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OGH vom 28.01.1997, 1Ob2307/96p

OGH vom 28.01.1997, 1Ob2307/96p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am geborenen, nunmehr bereits volljährigen Christian G*****, infolge Revisionsrekurses des Vaters Franz G*****, gegen den Beschluß des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom , GZ 20 R 77/96i-94, womit der Beschluß des Bezirksgerichts Neusiedl am See vom , GZ 1 P 1267/95k-91, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der Antrag des Christian G***** auf Bestimmung eines Unterhaltsbeitrags von monatlich S 1.000,-- abgewiesen wird.

Text

Begründung:

Die Ehe der Eltern des Antragstellers wurde 1988 geschieden; obsorgeberechtigt war die Mutter. Der Vater wurde mit rechtskräftigem Beschluß des Erstgerichts vom ab seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinem - mittlerweile volljährig gewordenen - Sohn enthoben, weil dieser mit Ablauf des Jänners 1996 seine Lehrzeit als Automechaniker abgeschlossen haben werde, eine Lehrlingsentschädigung von monatlich rund 11.094 S netto beziehe und daher als selbsterhaltungsfähig anzusehen sei. Seit leistet der Antragsteller seinen ordentlichen Präsenzdienst beim Bundesheer und hat dabei gegenüber dem Bund Anspruch auf Sachbezüge und Aufwandersatz (unentgeltliche Unterbringung nach § 12 HeeresgebührenG 1992 BGBl 1992/442 idgF [HGG 1992], unentgeltliche Verpflegung nach § 13 HGG 1992, unentgeltliche Beteilung mit [Soldaten]Bekleidung nach § 16 HGG, ärztliche Betreuung nach § 19 HGG 1992 ua) sowie auf Barbezüge, vor allem auf das Monatsgeld nach § 3 HGG 1992 (Taggeld nach § 3 HGG 1985), das nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen monatlich 3.005 S beträgt, auf Fahrtkostenvergütung (§§ 7 und 7a HGG 1992) ua.

Noch vor Eintritt seiner Volljährigkeit beantragte der Sohn durch seine Mutter, den Vater ab neuerlich zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 1.000 S zu verpflichten, weil er ab seinen ordentlichen Präsenzdienst ableisten werde. Dadurch falle sein Arbeitseinkommen weg und er erhalte nur mehr ein „Taggeld“, womit nicht alle seine Bedürfnisse abgedeckt würden. Der Vater trat dem Antrag entgegen, weil sein Sohn als Präsenzdiener selbsterhaltungsfähig sei.

Das Erstgericht verhielt den Vater zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags von 1.000 S an seinen Sohn ab (bis auf weiteres, „längstens jedoch bis zu dessen Selbsterhaltungsfähigkeit“; erkennbar gemeint: bis zur Beendigung der Ableistung des ordentlichen Präsenzdiensts).

Das Rekursgericht bestätigte den erstinstanzlichen Beschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es führte aus, der Sohn sei während der Ableistung des Präsenzdiensts nicht zur Gänze als selbsterhaltungsfähig anzusehen. Während des Präsenzdiensts habe der betreuende Elternteil noch weitere Unterhaltsleistungen, wenn auch in eingeschränktem Umfang, zu erbringen, sodaß auch die Verpflichtung des anderen Elternteils zur Leistung von wenngleich ebenfalls eingeschränkten Geldunterhaltsbeiträgen für die Dauer der Ableistung des ordentlichen Präsenzdiensts anzunehmen sei. Gänzlich selbsterhaltungsfähig sei ein Minderjähriger während der Ableistung des Präsenzdiensts nur dann, wenn dieser und seine Eltern in unterdurchschnittlichen oder höchstens durchschnittlichen Lebensverhältnissen lebten. Beziehe der geldunterhaltspflichtige Elternteil jedoch ein überdurchschnittlich hohes Einkommen und lebe daher in überdurchschnittlich guten Verhältnissen, so habe auch sein unterhaltsberechtigtes Kind gemäß § 140 Abs 1 ABGB Anspruch darauf, an den überdurchschnittlich guten Lebensverhältnissen seiner Eltern teilzuhaben. Unter derartigen Voraussetzungen sei eine Bezugnahme auf Ausgleichszulagenempfänger nicht sachgerecht. Eine im Zwischenverfahren eingeholte Gehaltsauskunft des Dienstgebers des Vaters für den Zeitraum vom bis habe ein anrechenbares und als weit über dem österreichischen Durchschnittsnettoeinkommen beurteiltes monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von 28.190,22 S ergeben, sodaß der geldunterhaltspflichtige Vater trotz seiner weiteren Sorgepflichten in überdurchschnittlich guten Verhältnissen lebe; es sei daher nicht gerechtfertigt, seinem Sohn Unterhalt nur im Ausmaß der Bezüge eines Ausgleichszulagenempfängers zuzubilligen. Sein Sohn könne zwar durch eigene Einkünfte („Taggeld“) in Verbindung mit den ihm vom Bundesheer zur Verfügung gestellten Sachbezügen einen wesentlichen Teil seiner (den überdurchschnittlichen Lebensverhältnissen seines Vaters angemessenen) Unterhaltsbedürfnisse abdecken, nicht jedoch alle diese Bedürfnisse, sodaß er als nur teilweise selbsterhaltungsfähig anzusehen sei. Die Leistungen des Bundesheers führten daher nur zu einer Verringerung, jedoch zu keinem Erlöschen der Unterhaltspflicht beider Elternteile. Die Betreuungsleistungen der Mutter während der Zeit, in der sich ihr Sohn zu Hause aufhalte, seien zwar sicher geringer als vor Eintritt seiner Selbsterhaltungsfähigkeit bzw vor der Ableistung des Präsenzdiensts, es erscheine jedoch nicht sachgerecht, den geldunterhaltspflichtigen Elternteil bei überdurchschnittlich guten Lebensverhältnissen zur Gänze seiner Unterhaltsverpflichtung zu entheben, wogegen der betreuende Elternteil nach wie vor - wenn auch in geringerem Umfang - Betreuungsleistungen zu erbringen habe. Dem geldunterhaltspflichtigen Elternteil sei daher ein, wenngleich verminderter Geldunterhaltsbeitrag auch während der Dauer der Ableistung des Präsenzdiensts aufzuerlegen. Begehrt würde ohnedies nur ein - zur Deckung der nicht durch die Leistungen des Bundesheers abgedeckten Bedürfnisse des Sohnes (insbesondere für Kultur und Freizeitgestaltung) zweifelsfrei benötigter - Betrag von 1.000 S monatlich. Die Aufbringung eines derart geringen Unterhaltsbeitrags könne dem Vater bei seinem festgestellten Einkommen auch unter Bedachtnahme auf seine weiteren Sorgepflichten zugemutet werden, zumal es sich dabei um Unterhaltsbeiträge handle, die nur für einen relativ kurzen Zeitraum (ordentlicher Präsenzdienst) zu entrichten seien. In der vorübergehenden Auferlegung eines derart geringen Unterhaltsbeitrags liege keine „unbillige Härte“ für die derzeitige Familie des Unterhaltsschuldners.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und berechtigt.

Gemäß § 140 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse ihrer Kinder nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Bei der Unterhaltsbemessung kommt es vor allem auf die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten an; es ist aber auch die konkrete Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen zu berücksichtigen. Einen Anhaltspunkt dafür, nach welchen Kriterien der Beitrag der Eltern zu ermitteln ist, gibt das Gesetz durch Verknüpfung der Bedürfnisse des Kindes mit den Lebensverhältnissen der Eltern (ÖA 1995, 67 = EvBl 1995/129; EFSlg 73.864 f uva). Der Unterhaltsanspruch eines Kindes mindert sich gemäß § 140 Abs 3 ABGB insoweit, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist. Die Selbsterhaltungsfähigkeit kann vor oder erst nach der Volljährigkeit des Unterhaltsberechtigten eintreten (EFSlg 65.798 ua) und ist grundsätzlich dann anzunehmen, wenn der sonst Unterhaltsberechtigte in der Lage ist, die Mittel zur Bestreitung seines Unterhalts infolge seiner Berufsausbildung verdient oder zu verdienen in der Lage ist (1 Ob 626/93 = JBl 1993, 746 [Hoyer] = ÖA 1994, 185 = RZ 1995/25; EvBl 1991/73 mwN; Purtscheller-Salzmann, Unterhaltsbemessung, Rz 265 E 3; Schlemmer/Schwimann in Schwimann, § 140 ABGB Rz 99). Durch die vom Erstrichter vorfügte Enthebung des Vaters von seiner Unterhaltspflicht ist die Selbsterhaltungsfähigkeit des Minderjährigen evident.

Die Frage, ob die dem Antragsteller zufolge des Präsenzdiensts gewährten Bezüge nach dem Heeresgebührengesetz (HGG) dessen Selbsterhaltungsfähigkeit bewirken, wurde von den Gerichten zweiter Instanz nicht einheitlich beantwortet (vgl dazu die Nachweise bei Purtscheller/Salzmann aaO Rz 34 und die vom Rekursgericht zitierten unterschiedlichen zweitinstanzlichen Entscheidungen (die Selbsterhaltungsfähigkeit uneingeschränkt bejahend LGZ Wien EFSlg 43.166, 68.501, 71.539 f, 74.878 ua, Schlemmer/Schwimann aaO § 140 ABGB Rz 100, nur eingeschränkt bejahend LGZ Wien EFSlg 51.047, KG Krems an der Donau EFSlg 56.531 ua).

Der Oberste Gerichtshof sprach in einem Unterhaltsvorschußfall 6 Ob 530/93 = EFSlg 72.611 aus, die nicht durch Sachbezüge nach dem HGG 1992 gedeckten Unterhaltsbedürfnisse des Minderjährigen (etwa an Zivilkleidung, Aufwendungen zur Freizeitgestaltung etc) wären insoweit, als sie insgesamt ein Viertel der zur Deckung sämtlicher Unterhaltsbedürfnisse (8.000 S) zur Verfügung stehenden Mittel überstiegen, ohne Verstoß gegen die aus § 140 Abs 1 ABGB abzuleitenden Unterhaltsbemessungsgrundsätze als unangemessen zu werten. Im Beschluß 7 Ob 541/93 (veröffentlicht in RZ 1994/64 = ÖA 1993, 146 = EFSlg 71.541 = RIS-Justiz RS0047475) wurde ausgesprochen, Wehrpflichtige iSd HGG 1985 (Präsenzdiener) seien bei durchschnittlichen Lebensverhältnissen angesichts der vom Bundesheer bezogenen Geld- und Sachleistungen als selbsterhaltungsfähig anzusehen. Nach den Materialien zur Stammfassung des HGG habe mit den vorgeschlagenen Regelungen Vorsorge für die Bedürfnisse des Präsenzdieners getroffen werden sollen. Diese Formulierung lasse den Schluß zu, daß damit eine umfassende Regelung aller Bedürfnisse des Präsenzdieners bezweckt worden sei, die einen möglichst vollen Ersatz für das bisher erzielte Arbeitseinkommen darstellen sollte. Das Maß des für den Unterhaltsanspruch bestimmenden Unterhaltsbedürfnisses richte sich gemäß § 140 Abs 1 ABGB nach den Lebensverhältnissen der Eltern. Die Pflegeleistungen der Mutter, die während der im Verhältnis zur Gesamtpräsenzdienstzeit zeitlich als untergeordnet zu bezeichnenden Heimaturlaube des Präsenzdieners rechtfertigten nicht mehr die Annahme, daß die Mutter ihren Unterhaltsbeitrag in Form ihrer Pflegeleistungen erbringe. Gehe man davon aus, daß der Gesetzgeber in den §§ 292 ff ASVG mit der Bestimmung des Ausgleichszulagenrichtsatzes ein Mindesteinkommen festlege und damit zum Ausdruck komme, daß die minimalsten Bedürfnisse erwachsener Menschen damit abgedeckt werden können, ergebe sich nach der Lebenserfahrung, daß einem Ausgleichszulagenempfänger monatlich nicht 1.830 S (damalige Barbezüge nach dem HGG 1985) für zusätzliche Bekleidung und Aufwendungen für die Freizeitgestaltung verblieben. Auch nach den für die Unterhaltsausmittlung maßgeblichen Lebensverhältnissen wäre der Minderjährige zufolge der vom Bundesheer bezogenen Geld- und Sachleistungen als selbsterhaltungsfähig anzusehen. Allfällige dadurch nicht gedeckte Bedürfnisse des Minderjährigen, wären insoweit, als sie insgesamt ein Viertel der zur Deckung der sämtlichen Unterhaltsbedürfnisse zur Verfügung stehenden Mittel übersteigen, ohne Verstoß gegen § 140 Abs 1 ABGB als unangemessen zu bewerten. In der Entscheidung 4 Ob 517/96 (veröffentlicht in ÖJZ-LSK 1996/226) wurde diese Rechtsauffassung mit den Beisätzen bestätigt, einerseits könne die bloß teilweise Inanspruchnahme von Leistungen des Bundesheers durch den Minderjährigen nicht zu Lasten des Unterhaltspflichtigen gehen, und andererseitshinderten Mehraufwendungen für eine Zusatzunfallversicherung (Zusatzkrankenversicherung) wegen sportlicher Betätigung bei durchschnittlichen Lebensverhältnissen die Selbsterhaltungsfähigkeit während des Präsenzdiensts nicht.

Der vorliegende Fall ist mit den diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalten nicht vergleichbar: Dort wurde der bis dahin nicht selbsterhaltungsfähige Minderjährige zufolge Ableistung des ordentlichen Präsenzdiensts und Erhalts von Sach- und Barleistungen durch den Bund angesichts der höchstens durchschnittlichen Lebensverhältnisse seiner Eltern nun als selbsterhaltungsfähig angesehen. Im vorliegenden Fall war der Antragsteller bei Antritt seines ordentlichen Präsenzdiensts aber bereits selbsterhaltungsfähig. Der Verlust der einmal erlangten Selbsterhaltungsfähigkeit kann zwar aus den unterschiedlichsten Gründen - etwa infolge längerfristiger Unmöglichkeit der Berufsausübung wegen Krankheit, unverschuldeter Arbeitslosigkeit oder ähnlichen Gründen bei Fehlen ausreichender sozialer Absicherung, gerechtfertigter beruflicher Weiterbildung oä - in jedem Lebensalter des Kindes eintreten, was mangels Verschuldens des Kindes zum Wiederaufleben des Unterhaltsanspruchs führt (vgl 1 Ob 524/93 = ÖA 1994, 18 ua; Pichler in Rummel2 , § 140 ABGB Rz 12 und Rz 12a; Purtscheller/Salzmann aaO Rz 51, 54; Schwimann, Unterhaltsrecht 75). Eine bloße Einkommensminderung noch dazu bloß vorübergehender Art wie hier hat aber noch nicht den Verlust der einmal eingetretenen Selbsterhaltungsfähigkeit und das Wiederaufleben der Unterhaltspflicht zur Folge (Pichler aaO § 140 ABGB Rz 12; Schlemmer/Schwimann aaO § 140 ABGB Rz 111 mwN und Fallbeispielen; Schwimann aaO). Im vorliegenden Fall verdiente der Antragsteller vor Antritt des Präsenzdiensts rund 11.000 S netto und lebte damit in einfachen Verhältnissen; mit Antritt des Präsenzdiensts verfügt er angesichts des Monatsgelds von 3.005 S und den ihm vom Bund zukommenden Sachleistungen über ein Einkommen, das den bei einfachen Lebensverhältnissen maßgeblichen (vstSenat SZ 65/114 ua) Ausgleichszulagenrichtsatz übersteigt (vgl dazu 6 Ob 530/93 und 7 Ob 541/93). Der Antragsteller hat daher bei einer solchen bloß vorübergehenden Einkommensminderung, die diese Grenze nicht unterschreitet (vgl dazu Pichler aaO § 140 ABGB Rz 11a), seine Selbsterhaltungsfähigkeit nicht verloren. Angesichts der vom Rekursgericht festgestellten Einkommensverhältnisse des Vaters und seiner Sorgepflichten kann auch nicht von solchen Lebensverhältnissen des - potentiell - Unterhaltsverpflichteten ausgegangen werden, die für die Dauer des Präsenzdiensts des Antragstellers ein Wiederaufleben der väterlichen Unterhaltspflicht erheischen.

Die Frage, ob das Kind mit der Ableistung des Präsenzdiensts auch bei überdurchschnittlichen Lebensverhältnissen seiner Eltern selbsterhaltungsfähig wird, stellt sich entgegen der Auffassung des Rekursgerichts somit hier nicht.

In Stattgebung des Rechtsmittels sind die Entscheidungen der Vorinstanzen iS einer Abweisung des Unterhaltsbestimmungsantrags abzuändern.