Suchen Hilfe
OGH vom 25.02.2016, 2Ob193/15v

OGH vom 25.02.2016, 2Ob193/15v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am ***** 2013 verstorbenen B***** G***** B*****, zuletzt wohnhaft in *****, über den Rekurs der Verlassenschaft nach J***** B*****, geboren am *****, verstorben am *****, vertreten durch die erbantrittserklärte mj Erbin H***** J***** B*****, geboren am *****, diese vertreten durch ihre Mutter P***** P*****, diese vertreten durch Donnerbauer Hübner Rechtsanwälte GmbH in Retz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , GZ 12 Nc 20/15f 3, mit welchem der von der Rekurswerberin im Verfahren AZ 23 R 70/15d des Landesgerichts Korneuburg erhobene Ablehnungsantrag gegen mehrere Richter des Landesgerichts Korneuburg zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird teilweise dahin abgeändert , dass die Befangenheit der Richterin Mag. ***** festgestellt wird.

Im Übrigen wird der angefochtene Beschluss aufgehoben , und dem Oberlandesgericht Wien die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Der Antrag der erbantrittserklärten Erbin Mag. B***** P***** auf Zuspruch der Kosten der Rekursbeantwortung wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Beim Bezirksgericht ***** behängt zu 1 A 248/13y das Verlassenschaftsverfahren nach der am ***** 2013 gestorbenen B***** B*****. Erbantrittserklärungen wurden aufgrund des Gesetzes zu je einem Drittel abgegeben vom (inzwischen verstorbenen) Witwer J***** B*****, der Tochter Mag. B***** P***** und der Verlassenschaft nach dem vorverstorbenen Sohn J***** B*****.

Die Verlassenschaft nach J***** B***** und Mag. B***** P***** erhoben Rekurse gegen einen im Verlassenschaftsverfahren gefassten Beschluss über die Inventarisierung verschiedener Vermögenswerte. Über diese Rechtsmittel hat das Landesgericht ***** zu entscheiden. Rechnungsführer dieses Gerichts ist der mit Mag. B***** P***** verheiratete FOI A***** P*****. Unter Hinweis darauf zeigten die Präsidentin mit ausführlicher Begründung und alle (damaligen) Richter des Landesgerichts ***** diese durch Eintrag in eine Liste ihre „Befangenheit“ an. Inhaltlich verwiesen die Richter auf das „dienstliche Verhältnis“ zum Ehemann der Rechtsmittelwerberin, weswegen „auch bei objektiver Betrachtungsweise“ Gründe für den Anschein der Befangenheit vorlägen.

Das Oberlandesgericht Wien sprach mit Beschluss vom , 12 Nc 12/15d, aus, dass die Präsidentin des Landesgerichts ***** befangen sei, nicht jedoch die übrigen Richter dieses Gerichts. Zur Begründung verwies es zunächst auf die Befangenheitsanzeige der Präsidentin, wonach sie die Verlassenschaftssache mit dem Ehemann von Mag. B***** P***** bereits mehrfach (wenngleich nicht parteilich, sondern stets nur die Rechtslage objektiv beurteilend) erörtert habe; zudem sei sie dessen Vorgesetzte. Dies begründe den Anschein der Befangenheit. Bei den anderen Richterinnen und Richtern bestehe ein solcher Anschein aber nicht; das Bestehen eines dienstlichen Verhältnisses reiche dafür nicht aus.

Nach Zustellung dieses Beschlusses lehnte die Verlassenschaft nach J***** B***** den Vizepräsidenten und die übrigen Richter des Landesgerichts ***** (mit Ausnahme der erst nach der Ablehnung zum Gerichtshof ernannten Richterin des Erstgerichts, welche im Rekursverfahren als gemäß § 20 Abs 1 Z 5 JN ausgeschlossen erkannt wurde) als befangen ab. Zur Begründung führte sie aus, dass nach ständiger Rechtsprechung Befangenheit anzunehmen sei, wenn ein Richter selbst seine Befangenheit anzeige. Dies treffe auch dann zu, wenn der anzeigende Richter bloß die Möglichkeit eines objektiven Anscheins der Befangenheit für gegeben erachte. Zudem sei nicht auszuschließen, dass A***** P***** nicht nur die Präsidentin, sondern auch andere Richter dieses Gerichts mit der Verlassenschaftssache befasst habe. Auch dies begründe zumindest den Anschein der Befangenheit. Darüber hinaus betone A***** P***** stets sein gutes Verhältnis zu den Richtern dieses Gerichts; er habe die Lebensgefährtin des vorverstorbenen Sohnes vor Rechtsstreitigkeiten gewarnt, da er „von ***** bis Wien alle Richter gut kenne“. Es gebe immer wieder private Feiern, an denen sowohl A***** P***** als auch die Richter des Landesgerichts ***** teilnähmen. Damit bestünden fortlaufende persönliche Kontakte, die über ein bloß dienstliches Begegnungsverhältnis hinausgingen.

Mag. B***** P***** wandte sich gegen den Ablehnungsantrag. Die Behauptung, ihr Ehemann habe die Mutter der erbantrittserklärten Erbin davor gewarnt, ein Verfahren zu führen, da sie keinen Erfolg haben würde, sei schlicht falsch. Dass der Rechnungsführer des Landesgerichts ***** die Richter des Landesgerichts ***** kenne, sei selbstverständlich und dem Oberlandesgericht Wien bei seiner ersten Entscheidung bewusst gewesen; Befangenheit begründe dieser Umstand nicht. Im Übrigen träfen die Vorwürfe der Ablehnungswerberin nicht zu.

Im Verfahren über die Ablehnung wurde den Richtern des Landesgerichts ***** für die von ihnen abzugebende Äußerung ein vorformuliertes Schriftstück zur Verfügung gestellt. Die darin vorgeschlagene Äußerung hatte folgenden Inhalt:

„Ich verweise auf meine bisherige Befangenheitsanzeige im Verfahren. Weiters führe ich aus, dass ich mit dem beim LG ***** tätigen Rechnungsführer FOI A***** P***** bei verschiedenen feierlichen Veranstaltungen wie etwa Weihnachtsfeiern, Amtseinführungen etc auch zwar nicht die gegenständliche Verlassenschaftssache betreffend Gespräche privaten Inhalts geführt habe. Ich pflege mit FOI A***** P***** das 'Du-Wort'.“

Neun Richter unterschrieben dieses Formular in unveränderter Form, acht weitere strichen den letzten Satz („Ich pflege mit FOI A***** P***** das 'Du Wort'.“), einer von diesen auch in Bezug auf die angezeigten „Gespräche“ die Worte „privaten Inhalts“. Die Äußerungen der übrigen Richter des Landesgerichts lauteten ähnlich. Sie verwiesen auf ihre bereits „erstattete Befangenheitsanzeige“, den „dienstlichen Kontakt“ und die gelegentliche gemeinsame Teilnahme an „beruflichen und privaten Feiern“ am Landesgericht *****. Dies begründete nach Auffassung eines dieser Richter eine „negative Optik“.

Lediglich die Stellungnahme der Richterin Mag. ***** wich von diesen Äußerungen ab. Sie zeigte ihre Befangenheit an,

„da mir der Angehörige der Betroffenen persönlich gut bekannt ist und ich nicht ausschließen kann, dass andere als sachliche Erwägungen eine allfällige Entscheidung beeinflussen könnten“.

Das Oberlandesgericht Wien wies die Ablehnung hinsichtlich aller betroffenen Richter zurück. Dass ein Rechnungsführer alle Richter des jeweiligen Landesgerichtssprengels zumindest namentlich kenne, sei dienstlich begründet. Dafür, dass diese aus unsachlichen Erwägungen zu seinen Gunsten entscheiden würden, gebe es keinen Anhaltspunkt. Nicht erwiesen seien die von der Ablehnungswerberin behaupteten „fortlaufenden persönlichen Kontakte“, die über ein bloß dienstliches Begegnungsverhältnis hinausgingen. Dass Mitarbeiter eines Gerichts an „feierlichen Veranstaltungen wie etwa Weihnachtsfeiern, Amtseinführungen etc“ teilnähmen und dort auch Gespräche privaten Inhalts führten, begründe nicht den Anschein der Befangenheit für ein Rechtsmittelverfahren, an dem die Ehefrau eines dieser Mitarbeiter beteiligt sei.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete Rekurs der Ablehnungswerberin ist zulässig (§ 24 Abs 2 JN) und teilweise im Sinn des darin implizit enthaltenen Aufhebungsantrags berechtigt .

1. Die Rekurswerberin stützt sich in erster Linie auf die Rechtsprechung, wonach im Allgemeinen ein Befangenheitsgrund anzunehmen ist, wenn ein Richter selbst seine Befangenheit anzeigt (RIS Justiz RS0046053; zuletzt etwa 8 Nc 22/15z). Dieser allgemeine Satz bedarf allerdings, wie der Oberste Gerichtshof bereits in 1 Ob 196/14a klargestellt hat, einer Präzisierung: Der Einschätzung des betroffenen Richters kommt vor allem dort Bedeutung zu, wo er selbst Zweifel daran äußert, eine von unsachlichen Motiven unbeeinflusste Entscheidung treffen zu können. Verneint er dies jedoch und äußert er lediglich Bedenken wegen des möglichen Anscheins einer Voreingenommenheit, wird dadurch die eigenständige Beurteilung durch das zuständige Entscheidungsorgan nicht präjudiziert. Insofern handelt es sich ausschließlich um eine rechtliche Beurteilung der vom Richter angegebenen Gründe für einen Anschein der Befangenheit. Der anderslautenden Aussage der schon in 1 Ob 196/14a abgelehnten Entscheidung 9 Nc 36/12m kann sich auch der hier erkennende Senat nicht anschließen.

2. Auf dieser Grundlage ist die Ablehnung jedenfalls im Hinblick auf die Richterin Mag. ***** berechtigt. Denn sie führt selbst aus, dass sie nicht ausschließen könne, dass andere als sachliche Erwägungen eine allfällige Entscheidung beeinflussen könnten. Bei einer solchen Aussage wäre die Befangenheit nur dann zu verneinen, wenn die Befangenheitsanzeige offenkundig missbräuchlich erfolgte oder die angegebenen Umstände ihrer Natur nach nicht geeignet wären, eine Befangenheit zu begründen. Beides trifft hier nicht zu: Anzeichen für Rechtsmissbrauch fehlen, und es trifft zwar regelmäßig nicht zu, ist aber auch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass bloß dienstliche Kontakte im Einzelfall zu subjektiver Befangenheit führen. Insofern ist dem Rekurs daher Folge zu geben und die Befangenheit der Richterin Mag. ***** festzustellen.

3. Nicht spruchreif ist die Sache bezüglich der weiteren abgelehnten Richter.

3.1. Der abgelehnte Richter hat sich nach § 22 Abs 2 JN zur Ablehnung zu äußern. Dabei hat er einerseits darzulegen, ob die vom Ablehnungswerber behaupteten Tatsachen zutreffen oder nicht. Ob diese Tatsachen objektiv den Anschein der Befangenheit begründen, hat in weiterer Folge nicht er, sondern das zur Entscheidung über die Ablehnung betroffene Gericht zu beurteilen. Andererseits hat der Richter aber auch auszuführen, ob diese (oder allenfalls andere) Tatsachen ihn subjektiv daran hindern, eine allein auf sachlichen Erwägungen beruhende Entscheidung zu treffen. Träfe das zu, wäre nach der oben dargestellten Rechtsprechung zur Selbstmeldung des Richters im Zweifel Befangenheit anzunehmen.

3.2. Im vorliegenden Fall reichen die von der Ablehnungswerberin und den abgelehnten Richtern genannten objektiven Umstände nicht aus, den Anschein der Befangenheit zu begründen. Ein solcher Anschein bestünde zwar bei persönlichen Beziehungen zwischen dem Richter und einer Partei (RIS Justiz RS0046024 [T8, T 19]), die über ein kollegiales oder beruflich bedingtes Verhältnis (RIS Justiz RS0108696) hinausgehen (4 Ob 143/10y SZ 2011/1 mwN), wobei unter Umständen auch derartige Beziehungen (nur) zu einem nahen Angehörigen einer Partei ausreichen könnten. Hier sind solche über das beruflich Bedingte hinausgehende Beziehungen aber nicht erkennbar. Denn mehr als eine mit Gesprächen verbundene Teilnahme an sozialen Anlässen im Gericht und das bei manchen Gerichten im Verhältnis zwischen (einzelnen) Richtern und nichtrichterlichen Bediensteten übliche Du-Wort liegt hier nicht vor. Auf besondere persönliche Nähe kann daraus nicht geschlossen werden. Das Oberlandesgericht Wien führt zutreffend aus, dass allein die Tätigkeit am selben Gericht mit den dabei üblichen sozialen Kontakten noch nicht den Anschein der Befangenheit begründet. Von einem Richter kann grundsätzlich erwartet werden, dass er auch bei Bestehen solcher Kontakte objektiv entscheidet.

3.3. Damit ist von entscheidender Bedeutung, ob die angeführten Kontakte bei den einzelnen Richtern dazu führen, dass sie subjektiv nicht in der Lage wären, eine ausschließlich auf sachlichen Erwägungen beruhende Entscheidung zu treffen. Denn dann aber nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens auch nur dann wäre Befangenheit anzunehmen. Dazu haben die abgelehnten Richter, abgesehen von der bereits erwähnten Mag. *****, nicht ausdrücklich Stellung genommen. Dies führt insofern zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Das Oberlandesgericht hat ergänzende Äußerungen zur subjektiven Befangenheit einzuholen, auf deren Grundlage neuerlich über die Ablehnung zu entscheiden sein wird.

4. Das Ablehnungsverfahren bildet einen Zwischenstreit, über dessen Kosten nach den Regeln des Ausgangsverfahrens unabhängig von dessen Ausgang zu entscheiden ist (4 Ob 143/10y, SZ 2011/1; RIS-Justiz RS0126588). Im konkreten Fall sieht das Ausgangsverfahren jedoch keinen Kostenersatz vor (§ 185 AußStrG), weswegen der Antrag der Rechtsmittelgegnerin, ihr den Ersatz der Kosten der Rekursbeantwortung zuzusprechen, jedenfalls abzuweisen ist.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0020OB00193.15V.0225.000

Fundstelle(n):
EAAAD-32651