OGH vom 21.06.2006, 7Ob102/06k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder Sarah K*****, geboren am , Sandro K*****, geboren am und Sebastian K*****, geboren am , vertreten durch die Mutter Sabine K*****, diese vertreten durch Friedl & Holler Rechtsanwalts-Partnerschaft in Gamlitz, über den Revisionsrekurs des Vaters Manfred K*****, vertreten durch Dr. Günter Tews, Rechtsanwalt in Linz und Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom , GZ 1 R 307/05g-U25, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Leibnitz vom , GZ 8 P 145/04b-U22, bestätigt wurde, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Mit der Obsorge für die drei aus der am gemäß § 55a EheG geschiedenen Ehe ihrer Eltern stammenden minderjährigen Kinder Sarah, Sandro und Sebastian sind beide Elternteile betraut. Die Kinder halten sich vereinbarungsgemäß hauptsächlich bei der Mutter in G***** auf, während der Vater seit im 295 km entfernten S***** wohnt. Anlässlich der Scheidung verpflichtete sich der Vater zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von je EUR 200 für Sarah und Sandro sowie von EUR 100 für Sebastian. Dieser vergleichsweisen Regelung wurde ein monatliches Nettoeinkommen des Vaters von EUR 1.446 (inklusive anteiliger Sonderzahlungen, exklusive eines Reisekostenzuschusses von EUR 109,10) und weiters zugrundegelegt, dass der Vater, der Polizeibeamter ist, monatliche Kosten von EUR 808 für die Fahrten zu seinem (vom damaligen Wohnort) 89 km entfernten Arbeitsplatz (in G*****) habe und Rückzahlungen von monatlich EUR 310 für einen Wohnraumbeschaffungskredit leisten müsse. Die Mutter beantragte namens der Kinder, die monatlichen Unterhaltsleistungen ab für Sarah und Sandro auf je EUR 285 und für Sebastian auf EUR 190 anzuheben, da der Vater seine Einkommenssituation nicht ordnungsgemäß dargelegt habe. Der Vater sprach sich gegen eine Erhöhung seiner Unterhaltsleistungen aus.
Das Erstgericht verpflichtete ihn zur Zahlung der begehrten Unterhaltsbeiträge ab ; das Mehrbegehren für die Zeit von bis einschließlich Jänner 2005 wies es - unbekämpft - ab. Es stellte dazu im Wesentlichen fest, dass der Vater im Zeitraum Jänner bis Juni 2005 ein Nettoeinkommen von monatlich durchschnittlich EUR 2.019,84 bezogen habe. Ausgehend von dieser Unterhaltsbemessungsgrundlage billigte es den Kindern unter Berücksichtigung einer weiteren Sorgepflicht des Vaters für den mj. Patrick K*****, geboren am , nach der Prozentsatzmethode Unterhaltsquoten von je 15 % für Sarah und Sandro und von 10 % für Sebastian zu. Der Vater sei jedenfalls in der Lage, die begehrten Unterhaltsbeiträge zu leisten, durch deren Erbringung die Prozentkomponente nicht voll ausgeschöpft sei. Da der nunmehrige Wohnort des Vaters nur 25 km von seiner Dienststelle entfernt liege, übersteige der tatsächliche Fahrtaufwand nicht den durchschnittlichen Aufwand von Arbeitnehmern in ähnlicher Situation. Weiters seien Reisekosten für die Ausübung des Besuchsrechts und die Rückzahlung des zur Wohnraumbeschaffung eröffneten Kredits nicht von der Unterhaltsbemessungsgrundlage in Abzug zu bringen.
Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz. Die vom Vater mit monatlich EUR 472 geltend gemachten, durch die Ausübung des Besuchsrechts entstehenden Kosten fielen jenem Elternteil zur Last, der das Besuchsrecht ausübe. Selbst wenn hohe Anreisekosten des Unterhaltspflichtigen bei der Besuchsrechtsausübung anfielen, bildeten diese keine Abzugspost, weil dem betreuenden Elternteil dadurch keine Aufwendungen erspart würden. Es bestehe daher kein Anlass, die Kosten der Besuchsrechtsausübung von der Unterhaltsbemessungsgrundlage in Abzug zu bringen.
Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes sei ein durchschnittlicher monatlicher Aufwand von EUR 51 für die Fahrten zum Arbeitsplatz zu berücksichtigen. Von der Bemessungsgrundlage abzuziehen sei auch die für den Sohn Patrick gewährte Kinderzulage von monatlich EUR 21,75. Aber auch bei einer demnach auf EUR 1.947,09 reduzierten Unterhaltsbemessungsgrundlage könne sich der Vater durch die ihm auferlegten Unterhaltsbeiträge von je EUR 285 für Sarah und Sandro und EUR 190 für Sebastian nicht beschwert erachten. Das Rekursgericht sprach zunächst aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, änderte diesen Ausspruch über Zulassungsvorstellung des Vaters aber dahin ab, dass es den ordentlichen Revisionsrekurs nach § 62 Abs 1 AußStrG doch für zulässig erklärte. Nach der Neufassung des § 148 ABGB durch das KindRÄG 2001, wonach nunmehr aus dem Recht des Kindes auf persönlichen Verkehr mit dem Elternteil auch eine korrespondierende Pflicht des Elternteils abgeleitet werde, bestehe keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Kosten bei Ausübung des Besuchsrechtes. Da der Revisionsrekurswerber dazu auch zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofes vorgelegt habe, die sich mit der aufgezeigten Frage befassten, sei der ordentliche Revisionsrekurs zuzulassen, da der Entscheidung zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukomme. Gegen den Beschluss des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters, der die Entscheidung der zweiten Instanz insoweit anficht, als der Unterhalt ab für Sarah und Sandro jeweils um mehr als EUR 30 und für Sebastian um mehr als EUR 50 erhöht wurde (Unterhaltsbeiträge von jeweils EUR 230 für Sarah und Sandro und EUR 150 für Sebastian bleiben demnach unangefochten). Die Mutter als Vertreterin der Kinder hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
Einziger Gegenstand des Revisionsrekurses sind die dem Vater durch die 14-tägigen Besuchsfahrten von S***** nach G***** und zurück entstehenden Kosten, die im Revisionsverfahren zuletzt mit monatlich EUR 420 beziffert werden. Diese Kosten seien zu berücksichtigen. Damit vermindere sich die Unterhaltsbemessungsgrundlage auf EUR 1.527,09, woraus Unterhaltsbeiträge für Sarah und Sandro von EUR 230 und für Sebastian von EUR 150 resultierten.
Der Senat hat dazu erwogen:
Beim Recht des persönlichen Verkehrs mit dem Kind (Besuchsrecht) handelt es sich um ein „Grundrecht der Eltern-Kind-Beziehung" (RV 60 BlgNR 14. GP 28; Stabentheiner in Rummel3 ErgBd § 148 ABGB Rz 1 mwN), dessen Zweck es ist, die Bindung zwischen Eltern und Kind aufrecht zu erhalten, eine Entfremdung zu verhindern und Gelegenheit zu geben, sich vom Erziehungs- und Gesundheitszustand des Kindes zu überzeugen (RIS-Justiz RS0049070; Stabentheiner aaO mwN). Schon vor dem KindRÄG 2001 war in Lehre und Rechtsprechung anerkannt, dass es sich auch beim Besuchsrecht - wie bei den anderen rechtlichen Elementen des Eltern-Kind-Verhältnisses - nicht allein um ein Elternrecht handelt, sondern auch um ein Recht des Kindes, dem eine entsprechende Elternpflicht (nämlich mit dem Kind Kontakt zu pflegen) gegenübersteht (Stabentheiner aaO mwN). Dem Rechnung tragend, wurde mit der Neufassung des § 148 ABGB das Besuchsrecht nun explizit auch als Recht des Kindes formuliert. Zu betonen ist, dass - auch schon nach der alten Rechtslage - für die Regelung des Besuchsrechts allein das Wohl des Kindes ausschlaggebend ist (RIS-Justiz RS0047958 mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen; vgl auch RS0048062 und RS0048068).
Die Kosten des Verkehrs des Kindes mit einem nicht sorgeberechtigten Elternteil und des Aufenthaltes bei diesem Elternteil gehören nach ganz herrschender Meinung zu den Kosten des Unterhalts (2 Ob 521/53; 2 Ob 108/57; Gitschthaler, Unterhaltsrecht Rz 45). In Fällen, in denen die Eltern - wie hier - gemeinsam mit der Obsorge betraut wurden, hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass der vereinbarungsgemäß den Haushalt des „hauptsächlichen Aufenthalts" (iSd § 177 Abs 2 ABGB) führende Elternteil weiterhin als derjenige anzusehen ist, der seine Unterhaltspflicht durch Betreuung des Kindes iSd § 140 Abs 2 ABGB erfüllt, während der andere Elternteil (in den meisten Fällen der Vater) seinen Unterhaltsbeitrag in Geld zu leisten hat (7 Ob 145/04f). Dessen „Besuchsrechtskosten" sind daher gleichermaßen als Kosten des Unterhalts anzusehen, wie bei einem nicht sorgeberechtigten Elternteil.
Vor Inkrafttreten des KindRÄG hat der Oberste Gerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass Aufwendungen im Rahmen des üblichen Besuchsrechts die Unterhaltsbemessungsgrundlage grundsätzlich nicht schmälern können (4 Ob 507/92, ÖA 1992, 57; RIS-Justiz RS0047505). Ein die übliche Dauer überschreitendes Besuchsrecht kann allerdings zu einer Reduzierung der Unterhaltspflicht führen (siehe die zahlreichen Nachweise von Gitschthaler aaO), wobei in der Entscheidung 1 Ob 2018/96d, ÖA 1998, 17/F142 = EFSlg 79.968 ein Besuchsrecht ab etwa vier Wochen als Grenzwert angesehen wurde. In der Entscheidung 6 Ob 20/97b, ÖA 1998, 128/F158 = EFSlg 83.197 = ÖA 1998, 27/F149 wurde für Fälle, in denen die Dauer des Besuchsrechts durch die räumliche Entfernung bedingt in längeren Zeiträumen zusammengefasst ausgeübt wird, als maßgeblich angesehen, ob die Besuchsrechtsausübung jenes Ausmaß übersteigt, das bei einem 14-tägigen Besuchsrecht (zB 2 Tage am Wochenende) zuzüglich eines Ferienbesuchsrechts von vier Wochen erreicht wird. Stets hat der Oberste Gerichtshof in den Fällen eines die übliche Dauer überschreitenden, zu einer Reduzierung der Unterhaltsverpflichtung führenden Besuchsrechts betont, dass hinsichtlich der Verminderung der Unterhaltspflicht nicht von den Aufwendungen des Unterhaltspflichtigen, sondern ausschließlich von den ersparten Aufwendungen des Sorgeberechtigten auszugehen sei (RIS-Justiz RS0047452). Der von einem Teil der Lehre an dieser Ansicht geübten Kritik wurde mit Hinweis auf die Gesetzesmaterialien wiederholt entgegengetreten (6 Ob 182/02m, JBl 2003, 510 = ÖA 2003, 183 = ecolex 2003, 407; 2 Ob 293/03g; 7 Ob 145/04f ua).
Wird trotz größerer Entfernung der Wohnorte des Kindes einerseits und des das Besuchsrecht ausübenden geldunterhaltspflichtigen Elternteil andererseits - wie im vorliegenden Fall - eine übliche Besuchsrechtsregelung (14-tägig je zwei Tage am Wochenende) getroffen, können also nach den dargestellten Judikaturgrundsätzen die entstehenden höheren Fahrtkosten die Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht schmälern. Daran hat sich durch die Novellierung des § 148 ABGB grundsätzlich nichts geändert, so lange der das Besuchsrecht ausübende bzw seiner Besuchsverpflichtung nachkommende Elternteil in der Lage ist, die dafür anfallenden Kosten ohne Gefährdung des eigenen Fortkommens zu tragen.
Soweit sich der Revisionsrekurswerber zur Stützung seiner gegenteiligen Ansicht, ungewöhnlich hohe Besuchsrechtsfahrtkosten müssten zu einer Reduzierung der Unterhaltsbemessungsgrundlage führen, auf die Entscheidungen des deutschen Bundesgerichtshofs vom XII ZR 289/01, NJW 2003, 1177 und insbesondere vom , XII ZR 56/02, NJW 2005, 1493 stützen will, wird von ihm Folgendes übersehen: Auch in Deutschland hat bei ähnlicher Rechtsentwicklung und -lage der Umgangsberechtigte (Besuchsberechtigte) die üblichen Kosten, die ihm bei der Ausübung des Umgangsrechts (Besuchsrechts) entstehen, wie Fahrt-, Übernachtungs-, Verpflegungskosten und Ähnliches, grundsätzlich selbst zu tragen; diese Kosten können gegenüber dem unterhaltsberechtigten Kind weder unmittelbar noch im Wege einer Einkommensminderung geltend gemacht werden (NJW 2005, 1494 mwN). An dieser Rechtsprechung hat der BGH in der letztgenannten Entscheidung im Hinblick auf die durch § 1684 BGB - der nun ähnlich wie § 148 ABGB nF ausdrücklich auch eine Verpflichtung jedes Elternteiles zum Umgang mit dem Kind normiert - veränderte Rechtslage nicht uneingeschränkt festgehalten. Da das Unterhaltsrecht dem Unterhaltspflichtigen nicht die Möglichkeit nehmen dürfe, sein Umgangsrecht zur Erhaltung der Eltern-Kind-Beziehung auszuüben, seien die damit verbundenen Kosten konsequenterweise unterhaltsrechtlich dann zu berücksichtigen, wenn und soweit sie nicht anderweitig, insbesondere nicht aus dem anteiligen Kindergeld, bestritten werden könnten und der Unterhaltspflichtige andernfalls wegen der betreffenden Kosten Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nehmen müsste. Die angemessenen Kosten des Umgangs eines barunterhaltspflichtigen Elternteils mit seinem Kind könnten dann zu einer maßvollen Erhöhung des Selbstbehalts oder einer entsprechenden Minderung des unterhaltsrelevanten Einkommens führen, wenn dem Unterhaltspflichtigen das anteilige Kindergeld gemäß § 1612b BGB ganz oder teilweise nicht zugute komme und er die Kosten nicht aus den Mitteln bestreiten könne, die ihm über den notwendigen Selbstbehalt hinaus verblieben.
Diesen Erwägungen ist sinngemäß auch für den österreichischen Rechtsbereich beizupflichten: Ein unterhaltspflichtiger Elternteil muss seiner Besuchspflicht nachkommen können, ohne den eigenen Unterhalt gefährden zu müssen. Eine den Unterhalt des Vaters gefährdende Situation ist im hier zu beurteilenden Fall aber nicht gegeben. Dass er nicht dazu in der Lage wäre, die Fahrtkosten ohne Gefährdung seines eigenen Fortkommens aufzubringen und er daher ohne Unterhaltskürzungen auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen wäre, trifft nach der festgestellten Einkommenssituation des Vaters nicht zu.
Eine Schmälerung der Unterhaltsbemessungsgrundlage kommt im Hinblick darauf, dass der Umfang des Besuchsrechts insgesamt den üblichen Rahmen nicht überschreitet, nicht in Betracht. Nochmals ist zu betonen, dass auch betreffend das Besuchsrecht das Wohl des Kindes maßgebend ist. Es ist grundsätzlich nicht zu rechtfertigen, den Unterhaltsanspruch des Kindes auf Grund eines weit entfernten Wohnortes des geldunterhaltspflichtigen Elternteiles und der damit verbundenen allenfalls hohen, aber nicht existenzgefährdenden Kosten für Besuchsfahrten zu beschneiden.
Dem Revisionsrekurs muss daher ein Erfolg versagt bleiben.