicht mit der Anordnung begnügen zu können, daß ein bestimmter Anteil jener Verbrauchskosten nach dem Verbrauchsanteil verteilt wird, auf die der einzelne Abnehmer selbst meßbar Einfluß hat, müsse er die Voraussetzungen der Aufteilung sämtlicher Verbrauchskosten sachgerechter bestimmen.

Die hier anzuwendende Gesetzesbestimmung entspricht der aufgehobenen Norm. Sie ist im Zuge einer gleich motivierten und auch gleich gestalteten Festlegung der Verteilungsgrundsätze für Heizkosten in Miet-, Genossenschafts- und Eigentumswohnungen in das WEG 1975 aufgenommen worden und sollte sowohl in § 14 Abs. 1 WGG als auch in § 24 Abs. 1 MRG und § 19 Abs. 1 WEG 1975 zu "analogen" Regelungen führen (268 BlgNR, XV. GP, 14).

Damit treffen die zur Aufhebung des zweiten Satzes in § 14 Abs. 1 des WGG idF des § 55 Z 2 MRG führenden Gründe auch auf § 19 Abs. 1 Z 1 zweiter Halbsatz WEG 1975 idF des § 56 Z 2 MRG zu.