OGH vom 11.06.2002, 1Ob105/02a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Pflegschaftssache des ***** Ronald H***** und der ***** mj. Pamela H***** infolge Revisionsrekurses der Republik Österreich, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom , GZ 2 R 516/01m-89, mit dem der Rekurs der Republik Österreich gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom , GZ 2 P 2201/95s-82, zurückgewiesen wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Das Erstgericht bewilligte den beiden Pflegebefohlenen mit Beschlüssen vom Unterhaltsvorschüsse nach §§ 3, 4 Z 1 UVG, weil eine Exekution gegen den Vater als Unterhaltsschuldner aussichtslos erschien. Nachdem der Sohn von der Mutter zum nunmehr in Deutschland lebenden Vater übersiedelt war, wurde der ihm gewährte Unterhaltsvorschuss mit Beschluss vom eingestellt.
Nachdem der Vater, dem vom zuständigen deutschen Gericht die elterliche Sorge für den Sohn übertragen worden war, in dessen Namen einen Antrag auf Unterhaltszahlung durch die Mutter gestellt hatte, trafen die (geschiedenen) Eltern eine Vereinbarung, nach der die Obsorge über den Sohn dem Vater, jene über die Tochter der Mutter zukommen soll, jeder der Eltern für das in seinem Haushalt befindliche Kind allein aufzukommen hat, alle offenen Unterhaltsanträge zurückgezogen werden und der Unterhaltsvorschuss für die Tochter mit Wirkung vom eingestellt wird. Als Punkt 3. der Vereinbarung wurde weiters festgehalten: "Bis bestehen keine offenen Unterhaltsrückstände".
Mit dem - in diesem Punkt 3. angefochtenen Beschluss genehmigte das Erstgericht die dargestellte Vereinbarung der Eltern. In der Folge wurde die Bezirkshauptmannschaft Villach (Referat für Jugend und Familie) als Sachwalter der Tochter gemäß § 9 Abs 2 UVG vom Erstgericht ersucht, der Vereinbarung für die mj. Tochter beizutreten. Der Jugendwohlfahrtsträger teilte darauf mit (ON 83), dass er als Sachwalter der Kinder gemäß § 9 UVG der Vereinbarung der Eltern beitrete; zugleich führte er aus, dass noch ein Unterhaltsrückstand "beim Oberlandesgericht Graz" in Höhe von S 51.133,72 (zum für den Sohn) und von S 46.787,01 (zum für die Tochter) unberichtigt aushafte und vom Vater rückzuerstatten sei.
Mit Beschluss vom stellte das Erstgericht - im Sinne der Vereinbarung der Eltern - den Unterhaltsvorschuss für die Tochter mit Ablauf des ein.
Das Rekursgericht wies den Rekurs der Republik Österreich gegen den dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz (erst) am zugestellten Beschluss, mit dem die Vereinbarung der Eltern pflegschaftsgerichtlich genehmigt worden war, zurück und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Es vertrat die Rechtsansicht, dass dem Bund im vorliegenden Verfahren keine Rekurslegitimation zukomme, weil er von der genehmigten Vereinbarung rechtlich nicht betroffen sei. Die Vereinbarung sei - mit Rechtswirkungen auch für die Kinder - zwischen den Eltern getroffen worden und zeitige auch nur im Verhältnis dieser Personen untereinander Rechtswirkungen; der Vertrag könne nicht zu Lasten Dritter (des unbeteiligten Bundes) gehen. Die Einhebung bevorschusster, vom Unterhaltspflichtigen noch nicht hereingebrachter Beträge durch den Bund werde durch die vorliegende Vereinbarung nicht gehindert.
Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Bundes ist iSd § 14 Abs 1 AußStrG zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer vergleichbaren Problemstellung nicht vorliegt. Er ist jedoch nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionsrekurswerberin meint, Punkt 3. der Vereinbarung der Eltern sei materiell als Verzicht der Kinder - die einerseits Unterhaltsgläubiger und andererseits Vorschussschuldner seien - auf den in der Vergangenheit vom Vater nicht (vollständig) gezahlten Unterhalt anzusehen. Durch eine (rechtskräftige) pflegschaftsbehördlich genehmigte Vereinbarung wäre dem Bund - nach Eintritt der Legalzession gemäß § 30 UVG - die Hereinbringung bzw Eintreibung des aushaftenden Unterhaltsvorschusses nicht mehr möglich, weshalb ihm ein Rechtsschutzinteresse zuzugestehen sei.
Dieser Auffassung ist nicht zu folgen: Die Revisionsrekurswerberin übersieht vor allem, dass es sich bei der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung nicht um einen Beschluss im Sinne des § 15 Abs 1 UVG (Beschlüsse im Verfahren über die Gewährung von Vorschüssen) handelt, der auch vom Bund - durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts - angefochten werden kann. Ebensowenig liegt einer jener besonderen Fälle vor, in denen die Rechtsprechung ein Rechtsschutzinteresse - und damit die Rechtsmittellegitimation des Bundes - bejaht hat (vgl dazu nur die Darstellung bei Neumayr in Schwimann² I Rz 18 zu § 15 UVG).
In einem Verfahren, das die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung einer die Rechtssphäre eines Kindes betreffenden Vereinbarung zum Gegenstand hat, ist der Bund nicht Partei. Seine Rechtsmittellegitimation als Beteiligter könnte nur in Fällen bejaht werden, in denen er seine Rechtsposition auf andere Weise nicht zu wahren vermag. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.
Es entspricht herrschender Judikatur, dass Vereinbarungen der Eltern über die Alimentation der Kinder regelmäßig der gerichtlichen Genehmigungspflicht nach § 154 Abs 3 ABGB unterliegen (EFSlg 81.076 ua), was insbesondere für einen Unterhaltsverzicht gilt (EvBl 1972/182, EFSlg 62.810 ua). Für den vorliegenden Fall ist jedoch zu beachten, dass der Mutter keine Vertretungsbefugnis für ihre Kinder im Hinblick auf deren Unterhaltsansprüche zukam; gemäß § 9 Abs 2 UVG war vielmehr allein der Jugendwohlfahrtsträger zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche der (damals noch minderjährigen) Kinder berufen, und zwar gemäß § 9 Abs 3 UVG auch ungeachtet der damals bereits erfolgten Einstellung der Vorschüsse für den Sohn.
Auch eine ohne ausreichende Vertretungsmacht von der Mutter abgeschlossene Unterhaltsvereinbarung (bzw ein Unterhaltsverzicht für die Vergangenheit) könnte aufgrund einer nachträglichen Genehmigung durch den insoweit zur Vertretung berufenen Jugendwohlfahrtsträger - unter der Voraussetzung der anschließenden pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung - Rechtswirksamkeit erlangen. Eine solche Genehmigung liegt jedoch nicht vor, weil der Jugendwohlfahrtsträger in seiner Äußerung vom zwar grundsätzlich erklärte, dass "der Vereinbarung der Kindeseltern beigetreten wird", zugleich aber darauf hinwies, dass noch erhebliche Unterhaltsrückstände aushafteten und vom Vater zu erstatten seien. Damit hat er deutlich zu erkennen gegeben, einen allfälligen Unterhaltsverzicht für die Zeit vor dem jedenfalls insoweit nicht zu genehmigen, als es um die den gewährten Unterhaltsvorschüssen betraglich entsprechenden Unterhaltsforderungen geht, die "materiell" dem Bund zustehen. Da auch die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung eines Rechtsgeschäfts die fehlende Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nicht ersetzen kann (EFSlg 15.528, EFSlg 65.977 ua; vgl auch JBl 1971, 200 = EvBl 1971/106, EvBl 1972/244), konnte Punkt 3. der Vereinbarung im Hinblick auf die zum bestehenden Unterhaltsrückstände des Vaters keine Wirksamkeit im Sinn eines Forderungsverzichts erlangen.
Die Revisionsrekurswerberin, auf die mit Beendigung der gesetzlichen Vertretung des Jugendwohlfahrtsträgers die noch nicht eingebrachten Unterhaltsforderungen des Sohnes im Ausmaß der noch nicht zurückgezahlten Vorschüsse gemäß § 30 UVG mittlerweile übergegangen sind, ist somit mangels anderweitiger wirksam zustande gekommener Vereinbarung durchaus in der Lage, diese Forderungen durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts geltend zu machen, ohne dass ihr vom Unterhaltsschuldner ein Erlöschenstatbestand entgegengehalten werden könnte. Sie ist daher durch den angefochtenen Beschluss nicht beschwert, weshalb das Rekursgericht ihr Rechtsmittel zu Recht als unzulässig zurückgewiesen hat.