OGH vom 07.03.1961, 3Ob101/61
Norm
Versicherungsvertragsgesetz 1958 § 35;
Versicherungsvertragsgesetz 1958 § 38 Abs 2;
Kopf
SZ 34/33
Spruch
Die Versicherungspolizze gilt als im Sinne des § 35 VersVG. 1958 ausgehändigt, wenn sie in das Postschließfach des Versicherungsnehmers eingelegt wird.
Entscheidung vom , 3 Ob 101/61.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Klägerin begehrt die Zahlung von 24.900 S samt 4% Zinsen seit und die Feststellung, daß ihr die beklagte Versicherungs- AG. im Umfang der mit ihr abgeschlossenen Versicherung (Haftpflicht- und Fahrzeugversicherung) für die von ihr aus dem Verkehrsunfall vom an Dritte zu erfüllenden Haftpflichtansprüche Ersatz leiste. Sie begrundet ihre Ansprüche damit, daß sie mit der Beklagten eine Haftpflicht- und Fahrzeugversicherung abgeschlossen habe. Der Umstand, daß die erste Vierteljahresprämienrate am noch nicht gezahlt gewesen sei, befreie die Beklagte von ihrer Leistung nicht, da der Klägerin verbindlich zugesagt worden sei, sie brauche die Prämie nicht gleich zu zahlen. In der Polizze sei auch als Frist für die Zahlung der ersten Vierteljahresrate der angegeben. Die Polizze sei ihr erst am zugekommen, sie habe daher die Prämie vor dem nicht zahlen können.
Die Beklagte wendet ein, für die Zeit des Unfalles habe ein Versicherungsschutz nicht bestanden, da die Erstprämie nicht rechtzeitig gezahlt worden sei. Es sei auch die Unzulässigkeit des Rechtsweges gegeben, da nach den Versicherungsbedingungen die Höhe des Schadens bei Meinungsverschiedenheiten ausschließlich durch Sachverständige festzustellen sei.
Das Erstgericht erkannte den Klageanspruch, soweit er auf Zahlung gerichtet ist, als zu Recht bestehend und gab dem Feststellungsbegehren statt. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:
Die Klägerin habe am bei der Beklagten den Antrag auf Abschluß einer Kraftfahrzeugversicherung gestellt (Haftpflicht- und Fahrzeugversicherung). Kurt P., ein Agent der Beklagten, habe der Klägerin bei der Aufnahme des Antrages gesagt, daß sie die Prämie erst zahlen müsse, wenn sie die Polizze in Händen habe, und auch dann wären noch einige Tage Zeit, so schnell werde nicht gemahnt. Die Beklagte habe die Versicherungspolizze, die dem Antrag entsprochen und eine vierteljährliche Zahlung der Prämien vorgesehen habe, am als gewöhnliche Sendung zur Post gegeben. Sie habe einen Erlagschein für die Vierteljahresprämie von 848 S 60 g beigeschlossen. Dieser habe den Vermerk enthalten, daß nach Übermittlung der Polizze dem Versicherungsnehmer kein Entschädigungsanspruch zustehe, wenn die erste Prämie zur Zeit des Eintrittes des Versicherungsfalles nicht zur Gänze gezahlt sei; der angeführte Betrag sei für die Erlangung des angestrebten Schutzes unverzüglich zu überweisen. Die Sendung sei in das Postschließfach der Klägerin beim Postamt W. eingelegt worden. Die Klägerin habe dieses Schließfach am gemietet. Sie sei als Vertreterin häufig von Wien abwesend. Sie sei vor dem von Wien weggefahren, am Samstag, dem , gegen 22.30 Uhr zurückgekehrt und am Sonntag, dem , um 12.30 Uhr wieder weggefahren. Sie sei dann wieder in der Nacht vom 23. auf den in ihre Wiener Wohnung zurückgekommen. Sie habe am zwischen 11 und 11.30 Uhr die Post aus dem Schließfach abgeholt, jedoch erst am Abend des geöffnet. In dieser Post habe sich das Schreiben mit der Polizze und dem Erlagschein der Beklagten befunden. Die Klägerin sei am mit dem versicherten Kraftwagen weggefahren. August B. habe das Fahrzeug gelenkt. Der Wagen sei südlich von A. mit einem Moped, gelenkt von Johann K., zusammengestoßen. Johann K. und August B. seien verletzt, beide wegen Übertretung nach § 335 StG. verurteilt worden. Die Schadensmeldung der Klägerin sei am bei der Beklagten eingelangt. Die Klägerin habe am die ausständige Prämie von 848 S 60 g an die Beklagte überwiesen. Die Gutschrift sei am erfolgt. Die Beklagte habe die ausständige Prämie am erstmalig eingemahnt. Die Dienstzeiten des Postamtes W. seien von Montag bis Freitag von 8 bis 12 Uhr und von 14 bis 18 Uhr, am Samstag von 8 bis 12 Uhr. Einschreibsendungen habe die Klägerin beim Schalter zu beheben.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht den Standpunkt, daß die Polizze erst zu dem Zeitpunkt, zu dem die Klägerin die Sendung dem Schließfach entnahm, als von ihr empfangen gelte. Postbevollmächtigte seien nicht zur Annahme der aus einem Vertrag geschuldeten Leistung befugt. Dies gelte auch für die Erfüllung der Verpflichtung zur Aushändigung der Polizze, die eine Bringschuld bilde. Die Klägerin sei zur Zeit des Eintrittes des Versicherungsfalles nicht im Verzug gewesen, weil sie nach Erhalt der Polizze nicht mehr die Möglichkeit gehabt habe, die Prämie vor dem nächsten Tag, an dem sich der Unfall ereignete, zu überweisen.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Es kommt ausschließlich darauf an, ob die Klägerin zur Zeit des Eintrittes des Versicherungsfalles mit der Prämienzahlung im Verzug war. Die Meinung des Berufungsgerichtes, die vorläufige Deckungszusage der Beklagten trete bei nicht rechtzeitiger Bezahlung gemäß § 1 Abs. 2 AKB. rückwirkend außer Kraft, geht an der neueren ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorbei, nach welcher diese Bestimmung unwirksam ist, da sie zwingenden gesetzlichen Vorschriften widerspricht (JBl. 1959 S. 456, ZVR. 1960 Nr. 208). Der Ansicht des Erstgerichtes kann nicht beigepflichtet werden, daß die Rechtswirkungen der Empfangnahme der Polizze durch das Einlegen in das Schließfach nicht eingetreten seien. Es handelt sich hier nicht, wie das Erstgericht meint, um eine Zustellung zu Handen eines Postbevollmächtigten, sondern um die Benützung einer Abholeinrichtung (§ 192 PostO., BGBl. Nr. 110/1957). Nach dieser Bestimmung sind in das Schließfach nichtbescheinigte Briefsendungen einzulegen. Wer also ein solches Fach hält, stimmt damit zu, daß alles, was auf diese Weise zugeschickt wird, in das Fach kommt. Er erklärt sich durch Haltung des Faches damit einverstanden. Versicherungspolizzen werden durch nichtbescheinigte Briefsendungen zugestellt. Dies war der Klägerin bekannt, da sie ja in ihrer Parteiaussage selbst angegeben hat, Kurt P. habe es abgelehnt, die Polizze rekommandiert abschicken zu lassen. Die Zusendung dieser Urkunde durch Einlegen in das Schließfach wurde damit von der Klägerin genehmigt. Mit diesem Zeitpunkt, und nicht mit dem der Entleerung des Faches, begann die Verpflichtung der Klägerin zur unverzüglichen Zahlung der Prämie (§ 35 VersVG. 1958). Die Klägerin konnte durch Unterlassung der Entleerung des Faches diesen Zeitpunkt nicht willkürlich verschieben.
Als der gemäß § 35 VersVG. 1958 maßgebliche Zeitpunkt der Aushändigung der Polizze gilt also der Tag des Einlegens der Sendung in das Schließfach. Nun hat das Erstgericht allerdings nur festgestellt, daß die Beklagte die Sendung am zur Post gab, nicht aber, wann die Einlegung in das Fach erfolgte. In den Rechtsausführungen findet sich jedoch die Bemerkung, daß nach normalem Postablauf die Polizze spätestens am im Fach eingelangt sein mußte. Die Klägerin hat nicht behauptet, daß die Einlegung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt wäre. Es kann daher davon ausgegangen werden, daß dies spätestens am der Fall war- Die Klägerin war daher zur Zeit des Versicherungsfalles bereits 14 Tage im Verzug. Gemäß § 38 Abs. 2 VersVG. 1958 ist die Beklagte also leistungsfrei. Überdies war der Klägerin am Abend des bekannt, daß die Polizze bereits im Abholfach lag, ebenso wußte sie, daß die Prämie seit 14 Tagen fällig war. Sie hätte es daher unbedingt unterlassen müssen, vor der Zahlung der Prämie eine Fahrt mit dem PKW., auf den sich die Versicherung bezieht, zu unternehmen.
Die beiden anderen Einwendungen, daß nämlich die Prämie einerseits durch den Agenten P., andererseits durch die in die Polizze aufgenommenen Worte "bis " gestundet worden wäre, hat die Klägerin in der Revision nicht mehr geltend gemacht.
Bedenken gegen die Zulässigkeit des Rechtsweges bestehen nicht. Die von der Beklagten unter Berufung auf § 14 AKB. erhobene Prozeßeinrede stellt sich in Wirklichkeit als die materiellrechtliche Einwendung des Schiedsmannvertrages dar (JBl. 1957 S. 218), die niemals zur Zurückweisung der Klage, sondern höchstens zur Abweisung des Zahlungsbegehrens führen kann. Da nun die Klage aus anderen Gründen abgewiesen wird, war es nicht notwendig, sich mit der Einwendung weiter zu befassen.