OGH vom 26.09.2018, 7Ob109/18g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr.
Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** A*****, vertreten durch Dr. Markus Bernhauser, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H***** AG, *****, vertreten durch Dr. Hanns Christian Baldinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 18.979,72 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 173/17a-21, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 33 Cg 9/17y-14, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.253,88 EUR (darin enthalten 208,98 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Die Revision ist nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des materiellen oder des Verfahrensrechts abhängt. Dies ist hier nicht der Fall. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage der Vorvertraglichkeit des Deckungsanspruchs der Klägerin aus dem zwischen den Streitteilen bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrag, der auch den Schadenersatz und StrafRechtsschutz für den Privat, Berufs und Betriebsbereich umfasst. Die dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2008) lauten auszugsweise
„Artikel 2
Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?
…
3. In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens (Art 17.2.1, Art 18.2.1 und Art 19.2.1) sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen wegen reiner Vermögensschäden (Art 23.2.1 und Art 24.2.1.1) – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen
Bei mehreren Verstößen ist der erste, adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich, wobei Verstöße, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn zurückliegen, für die Feststellung eines Versicherungsfalls außer Betracht bleiben […].
Artikel 3
Für welchen Zeitraum gilt die Versicherung (zeitlicher Geltungsbereich)?
1. Die Versicherung erstreckt sich grundsätzlich auf Versicherungsfälle, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrags eintreten.
[…]“
2.1 Unbestritten ist für den Eintritt des Versicherungsfalls hier Art 2.3 ARB 2008 maßgeblich.
2.2 Nach dieser Bestimmung liegt der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung vor, wenn einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Es bedarf daher eines gesetzwidrigen oder vertragswidrigen Verhaltens eines Beteiligten, das als solches nicht sofort oder nicht ohne weiteres nach außen zu dringen braucht. Ein Verstoß ist ein tatsächlich objektiv feststellbarer Vorgang, der immer dann, wenn er auch wirklich vorliegt oder ernsthaft behauptet wird, den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann. Damit beginnt sich die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr konkret zu verwirklichen. Es kommt nicht darauf an, ob der Handelnde sich des Verstoßes bewusst oder infolge von Fahrlässigkeit oder auch unverschuldet nicht bewusst war, es soll sich um einen möglichst eindeutig bestimmbaren Vorgang handeln, der in seiner konfliktauslösenden Bedeutung für alle Beteiligten, wenn auch erst nachträglich, erkennbar ist. Es kommt weder auf den Zeitpunkt an, zu dem die Beteiligten von dem Verstoß Kenntnis erlangten, noch darauf, wann aufgrund des Verstoßes Ansprüche geltend gemacht oder abgewehrt werden (RISJustiz RS0114001). Bei mehreren (gleichartigen) Verstößen ist auf den ersten abzustellen (RISJustiz RS0114209). Ist kein einheitliches Verstoßverhalten des Schädigers erkennbar, handelt es sich bei einzelnen schädigenden Verhaltensweisen jeweils um einen rechtlich selbständigen neuen Verstoß. Die Beweislast für den Eintritt des Versicherungsfalls im versicherten Zeitraum in einem solchen Fall trifft den Versicherungsnehmer. War nach der Sachlage schon beim ersten Verstoß mit weiteren gleichartigen Verstößen zu rechnen, liegen in der Regel nicht mehrere selbständige Verstöße, sondern es liegt ein einheitlicher Verstoß im Rechtssinn vor. Dies kann sowohl bei vorsätzlichen Verstößen der Fall sein, bei denen der Wille des Handelnden von vornherein den Gesamterfolg umfasst und auf dessen „stoßweise Verwirklichung“ durch mehrere gleichartige Einzelhandlungen gerichtet ist, wie auch bei Fällen gleichartiger fahrlässiger Verstöße, die unter wiederholter Außerachtlassung derselben Pflichtenlage begangen werden (RISJustiz RS0111811). Dabei sind die Umstände des Einzelfalls ausschlaggebend. Die Zusammenfassung mehrerer zeitlich und ursächlich zusammenhängender Versicherungsfälle zu einem einheitlichen Versicherungsfall ist dann gerechtfertigt, wenn mehrere Versicherungsfälle im Sinn des Art 2.3 ARB 2008 einem Geschehensablauf entspringen, der nach der Verkehrsauffassung als ein einheitlicher Lebensvorgang aufzufassen ist (RISJustiz RS0111811 [T5]).
2.3 Wie in einem Passivprozess des Versicherungsnehmers die Klagsbehauptungen für die Beurteilung des Eintritts des Versicherungsfalls maßgeblich sind (RISJustiz RS0131092), ist dies im StrafRechtsschutz der gegen den Versicherungsnehmer erhobene Anklagevorwurf und nicht die tatsächliche Verurteilung.
2.4 Für die Annahme der Gewerbsmäßigkeit genügt eine einzige (auch nur versuchte) Tat, sofern darin unter Berücksichtigung ihrer Begleit- und Nebenumstände die begriffsessentielle Absicht (Tendenz) des Täters klar augenfällig und unmissverständlich zum Ausdruck kommt, sich durch die wiederkehrende Begehung von Straftaten desselben Deliktstypus eine fortlaufende Einnahme verschaffen zu wollen (RISJustiz RS0108366); dies selbst wenn zwischen zwei Taten ein Zeitraum von mehreren Monaten liegt (vgl RISJustiz RS0010866 [T5]).
2.5 Die Klägerin war angeklagt, als Pflegerin (bei wechselnden Arbeitsverhältnissen) ihren Klienten unter Ausnutzung des Vertrauensverhältnisses im Zeitraum zwischen 2011 und 2015 gewerbsmäßig Wertsachen gestohlen zu haben. Das Berufungsgericht ging vor diesem Hintergrund von einem einheitlichen Verstoß im Rechtssinn aus. Der Anklage sämtlicher Fakten als gewerbsmäßig sei der Vorwurf der Absicht der Klägerin zugrunde gelegen, sich durch die wiederkehrende Begehung gleichartiger Handlungen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Damit sei der Klägerin vorgeworfen worden, dass ihr Wille von vornherein den Gesamterfolg umfasst habe und auf die „stoßweise Verwirklichung“ durch mehrere gleichartige Einzelhandlungen gerichtet gewesen sei.
Diese Rechtsansicht ist ebenso wenig zu beanstanden, wie die weitere Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, dass aufgrund des – innerhalb der Jahresfrist des Art 2.3 ARB 2008 liegenden – vorvertraglichen Beginns des einheitlichen Verstoßes Leistungsfreiheit der Beklagten bestehe. Auf die Frage des Umfangs der Verurteilung kommt es – entgegen der Ansicht der Klägerin – nicht an.
3. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO; die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00109.18G.0926.000 |
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