OGH vom 24.04.2002, 3Ob108/02g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Eugen E*****, vertreten durch Rechtsanwälte Brüggl & Harasser OEG in Kitzbühel, wider die beklagte Partei Gerda E*****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Klaus Reisch und Dr. Anke Reisch KEG in Kitzbühel, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 1 C 60/96d des Bezirksgerichts Krems an der Donau (Streitwert 392.000 S = 28.487,75 EUR) infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 239/01m-42, womit unter anderem die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Krems an der Donau vom , GZ 1 C 12/99z-27, in der Fassung des Berichtungsbeschlusses vom , GZ 1 C 12/99z-29, zurückgewiesen wurden, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird, soweit er sich auf die Zurückweisung der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Krems an der Donau vom , GZ 1 C 12/99z-27, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom , GZ 1 C 12/99z-29, bezieht, ersatzlos behoben und dem Gericht zweiter Instanz die Sachentscheidung über die Berufung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung:
Die Beklagte erwirkte im Scheidungsprozess der Streitteile eine einstweilige Verfügung. Danach war der Kläger verpflichtet, der Beklagten ab 25.000 S monatlich an einstweiligem Unterhalt bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Scheidungsprozess zu zahlen. Dieser Unterhaltstitel wurde nach Rechtskraft des Scheidungsurteils mit Beschluss des Bezirksgerichts Krems an der Donau vom mit Wirksamkeit ab rechtkräftig aufgehoben.
Der Kläger strebte die Wiederaufnahme des Verfahrens über die Unterhaltsverfügung, die Aufhebung der Entscheidungen aller drei Instanzen sowie die Abweisung des Provisorialantrags an.
Die Beklagte beantragte Klageabweisung.
Das Erstgericht wies die Wiederaufnahmeklage ab. Dieses Urteil wurde dem Kläger am zugestellt.
Dagegen erhob der Kläger die am zur Post gegebene Berufung.
Das Berufungsgericht wies die Berufung zurück. Es erwog in rechtlicher Hinsicht: Die Wiederaufnahme des Provisorialverfahrens nach Bestimmung eines einstweiligen Unterhalts sei aufgrund der Entscheidungspraxis des Obersten Gerichtshofs (8 Ob 585/93 = EvBl 1994/60) analog § 530 ZPO zulässig. Die Gerichtsferien hätten jedoch gemäß § 223 Abs 2 ZPO auf das Exekutionsverfahren keinen Einfluss. Gemäß § 224 Abs 1 Z 6 ZPO seien Anträge auf Bewilligung, Einschränkung oder Aufhebung einstweiliger Verfügungen Ferialsachen. Nach der älteren Rsp des Obersten Gerichtshofs (SZ 21/6; SZ 12/241; SZ 11/258) seien die Nichtigkeits- und die Wiederaufnahmeklage mangels einer entsprechenden Verfahrensnorm nicht Ferialsachen kraft Gesetzes. Das gelte auch dann, wenn die Hauptsache eine Ferialsache gewesen sei. Erst nach Aufhebung der mit Wiederaufnahmeklage bekämpften Entscheidung(en) sei das Erneuerungsverfahren nach den für die Hauptsache geltenden Verfahrensbestimmungen abzuwickeln. Sei die Hauptsache eine Ferialsache, so gelte das auch für das Erneuerungsverfahren. Da sich die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Wiederaufnahmeklage auf Unterhaltsverfügungen auf einen Analogieschluss stütze und gemäß § 224 Abs 1 Z 6 ZPO alle Anträge auf Bewilligung, Einschränkung oder Aufhebung einstweiliger Verfügungen Ferialsachen seien, sei die Rsp zur Qualifikation der Wiederaufnahmeklage als Nichtferialsache während des Aufhebungsverfahrens insoweit nicht fortzuschreiben. Nach einem Erfolg der Wiederaufnahmeklage werde die im Sicherungsverfahren erlassene Sachentscheidung beseitigt. Deshalb sei die Wiederaufnahmeklage dem Verfahren auf Aufhebung einer einstweiligen Verfügung ähnlich. Es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn das exekutive Aufhebungsverfahren, nicht aber das Verfahren über eine Wiederaufnahmeklage Ferialsache sei. Sei aber die im Anlassfall maßgebende Wiederaufnahmeklage als Ferialsache anzusehen, so sei die erst am zur Post gegebene Berufung verspätet.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs des Klägers ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig; er ist auch berechtigt.
1. Nach der Entscheidungspraxis des Obersten Gerichtshofs (SZ 21/6) ist die Wiederaufnahmeklage eine Klage besonderer Art, mit der eine bereits ergangene durch eine für den Kläger günstigere Entscheidung ersetzt werden soll. Weil Streitigkeiten über Wiederaufnahme- und Nichtigkeitsklagen in § 224 Abs 1 ZPO nicht aufgezählt seien (s zu Nichtigkeitsklagen ferner MietSlg 3.574; SZ 11/258), gehörten solche Klagen nicht zu den Ferialsachen kraft Gesetzes. Das Verfahren könne daher nur gemäß § 224 Abs 2 ZPO durch Gerichtsbeschluss zur Ferialsache erklärt werden. Nach Aufhebung der Vorentscheidung sei jedoch das Erneuerungsverfahren unter Anwendung der für die Hauptsache geltenden Bestimmungen durchzuführen. Sei daher die Hauptsache Ferialsache, so treffe das auch auf das Erneuerungsverfahren zu. Diese - im Schrifttum gebilligte (Gitschthaler in Rechberger2 § 224 ZPO Rz 6) - Sicht der Rechtslage beruht, wie offenkundig im Lichte der §§ 540 Abs 1, 541 Abs 1 ZPO in einer noch älteren Entscheidung (SZ 12/241) ausgesprochen wurde, auf dem Grundsatz, dass das Wiederaufnahmeverfahren "bis zur Bewilligung der Wiederaufnahme ein selbstständiger Rechtsstreit" sei, für den die allgemeinen Bestimmungen der Prozessordnung über die Dauer von Fristen und deren Unterbrechung durch die Gerichtsferien gelten.
2. Die Wiederaufnahmeklage im Anlassfall gründet sich offenkundig auf jene Erwägungen, die der Entscheidung 8 Ob 585/93 (= EvBl 1994/60) zugrunde liegen. Dort wurde die Möglichkeit der Wiederaufnahme eines durch die Zuerkennung einstweiligen Unterhalts erledigten Sicherungsverfahrens damit begründet, dass die Aufhebung oder Einschränkung einer einstweiligen Verfügung wegen Umständen, die bereits im Zeitpunkt ihrer Erlassung maßgebend waren, nicht in Betracht komme.
Das Provisorialverfahren ist seinen gesetzlichen Grundlagen nach ein summarisches Eilverfahren (siehe etwa Zechner, Sicherungsexekution und Einstweilige Verfügung § 378 Rz 1 [S. 104] mN aus der Rsp). Das gilt nicht nur für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, sondern auch für sonstige Entscheidungen im Rahmen des Sicherungsverfahrens. Das wird für das Aufhebungs- bzw Einschränkungsverfahren gemäß § 399 EO vor allem dadurch verdeutlicht, dass die geltend gemachten Aufhebungs- bzw Einschränkungsgründe nicht zu beweisen, sondern bloß glaubhaft zu machen sind (EvBl 1999/78; Kodek in Angst, EO § 399 Rz 40; Zechner aaO § 399 Rz 6 [S. 266]). Das Bescheinigungsverfahren ist immer summarisch und nicht an die Förmlichkeiten eines Beweisverfahrens nach der Zivilprozessordnung gebunden (Rechberger in Rechberger2 § 274 ZPO Rz 3). Die Einordnung des Aufhebungs- bzw Einschränkungsverfahrens unter die Ferialsachen gemäß § 224 Abs 1 Z 6 EO geschah wegen dessen Eilbedürftigkeit, sind doch Ferialsachen, wie aus § 224 Abs 2 ZPO abzuleiten ist, immer durch den Gesichtspunkt der Dringlichkeit charakterisiert. Das wird auch in der Entscheidung SZ 21/6 hervorgehoben. Dementgegen erfolgt die Beseitigung einer die Sache erledigenden Entscheidung wegen eines Umstands, der, wäre er aktenkundig gewesen, bereits anlässlich deren Erlassung bedeutsam gewesen wäre, nicht in einem summarischen Eilverfahren, sondern nach Prüfung der Klagegründe einer Wiederaufnahmeklage in einem förmlichen Beweisverfahren. Ein solches Aufhebungsverfahren ist nicht schon ex lege als dringlich anzusehen. Das ergibt sich aus dem in der eingangs referierten Rsp hervorgehobenen Gesichtspunkt, dass der Gesetzgeber die Wiederaufnahmeklage in den Katalog der Ferialsachen nach § 224 Abs 1 ZPO nicht aufnahm.
Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen bestehen sachliche Gründe für ein Festhalten an der vom Berufungsgericht abgelehnten Rsp des Obersten Gerichtshofs. Deren Fortschreibung wirft also nicht den im angefochtenen Beschluss erörterten Wertungswiderspruch auf. Für eine Analogiebildung, wie sie das Berufungsgericht für geboten hält, mangelt es vielmehr an einer ungewollten Gesetzeslücke (siehe dazu im Einzelnen EvBl 1999/78 mwN). Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher nicht veranlasst, für die Wiederaufnahmeklage gegen eine Leistungsverfügung von seiner einleitend wiedergegebenen Rsp abzugehen. Damit erweist sich aber die vom Kläger am zur Post gegebene Berufung als rechtzeitig, weil die Berufungsfrist erst am in Gang gesetzt wurde und der letzte Fristtag () auf einen Sonntag fiel.
Dem Rekurs ist somit Folge zu geben und der angefochtene Beschluss ersatzlos zu beheben.
3. Der Ausspruch über die Kosten des Rekursverfahrens stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO.