OGH vom 27.11.2018, 4Ob100/18m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers S*****, vertreten durch Dr. Erich Kafka und Dr. Manfred Palkovits, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beklagten L*****, vertreten durch Dr. Gerhard Deinhofer und Dr. Friedrich Petri, Rechtsanwälte in Wien, wegen Übergabsauftrag (Streitwert 51.480 EUR) sA, über die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 40 R 245/17a29, womit das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom , GZ 9 C 167/16v25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird gegeben.
Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 2.240,10 EUR (darin 373,35 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist Hälfteeigentümer einer mit zwei Häusern bebauten Liegenschaft. Aufgrund einer Benützungsregelung mit seinem Miteigentümer steht ihm das alleinige Benützungs- und Verwertungsrecht am Haus 2 zu. Der Beklagte war aufgrund eines mit dem Kläger 2006 abgeschlossenen Mietvertrags ab bis ursprünglich Mieter dieses Hauses. In der Folge einigten sich die Parteien auf eine Verlängerung des Mietvertrags, zunächst um zwei Jahre (bis ) und schließlich um weitere vier Jahre (bis ) und auf eine Erhöhung der Miete unter der Bedingung der Durchführung bestimmter Arbeiten durch den Kläger. Da es aber zu Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit den Renovierungsarbeiten kam, erteilte der Kläger dem Beklagten einen Übergabsauftrag und klagte auf Räumung des Bestandobjekts zum . Die Klage wurde aber rechtskräftig abgewiesen, weil diese Unstimmigkeiten nichts an der grundsätzlichen Einigung der Streitteile auf eine Verlängerung um vier Jahre änderten (LGZ Wien 40 R 239/13p). Der Kläger ließ schließlich keine Renovierungsarbeiten durchführen.
Mit dem nunmehrigen Übergabsauftrag vom – dem der Miteigentümer des Klägers ausdrücklich zustimmte –, vom Gericht erlassen am , begehrte der , den Beklagten schuldig zu erkennen, das Bestandobjekt binnen 14 Tagen geräumt von eigenen Fahrnissen zu übergeben. Das Mietverhältnis erlösche ohne Aufkündigung durch Zeitablauf am .
Der wendete ein, die Parteien hätten sich auf eine Mietdauer von vier Jahren ab Durchführung der Renovierungsarbeiten geeinigt, weshalb – mangels Renovierung – nach wie vor ein aufrechtes Mietverhältnis bestehe. Im Übrigen fehle dem Kläger die Aktivlegitimation zur Klage.
Das erkannte den Übergabsauftrag für rechtswirksam. Es ging von einer Beendigung des Mietverhältnisses mit aus. Das Beweisverfahren habe nicht ergeben, dass die 4-jährige Verlängerung unter der Bedingung der Durchführung der Renovierungsarbeiten gestanden wäre. Die Aktivlegitimation des Klägers sei gegeben, zumal ein Miteigentümer, dem der physische Besitz eines Teils der Liegenschaft durch Benützungsregelung allein überlassen worden sei, berechtigt sei, das von ihm eingegangene Mietverhältnis ohne Zustimmung der anderen Miteigentümer aufzukündigen.
Das bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision zu, weil zur Aktivlegitimation des aufgrund einer Benützungsvereinbarung allein zur Vermietung berechtigten Miteigentümers divergierende Judikaturlinien vorlägen.
Der Beklagte beantragt in seiner , die Klage abzuweisen, in eventu das angefochtene Urteil aufzuheben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist , aber .
1. Der Übergabsauftrag erfüllt – beim Bestandvertrag auf bestimmte Dauer – verfahrensrechtlich die gleiche Funktion wie die gerichtliche Kündigung (RIS-Justiz RS0044915). Daraus ergibt sich die Relevanz der Rechtsprechung zur gerichtlichen Kündigung für die hier zu lösenden Rechtsfragen.
2. Nach ständiger Rechtsprechung genügt es im Fall der Kündigung eines Bestandvertrags durch einen Miteigentümer der Liegenschaft, dem nicht die Mehrheit der Anteile gehört, wenn er im Zuge des Kündigungsverfahrens die Zustimmung solcher Miteigentümer nachweist, denen mit ihm zusammen die Mehrheit der Anteile gehört. Dieses Einverständnis muss nicht schon zugleich mit der Kündigung nachgewiesen werden (RIS-Justiz RS0013437; vgl auch RS0013426, 6 Ob 127/15t). Im Fall des Nachweises des Einverständnisses der Mehrheit ist der Minderheitseigentümer zur Aufkündigung im eigenen Namen legitimiert (2 Ob 507/49). Die Entscheidung 5 Ob 44/98a spricht von einer Rechtstradition, dass ein von den Miteigentümern eines Hauses mit einem außenstehenden Dritten abgeschlossener Mietvertrag von der Mehrheit der Miteigentümer im eigenen Namen gekündigt werden kann (vgl auch 5 Ob 458/97g; 8 Ob 349/99b; 8 Ob 207/02b; 8 Ob 63/03b).
3.1. Der 6. Senat hielt in seiner Entscheidung 6 Ob 52/97h zur Aktivlegitimation einer Minderheitseigentümerin mit alleinigem Nutzungsrecht an einer bestimmten Wohnung fest, dass der zum Gebrauch bestimmter Räumlichkeiten der gemeinsamen Liegenschaft berechtigte Miteigentümer zum Abschluss eines Bestandvertrags im Namen aller Miteigentümer gleich einem Verwalter legitimiert sei. Er handle, auch wenn er dies nicht zum Ausdruck bringe, im Zweifel als Vertreter sämtlicher Miteigentümer. Er könne nur dann alleine kündigen, wenn weitere Miteigentümer, die mit ihm zusammen eine Mehrheit bilden, mit der Kündigung einverstanden seien. Wenn ihm durch Benützungsregelung der physische Besitz eines Teils der Liegenschaft allein überlassen worden sei, sei er aufgrund der darin gelegenen Verwaltungsvollmacht zur Vermietung dieses Teils berechtigt, sowie auch dazu, das von ihm eingegangene Mietverhältnis ohne Zustimmung der anderen Miteigentümer aufzukündigen. Dies ändere aber nichts daran, dass als Partei des Kündigungsstreits nicht der Minderheitseigentümer allein, sondern alle Miteigentümer als Bestandgeber anzusehen seien, als deren Vertreter bzw Verwalter der Nutzungsberechtigte auftrete. Die rechtsgestaltende Wirkung der Aufkündigung erstrecke sich auch auf sie als einheitliche Streitpartei. Daraus ergebe sich die Notwendigkeit einer Richtigstellung der Bezeichnung der klagenden Partei.
3.2. In der Entscheidung 6 Ob 178/98i ist der 6. Senat im Fall der Klage des Mehrheitseigentümers vom Erfordernis des Auftretens im Namen der Gesamtheit wieder abgegangen.
3.3. Auch der 8. Senat lehnte in der Entscheidung 8 Ob 349/99b das Erfordernis des Auftretens im Namen sämtlicher Miteigentümer für den Fall der Kündigung durch den Mehrheitseigentümer ab (vgl auch 5 Ob 146/99b, wo die Entscheidung 6 Ob 52/97h als überholt bezeichnet wurde).
3.4. Da die Kündigung (bzw Auflösung) eines Bestandvertrags in den Rahmen der ordentlichen Verwaltung des Miteigentumsrechts fällt, bejaht die Rechtsprechung grundsätzlich die Aktivlegitimation der Mehrheit der Miteigentümer (vgl Lovrek in Rummel/Lukas, ABGB4§ 1116 Rz 29 mwN).
3.5. Diese ergibt sich schon aus der der Mehrheit zustehenden „gesetzlichen“ Verwalterstellung (vgl Böhm in Kletečka/Schauer, ABGB-ON 1.01 § 833 Rz 25). Nach ständiger Rechtsprechung handelt der Mehrheitseigentümer im Zweifel auch ohne Offenlegung im Namen aller Miteigentümer (RIS-Justiz RS0107642; RS0042537; eine gegenteilige Vereinbarung ist zwar möglich [RIS-Justiz RS0013607], aber im Zweifel nicht anzunehmen).
3.6. Eine vergleichbare Rechtsposition besitzt aber auch ein Minderheitseigentümer (oder [wie hier] Hälfteeigentümer), dem durch Benützungsvereinbarung ein bestimmter Liegenschaftsteil zur alleinigen Benützung und Verfügung überlassenen worden ist (vgl RIS-Justiz RS0107642). Auch in diesem Fall ist daher von einer– zumindest implizit eingeräumten – Verwaltungsvollmacht auszugehen, zumal die anlässlich der vertraglichen Benützungsregelung dem Miteigentümer eingeräumte unbeschränkte Verfügungsmacht über den zur Benützung überlassenen Teil einer auch zur Vermietung mit Wirkung für die Gesamtheit der Liegenschaftseigentümer berechtigenden Verwaltungsvollmacht gleichzuhalten ist (RIS-Justiz RS0013398).
4.1. Dem von Teilen der Rechtsprechung aufgestellten Erfordernis der Mitwirkung sämtlicher Miteigentümer an der Kündigung (vgl 8 Ob 131/02a, wonach ein schlichter Miteigentümer lediglich im Namen aller Miteigentümer kündigen oder auf Räumung klagen könne; vgl auch 2 Ob 109/14i) schließt sich der erkennende Senat auch für Fälle eines Übergabsauftrags nicht an.
4.2. Das Prozessrecht enthält keine allgemeine Pflicht, alle potenziell von einem Rechsverhältnis Betroffenen in ein Verfahren mit einzubeziehen. Wann eine notwendige Streitgenossenschaft vorliegt, ergibt sich aus dem materiellen Recht (vgl Perner, Die notwendige Streitgenossenschaft an der Schnittstelle von Zivil- und Prozessrecht, RdW 2010, 77; vgl auch Böhm in Kletečka/Schauer, ABGB-ON 1.01 § 833 Rz 43). So sprechen etwa § 117, 127 UGB von „allen übrigen Gesellschaftern“ (ähnlich § 140 UGB). Diesbezüglich wird daher judiziert, dass die außergerichtliche Einwilligung einzelner Gesellschafter in die Klageführung gemäß diesen Bestimmungen noch nicht die Aktivlegitimation zur Erwirkung der gerichtlichen Rechtsgestaltung verschafft (1 Ob 40/01s). Für den vorliegenden Fall fehlt eine ähnliche Bestimmung des materiellen Rechts, sodass von keiner notwendigen Streitgenossenschaft auszugehen ist.
5. Zusammenfassend ist daher an der oben zitierten Rechtsprechung festzuhalten, wonach die Mehrheit allein aktiv legitimiert ist. Die dabei entwickelten Grundsätze beruhen im Kern darauf, dass der Mehrheit Verwalterstellung zukommt. Dieser Grundsatz trifft auch auf den benützungsgeregelten Hälfteeigentümer zu. Vereinzelten gegenteiligen Entscheidungen folgt der Senat nicht.
Der Revision ist somit nicht Folge zu geben.
6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 41, 50 ZPO.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00100.18M.1127.000 |
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