OGH vom 19.06.2013, 7Ob103/13t (7Ob104/13i)
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin und gefährdeten Partei M***** W*****, vertreten durch Dr. Peter Armstark, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beklagten und Gegner der gefährdeten Partei Hofrat Mag. H***** W*****, vertreten durch Dr. Georg Wallner und andere Rechtsanwälte in Hallein, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO, über die Revisionsrekurse des Beklagten und Gegners der gefährdeten Partei I. gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom , GZ 21 R 281/12p 67, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Oberndorf vom , GZ 1 C 36/10a 52, bestätigt wurde, und II. gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom , GZ 21 R 438/12a 86, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Oberndorf vom , GZ 1 C 36/10a 69, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden mit Ausnahme des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils (zu I.: Abweisung des Mehrbegehrens von 1.095 EUR monatlich) zu II.: Abweisung des Mehrbegehrens von 150 EUR monatlich aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten der Revisionsrekursverfahren sind weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz.
Text
Begründung:
Die 1988 geschlossene Ehe der Streitteile wurde 2009 aus dem Alleinverschulden des Beklagten und Gegners der gefährdeten Partei (in Folge: Beklagter) geschieden. Die Streitteile haben zwei in den Jahren 1985 und 1989 geborene Töchter; diese sind selbsterhaltungsfähig. Der Beklagte bezieht als Polizeibeamter ein durchschnittliches Grundentgelt von 4.577,70 EUR netto monatlich, zusätzlich erhält er noch Entgelte für Journaldienste und Überstunden.
Die Klägerin und gefährdete Partei (in Folge: Klägerin) bezieht als Managerin eines Museumsteams 1.824,68 EUR netto monatlich.
Mit Bescheid vom wurde der Beklagte vom Dienst suspendiert und seine Bezüge wurden ab Mai 2012 um ein Drittel auf 3.051,95 EUR netto monatlich gekürzt. Die Suspendierung wurde im Juli 2012 aufgehoben, seither bezieht er das Grundentgelt wieder in ursprünglicher Höhe.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin ausgehend von dem monatlichen Nettoeinkommen des Beklagten und ihrem Eigeneinkommen monatlich 1.200 EUR an Unterhalt und die Zahlung von Unterhaltsrückständen.
Der Beklagte wandte ein, mit Gesellschaftsvertrag vom habe er gemeinsam mit zwei weiteren Gesellschaftern die Mag. W***** OEG (in Folge: OEG) gegründet. Diese habe eine unbebaute Liegenschaft, deren Bebauung bereits geplant und bewilligt gewesen sei, erworben. Das Projekt sei zur Gänze fremdfinanziert worden. Während der Bauphase sei es zu Komplikationen gekommen, wodurch ungeplant hohe Kosten entstanden seien und das Projekt letztlich defizitär gewesen sei. Mitte 2009 hätten die offenen Verbindlichkeiten der OEG ca 300.000 EUR betragen. Sowohl die OEG als auch die Gesellschafter würden seit 2008 exekutiv belangt. Die beim Beklagten bis aufs Existenzminimum durchgeführten laufenden Gehaltsexekutionen würden die Unterhaltsbemessungsgrundlage schmälern. Die Klägerin sei mit der Durchführung des Bauprojekts einverstanden gewesen und habe sich selbst daraus einen wirtschaftlichen Vorteil erhofft.
Darüber hinaus habe er 2007 ein weiteres Immobilienprojekt im eigenen Namen in Angriff genommen, mit dem die Klägerin ebenfalls einverstanden gewesen sei. Sie habe der Besicherung des dazu aufgenommenen Kredits durch die auch in ihrem Eigentum stehende Penthousewohnung zugestimmt und die Bürgschaft übernommen. Auch aus diesem Geschäft, das sich letztlich als „Nullsummenspiel“ erwiesen habe, habe sich die Klägerin einen Gewinn erhofft. Ihm verblieben zur Bestreitung seines Lebensaufwands nur 1.848,82 EUR, damit sei sein eigener angemessener Unterhalt gefährdet, weil er als Hofrat und leitender Beamter standesgemäß auftreten müsse. Die Klägerin, die zu einem Drittel Miteigentümerin einer Liegenschaft sei, könne ihren Unterhalt aus dem Stamm ihres Vermögens bestreiten.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit Urteil vom ab. Die den Beklagten aus dem Immobiliengeschäft treffenden Verbindlichkeiten seien abzugsfähig.
Das Berufungsgericht hob über Berufung der Klägerin dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es sprach unter anderem aus, dass sich die Klägerin die vom Beklagten herbeigeführten, im Zusammenhang mit dem Immobiliengeschäft verursachten Schulden nicht anrechnen lassen müsse.
Mit Schriftsatz vom beantragte die Klägerin die Erlassung einer einstweiligen Verfügung des Inhalts, dem Beklagten aufzutragen, ihr beginnend mit einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 1.374 EUR zu bezahlen. Mit Schriftsatz vom schränkte die Klägerin diesen Antrag auf die Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags von 1.200 EUR ein.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Provisorialbegehrens.
Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 105 EUR beginnend mit . Das Mehrbegehren, der Beklagte sei schuldig einen weiteren monatlichen Unterhaltsbeitrag von 1.095 EUR monatlich zu leisten, wies es ab. Die durch die laufenden Exekutionen einbehaltenen Beträge seien der Unterhaltsbemessungsgrundlage nach der das Erstgericht bindenden Rechtsansicht des Berufungsgerichts hinzuzurechnen. Weitere Ausführungen seien entbehrlich. Im Hinblick auf die Bezugskürzungen im Zusammenhang mit der Suspendierung des Beklagten stehe dessen Einkommen von ungefähr 3.000 EUR netto monatlich das Eigeneinkommen der Klägerin von 1.824,68 EUR netto monatlich gegenüber. 40 % des Gesamteinkommens würden 1.930 EUR betragen. Unter Abzug des Eigeneinkommens errechne sich der der Klägerin zuzusprechende Betrag.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Auch wenn die Aufnahme des Kredits für das Immobilienprojekt der OEG seinerzeit im Einvernehmen der Ehegatten erfolgt sei und sich die Klägerin dadurch auch einen zumindest indirekten wirtschaftlichen Vorteil erhofft habe, so betreffe dieser Kredit dennoch nicht die Ehewohnung und falle auch sonst nicht unter eine der Ausnahmen vom Grundsatz, dass generell Schulden des Unterhaltspflichtigen auf die Bemessungsgrundlage nicht anrechenbar seien. Der Beklagte habe ein hohes Einkommen bezogen und es habe keine Notwendigkeit bestanden, sich auf ein Immobilienprojekt dieses Ausmaßes einzulassen. Über Antrag des Beklagten ließ das Rekursgericht den ordentlichen Revisionsrekurs nachträglich zu der Frage zu, ob die Verbindlichkeiten aus einem einmaligen Investitionsgeschäft, mit welchem keine laufende Einnahmequelle verbunden oder zu erwarten sei, auf die Bemessungsgrundlage des Unterhaltspflichtigen in Anrechnung gebracht werden können.
Mit Schriftsatz vom beantragte die Klägerin die Abänderung der einstweiligen Verfügung vom dahin, dass der Beklagte schuldig sei, ihr beginnend mit einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 1.200 EUR zu bezahlen. Die Verhältnisse, die bei Erlassung der einstweiligen Verfügung vorgelegen seien, hätten sich geändert. Die Suspendierung des Beklagten sei aufgehoben worden, sodass er nun wiederum sein volles Gehalt beziehe.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung.
Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten, der Klägerin beginnend mit einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 1.050 EUR zu zahlen. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 150 EUR monatlich wies es ab. Unter Berücksichtigung der Aufhebung der Suspendierung sei von einer Bemessungsgrundlage von 5.370 EUR netto auszugehen. Der Einbehalt auf Grund der laufenden Exekutionen schmälere die Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht. Unter Berücksichtigung des Eigeneinkommens der Klägerin von 1.828,68 EUR netto monatlich errechne sich ein Familieneinkommen von 7.194,68 EUR. 40 % würden 2.877,87 EUR ergeben, woraus sich nach Abzug des Eigeneinkommens der Provisorialunterhalt von 1.050 EUR errechne.
Das Rekursgericht bestätigte auch diese Entscheidung und wiederholte seine Rechtsansicht, wonach die Aufnahme des Kredits für das Immobilienprojekt der OEG nicht auf die Unterhaltsbemessungsgrundlage anzurechnen sei. Die Tatsache, dass die Klägerin zu einem Drittel Miteigentümerin einer Liegenschaft sei, sage nichts darüber aus, dass sie Erträgnisse aus diesem Vermögen erwirtschafte. Der Beklagte habe weiters nicht ausreichend substantiiert vorgebracht, inwieweit sein angemessener Unterhalt durch das Erfordernis eines standesgemäßen Auftretens als Hofrat und leitender Beamter gefährdet sei. Der ordentliche Rekurs sei zulässig.
Gegen beide Beschlüsse des Rekursgerichts wendet sich der Beklagte jeweils mit Revisionsrekurs mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin begehrt, die Revisionsrekurse zurückzuweisen, hilfsweise ihnen keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionsrekurse sind aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig. Sie sind auch berechtigt.
1. Durch eine Leistungsverfügung nach § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO (Unterhalts EV), mit der ein Exekutionstitel geschaffen wird, soll nicht der Anspruch, sondern es sollen die Unterhaltsbedürfnisse der gefährdeten Partei selbst besichert werden. Damit ist die Unterhalts EV an sich keine „eigentliche“ EV im Sinne der EO. Es geht vielmehr um die rasche Durchsetzung von Unterhaltsforderungen, das heißt um die Sicherung materieller Bedürfnisse und damit der Existenz der gefährdeten Partei. Zugebilligt wird der gefährdeten Partei zwar einstweiliger Unterhalt, der ihr aber in der Regel endgültig zusteht. Daher gibt es auch nicht einen im Hauptverfahren durchzusetzenden „normalen“ Unterhaltsanspruch und daneben noch einstweiligen Unterhalt. Vielmehr wird in beiden Fällen derselbe Anspruch geltend gemacht ( Gitschthaler/Höllwerth Komm z EheG § 382 EO Rz 1 mwN).
2. Der Beklagte hielt von Anfang an dem Unterhaltsbegehren der Klägerin entgegen, dass die Beträge, die zur Tilgung der im Zusammenhang mit dem von der OEG durchgeführten Bauprojekt be-stehenden Verbindlichkeiten dienten und den Gehaltsexekutionen zu Grunde liegen, von der Unterhaltsbemessungsgrundlage abzuziehen seien. Dieser Einwand ist auch Gegenstand des Provisorialverfahrens.
3. Schulden des Unterhaltspflichtigen mindern nicht schlechthin die Bemessungsgrundlage (RIS Justiz RS0047491). Die Beweislast dafür, dass Schulden ausnahmsweise eine Abzugspost von der Unterhaltsbemessungsgrundlage darstellten, trifft den Unterhaltspflichtigen (RIS Justiz RS0047491 [T1]; RS0079451 [T7]). Aus dem laufenden Einkommen abzudeckende Verbindlichkeiten sind nur ganz ausnahmsweise für die Unterhaltsbemessung von Bedeutung, nämlich etwa bei Rückzahlung eines Kredits, der zur Bestreitung der Haushaltskosten oder zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit aufgenommen wurde (RIS Justiz RS0047491 [T9]). Abzugsfähig von der Bemessungsgrundlage sind lebensnotwendige und existenznotwendige, existenzsichernde Ausgaben (RIS Justiz RS0007202 [T10]) oder Ausgaben zur Finanzierung außergewöhnlicher Belastungen (RIS Justiz RS0007202 [T11]). In diese Kategorie fallen auch Schulden, deren Begründung auf dem Boden einer ex ante Beurteilung erforderlich war, um die existenzsichernde Ertragskraft eines Unternehmens des Geldunterhaltsschuldners zu erhalten oder zu verbessern (RIS Justiz RS0007202 [T12]). Die Kreditrückzahlungsraten sind grundsätzlich nicht abzugsfähig (RIS Justiz RS0047491 [T13]). Schulden können allerdings unter bestimmten Voraussetzungen nach billigem Ermessen berücksichtigt werden (RIS Justiz RS0047491 [T14]). Für eine Interessenabwägung, inwieweit Schulden eine Abzugspost von der Unterhaltsbemessungsgrundlage darstellen, sind der Zeitpunkt und die Art ihrer Entstehung, der Zweck, für den sie aufgenommen worden sind, das Einverständnis des Ehepartners zu dieser Schuldaufnahme, die Dringlichkeit der Bedürfnisse des Verpflichteten und des Berechtigten, das Interesse an einer Schuldentilgung, um die Verbindlichkeit nicht weiter anwachsen zu lassen und dadurch die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten weiter herabzudrücken, maßgeblich (RIS Justiz RS0079451).
Das Rekursgericht hat die Rechtsprechung richtig wiedergegeben. Zutreffend verweist der Beklagte aber darauf, dass zu seinem Vorbringen über die Gründe, aus denen er eine Berücksichtigung der Schulden zu deren Hereinbringung die Gehaltsexekutionen geführt werden ableitet, im Provisorialverfahren überhaupt keine Feststellungen getroffen wurden. Zur Beurteilung der Frage, ob eine Interessenabwägung im Sinn der dargestellten Rechtsprechung vorzunehmen ist, ist vorerst die entsprechende Sachverhaltsgrundlage zu schaffen. Es sind Feststellungen zu Zeitpunkt, Zweck und Höhe der vom Beklagten im Einzelnen eingegangenen Verbindlichkeiten zu treffen. Weiters ist zu klären, inwieweit die Klägerin in das geplante Projekt des Beklagten involviert und über die Schuldaufnahme informiert war sowie in welchem Umfang sie einverstanden war. Festzustellen ist auch, welcher Vorteil ihr aus dem Projekt zukommen sollte und aus welchen Gründen dieses gescheitert ist. Zuletzt ist auch offen, in welcher Höhe die Verbindlichkeiten bestehen und wegen welcher Forderungen Exekution gegen den Beklagten geführt wird.
Erst wenn diese Feststellungen getroffen wurden, kann beurteilt werden, ob die Schulden des Beklagten allenfalls nach billigem Ermessen zu berücksichtigen sind. Die im Zulässigkeitsausspruch erörterte Frage, ob die Schulden nur dann anzurechnen seien, wenn sie im Zusammenhang mit der Schaffung einer laufenden Einnahmequelle aufgenommen worden seien, stellt sich im Zusammenhang mit der hier vorzunehmenden Interessenabwägung nicht.
4. Da die Unterhaltsbemessungsgrundlage und damit auch der Unterhaltsanspruch der Klägerin nicht feststehen, kann derzeit auch nicht beurteilt werden, ob allenfalls durch den der Klägerin zu gewährenden Unterhalt der angemessene Unterhalt des Beklagten „als Hofrat und leitender Beamter“ gefährdet ist. Es bedarf daher zum jetzigen Zeitpunkt keiner Erörterung, ob die Unterhaltspflicht des Beklagten nach § 67 ABGB zu reduzieren ist oder allenfalls zu entfallen hat.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.