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OGH vom 18.03.1997, 1Ob2364/96w

OGH vom 18.03.1997, 1Ob2364/96w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna K*****, vertreten durch Dr.Werner Hetsch und Dr.Werner Paulinz, Rechtsanwälte in Tulln, wider die beklagte Partei Thusnelda K*****, vertreten durch Dr.Peter Ponschab, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 280.000 sA infolge von Revisionen der klagenden Partei (Revisionsinteresse S 240.000) und der beklagten Partei (Revisionsinteresse S 40.000) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgerichts vom , GZ 16 R 67/96g-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 12 Cg 288/95a-8, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

I. zu Recht erkannt:

Spruch

1. Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die Kostenentscheidung bleibt insoweit dem Endurteil vorbehalten.

II. den

Beschluß

gefaßt:

Der Revision der klagenden Partei wird dagegen Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden soweit, als darin über das Teilbegehren der klagenden Partei im Betrag von S 240.000 sA abgesprochen wurde, aufgehoben; in diesem Umfang wird die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Insoweit sind die Kosten des Rechtsmittelverfahrens weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am verstorbene Erblasser hinterließ neben seiner Witwe, der Klägerin (noch im Berufungsverfahren Erstklägerin), zwei Töchter, die Zweitklägerin des Verfahrens erster und zweiter Instanz und die Beklagte. Den Streitteilen wurde der Nachlaß - der Reinnachlaß beträgt S 2,459.501,93 - je zu einem Drittel eingeantwortet. Der Pflichtteilsanspruch der drei Erbinnen beträgt je ein Sechstel des Reinnachlasses. Der Erblasser hatte eine Liegenschaft mit dem Haus, in dem er bis zu seinem Tod mit der Klägerin gelebt hatte, mit seinem im Verlassenschaftsverfahren kundgemachten Kodizill vom der Beklagten vermacht. Im Verlassenschaftsverfahren erklärte die anwaltlich vertretene Klägerin, ihr gesetzliches Vorausvermächtnis (im folgenden auch nur Voraus) nicht anzunehmen, jedoch den vollen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen. Das Verlassenschaftsgericht nahm diese Erklärung in seinem Mantelbeschluß zur Kenntnis.

Die Klägerin begehrte von der Beklagten als Pflichtteilsergänzung einen Betrag von S 280.000 und brachte dazu vor, diese beabsichtige zwar, die ihr (und ihrer zweiten Tochter) gebührende Pflichtteilsergänzung in Geld auszugleichen, ziehe indes bei deren Berechnung den mit S 240.000 bewerteten Voraus der Klägerin ab. Dazu sei die Beklagte jedoch nicht berechtigt, da die Klägerin das gesetzliche Vorausvermächtnis ausgeschlagen habe, weil sie angesichts ihrer Pflegebedürftigkeit in der Ehewohnung nicht habe bleiben können. Da die Beklagte den Wert des Wohnrechts auch vom Wert der als Legat ausgesetzten Liegenschaft in Abzug bringe, erleide die Klägerin bei der Pflichtteilsdeckung einen weiteren Ausfall von S 40.000; um diesen Betrag vermindere sich dadurch der für die Pflichtteilsberechnung maßgebliche Sechstelanteil am Reinnachlaß.

Die Beklagte wendete im wesentlichen ein, bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs der Klägerin sei auf deren Vorausvermächtnis Bedacht zu nehmen. Diese sei nicht berechtigt, anstatt des Voraus einen Geldbetrag zu beanspruchen. Der Höhe nach werde das Klagebegehren nicht bestritten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es meinte in rechtlicher Hinsicht, durch den zulässigen Verzicht auf den Voraus sei der Nachlaß von der Last des Wohnrechts befreit worden, was zwangsläufig zur Pflichtteilserhöhung führe. Der Klägerin dürfe der Voraus nicht in natura aufgezwungen werden.

Das Gericht zweiter Instanz gab dem Klagebegehren bloß mit S 40.000 S sA statt, wies das Mehrbegehren von S 240.000 sA ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es führte aus, bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs sei vom „reinen Nachlaß“ auszugehen, von dem der Voraus nicht abzuziehen sei. Die Reduktion des Liegenschaftswerts infolge des Voraus um S 240.000 (und damit der Pflichtteilsergänzungsansprüche der beiden Miterbinnen um je S 40.000) sei unberechtigt. Damit hätten diese gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von je S 40.000. Das Mehrbegehren der Klägerin auf Zahlung weiterer S 240.000 scheitere hingegen daran, daß der Noterbe den Voraus wie jedes andere Vermächtnis als Pflichtteil annehmen müsse und nur die unbequeme Mehrzuwendung ausschlagen könne. In Höhe der durch den Erbteil zugewendeten Deckung könne kein Geldanspruch geltend gemacht werden. Das müsse auch für die Pflichtteilsdeckung durch Vermächtnisse gelten; für eine abweichende Behandlung des gesetzlichen Vorausvermächtnisses bestehe kein Anlaß. Der pflichtteilsberechtigte Ehegatte müsse sich daher die Deckung seines Pflichtteils gefallen und trotz seines Verzichts auf den Voraus dessen Wert auf seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch anrechnen lassen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist nicht, jene der klagenden Partei ist hingegen berechtigt.

1. Zur Revision der beklagten Partei:

Im vorliegenden Fall ist die pflichtteilsberechtigte Klägerin gesetzliche Erbin und die beklagte Miterbin zum überwiegenden Teil Vermächtnisnehmerin. Soweit daher die Beklagte nach § 783 ABGB selbst - im Verhältnis ihrer Wertbeteiligung am Nachlaß - beitragspflichtig ist, kann sie von der Klägerin voll und nicht bloß im Verhältnis ihrer Erbquote in Anspruch genommen werden (SZ 65/73 ua). Das Pflichtteilsrecht ist darauf ausgerichtet, den Pflichtteilsberechtigten in bestimmter Weise am Vermögen des Erblassers im Zeitpunkt seines Ablebens teilnehmen zu lassen. Da der Pflichtteilsberechtigte, wäre er gesetzlicher Erbe, auch die zum Nachlaß gehörigen Schulden mitzutragen hätte, kann sein Forderungsrecht nicht nur auf Grund der Nachlaßaktiven errechnet werden, sondern ist vom „reinen Nachlaß“ (§ 105 AußStrG), das ist der um die Passiven verminderte Rohnachlaß, auszugehen. Als solche Passiven sind von den Nachlaßaktiven aber nur Erblasserschulden und die Erbfallschulden, nicht jedoch auch die Vermächtnisse und damit auch das gesetzliche Vorausvermächtnis des Ehegatten, der sich dieses jedoch in seinen Pflichtteil einrechnen lassen muß, sowie die übrigen aus dem letzten Willen entspringenden Lasten (§ 786 ABGB) abzuziehen (Koziol/Welser10 , II 382; Welser in Rummel, ABGB2 § 784 Rz 8; ders. in NZ 1978, 164; Eccher in Schwimann, ABGB § 784 Rz 12). Daraus folgt, wie das Berufungsgericht insoweit zutreffend erkannte, daß der Voraus der Klägerin von der Pflichtteilsbemessungsgrundlage auch dann nicht abzuziehen wäre, wenn sie auf ihn nicht verzichtet hätte.

Der Revision der Beklagten kann daher jedenfalls kein Erfolg beschieden sein, sodaß die berufungsgerichtliche Entscheidung in diesem Umfang als Teilurteil zu bestätigen ist.

2. Zur Revision der klagenden Partei:

Gemäß § 758 ABGB idFd EheRÄndG (BGBl 1978/280) und ErbRÄG (BGBl 1989/656) gebühren dem überlebenden Ehegatten, sofern er nicht rechtmäßig enterbt worden ist, als gesetzliches Vorausvermächtnis (Voraus) das Recht, in der Ehewohnung weiter zu wohnen, und die zum ehelichen Haushalt gehörenden beweglichen Sachen, soweit sie zu dessen Fortführung entsprechend den bisherigen Lebensverhältnissen erforderlich sind. Die Erweiterung des Voraus um das Recht, in der Ehewohnung weiter zu wohnen, ist am in Kraft getreten und anzuwenden, wenn der Erblasser, wie hier, nach diesem Zeitpunkt gestorben ist (SZ 65/68). Durch dieses Vorausvermächtnis sollen nach der erklärten Absicht des Gesetzgebers (JAB, 1158 BlgNR 17.GP, 4) dem überlebenden Ehegatten seine bisherigen Lebensverhältnisse erhalten und gesichert werden: Der Tod des Ehegatten soll nicht dazu führen, daß der andere die ihm vertrauten Dinge des Alltags verliert, vielmehr soll der hinterbliebene Ehegatte seine gewohnte Umgebung beibehalten können. Dieses Recht soll also dem überlebenden Ehegatten das „Dach über dem Kopf“ auch in jenen Fällen sichern, in welchen das nicht ohnehin Sondernormen (§ 14 Abs 2 und 3 MRG; § 10 WEG) gewährleisten (SZ 65/68 ua). Der - im Verhältnis zu den erbrechtlichen Sonderregelungen über die Wohnung subsidiäre (SZ 67/206; SZ 66/102; SZ 65/67 je mwN) - Voraus gewährt einen schuldrechtlichen Anspruch gegenüber dem Erben oder, da das gesetzliche Vorausvermächtnis als Sublegat anzusehen ist, wenn der Erblasser die Ehewohnung, wie auch im vorliegenden Fall, einem anderen als Legat ausgesetzt hat (JAB aaO 5), dem durch das Untervermächtnis Beschwerten. Belastet kann somit auch jene Person sein, die die Ehewohnung oder die Liegenschaft, auf der sich die Ehewohnung befunden hat, durch ein Vermächtnis (JAB aaO 5) erwirbt (SZ 67/206; SZ 66/102 ua); auch eine Liegenschaft mit Haus und Garten kann in diesem Sinn „Ehewohnung“ sein (SZ 66/102 mwN; EFSlg 57.305; Adensamer, Erbrechtsänderungsgesetz 1989, ÖA 1991, 8). Der Anspruch des überlebenden Ehegatten auf die Ehewohnung bleibt inhaltlich gleich; sein bisheriges, gegen den Ehegatten zustehendes Benützungsrecht setzt sich als Anspruch gegen den Vermächtnisschuldner fort (SZ 66/102; Eccher, Zum neuen Wohnrecht des überlebenden Ehegatten, WoBl 1991, 1 [5]). Das Recht, in der Wohnung weiter zu wohnen, ist ein gesetzliches Vorausvermächtnis mit Pflichtteilscharakter und unterliegt grundsätzlich den Regeln des Vermächtnisrechts (JAB aaO 4; EvBl 1996/45; SZ 67/206 mwN; Kralik, Erbrecht3 246; Adensamer aaO; Welser, Die Erbrechtsreform 1989, NZ 1990, 142). Im vorliegenden Fall gilt es nun die Frage zu prüfen, ob sich der überlebende Ehegatte bei Ausschlagung des gesetzlichen Vorausvermächtnisses unter Vorbehalt des Geldpflichtteils dennoch die Pflichtteilsdeckung durch den ihm somit gar nicht zugekommenen Voraus gefallen lassen muß:

Nach § 774 ABGB kann der Pflichtteil in Gestalt eines Erbteils oder Vermächtnisses, auch ohne ausdrückliche Benennung des Pflichtteils, hinterlassen werden; er muß aber dem Noterben ganz frei bleiben. Gemäß § 775 ABGB kann der Noterbe, welcher ohne die in den §§ 768 bis 773 ABGB vorgeschriebenen Bedingungen enterbt worden ist, den ihm gebührenden vollen Pflichtteil, und wenn er in dem reinen Betrag des Pflichtteils verkürzt worden ist, die Ergänzung desselben fordern. § 808 dritter Satz ABGB gibt Personen, denen ein Pflichtteil gebührt, das Recht, die Erbschaft mit Vorbehalt ihres Pflichtteils auszuschlagen und sich auf den nach § 774 ABGB unbelasteten Pflichtteil zu beschränken. Gemäß § 787 Abs 1 ABGB wird bei Bestimmung des Pflichtteils alles, was die Noterben durch Legate oder andere Verfügungen des Erblassers wirklich aus der Verlassenschaft erhalten, in Rechnung gebracht. Nach § 789 ABGB sind schließlich überhaupt in den Pflichtteil die als Vorschuß darauf geleisteten Zuwendungen des Erblassers unter Lebenden einzurechnen; in den Pflichtteil des Ehegatten außerdem alles, was er als gesetzliches Vorausvermächtnis erhält. Die „Hinzurechnungsmethode“, die der Oberste Gerichtshof in JB 114 = GlU 9872 dazu entwickelt hat (vgl dazu auch Eccher aaO § 789 Rz 9) bleibt auf die davon betroffenen Vorschüsse beschränkt (Anrechnung im engeren Sinn), weil der Voraus ohnehin aus dem Nachlaß herrührt, so daß es soweit einer Hinzurechnung gar nicht bedarf: Der - durch Kapitalisierung zu ermittelnde - Wert des zum gesetzlichen Vorausvermächtnis gehörigen Wohnrechts ist einfach vom Pflichtteil des überlebenden Ehegatten abzuziehen (Zankl, Das gesetzliche Vorausvermächtnis des Ehegatten, 125 mwN); insoweit findet dadurch eine teilweise oder gänzliche Pflichtteilsdeckung statt (vgl Eccher Erg § 758 Rz 2).

Im allgemeinen, also bei sonstigen (letztwilligen) Zuwendungen, geht die jüngere Lehre im Hinblick auf § 774 und § 787 Abs 1 ABGB davon aus, daß der Noterbe die Pflichtteilsdeckung hinnehmen muß und nicht an deren Stelle den Pflichtteil in Geld verlangen kann (Zankl aaO 165 mwN in FN 360; Welser in Rummel aaO § 808 Rz 3 mwN). In seiner in JBl 1997, 166, veröffentlichten Entscheidung vom , 6 Ob 666/95, hat sich der Oberste Gerichtshof unter Darstellung des Meinungsstands dieser Auffassung angeschlossen und die gegenteilige Ansicht von Weiß (in Klang2 III 1009) und Rechberger (Die Ausschlagung der letztwilligen Zuwendung durch den Pflichtteilsberechtigten, JBl 1973, 292) ausdrücklich abgelehnt, die diese (so bezeichnete) „Antinomie des ABGB“ dadurch beseitigen wollen, daß sie dem Noterben das Recht einräumen, zwischen Annahme der letztwilligen Zuwendung und Verlangen nach dem Pflichtteil in Geld anstelle der vom Erblasser zugewendeten Pflichtteilsdeckung zu wählen. § 808 dritter Satz ABGB gebe dem Noterben entgegen der allgemeinen Regel bloß das Recht, den zugewendeten Erbteil teilweise, das heißt, soweit er den Pflichtteil deckt, lastenfrei anzunehmen und die unbequeme Mehrzuwendung auszuschlagen, wogegen ein Geldanspruch in Höhe der durch den Erbteil oder das Vermächtnis zugewendeten Deckung nicht geltend gemacht werden könne.

Diese Auffassung wird vom erkennenden Senat im grundsätzlichen gebilligt, doch kann die ihr zugrundeliegende Argumentation angesichts des damit vom Gesetzgeber verfolgten Zwecks nicht einfach unreflektiert auf das gesetzliche Vorausvermächtnis des Ehegatten ausgedehnt werden. § 789 ABGB ordnet die Einrechnung des Voraus in den Pflichtteil des Ehegatten ausdrücklich an, obgleich sich das wohl schon aus § 787 Abs 1 ABGB ergibt, wogegen ihn § 774 („Wie der Pflichtteil zu hinterlassen“) nicht besonders erwähnt, so daß diese Bestimmung - entgegen Zankl (aaO 165) und Eccher (aaO Rz 9) - dem letztwilligen Vermächtnis gegenüber einer differenzierteren Beurteilung des gesetzlichen Vorausvermächtnisses des überlebenden Ehegatten nicht entgegensteht: Diese Bestimmung gehörte dem ABGB schon in dessen Urfassung an, in der es gesetzliche Vorausvermächtnisse noch nicht kannte, und ist weder durch das Eherechts-Änderungsgesetz (BGBl 1978/280) noch durch das Erbrechtsänderungsgesetz (BGBl 1989/656) geändert worden. Die Bestimmung ist somit in systematischer Hinsicht und auch ihrem Wortlaut nach (arg „...auch ohne ausdrückliche Benennung des Pflichtteiles ...“) auf letztwillig ausgesetzte Vermächtnisse zugeschnitten (Zankl aaO 165) und kann gerade deshalb, aber auch mit Rücksicht auf den vom Gesetzgeber mit dem Ehegattenvoraus verfolgten Zweck nicht uneingeschränkt auf diesen übertragen werden.

Mit Hilfe des Voraus sollen dem überlebenden Ehegatten - wie schon weiter oben dargelegt - dessen bisherige Lebensverhältnisse, somit dessen ideelle Interessen an der Beibehaltung der gewohnten Umgebung (Zankl aaO 117, 244) mitsamt dem Hausrat, gewahrt bleiben. Was indes rechtens sein soll, wenn dem überlebenden Ehegatten die Beibehaltung der bisherigen Lebensverhältnisse aus Gründen, die er sich nicht zurechnen lassen muß, vor allem wenn er infolge seines Alters oder seiner angegriffenen Gesundheit dauernder Pflege bedarf, nicht zumutbar oder gar überhaupt unmöglich ist, kann weder unmittelbar dem Gesetz selbst noch den - sonst ungewöhnlich ausführlichen - Materialien (vor allem JAB 1158 BlgNR 17.GP) entnommen werden: Danach ist das Recht zum Weiterwohnen dem im Familienrecht begründeten Wohnrecht vergleichbar, besteht, solange der hinterbliebene Ehegatte die Wohnung persönlich beansprucht, und erlischt, wenn er auszieht oder stirbt. Der Anspruch ist nur dann erfüllt, wenn die Erben (bzw Vermächtnisnehmer) alles tun, um dem Ehegatten das Wohnen auf Dauer zu ermöglichen (JAB aaO 4). Das gesetzliche Vermächtnis soll diesem die Beibehaltung der vertrauten Umgebung sichern. War er dagegen in der Absicht aus der Wohnung ausgezogen, dorthin nicht wieder zurückzukehren, wird von einem „Weiterwohnen“ nicht die Rede sein können (JAB aaO 5). Von dem - so naheliegenden, dem soeben geschilderten Sachverhalt durchaus vergleichbaren - Fall, daß der hinterbliebene Ehegatte die Ehewohnung allein alters- bzw krankheitsbedingt nicht weiterbenützen kann, ist dagegen in den Materialien nicht die Rede. Es kann aber keine Frage sein, daß der Gesetzgeber den hinterbliebenen Ehegatten mit der Einführung (durch § 69 der 1.TN) und den Ausbau (durch das EheRÄndG und das ErbRÄG) des gesetzlichen Vorausvermächtnisses nicht benachteiligen, sondern seinen Verbleib in der gewohnten Umgebung sichern und ihn damit jedenfalls in dessen Pflichtteilsanspruch, der erst durch das EheRÄndG eingeführt wurde, jedenfalls nicht beschneiden wollte; mit der Erweiterung des Ehegattenvoraus durch das ErbRÄG sollte das gewiß nicht verbunden sein. Gerade das wäre aber die Folge der vom Berufungsgericht gewählten Lösung: Kann der hinterbliebene Ehegatte das mit dem gesetzlichen Vorausvermächtnis gewährte Wohnrecht aus nicht von ihm zu vertretenden Umständen schon von vornherein nicht in Anspruch nehmen, wäre es aber dennoch auch dann in seinen Pflichtteil einzurechnen, so liefe die unreflektierte Ausdehnung der Einrechnungsvorschriften (§ 787 Abs 1 und § 789 zweiter Halbsatz ABGB) auch auf solche Fälle auf eine spürbare Kürzung, in nicht seltenen Fällen sogar auf eine - faktische - Beseitigung des Pflichtteilsanspruchs des Ehegatten hinaus; ein solches Ergebnis stünde indessen mit der aus dem Motivenbericht hervorleuchtenden Absicht des Gesetzgebers in auffallendem Widerspruch:

Ist dem überlebenden Ehegatten, der nach der erklärten Absicht des Gesetzgebers durch den Voraus abgesichert werden soll, die Beibehaltung der gewohnten Umgebung aus Gründen, für die er nicht einzustehen hat, nicht zuzumuten oder gar unmöglich, wäre es mit dem mit dem Voraus verfolgten Zweck nicht in Einklang zu bringen, würde der Ehegatte bei der Berechnung seines Pflichtteilsanspruchs dadurch benachteiligt, daß der für ihn von vornherein völlig nutzlose Voraus in den Pflichtteil eingerechnet wird. Unterbleibt dagegen in solchen Fällen die Einrechnung aus diesem Grund, so ist damit keineswegs eine Erhöhung des Pflichtteils des Ehegatten verbunden, sondern wird dieser bloß von einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Minderung seines Anspruchs bewahrt. Soll auch jenem Ehegatten, der von solchen Umständen betroffen das Recht, die Ehewohnung weiterzubewohnen, nicht in Anspruch nehmen kann, der ungekürzte Pflichtteil gesichert bleiben, so müssen jene Vorschriften, deren unreflektierte Anwendung auf den gesetzlichen Voraus zum gegenteiligen Ergebnis führen könnte (die §§ 774, 787 und 789 ABGB), einer teleologischen Reduktion (dazu F.Bydlinski in Rummel aaO § 7 Rz 7) unterzogen werden. Daraus folgt:

Für die Pflichtteilsergänzung ist zwar grundsätzlich auch das gesetzliche Vorausvermächtnis des überlebenden Ehegatten (§ 758 ABGB)pflichtteilsdeckend einzurechnen, ohne daß der Ehegatte zwischen dem Voraus und dessen Abgeltung in Geld wählen könnte. Ist aber dem hinterbliebenen Ehegatten aus nicht von ihm zu vertretenden Gründen, vor allem wegen alters- bzw krankheitsbedingter Pflegebedürftigkeit, das Verbleiben in der Ehewohnung nicht zumutbar oder gar unmöglich, so kann er den für ihn nutzlosen Voraus unter Vorbehalt seines ungekürzten Pflichtteilsanspruchs ausschlagen.

Im übrigen scheint auch Zankl (aaO 249 und FN 409) - wenn auch in anderem Zusammenhang - eine vergleichbare Lösung vorzuschweben: Soweit der überlebende Ehegatte den vorzeitigen Verlust des mit dem Voraus verbundenen Wohnrechts akzeptieren müsse, lebe sein um den Wert dieses Wohnrechts verminderter Pflichtteilsanspruch wieder auf. Teilt man diese Auffassung, dann wäre es aber wohl erst recht ein Wertungswiderspruch, müßte sich der überlebende Ehegatte den für ihn von vornherein ganz und gar nutzlosen Voraus in seinen Pflichtteilsanspruch einrechnen lassen.

Ob das Begehren der Klägerin auf Zuspruch des der Höhe nach unbestrittenen Werts des ausgeschlagenen Voraus (S 240.000) berechtigt ist oder nicht, hängt somit von der Lösung der Frage ab, ob ihr der Verbleib in der Ehewohnung möglich und zumutbar, nicht zumutbar oder gar unmöglich war. Um diese streitentscheidende Frage zu klären, wird das Erstgericht - gegebenenfalls nach Erörterung mit den Parteien - die erforderlichen Feststellungen im fortgesetzten Verfahren nachzutragen haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 und 2 ZPO.