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OGH vom 17.06.2010, 2Ob193/09k

OGH vom 17.06.2010, 2Ob193/09k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ulla S*****, vertreten durch Gruber Partner Rechtsanwalts KG in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, vertreten durch Dr. Peter Rudeck und Dr. Gerhard Schlager, Rechtsanwälte in Wien, wegen 4.764 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 37 R 459/08m 54, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 86 C 37/06m 44, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 447,98 EUR (darin 74,66 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Nach den maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen ist die Klägerin nach ihrer im Jahr 1969 verstorbenen Großmutter Benützungsberechtigte einer Grabstelle auf einem Friedhof der beklagten Partei. Die von einer steinernen Einfriedung umfasste Grabfläche war mit einer Grabdeckplatte versehen. An der Kopfseite des Grabs befand sich ein Steinsockel mit zweistufigem Podest, auf dem das Standbild einer sitzenden Frau befestigt war. Auf dem Sockel war ferner die aufrechtstehende, 157,5 cm hohe, 85,5 cm breite und 3 cm tiefe Schriftplatte mit polierter Sichtfläche angebracht, an welcher zu beiden Seiten Lisenen mit ebenfalls polierten Sichtflächen anschlossen. Auf der rückwärtigen Seite befanden sich drei mittels Stahlzapfen verbundene Granitplatten. Den Abschluss nach oben bildete ein mit Ausnahme seiner Rückseite polierter, 90 cm langer, an der höchsten Stelle 60 cm hoher, 25 cm tiefer und 350 kg schwerer „Arko“, der ohne kraftschlüssige Verbindung mit den seitlichen Lisenen auf der Schriftplatte und den Granitplatten auflag.

Hinter der Grabstelle standen zwei mehr als dreißig Jahre alte, über 10 m hohe und von Efeu umrankte Thujen, von denen eine eintriebig, die andere zweitriebig war. Es ist nicht feststellbar, von wem diese Bäume seinerzeit gepflanzt worden sind. Ihre Äste hingen vor und hinter dem Grabstein. Die Bäume wurden von Bediensteten der beklagten Partei jährlich einer groben visuellen Prüfung unterzogen, ansonsten aber nicht gepflegt. Die Klägerin und deren Ehemann stutzten manchmal die vor dem Grabstein hängenden Äste, um den Blick darauf freizuhalten.

Zwischen 1. und gab es einen starken Sturm, der die beiden Thujen und ihre Äste derart in Bewegung brachte, dass sie mehrfach gegen den Grabstein schlugen. Dessen Teile wurden dadurch verschoben, bis schließlich der „Arko“ herabstürzte.

Die Klägerin begehrte den Ersatz ihres zuletzt mit 4.764 EUR sA bezifferten Schadens, wobei sie ihren Anspruch im Wesentlichen auf § 1319 ABGB stützte.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es erachtete die Voraussetzungen für die Haftung nach der analog anzuwendenden Bestimmung des § 1319 ABGB als gegeben, weil der Schaden durch eine typische, von Bäumen ausgehende Gefahr verwirklicht worden sei. Im Hinblick auf das Alter und den Standort der eintriebigen Thuje sei die Gefahr auch schon früher erkennbar gewesen. Der beklagten Partei, der als Stadtgemeinde gegenüber der Allgemeinheit eine besondere Verantwortung aufgebürdet werde, sei der Beweis misslungen, alle zur Abwendung eines Schadens erforderliche Sorgfalt aufgewendet zu haben.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Im Gegensatz zum Erstgericht verneinte es die Anwendbarkeit des § 1319 ABGB. Nach den Feststellungen sei weder von einer mangelhaften Beschaffenheit der Bäume auszugehen, noch sei der Schaden durch einen „Einsturz“ oder die „Ablösung“ von Teilen der Bäume verursacht worden; diese hätten sich lediglich ihrer Natur entsprechend im Wind bewegt.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil ein Fall wie der vorliegende vom Höchstgericht bisher noch nicht behandelt worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin erhobene Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig:

1. Eine solche wird entgegen der Meinung des Berufungsgerichts nicht schon dadurch begründet, dass eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt (RIS Justiz RS0122015, RS0110702).

Der Besitzer eines Werks haftet gemäß § 1319 ABGB, wenn das Schadensereignis die Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werks ist und er nicht beweist, dass er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt aufgewendet hat. Nach der von der Lehre gebilligten ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wird die Haftung nach § 1319 ABGB auch auf Bäume ausgedehnt. Danach sind Schäden, die durch das Umstürzen von Bäumen oder die Ablösung von Ästen verursacht werden, im Wege der Analogie in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung einzubeziehen (2 Ob 137/05v mwN; vgl RIS Justiz RS0029932, RS0026229; Danzl in KBB² § 1319 Rz 2; Fischer Czermak/Schürz , Haftung für Schäden durch Bäume, RFG 2009/45, 198). Bei Bäumen liegt der Grund für die verschärfte Haftung nach § 1319 ABGB nicht darin, dass Bäume an sich als gefährlich angesehen werden, sondern dass die erhöhte Gefährlichkeit auf einem Mangel beruht. Mangelhafte Beschaffenheit liegt daher nur dann vor, wenn durch den Zustand eines Baums von diesem eine besondere Gefahr ausgeht. Sie kann infolge mechanischer Verletzungen des Baums oder einer Krankheit, unter Umständen aber auch bei einem abnormen Wuchs bestehen (vgl 6 Ob 549/80; 5 Ob 564/85 = SZ 59/121; 2 Ob 137/05v; Fischer Czermak/Schürz aaO 199). Im Falle eines an sich „gesunden“, durch einen Sturm entwurzelten Baums wurde dessen mangelhafter Zustand in der durch vorangegangene Rodungsarbeiten verursachten erhöhten „Windwurfanfälligkeit“ gesehen (1 Ob 93/00h = ZVR 2002/21).

Im vorliegenden Fall wurde der Schaden weder durch das Umstürzen eines Baums noch durch abgebrochene oder gelockerte Äste, sondern durch deren natürliche, wenn auch bedingt durch den starken Sturm - heftige Bewegung herbeigeführt. Für einen mangelhaften Zustand der beiden Thujen als Schadensursache, für den die Klägerin beweispflichtig gewesen wäre (RIS Justiz RS0029893), ergibt sich aus den Feststellungen kein Anhaltspunkt.

Die Ablehnung der analogen Anwendung des § 1319 ABGB durch das Berufungsgericht stimmt unter den konkreten Umständen des zu beurteilenden Einzelfalls mit der erörterten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs überein und lässt keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung erkennen.

Eine solche vermag die Klägerin auch mit ihrer Behauptung, die beklagte Partei würde nach der erörterten Gesetzesstelle für „sturmbedingte Biegungen des Stammes“ haften, nicht darzutun. Aus der die Analogiefähigkeit des § 1319 ABGB bejahenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS Justiz RS0029932) ist die angestrebte Rechtsfolge nicht ableitbar. Die Frage, ob sich eine „typische Gefahr der mangelhaften Baumkontrolle bzw schnitts“ verwirklicht hat, vermengt die Tatbestandsmerkmale des § 1319 ABGB und ist für die Beurteilung der Haftung nach dieser Gesetzesstelle unerheblich, solange nicht feststeht, dass der Baum selbst in einem mangelhaften Zustand war.

Die Ausführungen zu den erst mit der Revision vorgelegten Urkunden verstoßen gegen das Neuerungsverbot (§ 504 Abs 2 ZPO) und sind daher unbeachtlich; auf sie ist nicht weiter einzugehen. Dasselbe gilt, soweit sich die Klägerin in der Revision erstmals auf Verhaltenspflichten der beklagten Partei aufgrund der Ö NORM L 1122 beruft. Entgegen ihrer Auffassung handelt es sich dabei nicht um ein Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB, sondern um die Zusammenfassung üblicher Sorgfaltsanforderungen (vgl RIS Justiz RS0038622, RS0022153; Karner in KBB² § 1311 Rz 4; Fischer Czermak/Schürz aaO 200), zu deren Inhalt und Verletzung durch die beklagte Partei sie in erster Instanz jedoch keine Tatsachenbehauptungen aufgestellt hat.

Insgesamt enthält die Revision somit keine Aspekte, die zu einer von der Rechtsansicht des Berufungsgerichts abweichenden Beurteilung der (verneinten) Haftung der beklagten Partei nach § 1319 ABGB führen könnten.

2. Die Klägerin zeigt in ihrer Revision aber auch keine sonstigen erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

Gemäß § 23 Abs 1 der (privatrechtlichen; vgl § 32 Abs 2 Wiener Leichen und Bestattungsgesetz) Bestattungsanlagenordnung für die Wiener Städtischen Friedhöfe beinhaltet das Benützungsrecht die Pflicht, für den dauernden ordnungsgemäßen baulichen und gärtnerischen Zustand der gesamten Grabfläche Sorge zu tragen. § 16, auf den sich die Klägerin beruft, präzisiert nur die den Benützungsberechtigten bei der gärtnerischen Ausgestaltung der Grabstelle treffenden Pflichten. Aus dieser Bestimmung sind aber weder vertragliche Schutz und Sorgfaltspflichten, noch allgemeine Verkehrssicherungspflichten der beklagten Partei gegenüber dem Benützungsberechtigten ableitbar. Dies gilt auch für den letzten Punkt des § 16, wonach die Friedhofsverwaltung bei Beeinträchtigung der Rechte Dritter oder bei Gefährdung der Standsicherheit von Grabstellenausstattungen zur Entfernung von über 0,7 m hohen Pflanzen auf Gräbern berechtigt ist.

Einer Erörterung des in § 33 Abs 1 geregelten Haftungsausschlusses bedarf es nicht.

3. Da keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO beantwortet werden musste, ist die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.