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OGH vom 24.06.2020, 1Ob103/20h

OGH vom 24.06.2020, 1Ob103/20h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** B*****, vertreten durch Mag. Peter Mayerhofer, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei E***** B*****, vertreten durch Dr. Alfred Steinbuch, Rechtsanwalt in Neunkirchen, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom , GZ 16 R 45/20m-22, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Neunkirchen vom , GZ 12 C 12/18s-18, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Verschuldenszumessung bei der Scheidung erfolgt nach den Umständen des Einzelfalls und kann in der Regel keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung begründen (RISJustiz RS0119414). Welchem Ehepartner Eheverfehlungen zur Last fallen, wann die unheilbare Zerrüttung der Ehe eintrat und welchen Teil das überwiegende Verschulden trifft, sind regelmäßig irrevisible Fragen des Einzelfalls (RS0043423 [T7, T 8, T 9]; RS0118125 [T3]; RS0119414 [T2]).

In die Verschuldensabwägung können auch bereits verfristete Eheverfehlungen einbezogen werden, deretwegen eine Scheidungsklage wegen Ablaufs der Frist des § 57 EheG nicht mehr eingebracht werden könnte (RS0057209), wobei die Berücksichtigung verjährter Eheverfehlungen im Rahmen des § 60 Abs 3 EheG etwa dann geboten ist, wenn es unter Bedachtnahme auf alle Umstände, auf die gesamte Beziehung der Ehegatten zueinander, namentlich die Schwere und Tragweite der verjährten Eheverfehlungen der klagenden Partei, nach allgemeiner Auffassung gerecht ist, die Schuld nicht allein dem beklagten Ehegatten aufzuerlegen (RS0057535; allgemeiner RS0056171 [T9]). Auch für diese Gewichtung sind die Umstände des Einzelfalls ausschlaggebend (vgl RS0056171 [T11]).

2.1. Eine außerhalb der Bandbreite der Judikatur des Obersten Gerichtshofs liegende Beurteilung durch die zweite Instanz, die einer Korrektur bedürfte, liegt nicht vor: Das Berufungsgericht ging davon aus, dass bei der Abwägung des Verschuldens die beiderseitigen Eheverfehlungen in ihrem Zusammenhang gesehen werden müssen, wobei das Gesamtverhalten und nicht eine Gegenüberstellung der einzelnen Verfehlungen maßgebend ist (RS0057303). Entscheidend ist nicht die Zahl der Eheverfehlungen, sondern der Grad ihrer Vorwerfbarkeit und ihr Schuldgehalt. Vor allem ist zu berücksichtigen, welche Partei mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe begonnen hat und wer den entscheidenden Beitrag zur Zerrüttung geleistet hat. Hat das schuldhafte Verhalten eines Teils das des anderen nach sich gezogen, so ist dem Beitrag des ersten in der Regel größeres Gewicht beizumessen (4 Ob 133/05w mwN; RS0056597; vgl auch RS0057223). Aus der vom Revisionswerber zitierten Entscheidung zu 3 Ob 66/19f ergibt sich nichts Abweichendes.

2.2. Nach den Feststellungen setzte der Kläger den Grundstein für die Zerrüttung der Ehe und zahlreiche Eheverfehlungen, auch wenn erst die in etwa gleichzeitig eingegangenen außerehelichen Beziehungen beider Parteien letztlich kausal für die unheilbare Zerrüttung der Ehe Ende 2017 waren. Nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichts habe die Eheverfehlung der Beklagten (seit Ende 2017 außereheliche Beziehung) augenscheinlich ein geringes Gewicht als das auch bereits davor gesetzte Verhalten des Klägers (Desinteresse am Fortkommen des gemeinsamen Sohnes; Ehebruch während eines Krankenhausaufenthalts der Beklagten im Jahr 2012; seit Mitte 2016 verbrachte er zunehmend Zeit ohne die Beklagte und empfand diese als lästig; seit 2016 privates „Naheverhältnis“ zu seiner Sekretärin, das die Beklagte als störend empfand; im März 2017 Auszug aus der ehelichen Wohnung, ohne dass die Beklagte dafür einen Grund setzte; Ende 2017 Aufnahme der außerehelichen Beziehung mit seiner Sekretärin), sodass ihn das überwiegende Verschulden treffe. Wenn das Berufungsgericht unter den festgestellten Umständen die Eheverfehlungen des Klägers von überwiegender Bedeutung für die unheilbare Zerrüttung der Ehe eingeschätzt hat, ist diese Beurteilung nicht zu beanstanden.

2.3. Der Kläger vermag eine Fehlbeurteilung des Verschuldens auch nicht aufzuzeigen: Um die Erziehung des gemeinsamen Sohnes kümmerte sich hauptsächlich die Beklagte. Der Kläger bemerkte die fehlenden schulischen Leistungen erstmals, als der Sohn in der Berufsschule „durchfiel“. Erst dann versuchte er, den Sohn in seiner Firma mitarbeiten zu lassen. Dass es zwischen den Parteien regelmäßig zu Streitigkeiten über die Erziehung des Sohnes kam, gereicht der Beklagten nicht zum Vorwurf, stehen doch die Hintergründe für diese Streitigkeiten nicht fest. Für den Auszug des Klägers im März 2017 aus der Ehewohnung kann er keine Eheverfehlungen der Beklagten anführen. Nach den Feststellungen führte er bereits 2016 mit seiner späteren Freundin ein „Naheverhältnis“ und verleugnete zunächst gegenüber der Beklagten, diese im Juni 2016 auf eine Dienstreise nach Italien mitgenommen zu haben, wobei er am Rückweg mit ihr auch in zwei Urlaubsorten anhielt. Dass die Beklagte sich Mitte 2017 einige Male mit einem Mann auf ein Getränk traf und fortging, wobei sie keine über ein freundschaftliches Verhältnis hinausgehende Beziehung mit diesem Mann hatte, ist ihr nicht als Eheverfehlung anzulasten, bildet doch ein rein freundschaftlicher Umgang mit einer Person des anderen Geschlechts regelmäßig keine Verletzung der ehelichen Treuepflicht (RS0056600).

3. Die behauptete Aktenwidrigkeit wurde geprüft; sie liegt nicht vor, was gemäß § 510 Abs 3 Satz 3 ZPO keiner weiteren Begründung bedarf.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00103.20H.0624.000

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Fundstelle(n):
UAAAD-31921