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OGH vom 16.12.2014, 4Ob189/14v

OGH vom 16.12.2014, 4Ob189/14v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Markenrechtssache der Antragstellerin V***** GmbH Co KG, *****, vertreten durch Kueß Beetz, Rechtsanwälte Partnerschaft in Wien, unter Mitwirkung von Sonn Partner Patentanwälte in Wien, wider den Antragsgegner G***** B*****, vertreten durch Mag. Andrea Bosch, Rechtsanwältin in Wien, wegen Widerspruchs gegen die Marken AT 257.403 und AT 257.212, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen die Entscheidung der Rechtsmittelabteilung des Österreichischen Patentamts vom , GZ BM 24, 25/2011 5, mit welcher der Beschluss der Rechtsabteilung des Österreichischen Patentamts vom , GZ WM 9/2010 3 und WM 28/2010 2, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die Antragstellerin ist Inhaberin der Gemeinschaftsmarke CTM5061775:

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Die Marke ist mit Priorität vom unter anderem für folgende Dienstleistungen der Klasse 41 registriert: Unterhaltung, Produktion und Vertrieb von Rundfunk und Fernsehprogrammen.

Wegen Verwechslungsgefahr mit dieser Marke erhebt die Antragstellerin Widerspruch gegen die Registrierung der vom Antragsgegner ua in der Klasse 41 für „Musikdarbietungen“ angemeldeten Marken AT 257.403 und AT 257.212:

/Dokumente/Justiz/JJT_20141216_OGH0002_0040OB00189_14V0000_000/image002.jpg

Verwechslungsgefahr bestehe insbesondere deswegen, weil die Kennzeichnungskraft ihrer Marke durch Benutzung erhöht sei.

Dies sei allgemein bekannt (notorisch).

Der Antragsgegner bestreitet die Verwechslungsgefahr.

Seine Marken bestünden aus fünf Dreiecken, jene der Antragsstellerin aus vier. Zudem enthielten seine Marken Schriftelemente, wodurch sie sich von der bloßen Bildmarke der Antragstellerin unterschieden. Von einer erhöhten Kennzeichnungskraft sei nicht auszugehen, weil die Antragstellerin insofern keine Beweismittel vorgelegt habe. Die bloße Behauptung, es liege notorische Bekanntheit vor, reiche nicht aus.

Die Rechtsabteilung des Patentamts gab dem Widerspruch nicht Folge. Zwar liege Dienstleistungsähnlichkeit vor. Die Zeichen hielten jedoch einen die Verwechslungsgefahr ausschließenden Abstand. Der Gesamteindruck unterscheide sich, weil bei der Marke der Antragstellerin das zweite Dreieck mit weißer Füllung den Gesamteindruck präge. Zudem bewirke die Anzahl der Dreiecke und die damit verbundene unterschiedliche Länge der Zeichen ebenso einen anderen Eindruck wie die Ausformung der Ecken der Dreiecke. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal seien die Wortbestandteile bei den angegriffenen Marken.

Die Rechtsmittelabteilung ändere diesen Beschluss dahin ab, dass die angegriffenen Marken für „Musikdarbietungen“ gelöscht wurden. Sie teilte die Auffassung der Rechtsabteilung, dass wegen der unterschiedlichen Ausgestaltung der Zeichen grundsätzlich keine Verwechslungsgefahr bestehe. Allerdings verfüge die Marke der Klägerin in Bezug auf Musikdarbietungen über erhöhte Kennzeichnungskraft. Denn der Fernsehsender VIVA und sein bis 2011 verwendetes Logo seien den musikinteressierten Kreisen in Österreich und in weiten Teilen Europas bekannt. Der Sender VIVA habe seine Programme seit Mitte der 1990er Jahre über Satellit ausgestrahlt und sei lange Zeit als einzige bedeutende Alternative zum Sender MTV wahrgenommen worden. Daher habe die Widerspruchsmarke für die Dienstleistungen der Klasse 41 „Unterhaltung, Produktion und Vertrieb von Rundfunk und Fernsehprogrammen“ erhöhte Kennzeichnungskraft erworben. Aus diesem Grund sei für „Musikdarbietungen“ Verwechslungsgefahr anzunehmen.

Die Entscheidung der Rechtsmittelabteilung wurde der Antragsgegnerin am wirksam zugestellt. Ihr am eingebrachter Revisionsrekurs ist daher rechtzeitig. Sie macht darin geltend, dass das Verfahren der Rechtsmittelabteilung mangelhaft gewesen sei. Diese hätte die von ihr als notorisch angenommene Bekanntheit der Widerspruchsmarke mit den Parteien erörtern müssen. In diesem Fall hätte der Antragsgegner vorgebracht, dass das von der Antragstellerin gesendete Fernsehprogramm in Österreich keinen relevanten Marktanteil gehabt habe. Die Entscheidung sei auch rechtlich verfehlt, weil die Rechtsmittelabteilung zunächst zum Ergebnis gelangt sei, dass weder Zeichenähnlichkeit noch Verwechslungsgefahr vorlägen, dann aber dennoch die Marke gelöscht habe. Weiters sei unstrittig, dass die Antragstellerin ihre Marke seit 2011 nicht mehr verwende. Damit fehle ihr das Rechtsschutzinteresse für den Widerspruch.

Die Antragstellerin hält dem entgegen, dass kein Verfahrensmangel vorliege, weil sie sich schon in erster Instanz auf die notorische Bekanntheit der Widerspruchsmarke berufen und der Antragsgegner dazu ohnehin ein Vorbringen erstattet habe. Unter diesen Umständen sei keine weitere Erörterung erforderlich gewesen. Die Verwechslungsgefahr sei aufgrund der erhöhten Kennzeichnungskraft gegeben; der Antragsgegner übersehe, dass die Rechtsabteilung ihre Entscheidung nicht auf den Schutz der bekannten Marke, sondern auf Verwechslungsgefahr gestützt hätten.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig (§ 176b Abs 5 PatG 1970 iVm § 77c Abs 1 MSchG), aber nicht berechtigt .

1. Die Rechtsmittelabteilung war nicht gehalten, die von ihr angenommene Offenkundigkeit der Bekanntheit der Widerspruchsmarke mit dem Antragsgegner zu erörtern.

1.1. Nach § 29b Abs 2 MSchG hat das zuständige Mitglied der Rechtsabteilung über den Widerspruch „unter freier Würdigung des vorliegenden Tatsachen und Beweismaterials Beschluss zu fassen“. Gegen diese Entscheidung stand der unterlegenen Partei nach § 36 MSchG idF vor der Patent und Markenrechts Novelle 2014 die Beschwerde an die Rechtsmittelabteilung offen. Diese hatte nach § 42 MSchG iVm § 73 Abs 5 PatG 1970, jeweils idF vor der Patent und Markenrechts Novelle 2014, ebenfalls „unter freier Würdigung des vorliegenden Tatsachen und Beweismaterials in der Regel in der Sache selbst zu entscheiden“. Einen Verweis auf die Regeln der Beweisaufnahme nach dem Zivilverfahrensrecht enthielten diese Bestimmungen nicht. Dennoch ist kein Grund ersichtlich, weshalb die für das Patent und Markenrecht zuständigen Behörden ihre Entscheidungen nicht auch auf offenkundige („notorische“) Tatsachen stützen dürften (vgl nur OPM Op 3/11, Om 15/10, Om 5/10, Om 6/10 ua).

1.2. Offenkundige Tatsachen bedürfen im Zivilprozess keines Beweises (§ 269 ZPO). Offenkundigkeit liegt vor, wenn eine Tatsache ohne besonderes Fachwissen einem großen Personenkreis bekannt ist. Über solche Tatsachen muss sich jedermann aus zuverlässigen Quellen ohne besondere Fachkunde sicher unterrichten können (RIS Justiz RS0110714 [T10]). Darunter fallen vor allem die Erfahrungssätze der allgemeinen Lebenserfahrung, geographische Tatsachen, historische und politische Vorgänge sowie Ereignisse des Zeitgeschehens ( Rechberger in Fasching/Konecny 2 § 269 ZPO Rz 3 mwN). Wenn die Notorietät einer Tatsache nicht gänzlich außer Zweifel steht, muss das Gericht auch offenkundige Tatsachen mit den Parteien erörtern. Die Verletzung dieser Pflicht kann einen Verfahrensmangel begründen. Auch das Berufungsgericht kann offenkundige Tatsachen ohne Beweisaufnahme ergänzend seiner Entscheidung zugrunde legen (RIS Justiz RS0040219). Das Berufungsgericht hat ein solches Vorgehen aber mit den Parteien zu erörtern, wenn der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der offenkundigen Tatsache nicht geradezu aussichtslos erscheint (RIS Justiz RS0040219 [T2]). Nur unzweifelhaft offenkundige Tatsachen darf das Berufungsgericht auch ohne Erörterung von Amts wegen zugrunde legen (RIS Justiz RS0040219 [T4]).

1.3. Diese Erwägungen sind grundsätzlich auf das hier zu beurteilende Widerspruchsverfahren zu übertragen. Allerdings ist im konkreten Fall zu beachten, dass sich die Antragstellerin schon in erster Instanz darauf berufen hat, dass die Bekanntheit der Widerspruchsmarke in den angesprochenen Kreisen allgemeinkundig sei. Damit konnte der Antragsgegner nicht mehr überrascht sein, wenn die Rechtsmittelabteilung von dieser Notorietät ausging. Schon das spräche jedenfalls bei einer qualifiziert vertretenen Partei gegen eine Erörterungspflicht und damit gegen einen relevanten Mangel des zweitinstanzlichen Verfahrens. Anderes könnte zwar gelten, wenn eine Partei wie hier im Verfahren vor dem Patentamt unvertreten war. Allerdings ist die Widerspruchsmarke im konkreten Fall sogar jenen Mitgliedern des erkennenden Senats bekannt, die zweifellos nicht zu den vom Fernsehsender der Antragsstellerin angesprochenen Kreisen gehören. Unter diesen Umständen ist ein Gegenbeweis praktisch aussichtslos. Jedenfalls aus diesem Grund liegt nach der dargestellten Rechtsprechung kein Verfahrensmangel vor.

2. Bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr sind alle Umstände des Einzelfalls umfassend zu berücksichtigen. Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung auf die Wechselbeziehung zwischen den in Betracht kommenden Faktoren Bedacht zu nehmen, insbesondere auf den Bekanntheitsgrad der Marke auf dem Markt , den Grad der Ähnlichkeit zwischen der Marke und dem Zeichen und den Grad der Gleichartigkeit zwischen den damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen (EuGH C 39/97, Canon ; RIS Justiz RS0121482, RS0121500). Eine durch Benutzung erhöhte Bekanntheit der Widerspruchsmarke kann nach diesen Grundsätzen auch dann zu Verwechslungsgefahr führen, wenn diese allein aufgrund der originären Kennzeichnungskraft dieser Marke nicht anzunehmen wäre (vgl dazu nur Schumacher in Kucsko/Schumacher [Hrsg], marken.schutz 2 [2013] § 10 Rz 78 ff; Fezer , Markenrecht 4 [2009] § 14 MarkenG Rz 287; beide mwN). Das gilt auch im Widerspruchsverfahren. Denn es besteht kein Grund für die Annahme, dass der Gesetzgeber hier einen anderen Begriff der Verwechslungsgefahr anordnen wollte als in Löschungsverfahren nach § 30 Abs 1 Z 2 MSchG oder in Verletzungsverfahren nach § 10 Abs 1 Z 2 MSchG.

3. Nur zur Klarstellung ist festzuhalten, dass in diesem Zusammenhang nicht der erweiterte Schutz einer bekannten Marke iSv § 30 Abs 2 MSchG zu beurteilen ist, der auch ohne Verwechslungsgefahr besteht und in Widerspruchsverfahren nach § 29a Abs 1 MSchG nicht geltend gemacht werden kann. Vielmehr ist der durch Benutzung erhöhte Bekanntheitsgrad eines der Elemente bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr iSv § 29a Abs 1 iVm § 30 Abs 1 Z 2 MSchG.

4. Auf diese Grundlage ist die Entscheidung der Rechtsmittelabteilung nicht zu beanstanden. Das Publikum nimmt die ähnlichen Zeichen in der Regel nicht gleichzeitig wahr (17 Ob 23/07t, Henson ; OPM Om 6/11, revölution ; beide mwN; RIS Justiz RS0117324 [T7]), sondern es steht dem Wahrnehmungsbild ein mehr oder weniger verschwommenes Erinnerungsbild gegenüber (4 Ob 25/05p, Zorro ; OPM Om 9/04 2, McCruise ). Dieses Erinnerungsbild wird hier von den charakteristisch angeordneten Dreiecken der Widerspruchsmarke geprägt. Angesichts der Bekanntheit dieser Marke und der hohen Dienstleistungsähnlichkeit (Unterhaltung/Musikdarbietungen) reichen die Unterschiede (andere Form und Zahl der Dreiecke; kaum lesbarer Wortanteil) nicht aus, um die Verwechslungsgefahr zu beseitigen.

5. Das vom Rechtsmittelwerber bezweifelte Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin besteht schon wegen der aufrechten Registrierung der Widerspruchsmarke. Dass diese Marke wegen fünfjähriger Nichtbenutzung löschungsreif wäre (§ 29b Abs 3 iVm § 33a MSchG), hat der Antragsgegner nicht behauptet. Sein Revisionsrekurs muss daher scheitern.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:0040OB00189.14V.1216.000