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OGH vom 29.07.2015, 7Ob104/15t

OGH vom 29.07.2015, 7Ob104/15t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Höllwerth als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei H***** Ć*****, vertreten durch Mag. Peter Riedel, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, gegen den Gegner der gefährdeten Partei N***** Ć*****, vertreten durch die Dr. Janko Tischler jun. Rechtsanwalts GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß §§ 382b und 382e EO, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom , GZ 4 R 59/15s 18, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom , GZ 4 C 3/15i 9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird aufgehoben und diesem die neuerliche Entscheidung über den Rekurs aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Das Erstgericht erließ nach Einvernahme der Parteien ausschließlich durch eine Richteramtsanwärterin antragsgemäß die gemäß § 382b und § 382e EO beantragte einstweilige Verfügung.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Antragsgegners, der eine umfangreiche Beweisrüge erhob und dabei auch auf den fehlenden persönlichen Eindruck der Erstrichterin verwies, nicht Folge. Die Bekämpfung der Beweiswürdigung sei im Sicherungsverfahren „angesichts persönlicher Einvernahmen“ der Parteien insoweit ausgeschlossen. Dass deren Einvernahme durch eine Richteramtsanwärterin und nicht durch die zuständige Richterin erfolgt sei, ändere daran nichts. Dieser aktenkundige Umstand verwirkliche auch keinen Nichtigkeitsgrund, sei doch die Entscheidung von der zuständigen Erstrichterin gefällt worden. Ausgehend vom bescheinigten Sachverhalt stehe ein körperlicher Übergriff des Antragsgegners fest und bestehe auch die konkrete Gefahr für die Antragstellerin.

Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs gemäß § 528 Abs 1 ZPO für nicht zulässig.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragsgegners mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Antragstellerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragsgegners ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§§ 402 Abs 4, 78 EO iVm § 526 Abs 2 ZPO) Ausspruch des Rekursgerichts im Interesse der Wahrung der Rechtssicherheit zulässig; er ist im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Aus Art 6 Abs 1 EMRK ergibt sich die Verpflichtung der Vertragsstaaten, ihr Rechtssystem so zu organisieren, dass die Gerichte in der Lage sind, nicht nur die Fairness, sondern auch die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens zu gewährleisten (6 Ob 44/99k mwN). Unabhängig von der Frage, ob die Verletzung des Anspruchs der Parteien auf Entscheidung in angemessener Frist im Revisionsrekursverfahren überhaupt geltend gemacht werden kann (vgl zu den zulässigen Revisionsrekursgründen E. Kodek in Rechberger 4 § 528 ZPO Rz 5; Zechner in Fasching/Konecny 2 § 528 ZPO Rz 40; einen Fristsetzungsantrag nach § 91 GOG stellte der Antragsgegner nicht), liegt in der Verfahrensdauer von einem Monat zwischen dem Einlangen des Akts beim Rekursgericht und dessen Entscheidung in keiner Weise der behauptete Verstoß gegen Art 6 (Abs 1) EMRK vor.

2. Abgesehen davon, dass die Einvernahme der Parteien durch eine Richteramtsanwärterin gemäß § 10 Abs 1 Satz 2 RStDG außerhalb einer mündlichen Streitverhandlung auch ohne Anwesenheit nur „unter Aufsicht“ der Erstrichterin zulässig war (ErläutRV 236 BlgNR XVII. GP 16; Rassi in Burgstaller/Deixler Hübner , Exekutionsordnung § 55 Rz 12; G. Kodek in Fasching/Konecny 2 § 439 ZPO Rz 12; Spehar/Fellner , RDG 3 § 10 Anm 3), hat das Rekursgericht von Amts wegen eine diesbezügliche Nichtigkeit in den Gründen seiner Entscheidung verneint, weil die erstinstanzliche Entscheidung von der zuständigen Richterin erlassen worden sei. Damit ist im Provisorialverfahren der verneinte Nichtigkeitsgrund nicht weiter anfechtbar (vgl auch RIS Justiz RS0039226 [T10]).

3. Zutreffend rügt der Antragsgegner als Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens, dass inhaltlich auf seine Beweisrüge nicht eingegangen wurde.

Im Sicherungsverfahren ist die Überprüfung der Beweiswürdigung des erkennenden Richters durch das Rekursgericht insoweit ausgeschlossen, als dieser den Sachverhalt aufgrund vor ihm abgelegter Zeugen oder Parteienaussagen als bescheinigt angenommen hat (6 Ob 650/93 [verst Senat] = SZ 66/164 = JBl 1994, 549 [ Pichler ] = JAP 1994/95, 47 [ Klicka ], zustimmend M. Graff , Wenn der Erstrichter der Frau glaubt ..., ecolex 1994, 237; RIS Justiz RS0012391). Das gilt auch dann, wenn für eine bestimmte Feststellung darüber hinaus auch mittelbar aufgenommene Bescheinigungen verwertet wurden (RIS Justiz RS0012391 [T5]; zuletzt 4 Ob 62/12i). § 526 Abs 1 ZPO schließt die mündliche Rekursverhandlung für das Zivilverfahren und, da die Bestimmungen der ZPO insoweit auch für das Exekutionsverfahren gelten (§§ 78, 402 Abs 4 EO), auch für das Sicherungsverfahren aus (4 Ob 113/97i).

Die Überprüfung der Beweiswürdigung durch das Rekursgericht ist aber zulässig, wenn das Erstgericht seine Feststellungen nur aufgrund von Urkunden traf (RIS Justiz RS0012391 [T3]) oder ausschließlich auf Bescheinigungsmittel stützte, die es selbst nicht unmittelbar aufnahm (RIS Justiz RS0044018; Zechner in Fasching/Konecny ² Vor §§ 514 ff ZPO Rz 107; E. Kodek aaO § 526 ZPO Rz 5). Nach der Aktenlage erfolgte die Einvernahme der Parteien gemäß § 10 Abs 1 RStDG durch eine Richteramtsanwärterin, nicht durch die Erstrichterin und auch nicht in deren Beisein, wovon auch das Rekursgericht ausging. Eine solche Aufnahme von Bescheinigungsmitteln allein durch eine Richteramtsanwärterin gemäß § 10 Abs 1 Satz 2 RStDG ist aber keine unmittelbare Beweisaufnahme durch den entscheidenden Richter. Da somit die Feststellungen des Erstgerichts nur aufgrund von Urkunden und (zulässigerweise) mittelbar aufgenommener Beweise getroffen wurden, kann das Rekursgericht in Erledigung der Beweisrüge des Antragsgegners die Bescheinigungsmittel einer von der erstinstanzlichen Entscheidung abweichenden Würdigung unterziehen, weil es dabei auf den persönlichen Eindruck von Personen nicht ankommt (vgl 4 Ob 70/04d).

4. Das Rekursgericht hat aufgrund seiner vom erkennenden Senat nicht geteilten Rechtsansicht, dass die Bekämpfung der Beweiswürdigung hier ausgeschlossen sei, die Beweisrüge nicht erledigt. Da die Überprüfung der Beweiswürdigung zulässig ist, wird es sich mit der Beweisrüge auseinanderzusetzen haben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 393 Abs 2 EO iVm § 52 Abs 1 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00104.15T.0729.000