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OGH vom 02.10.2013, 7Ob109/13z

OGH vom 02.10.2013, 7Ob109/13z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr.

Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. M***** A*****, vertreten durch Thum Weinreich Schwarz Fuchsbauer Reiter, Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. D***** W*****, und 2. Dr. L***** W*****, beide vertreten durch Dr. Ulrike Koller, Rechtsanwältin in Melk, wegen Unterlassung und Entfernung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom , GZ 21 R 23/13k 26, womit das Urteil des Bezirksgerichts Melk vom , GZ 5 C 230/12v 21, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die hinsichtlich der Abweisung des Begehrens auf Unterlassung von Lichtentzug unberührt bleiben, werden im Übrigen aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Begründung:

Die Liegenschaften der Parteien (die Beklagten sind Miteigentümer) sind von einer 5,6 m breiten Straße getrennt. Hinter dem Zaun der Liegenschaft der Beklagten (südwestlich des Grundstücks des Klägers) stehen einige Bäume, darunter ein Bergahorn und zwei Eschen. Auch auf den anderen Grundstücken in der Nachbarschaft stehen Bäume.

Das Erstgericht traf folgende wörtlich wiedergegebene Feststellungen:

„Im Zuge eines Sturmes waren Baumteile und Äste von auf dem Grundstück der Beklagten stehenden Bäumen auf das Grundstück des Klägers gefallen. Der Bergahornbaum ist verkehrssicher, eine Esche ist nicht verkehrssicher und zwar dergestalt, dass das Totholz, wobei ein 'toter' Ast in der Kronenmitte des Baumes mit einem Durchmesser von über 3 cm vorhanden ist, entfernt werden müsste. Die zweite Esche ist ebenfalls nicht verkehrssicher, da aufgrund des Ausbruchs eines Astes die Krone an die neuen Verhältnisse am Rande des Baumes angeglichen werden sollte. Nachdem in der zweiten Esche im Juli 2012 durch einen heftigen Sturm ein Astbruch aufgetreten ist, könnten durch den Wind die verbleibenden Äste weggedreht werden und es dadurch zu einer Drehbewegung samt Astbrüchen kommen. Es ist aber keinesfalls ein Muss, es wurde durch den Ausbruch des Astes im Juli 2012 nur die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Astbruchs erhöht. Grundsätzlich können auch grüne Äste, also nicht verdorrte Äste, bei Sturmgeschwindigkeit abbrechen. Bei einer Sturmgeschwindigkeit von 60 km/h können schon kleinere Äste abbrechen, wobei kleinere Äste solche sind, die einen Durchmesser von unter 3 cm aufweisen. Ab etwa 80 km/h erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass auch Äste, die einen Durchmesser von über 3 cm haben, abbrechen können. Man kann allerdings im gegenständlichen Fall nicht sagen, dass wenn eine Windgeschwindigkeit von über 80 km/h auftritt bei einem dieser drei Bäume auch Grünäste abbrechen würden. Bei Sturm ist ein Verlust von Kronenteilen jedenfalls üblich, das kann man nicht verhindern. Bei Dürrästen ist es Stand der Technik, dass man alle Dürräste, die einen Durchmesser von über 3 cm haben, entfernt.“

Der Kläger begehrte die Beklagten zur ungeteilten Hand zu verpflichten 1. „jegliche weitere Emission durch Verschmutzung, Lichtentzug sowie Gefährdung durch den Baumbewuchs“ zu unterlassen und 2. zwei „Eichen“ an der östlichen Grenze der Liegenschaft der Beklagten zu entfernen. Diesen Anspruch stützt er auf § 364 ABGB. Schon bei geringsten Unwettereinflüssen komme es zu Astbrüchen und Beschädigungen am Grundstück des Klägers. Bei erheblichen Sturmböen drohe die akute Gefahr, dass größere Äste oder gar „ganze“ Bäume auf die Liegenschaft des Klägers gelangten und dort Schaden anrichteten. Ein herabfallender Ast habe im Jahr 2008 das Auto des Klägers beschädigt. Insbesondere werde die Entfernung eines ca 5 m langen toten Astes begehrt. Der Kläger habe sich einmal aus nachbarschaftlichen Gründen bereit erklärt, sich an den Kosten des Baumschnitts zu beteiligen. Im Jahr 2011 habe der „M*****“ zwar zwei Baumschnittmaßnahmen durchgeführt, aber an anderen Bäumen.

Die Beklagten beantragten die Klagsabweisung. Im Frühjahr 2008 seien Äste von Bäumen der Beklagten an der Grundstücksgrenze auf ein abgestelltes Fahrzeug gefallen. Aus diesem Grund sei im Einvernehmen der Streitteile und unter gleichteiliger Kostentragung ein Baum gefällt worden, die übrigen Bäume seien beschnitten worden. Im Jahr 2011 habe der „M*****“ eine „Baumüberwachung“ für alle Bäume und Sträucher vorgenommen. Es seien die notwendigen Baumschnitte und Baumsanierungen veranlasst worden. Es gehe von keinem der Bäume auf der Liegenschaft der Beklagten eine Gefahr aus. Die Beklagten hätten nach dem Vorfall 2008 laufend Sicherungsmaßnahmen ergriffen, um jede Rechtsverletzung Dritter abzuwenden. Es bestehe keine Wiederholungsgefahr. Es stehe dem Kläger nicht zu, bestimmte Schutzmaßnahmen zu erwirken.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Immissionen überstiegen nicht das ortsübliche Ausmaß, weil bei Stürmen gar nicht verhindert werden könne, dass auch an sich gesunde Baumteile abbrächen.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung. Punkt 2 des Urteilsantrags könne schon deshalb nicht gefolgt werden, weil die als nicht verkehrssicher bezeichneten Bäume keine Eichen, sondern Eschen seien. Ein Begehren auf Entfernung der Bäume sei nicht gerechtfertigt, weil höchstens Baumpflegemaßnahmen indiziert wären. Das Unterlassungsbegehren nach Punkt 1 sei ebenfalls nicht gerechtfertigt. Da rund um die Liegenschaften der Streitteile Bäume stünden und diese bei Sturm grundsätzlich auch grüne Äste verlören, sei der Verlust von Kronenteilen üblich und nicht verhinderbar. Die vom Erstgericht festgestellten Defizite bei den Baumpflegemaßnahmen bewegten sich in einem durchaus untergeordneten Bereich. Zum Lichtentzug sei in der Berufung nichts ausgeführt worden.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Aufgrund der Judikatur des Obersten Gerichtshofs erscheine es nicht ausgeschlossen, dass durch Sturmböen vertragene größere Äste einen Imissionsabwehranspruch auslösen könnten.

Dagegen mit Ausname der Abweisung des Begehrens auf Unterlassung des Lichtentzugs, wogegen in den Rechtsmitteln in beiden Instanzen nichts ausgeführt wurde richtet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragen, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass eine Verwechslung der Baumart im Begehren dann nicht schadet, wenn nach dem Vorbringen die Identität der Bäume klar ist. Andernfalls müsste dies mit den Parteien erörtert werden.

Der Unterlassungsanspruch wird durch zwei Elemente konkretisiert: Eine Unterlassungspflicht und die Gefahr, dass dieser Unterlassungspflicht zuwidergehandelt wird. Fehlt eines dieser Elemente, dann besteht kein Unterlassungsanspruch (RIS Justiz RS0037660).

Zur Unterlassungspflicht:

Der Eigentümer des Grundstücks kann vom Nachbarn jedenfalls zumutbare Vorkehrungen gegen die Einwirkung fester Körper vom Nachbargrund her verlangen, ohne dass ein besonderes Maß der Schädigung vorausgesetzt wird. Es kommt nicht darauf an, ob eine größere oder kleinere Teilfläche des Grundstücks beeinträchtigt wird. Auch eine geringfügige Beeinträchtigung erlaubt die Abwehr des Eingriffs durch Ablagerung fester Körper, sofern nicht aus besonderen Gründen eine Duldungspflicht angenommen werden muss (RIS Justiz RS0010613 [T4]). Sind aber die eindringenden Stoffe äußerst gering, dann fallen sie unter § 364 Abs 2 Satz 1 ABGB. Deren Eindringen ist dann hinzunehmen, solange das ortsübliche Maß nicht überschritten wird (RIS Justiz RS0010613 [T5]). Nach ständiger Judikatur ist durch die Vorschrift des § 364 Abs 2 ABGB das Eindringen fester Körper größeren Umfangs nicht gedeckt. Der Grundeigentümer ist befugt, mittelbare Einwirkungen aufgrund des Nachbarrechts abzuwehren, soweit es sich um grob körperliche Immissionen handelt, was für herabfallendes Gestein, Erdreich und größere Äste, nicht aber für fallendes Laub und herabrinnende Hangwässer zutrifft (RIS Justiz RS0010613). Herabfallendes Laub und Nadeln sind keine grobkörnigen Immissionen (RIS Justiz RS0010613 [T7]). Nachbarrechtliche Ansprüche sind ausgeschlossen, wenn ein Elementarereignis Ursache für die Immission war (RIS Justiz RS0107625).

Die erstinstanzlichen Feststellungen sind zu ungenau, um den Sachverhalt abschließend beurteilen zu können. Es bedarf präziser Feststellungen, unter welchen Witterungsbedingungen („Elementarereignis“ oder Sturmböen, die immer wieder vorkommen; vgl etwa RIS Justiz RS0107625 [T3]) welche Baumteile (wie groß, wie viele) auf die Liegenschaft des Klägers eindrangen. Erst dann kann beurteilt werden, ob die Immission als grob körperlich (jedenfalls unzulässig bei zumutbaren Vorkehrungen) oder als geringfügig (dann kommt es auf die Frage der Ortsüblichkeit und der Beeinträchtigung an) zu werten ist. Je nach dem Ergebnis des Verfahrens sind Feststellungen zur Erkennbarkeit und Zumutbarkeit von Maßnahmen oder zur Ortsüblichkeit und zum Umfang der Beeinträchtigungen zu treffen. Es bedarf jedenfalls konkreter Feststellungen, ob und wann (oder ob noch immer) der in den Feststellungen genannte „tote“ Ast vorhanden war (ist) und inwiefern ihn die Beklagten als Gefahr wahrnehmen konnten. Es ist auch dazu Stellung zu nehmen, in welchem Zustand die Bäume waren, welche Pflegemaßnahmen und Kontrollen aufgrund dieses konkreten Zustands sinnvoller Weise hätten durchgeführt werden müssen und welche Maßnahmen die Beklagten insgesamt zur Gefahrenabwehr getroffen oder unterlassen haben.

Zur Wiederholungsgefahr:

Die Begehungsgefahr, also die Gefahr, dass der Beklagte die zu untersagende Verletzungshandlung neuerlich oder erstmalig begehen werde, ist eine materiell rechtliche Voraussetzung für den Unterlassungsanspruch (RIS Justiz RS0037456). Ob ein Unterlassungsbegehren berechtigt ist, hängt nicht davon ab, ob sich der Beklagte im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz rechtswidrig verhält, sondern es kommt allein darauf an, ob die Gefahr künftiger Rechtsverletzungen besteht (RIS Justiz RS0114254).

Ob nach den besonderen Umständen eine Wiederholungsgefahr anzunehmen ist, ist zwar grundsätzlich eine solche des Einzelfalls (RIS Justiz RS0031891). Zur Frage des Vorliegens einer Wiederholungsgefahr fehlen bislang aber jegliche Feststellungen. Sollte das Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren eine Verletzung einer Handlungspflicht der Beklagten bejahen, muss es auch Feststellungen dazu treffen, ob Umstände vorliegen, aus denen zu schließen ist, die Beklagten würden sich auch künftig rechtswidrig verhalten.

Schon jetzt ist aber auf Folgendes hinzuweisen:

Das besonderes im Eigentumsschutz und Besitzschutz übliche Unterlassungsbegehren ist kein Handlungsverbot, sondern ein „Erfolgsverbot“; bei Erfolgseintritt wird nach § 355 EO vollstreckt, um den Verpflichteten zu einem - der Art nach ihm zu überlassenden - Handeln zu zwingen, das bewirken soll, dass er das verbotene Eindringen hindert (RIS Justiz RS0010566). Der Verpflichtete hat dafür zu sorgen, dass sein Nachbar nicht durch Immissionen beeinträchtigt wird. Die Art, wie dies zu geschehen hat, bleibt dem Verpflichteten überlassen (RIS Justiz RS0010566 [T2, T 5, T 6, T 7]).

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 53 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2013:0070OB00109.13Z.1002.000