OGH vom 15.12.2009, 5Ob103/09x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen/Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Lovrek, Dr. Veith, Dr. Höllwerth und Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache der Antragstellerin J***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Nikolaus Schirnhofer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin L***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Erich Kafka und Dr. Manfred Palkovits, Rechtsanwälte in Wien, wegen § 37 MRG, über die außerordentlichen Revisionsrekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 41 R 241/08g-113, womit infolge Rekurses der Antragsgegnerin der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 48 Msch 5/05a-102, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Dem außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin wird Folge gegeben.
Der Beschluss des Rekursgerichts wird aufgehoben und dem Rekursgericht eine neue Entscheidung in der Sache selbst aufgetragen.
2. Der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin und die Revisionsrekursbeantwortung der Antragstellerin werden zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat ihre Kosten des Revisionsrekursverfahrens selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die Beklagte ist Eigentümerin eines ca 1910 errichteten Zinshauses. Am stellte die ehemalige Erstantragstellerin als Hauptmieterin dieses Hauses bei der zuständigen Schlichtungsstelle zur Zahl Schli 1/640/2004 einen Sachantrag auf Feststellung bzw Richtigstellung des Betriebskostenschlüssels gemäß § 17 MRG. Die spätere Zweitantragstellerin, Hauptmieterin eines Geschäftslokals im selben Haus, überreichte ihrerseits am bei der Schlichtungsstelle einen Antrag auf
1. Überprüfung und Feststellung einer Überschreitung des zulässigen Zinsausmaßes durch überhöhte Betriebskostenvorschreibungen, sowie Rückzahlung der sich daraus bis zur Entscheidung ergebenden Überschreitungsbeträge,
2. Änderung des Verteilungsschlüssels bei den Betriebskosten gemäß § 17 MRG insoweit, als in Bezug auf die Kosten des Wasserverbrauchs die Messergebnisse des von der Mieterin eingebauten eigenen Wasserzählers herangezogen werden sollten.
Zur Begründung des Begehrens brachte sie vor, die Antragsgegnerin habe wegen behaupteter Unvermietbarkeit einzelner Objekte die Betriebskosten für die verbliebenen Mietgegenstände erhöht. Tatsächlich sei keine Unvermietbarkeit gegeben. Im Haus seien umfangreiche Bauarbeiten im Gange, die einen erhöhten Wasserverbrauch bewirken und ein berechtigtes Interesse der Antragstellerin an der begehrten Änderung des Betriebskostenschlüssels bezüglich der Kosten des Wasserverbrauchs begründen würden.
Die Schlichtungsstelle bildete aus diesem Antrag zwei Teilverfahren. Das auf § 21 Abs 3 MRG gegründete Begehren wurde unter dem Aktenzeichen Schli 1/3612/2004 geführt und dieses Verfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens der vormaligen Erstantragstellerin, Schli 1/640/2004, unterbrochen. Das Verfahren über den auf § 17 MRG gestützten Teil des Antragsbegehrens erhielt die Aktenzahl Schli 1/3613/2004 und wurde mit dem Verfahren Schli 1/640/2004 verbunden (dortige AS 22).
Mit Entscheidung vom stellte die Schlichtungsstelle gemäß § 17 MRG iVm § 37 Abs 1 Z 9 MRG die Verteilung der Gesamtkosten und die sich daraus ergebenden Anteile der einzelnen Mietgegenstände an den Gesamtkosten für die verfahrensgegenständliche Liegenschaft fest. Im Kopf der Entscheidung führte die Schlichtungsstelle die „Mieter" des Hauses, die ursprüngliche Antragstellerin und die nunmehrige Antragstellerin namentlich an. Gegen diese Entscheidung rief die Antragsgegnerin am gemäß § 40 Abs 1 MRG das Gericht an. Zusammenfassend wiederholte sie dabei ihren bereits im Schlichtungsstellenverfahren eingenommenen Standpunkt, wegen zahlreicher unvermietbarer Objekte infolge eines abbruchreifen Zustands des Hauses sei der Betriebskostenverteilung eine wesentlich kleinere Gesamtnutzfläche zu Grunde zu legen.
Im Gerichtsverfahren schritt der anwaltliche Vertreter der Zweitantragstellerin zunächst auch als Vertreter der Erstantragstellerin ein. Am erklärte diese, die erteilte Vollmacht zu widerrufen und alle bisher gestellten Sachanträge mit sofortiger Wirkung zurückzuziehen (AS 13).
Das Erstgericht führte ein umfangreiches Beweisverfahren durch und stellte mit Sachbeschluss vom den Betriebskostenverteilungsschlüssel für das Jahr 2004, übereinstimmend mit der Entscheidung der Schlichtungsstelle, fest. Zwar befinde sich das Haus nach dem Ergebnis des Beweisverfahrens tatsächlich in einem schlechten, sanierungsbedürftigen Zustand, dieser sei aber überwiegend erst von der Antragsgegnerin selbst durch Abbruchmaßnahmen und nicht fortgesetzte Bauarbeiten herbeigeführt worden. Eine Sanierung des Hauses mit dem Ergebnis einer Wiedervermietbarkeit in absehbarer Zeit sei möglich. Auch wenn die Erstantragstellerin ihren Sachantrag zurückgezogen habe, sei aufgrund des schlüssigen Beitretens der Zweitantragstellerin eine Sachentscheidung zu treffen gewesen.
Das Rekursgericht gab mit dem angefochtenen Beschluss dem Rekurs der Antragsgegnerin Folge, änderte den erstinstanzlichen Sachbeschluss (erkennbar) im Sinn seiner ersatzlosen Aufhebung ab und sprach aus, dass die Antragsgegnerin ihre Verfahrenskosten selbst zu tragen habe. Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteige 10.000 EUR, der ordentliche Revisionsrekurs sei jedoch mangels erheblicher Rechtsfragen nicht zuzulassen.
Die Mängelrüge der Rekurswerberin sei berechtigt, weil dem bekämpften Sachbeschluss nach der Antragsrückziehung durch die vormalige Erstantragstellerin kein die Entscheidung deckender Sachantrag mehr zu Grunde gelegen habe. Das knappe Vorbringen der vormaligen Zweit- und nunmehr Alleinantragstellerin könne auch bei der im außerstreitigen Verfahren gebotenen großzügigen Auslegung nicht dahin gedeutet werden, dass sie sich dem Antrag der Erstantragstellerin inhaltlich anschließen oder einen eigenen Antrag auf Feststellung des Verteilungsschlüssels gemäß § 37 Abs 1 Z 9 MRG stellen habe wollen. Zwar bilde die Ermittlung des richtigen Verteilungsschlüssels durchaus eine Vorfrage für die beantragte Feststellung einer Mietzinsüberschreitung, gerade jenes Teilverfahren, das diesen Anspruch zum Gegenstand habe, sei aber nicht zu Gericht abgezogen worden, sondern nach wie vor bei der Schlichtungsstelle anhängig. Über den tatsächlich verfahrensgegenständlichen Antrag auf Änderung des Betriebskostenschlüssels in Bezug auf den Wasserverbrauch habe das Erstgericht zwar nicht entschieden, darin liege jedoch nur ein Verfahrensmangel, der mangels Geltendmachung durch die davon beschwerte Antragstellerin im Rechtsmittelverfahren nicht mehr aufgegriffen werden könne. Dieser Anspruch sei damit aus dem Verfahren ausgeschieden.
Rechtliche Beurteilung
1. Der (von der Antragsgegnerin beantwortete) Revisionsrekurs der Antragstellerin, mit dem sie die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Sachbeschlusses anstrebt, ist - entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts - nach den Kriterien des § 62 Abs 1 AußStrG zulässig, weil mit dem angefochtenen Beschluss wesentliche Verfahrensgrundsätze unrichtig angewendet wurden. Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.
Sowohl mit der Behauptung einer Verletzung ihres rechtlichen Gehörs, als auch unter dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung wendet sich die Revisionswerberin gegen die dem angefochtenen Beschluss zu Grunde liegende Auslegung ihres Antragsvorbringens und gegen die Beurteilung der sukzessiven Kompetenz durch das Rekursgericht. Die Feststellung des rechtmäßigen Betriebskostenschlüssels habe jedenfalls eine Vorfrage für ihr gestelltes Rückzahlungsbegehren dargestellt und sei daher von ihrem Antragsvorbringen umfasst gewesen. Die interne Aktenbildung der Schlichtungsstelle sei nicht maßgeblich, sondern vielmehr die inhaltliche Entscheidung, die sich richtigerweise und ausdrücklich auf beide damaligen Antragsteller als Parteien bezogen habe.
Diesen Ausführungen ist - zumindest im Ergebnis - beizupflichten.
Eine bindende Festlegung von Verteilungsgrundsätzen nach § 37 Abs 1 Z 9 MRG kann sich schon ihrer Natur nach nicht bloß auf einzelne Beteiligte beschränken, sondern muss alle davon betroffenen Objekte erfassen. Sie darf daher auch nicht ohne die Einbeziehung der dadurch in ihren Interessen unmittelbar berührten Mieter und Nutzungsberechtigten erfolgen, kann doch die Abrechnung und Verteilung von Aufwendungen nicht gegenüber einzelnen Betroffenen nach unterschiedlichen Grundsätzen vorgenommen werden (vgl RIS-Justiz RS0069855; Würth/Zingher/Kovanyi Miet- und Wohnrecht21 § 37 Rz 22 mwN). Dem Verfahren über den Antrag eines Mieters auf Feststellung des Verteilungsschlüssels sind sämtliche übrigen Mieter des Hauses nach § 37 Abs 2 Z 2 MRG zwingend als Parteien beizuziehen (5 Ob 87/89; 5 Ob 23/01w). Die Einbeziehung der (nunmehr Allein-)Antragstellerin in das Verfahren der vormaligen Erstantragstellerin ergibt sich daher - entgegen ihren Ausführungen im Revisionsrekurs - keineswegs allein aus einer bestimmten Interpretation ihres eigenen Antrags oder ihrer weiteren Verfahrenshandlungen durch die Schlichtungsstelle bzw das Gericht, sondern unmittelbar aus dem Gesetz.
Treten mehrere Personen in derselben Parteirolle auf, so spricht die Zivilprozessordnung von einer Streitgenossenschaft. Das Außerstreitgesetz verwendet zwar den Begriff des Streitgenossen nicht, regelt sie jedoch im Wesentlichen gleich (Fucik/Kloiber, AußStrG § 3 Rz 2).
Auch im Verfahren außer Streitsachen ergibt sich aus der Rechtsnatur des geltend gemachten Anspruchs oder der Anordnung von Wirkungen allen aktenkundigen Parteien gegenüber, also aus dem materiellen Recht, ob Dispositionen über den Verfahrensgegenstand der Einstimmigkeit der Parteien bedürfen, oder ob eine Partei allein tätig werden darf und was bei widerstreitenden Erklärungen gilt. Im Zweifel liegt eine einheitliche Streitpartei vor, wenn wegen Nichterfassung aller Beteiligten die Gefahr unlösbarer Verwicklungen durch divergierende Einzelentscheidungen besteht (4 Ob 227/01p = EFSlg 98.001). In diesem Fall bedürfen Dispositionen über den Verfahrensgegenstand der Einstimmigkeit aller Mitglieder, so etwa ein prozessual wirksames Anerkenntnis (1 Ob 284/57 = SZ 30/29), ein Verzicht oder Vergleich (3 Ob 8/54 = SZ 27/64; Schubert in Fasching/Konecny2 II/1 § 14 ZPO Rz 28 und 31), ebenso eine Antragsrückziehung. Disponiert nur einer von mehreren Streitgenossen über den Streitgegenstand, etwa durch Verzicht oder Antragsrückziehung, dann gilt die dem Prozessstandpunkt der einheitlichen Streitpartei günstigste Erklärung (Schubert, aaO Rz 28; zum wohnrechtlichen Außerstreitverfahren: 5 Ob 68/01p; 5 Ob 179/01m, 5 Ob 184/07f mwN).
Für den Standpunkt eines Antragstellers ist eine Aufrechterhaltung des Sachantrags günstiger als ein Verzicht, weshalb die Antragsrückziehung nur der vormaligen Erstantragstellerin auf das Verfahren der weiteren Antragsteller keinen Einfluss hatte. Der Antrag auf Entscheidung nach § 37 Abs 1 Z 9 MRG ist daher noch unerledigt.
Allfällige Mängel des Schlichtungsstellenverfahrens sind aufgrund der angeordneten sukzessiven Kompetenz im Gerichtsverfahren grundsätzlich unmaßgeblich, weil die vorherige Anrufung der Schlichtungsstelle zwar eine Prozessvoraussetzung darstellt, deren Sachentscheidung durch die Abziehung aber ohnehin zur Gänze außer Kraft tritt (5 Ob 87/08t).
Die Verkennung der verfahrensrechtlichen Stellung sämtlicher Mieter in Verfahren nach § 37 Abs 1 Z 9 MRG durch das Rekursgericht bewirkte im Ergebnis einen Mangel iSd § 66 Abs 1 Z 2 AußStrG. Der verfahrenseinleitende Antrag blieb unerledigt.
Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Rekursgericht mit dem Rekurs der Antragsgegnerin, insbesondere der darin enthaltenen Mängel- und Beweisrüge, inhaltlich auseinanderzusetzen haben.
2. Die Antragsgegnerin bekämpft diese Entscheidung in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs lediglich hinsichtlich des Kostenausspruchs, dieses Rechtsmittel ist daher gemäß § 62 Abs 2 Z 1 AußStrG jedenfalls unzulässig. Unter „Kostenpunkt" ist nicht nur die Bemessung der Kosten zu verstehen, sondern auch, ob überhaupt ein Anspruch auf Kostenersatz besteht, wem dieser zusteht, oder die Ablehnung einer Kostenentscheidung (RIS-Justiz RS0017155; RS0044233; RS0008483; RS0008673; RS0007695; RS0111498 ua; so schon 3 Ob 102/92, SZ 66/15). Der trotzdem erhobene Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist daher ohne inhaltliche Prüfung zurückzuweisen.
Die Beantwortung eines absolut unzulässigen Revisionsrekurses ist nach der herrschenden Rechtsprechung den Verfahrensgesetzen generell fremd und ebenfalls zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0123268; RS0043897 [T1]). Die Revisionsrekursbeantwortung der Antragstellerin wäre auch nicht einmal abstrakt geeignet gewesen, einen Beitrag zur Entscheidungsfindung zu leisten, weil darin nicht auf die Unzulässigkeit des beantworteten Rechtsmittels hingewiesen wurde.
Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung (die Antragstellerin hat keine Kosten verzeichnet) stützt sich auf § 37 Abs 3 Z 19 MRG aF. Der verfahrenseinleitende Sachantrag wurde vor dem gestellt, sodass - unabhängig vom Rechtsmittelerfolg - ein Ersatz von Vertreterkosten nach § 37 Abs 3 Z 17 MRG idgF gemäß Art 10 § 2 Abs 3 WohnAußStrBeglG, BGBl I 113/2003, nicht in Frage kommt (MietSlg 58.369).