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OGH vom 19.03.2010, 6Ob169/09k

OGH vom 19.03.2010, 6Ob169/09k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. ***** Dr. H***** S 2. Dr. M***** S*****, beide *****, vertreten durch Czernich Hofstädter Guggenberger Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Christoph Neuhuber, Rechtsanwalt in Wien, wegen Nichtigerklärung von Gesellschafterbeschlüssen (Streitwert 35.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 113/09y-16, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom , GZ 10 Cg 166/08i-12 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 3.592,38 EUR (darin 598,73 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe :

Die beiden Kläger sind Gesellschafter der beklagten Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit einem Anteil von 24 % (Erstkläger) und 8 % (Zweitklägerin) des Stammkapitals, die beiden weiteren Gesellschafter halten 60 % und 8 % des Stammkapitals. Gegenstand des Verfahrens ist die Anfechtung von drei in der außerordentlichen Generalversammlung der Beklagten vom gefassten Beschlüsse über folgende Tagesordnungspunkte:

1) Erteilung der Weisung an die Geschäftsführerin, die mit der Mehrheitsgesellschafterin im Juni 2008 geschlossene Dienstleistungsvereinbarung mit sofortiger Wirkung wegen Schädigung der Gesellschaft aufzulösen;

2) Geltendmachung gerichtlicher Maßnahmen durch die Geschäftsführung binnen 10 Tagen betreffend die von der Mehrheitsgesellschafterin an die Gesellschaft zu leistenden fälligen Zahlungen;

3) Erteilung einer Weisung an die Geschäftsführung, diese gerichtlichen Maßnahmen gegen die Mehrheitsgesellschafterin unverzüglich zu ergreifen.

In der Generalversammlung vertreten und an der Abstimmung beteiligt waren die beiden Kläger und die Mehrheitsgesellschafterin. In allen drei genannten Punkten der Tagesordnung wurden die gestellten Anträge gegen die Stimmen der Kläger mit der Stimme der Mehrheitsgesellschafterin abgelehnt. Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass beide Kläger wirksam Widerspruch gegen die Beschlussfassung erhoben haben.

Die Kläger begehren, die Beschlüsse vom für nichtig zu erklären. Die Mehrheitsgesellschafterin sei als unmittelbar Betroffene nach § 39 Abs 4 GmbHG in allen drei Fällen vom Stimmrecht ausgeschlossen gewesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und führte zusammengefasst aus, die Anwendung des Stimmrechtsverbots nach § 39 Abs 4 GmbHG sei nicht auf potentiell nachteilige Rechtsgeschäfte zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern zu beschränken. Eine Pflicht, die Auswirkungen des Geschäfts vor der Abstimmung im Detail zu prüfen, sei weder mit dem Gesetzeswortlaut vereinbar, noch werde sie den Erfordernissen der Praxis gerecht. Auch im Zusammenhang mit der Einleitung eines Rechtsstreits sei das Stimmrechtsverbot nach dem Gesetzeswortlaut immer anwendbar und weder davon abhängig zu machen, aus welchem konkreten Rechtsgrund Ansprüche geltend gemacht werden sollen, noch ob der von der Gesellschaft einzunehmende Prozessstandpunkt aussichtsreich erscheint.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteigt, und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung sowohl zur Frage, ob bei der Prüfung des Stimmverbots eines Gesellschafters im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Rechtsgeschäfts dessen Vorteile oder Nachteile für die Gesellschaft zu prüfen sind, als auch zur Frage, ob das Stimmrechtsverbot eines Gesellschafters über die Einleitung eines Rechtsstreits gegen ihn von der Art bzw Rechtsnatur des geltend zu machenden Anspruchs abhängig ist, fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die von den Klägern beantwortete Revision der Beklagten ist aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten enthält nach den Feststellungen der Vorinstanzen keine Sonderregelungen für Stimmrechtsverbote. Die Beurteilung der strittigen Beschlüsse hat daher allein von § 39 Abs 4 GmbHG auszugehen, wonach ein Gesellschafter, der durch die Beschlussfassung von einer Verpflichtung befreit, oder dem ein Vorteil zugewendet werden soll, hiebei weder im eigenen noch im fremden Namen das Stimmrecht hat, ebenso bei einer Beschlussfassung, welche die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit einem Gesellschafter oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits zwischen ihm und der Gesellschaft betrifft.

Das Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung kennt bei Interessenkollisionen somit kein generelles Stimmverbot (RIS-Justiz RS0086644), § 39 Abs 4 GmbHG verwehrt dem betroffenen Gesellschafter das Stimmrecht nur in bestimmten Konfliktlagen. Es handelt sich - wie auch in der parallelen Bestimmung des § 114 Abs 5 AktG - um institutionell bedingte Interessenkonflikte, die es notwendig machen, sich im Interesse der Richtigkeitsgewähr der Verbandswillensbildung nicht allein mit der Ausübungskontrolle unter Missbrauchsgesichtspunkten zu begnügen, sondern das Stimmrecht überhaupt auszuschließen ( Enzinger in Straube , GmbHG § 39 Rz 70; Karsten Schmidt in Scholz, dGmbHG 10 § 47 Rz 99).

Der Ausschluss betrifft im Kern zwei Fallgruppen, nämlich das Abstimmen über eigene Geschäfte mit der Gesellschaft, bei denen die Konfliktsituation des Insichgeschäfts vorliegt, und Fälle, in denen der Gesellschafter gleichsam als „Richter in eigener Sache” befangen wäre (eingehend Karsten Schmidt aaO § 47 dGmbHG Rz 100; Enzinger aaO Rz 72; Koppensteiner/Rüffler GmbHG³ § 39 Rz 31; Reich-Rohrwig , Das österreichische GmbH-Recht, 344; Gellis/Feil , Kommentar zum GmbH-Gesetz 7 § 39 Rz 14).

Geschäfte „mit” einem Gesellschafter iSd § 39 Abs 4 GmbHG sind nicht die aus dem Gesellschaftsverhältnis selbst entspringenden „Sozialakte” ( Karsten Schmidt aaO Rz 111 ff), für die ein Stimmrechtsausschluss weder nach dem Wortlaut der Bestimmung, noch nach dem Normzweck in Betracht kommt. Die Richtigkeitsgewähr von koorporativen Beschlüssen setzt gerade die Teilnahme aller Gesellschafter voraus, auch wenn sie unterschiedliche Interessen verfolgen mögen. Geschäfte „mit” einem Gesellschafter iSd § 39 Abs 4 GmbHG sind vielmehr Rechtsgeschäfte und -handlungen, mit denen keine Organisationsangelegenheiten der Gesellschaft selbst geregelt werden ( Enzinger aaO Rz 98) , sodass sie theoretisch auch mit einem außenstehenden Dritten geschlossen werden könnten und nicht von der Gesellschafterstellung des Vertragspartners abhängen.

In der Literatur findet sich überwiegend die Auffassung, dass das Stimmrechtsverbot im Zusammenhang mit Insichgeschäften unabhängig davon wirkt, ob dem betroffenen Gesellschafter dadurch ein besonderer Vorteil oder der Gesellschaft ein Nachteil erwachsen kann ( Enzinger aaO Rz 98; Koppensteiner/Rüffler aaO, § 39 Rz 42 und Rz 45; Karsten Schmidt aaO § 47 dGmbHG Rz 120; Roth in Altmeppen/Roth , dGmbHG 5 , § 47 Rz 72).

Lediglich Reich-Rohrwig (GmbH-Recht, 344 und 348) vertritt den Standpunkt, das Stimmverbot bei Abschluss von Rechtsgeschäften könne durch den Nachweis der Angemessenheit der Bedingungen und des Interesses der Gesellschaft am Rechtsgeschäft entkräftet werden.

Die vom Autor als Beleg dafür herangezogene Rechtsprechung vermag sein Ergebnis jedoch nicht zu tragen. Die Entscheidung 5 Ob 288/74 (SZ 47/143 = EvBl 1975/198 = NZ 1976, 62 = HS 9653) betraf kein Rechtsgeschäft „mit“ einem Gesellschafter, sondern den im Gesellschaftsvertrag enthaltenen Zustimmungsvorbehalt zur Teilung und Abtretung von Geschäftsanteilen an gesellschaftsfremde Personen. Die Beurteilung, dass auch der abtretungswillige Gesellschafter an der Abstimmung über die Zulässigkeit der Abtretung teilnehmen durfte, ergab sich schon aus der Natur des Beschlusses als „Sozialakt“; die Gewährung eines Sondervorteils - der auch in diesen Fällen zum Stimmrechtsausschluss führen müsste - wurde aufgrund des Sachverhalts verneint.

Auch die Entscheidung 5 Ob 649/80 (GesRZ 1981, 44) hatte keinen Vertrag „mit“ einem Gesellschafter zum Gegenstand, sondern eine der koorporativen Willensbildung zuzurechnende Beschlussfassung, und zwar den Ausschluss der bisherigen Gesellschafter vom Bezugsrecht bei Kapitalerhöhung und eine daran geknüpfte Sondervorteilsgewährung. Eine Begründung für eine unterschiedliche Anwendung des Stimmrechtsverbots nach § 39 Abs 4 GmbHG nach Günstigkeit des betroffenen Rechtsgeschäfts „mit“ einem Gesellschafter ist aus diesen Entscheidungen nicht zu gewinnen; weitere Argumente bietet der Autor nicht an.

Der erkennende Senat sieht daher keinen Anlass, von der bereits von den Vorinstanzen wie auch von der überwiegenden Literatur vertretenen Auffassung abzugehen, dass ein Gesellschafter bei einer Abstimmung, die ein mit ihm geschlossenes Rechtsgeschäft iSd § 39 Abs 4 GmbHG zum Gegenstand hat, vom Stimmrecht unabhängig davon ausgeschlossen ist, ob sich das betreffende Geschäft für die Gesellschaft vorteilhaft oder nachteilig auswirken kann. Diese abstrakte Betrachtung ist, worauf auch das Berufungsgericht zutreffend verweist, im Interesse der Rechtssicherheit unverzichtbar.

Keine anderen Überlegungen können aber für Beschlussfassungen im Zusammenhang mit der Einleitung eines Rechtsstreits gegen den Gesellschafter gelten, wozu alle Arten von auch vorbereitenden Rechtsverfolgungshandlungen zu zählen sind. Als Einleitung eines Rechtsstreits ist jede mit der eigentlichen Prozessführung verbundene prozessuale Handlung zu verstehen, einschließlich unmittelbar vorgelagerter Aktionen wie der Bestellung eines Prozessvertreters. Ob auch schon die Einleitung außergerichtlicher Schritte, insbesondere eine Weisung an den Geschäftsführer, einen Anspruch geltend zu machen, unter § 39 Abs 4 GmbHG fällt, ist in der Literatur nicht unstrittig (vgl ua Enzinger aaO Rz 103 mwN), kann aber hier dahingestellt bleiben. Die im Anlassfall zu beurteilende Erteilung einer Weisung an die Geschäftsführerin, aus einem bereits existierenden Vertrag gerichtliche Schritte zur Durchsetzung bestrittener Ansprüche einzuleiten, fällt geradezu wörtlich unter die Regelung des § 39 Abs 4 GmbHG. Für die Anwendbarkeit des Stimmrechtsverbots ist es weder erforderlich, dass der angestrebte Prozess mit einer Sanktion gegen den Gesellschafter zu tun hat ( Enzinger aaO § 39 GmbHG Rz 100; Karsten Schmidt aaO § 47 dGmbHG Rz 126), noch kann es auf dieser Entscheidungsebene für die Zulassung zur Abstimmung auf eine Günstigkeitsprognose ankommen. Die Anfechtbarkeit eines Beschlusses, mit dem zum eindeutigen Nachteil der Gesellschaft eine objektiv aussichtslose Klagsführung eingeleitet werden soll, wäre allenfalls auf der nächsten Ebene unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs und der Verletzung der Treuepflicht der Minderheitsgesellschafter zu prüfen ( Enzinger aaO § 39 GmbHG Rz 32).

Nach herrschender Ansicht greift das Stimmverbot im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten, anders als beim Abschluss von Rechtsgeschäften, in jedem Fall, also auch bei allen sozietär begründeten Rechtsstreitigkeiten, wie zB Haftungsansprüchen gegen Organe, Anfechtungsklagen oder Ausschlussklagen ( Enzinger aaO § 39 GmbHG Rz 101 mwN). Der gesellschaftsrechtliche Willensbildungsprozess, der alle Gesellschafter einschließen muss, schafft nur die Anspruchsgrundlage. Die davon zu trennende Frage, ob und wie der Anspruch der Gesellschaft in einem Rechtsstreit verfolgt werden soll, fällt unter dem Aspekt des Insichgeschäfts, aber auch des „Richtens in eigener Sache“ unter das Stimmrechtsverbot. Auf das Argument der Revisionswerberin, die Beschlüsse über die gerichtliche Geltendmachung von Forderungen gegen die Mehrheitsgesellschafterin (Punkt 2. und 3.) würden auf dem Beteiligungsvertrag und damit auf einer sozietären Maßnahme beruhen, für die ein Stimmrechtsausschluss nicht Platz greifen könne, kommt es daher nicht an. Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass der in seinem Wortlaut unstrittige Beteiligungsvertrag zwar auch Regelungen über die Beziehungen der Gesellschafter untereinander, eine Kapitalerhöhung und die Übernahme des erhöhten Stammkapitals enthält, die verfahrensgegenständliche Forderung jedoch nicht darauf, sondern auf einer vertraglichen Verpflichtung der Mehrheitsgesellschafterin beruht, der Gesellschaft in bestimmter Höhe und unter bestimmten Voraussetzungen Beträge teils als nachrangige verzinsliche Darlehen, teils als nicht rückzahlbare Gesellschafterzuschüsse zuzuwenden.

Der Revision der Beklagten kommt daher keine Berechtigung zu.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.