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OGH vom 22.10.1963, 4Ob103/63

OGH vom 22.10.1963, 4Ob103/63

Norm

Angestelltengesetz § 5;

Handelsgesetzbuch § 481;

Kopf

SZ 36/134

Spruch

Der Begriff der "Angestellten der Seeschiffahrt" im Sinne des § 5 AngG. deckt sich mit dem der "zur Schiffsbesatzung gehörenden Personen" nach § 481 HGB.

Entscheidung vom , 4 Ob 103/63.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Klägerin begehrt von der beklagten in Panama ansässigen Schiffahrtsgesellschaft den (eingeschränkten) Betrag von 6700 S aus dem Titel der Kündigungsentschädigung. Die beklagte Partei hat im wesentlichen eingewendet, daß auf das Dienstverhältnis die Bestimmungen des Angestelltengesetzes keine Anwendung finden und daß das Dienstverhältnis einvernehmlich gelöst wurde. Es wurden auch Gegenforderungen in der Höhe von 6200 S geltend gemacht.

Das Erstgericht hat die Klage abgewiesen, weil nach seiner Meinung das Dienstverhältnis einvernehmlich aufgelöst worden sei.

Infolge Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Verhandlung gemäß § 25 (1) Z. 3 ArbGerG. neu durchgeführt. Es hat als erwiesen angenommen, daß der Klägerin ein Monatsentgelt von 3000 S zugesagt wurde und daß eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses nicht erfolgt sei. Auf das Dienstverhältnis der Klägerin sei das Angestelltengesetz anzuwenden, weil der Begriff "Angestellte der Seeschiffahrt" im § 5 AngG. einschränkend auszulegen sei und nur die Angehörigen der Schiffsbesatzung, nicht aber die Büroangestellten von Seeschiffahrtsunternehmungen betreffe. Der Klägerin gebühre daher auf Basis ihres Monatsgehaltes von 3000 S die begehrte Kündigungsentschädigung für die Zeit vom bis in der Höhe von 7500 S, abzüglich der anerkannten Gegenforderung im Betrage von 800 S demnach der Betrag von 6700 S. Die weitere eingewendete Gegenforderung von 3000 S bestehe aber nicht zu Recht, weil der geschäftsführende Direktor der beklagten Partei W. dem Vater der Klägerin und nicht dieser den Auftrag erteilt habe, einen Leitfaden für Englischkurse auf Schiffen zu verfassen. Das dem Vater der Klägerin geschuldete Entgelt für die Verfassung dieses Leitfadens könne somit nicht der Klägerin aufgerechnet werden.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

In der Rechtsrüge wird zunächst behauptet, das Arbeitsgericht sei gemäß § 1 (1) Z. 1 zur Entscheidung nicht zuständig gewesen, weil die von der Klägerin vorwiegend ausgeübte Tätigkeit die Tätigkeit eines Mitgliedes der Schiffsbesatzung war. Dieses Vorbringen steht im Widerspruch zu den Feststellungen des Berufungsgerichtes und stellt überdies eine im Revisionsverfahren unzulässige Neuerung dar. Die Klägerin hat in der Klage behauptet, daß sie bei der beklagten Partei in deren Büro in Wien, I., als Angestellte tätig war. Die beklagte Partei hat behauptet, daß die Klägerin auf Grund ihrer Englischkenntnisse aufgenommen wurde, um im Wiener Büro die Englischkorrespondenz abzuwickeln und auch fallweise, was an und für sich von anderen Personen besorgt würde, bei Schiffsreisen die Passagiere zu betreuen und zwar durch Abhaltung von Englischkursen. Dieses Vorbringen hat die beklagte Partei niemals widerrufen. Das Berufungsgericht hat die Feststellung des Erstgerichtes übernommen, daß die Klägerin an einer Reise nach Montreal teilgenommen und hiebei einen Englischkurs für die Reisenden abgehalten hat. Die Klägerin hat daher überwiegend Büroarbeiten an Land geleistet und nur einmal einen Englischkurs auf einem Schiff abgehalten. Nach § 1

(1) Z. 1 ArbGerG. sind die Arbeitsgerichte zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmern und Beschäftigten ..., ausgenommen Streitigkeiten der nach § 481 HGB. zur Schiffsbesatzung gehörenden Personen. Zur Schiffsbesatzung im Sinne dieser Gesetzesstelle werden der Schiffer, die Schiffsoffiziere, die Schiffsmannschaft sowie alle übrigen auf dem Schiff angestellten Personen gerechnet. Zur Schiffsbesatzung im Sinne des § 481 HGB. gehörte die Klägerin daher nur einmal und zwar vorübergehend und nach dem eigenen Vorbringen der beklagten Partei nur aushilfsweise. Ihre regelmäßige Tätigkeit hat die Klägerin an Land ausgeübt. Für den vorliegenden Rechtsstreit ist daher die Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes gegeben.

Auf die Frage, ob das inländische materielle Recht auf den vorliegenden Rechtsfall anzuwenden ist, sind weder die Untergerichte noch die Parteien eingegangen. Da aber die beklagte Partei nicht behauptet und bewiesen hat, daß die Klägerin Ausländerin ist und daß bei Abschluß des Dienstvertrages auf ein anderes Recht Bedacht genommen wurde, ist nach § 36 ABGB. jedenfalls österreichisches materielles Recht einzuwenden.

Die beklagte Partei führt in der Rechtsrüge aus, daß gemäß § 5 AngG. dieses Gesetz auf das Dienstverhältnis der Klägerin keine Anwendung finde. Richtig ist, daß nach § 5 AngG. dieses Gesetz auf "Angestellte der Seeschiffahrt" keine Anwendung zu finden hat. Allein die Klägerin kann nicht als Angestellte der Seeschiffahrt angesehen werden. Es besteht kein sachlicher Grund, den Personenkreis "Angestellte der Seeschiffahrt" anders abzugrenzen als in § 481 HGB., zumal § 5 AngG. nicht allgemein von Angestellten von Seeschiffahrtsunternehmungen, sondern von Angestellten der Seeschiffahrt spricht. Die Klägerin war aber nur vorübergehend und aushilfsweise bei einer Schiffsreise auf dem Schiff selbst beschäftigt, im übrigen aber, also vorwiegend, im Wiener Büro der beklagten Partei.

Die Richtigkeit der hier vertretenen Rechtsansicht ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des Handlungsgehilfengesetzes vom , RGBl. 20, des Vorläufers des Angestelltengesetzes (vgl. Art. I erster Satz AngG.). Die Ausnahme für Bedienstete (jetzt Angestellte) der Seeschiffahrt fand sich nämlich schon im § 5 HandlGehG. und in der Regierungsvorlage zu diesem Gesetz, 192 der Beil. zu den stenographischen Protokollen des Abgeordnetenhauses XVIII. Session, S. 16, wird darauf hingewiesen, daß die Anwendbarkeit des Gesetzentwurfes nur für alle jene Personen ausgeschlossen werde, deren Dienstverhältnis anderweitig durch gesetzliche Bestimmungen oder vom Staat erlassene Dienstordnungen geregelt sei. Damals war aber nur das Dienstverhältnis (Heuervertrag) der Schiffsbesatzung durch Art. VII des Politischen Navigationsedikts vom 1. April 1774 (vgl. Mischler - Ulbrich, österr. Staatswörterbuch[2] IV. S. 212, 219) geregelt (OHG. v. , GlUNF. 6469). An dieser Rechtslage hat sich auch durch die am vollzogene Einführung des vierten Buches des Handelsgesetzbuches (Seerecht) nichts geändert, da auch von den einschlägigen Bestimmungen der §§ 511 - 555 HGB. nur arbeitsrechtliche Verhältnisse der Schiffsbesatzung betroffen werden (vgl. Schaps - Abraham, Das deutsche Seerecht[3], II. S. 17 f., Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht[2], S. 210 ff.).

Das Berufungsgericht hat daher mit Recht die Bestimmungen der §§ 20 ff. AngG. auf das Dienstverhältnis der Klägerin angewendet.

Ob ein Monatsentgelt von 3000 S oder nur von 2000 S vereinbart war, ist eine Frage der Beweiswürdigung, die vom Obersten Gerichtshof nicht zu überprüfen ist, desgleichen die Feststellung, daß die Klägerin der einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses nicht ausdrücklich zugestimmt hat.

Es ist der Revision zwar zuzugeben, daß die Zustimmung zur einvernehmlichen Auflösung eines Dienstverhältnisses auch stillschweigend gegeben werden kann, doch ist eine solche stillschweigende Zustimmung im Sinne des § 863 ABGB. nur dann anzunehmen, wenn mit Überlegung aller Umstände kein vernünftiger Grund daran zu zweifeln, übrig bleibt. Nun hat zwar die Klägerin nach den getroffenen Feststellungen am geschwiegen, als Direktor W. zur Angestellten R. sagte, die Klägerin scheide mit aus, es möge mit ihr abgerechnet werden. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes hat aber die Klägerin bei der unmittelbar vorhergehenden Besprechung Direktor W. erklärt, "daß es so nicht gehen werde" und unmittelbar nachher durch den Klagevertreter gegen die Auflösung des Dienstverhältnisses mit protestiert. Unter diesen Umständen kann von einer zweifelsfreien stillschweigenden Zustimmung der Klägerin zur einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses mit keine Rede sein.

Die weiteren Revisionsausführungen der beklagten Partei zur eingewendeten Gegenforderung von 3000 S, es stehe fest, daß die Klägerin im Rahmen ihres Dienstverhältnisses und ohne zusätzliches Entgelt den Leitfaden für den Englischkurs zu verfassen gehabt habe, weshalb die beklagte Partei berechtigt sei, das dem Vater der Klägerin im Vergleichswege bezahlte Honorar von 4000 S abzuziehen, ist aktenwidrig. Das Berufungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, daß der Auftrag zur Verfassung des Leitfadens dem Vater der Klägerin erteilt wurde. Die beklagte Partei kann daher das dem Vater der Klägerin bezahlte Honorar nicht der Klägerin aufrechnen, weil diese nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes den Leitfaden nicht zu verfassen hatte. Die Rechtsrüge ist daher unbegrundet ...