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OGH vom 30.06.2010, 3Ob105/10b

OGH vom 30.06.2010, 3Ob105/10b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden und durch die Hofräte und Hofrätinnen Hon. Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach der am verstorbenen Johanna R*****, vertreten durch Dr. Franz Unterasinger, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. Werner K*****, vertreten durch Dr. Josef Faulend Klauser, Rechtsanwalt in Deutschlandsberg, und 2. Helene N*****, vertreten durch Dr. Brigitte Haßlinger, Rechtsanwältin in Deutschlandsberg, wegen Aufhebung eines Vertrags (Streitwert 100.000 EUR), über die außerordentliche Revision der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 157/09h 53, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die betagte, im Jahr 2008 verstorbene Klägerin hatte mit Notariatsakt vom eine Liegenschaft samt Haus ihrer Nichte (der Zweitbeklagten) und deren Lebensgefährten (Erstbeklagter) auf den Todesfall ua mit der Auflage geschenkt, dass die Übernehmer im Krankheitsfall Pflegeleistungen erbringen. Die Klägerin stützte das auf die Aufhebung des Vertrags gerichtete Klagebegehren unter anderem darauf, dass sie von den Beklagten arglistig darüber nicht aufgeklärt worden sei, dass der Erstbeklagte mehrfach „massiv“ vorbestraft gewesen sei.

Nach den getroffenen Feststellungen war der Erstbeklagte 14 fach vorbestraft, ua wegen Vergewaltigung und Missbrauchs Unmündiger. Er war auch gegenüber der Zweitbeklagten gewalttätig. Diese Umstände verschwiegen die Beklagten. Ihnen war bewusst, dass die Klägerin bei entsprechender Information den Vertrag nicht geschlossen hätte, weil sie auf einen ordentlichen Lebenswandel Wert legte.

Die Klagestattgebung begründeten die Vorinstanzen mit einer Verletzung der Aufklärungspflicht der Beklagten.

Als erhebliche Rechtsfrage releviert der Erstbeklagte in seiner außerordentlichen Revision, dass zur Aufklärungspflicht über Vorstrafen zum „Geschäftstyp Übergabsvertrag“ keine oberstgerichtliche Judikatur vorliege. Zu Mietverträgen und Dienstverträgen werde judiziert, dass ein Irrtum des Vermieters oder Dienstgebers unbeachtlich sei.

Rechtliche Beurteilung

Mit dem Fehlen einer oberstgerichtlichen Judikatur zu Verträgen über Pflegeleistungen wird hier jedoch keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt:

Zunächst kann auch ohne entsprechende Vorjudikatur festgestellt werden, dass beim Pflegevertrag über Pflegeleistungen gegenüber betagten und kranken Personen ein besonderes Vertrauensverhältnis von höherer Bedeutung Voraussetzung ist, als dies bei den angeführten anderen Vertragsverhältnissen der Fall ist. Entscheidungswesentlich ist hier aber ohnehin, dass es nach den Feststellungen auf die Veranlassung des Irrtums (§ 870 und § 871 Abs 1 erster Fall ABGB) und eine Aufklärungspflicht der Beklagten gar nicht ankommt, musste ihnen doch der Irrtum der Klägerin über eine wesentliche Eigenschaft in der Person ihrer Vertragspartner (§ 873 ABGB) nicht nur „offenbar auffallen“ (§ 871 Abs 1 zweiter Fall ABGB), der Irrtum war ihnen vielmehr sogar bewusst und haben sie diesen arglistig ausgenutzt.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht.