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OGH vom 04.09.2013, 7Ob101/13y

OGH vom 04.09.2013, 7Ob101/13y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache der Bewohnerin H***** A*****, geboren am *****, vertreten durch 1. Ing. T***** A*****, (ihren Sohn) als Sachwalter, 2. die VertretungsNetz-Bewohnervertretung, S*****, diese vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, Einrichtungsleiterin: B***** F*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Bewohnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 52 R 44/13x-11, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Rattenberg vom , GZ 2 HA 1/12t 6, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen, soweit sie nicht bereits rechtskräftig sind, und das ihnen vorangegangene Verfahren nach der Antragstellung werden aufgehoben. Die Heimaufenthaltssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung und wiederholung zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Mit dem nach mündlicher Verhandlung, aber ohne Beiziehung der Bewohnerin (von ihrer Einvernahme wurde „im Hinblick auf die Sachwalterschaft abgesehen“) gefassten Beschluss vom (ON 6) hat das Erstgericht

1. die Freiheitsbeschränkung in Form von Bettgurten und Seitenteilen bis zur Kenntnisnahme durch die Bewohnervertretung für unzulässig erklärt und festgestellt, dass gelindere (insbesondere die näher bezeichneten) Pflege- und Betreuungsmaßnahmen anzuwenden gewesen wären,

2. den Antrag, die Freiheitsbeschränkung in Form von Medikamenten ebenfalls bis zur Kenntnisnahme durch die Bewohnervertretung für unzulässig zu erklären, abgewiesen.

Dazu führte es in rechtlicher Hinsicht aus, gemäß § 19a HeimAufG sei auf Antrag des Bewohners oder seines Vertreters nachträglich über die Zulässigkeit einer (bereits vor der Antragstellung nach § 11 HeimAufG aufgehobenen) Freiheitsbeschränkung zu entscheiden. Die Antragsabweisung begründete es damit, dass durch die aktuelle Medikation, verordnet vom zuständigen Arzt, entgegen der Empfehlung im psychiatrischen Konsiliarbericht, eine freiheitsbeschränkende Maßnahme nicht erfolgt sei, weil die Medikation als adäquat zu beurteilen sei.

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Rekursgericht dem nur gegen die Antragsabweisung erhobenen Rekurs der (durch die Bewohnervertretung gemäß § 8 Abs 2 und 3 HeimAufG vertretenen) Bewohnerin nicht Folge. Die geltend gemachte „Nichtigkeit“ (wegen unterbliebener Anhörung der Bewohnerin im Verfahren erster Instanz) verneinte es im Wesentlichen mit folgender Begründung:

Da bei der verabreichten Medikation (Dosierung der Psychopharmaka) von keiner freiheitsbeschränkenden Maßnahme auszugehen sei, könne dahingestellt bleiben, ob die Erstanhörung nach § 12 HeimAufG angesichts der Verfahrensregel des § 19a Abs 2 HeimAufG zwingendes Erfordernis eines Nachprüfungsverfahrens wäre. Die Meldungs-, Dokumentations- und Verständigungspflichten sowie die Verfahrensregeln des HeimAufG setzten nämlich erst dann ein, wenn eine Freiheitsbeschränkung tatsächlich vorgelegen sei. Da dies im Zusammenhang mit der Medikation der Patientin nicht der Fall gewesen sei, komme dem Rechtsmittel keine Berechtigung zu.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Bewohnervertreterin mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass (auch) die näher bezeichnete Medikation der Bewohnerin als Freiheitsbeschränkung für unzulässig erklärt werde; weiters wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts zulässig und auch berechtigt.

Die Einrichtungsleiterin hat von der Möglichkeit einer Revisionsrekursbeantwortung gemäß §§ 19a, 11 Abs 3 HeimAufG iVm § 48 Abs 1 AußStrG ( Zierl/Wall/Zeinhofer , Heimrecht I³, 229 [Anm zu § 19a HeimAufG]) nicht Gebrauch gemacht.

Im neuen Außerstreitverfahren kann eine vom Rekursgericht verneinte „Nichtigkeit“ des Verfahrens erster Instanz wegen der ausdrücklichen Anordnung in § 66 Abs 1 AußStrG und des Fehlens einer § 519 ZPO vergleichbaren Bestimmung neuerlich geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0121265, RS0107248 [T4]). Auf die im Revisionsrekurs abermals als „Nichtigkeit“ relevierte Verletzung des rechtlichen Gehörs der Bewohnerin ist daher einzugehen.

Nach § 19a Abs 2 HeimAufG ist zur mündlichen Verhandlung unter anderem auch der Bewohner selbst zu laden. Hier erfolgte eine solche Ladung der Bewohnerin nicht. Dass die Bewohnerin dennoch anwesend gewesen wäre, ist dem Tagsatzungsprotokoll nicht zu entnehmen. Es wird darin vielmehr „festgestellt“, dass von ihrer Einvernahme „im Hinblick auf die Sachwalterschaft abgesehen wird“.

Von einer Ladung der Bewohnerin durfte aber selbst aus therapeutischen Interessen nicht abgesehen werden. Wird dem Bewohner die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verwehrt, so liegt darin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die zur „Nichtigkeit“ des Verfahrens nach § 58 Abs 1 Z 1 (iVm § 66 Abs 1 Z 1) AußStrG führt ( Barth/Engel , Heimrecht § 14 HeimAufG Anm 2 mwN); kann doch hier nicht ausgeschlossen werden, dass dadurch relevante Verfahrensergebnisse erzielt worden wären (vgl RIS Justiz RS0120213).

Daraus, dass nachträgliche Überprüfungsanträge gelockerten, von den §§ 11 ff HeimAufG abweichenden Verfahrensbestimmungen unterliegen, weil die besondere Dringlichkeit des Verfahrens mangels einer noch aufrechten Freiheitsbeschränkung wegfällt, ergibt sich keine andere Beurteilung. Demnach findet zwar keine gesonderte Erstanhörung statt; es ist aber gemäß § 19a Abs 2 HeimAufG über solche Anträge wie bereits ausgeführt mündlich zu verhandeln und das Gericht hat den Bewohner , seine Vertreter, seine Vertrauensperson, den Leiter der Einrichtung und die Person, die die Freiheitsbeschränkung angeordnet hat, zu laden ( Strickmann , Heimaufenthaltsrecht² [2012] 223).

Die relevierte „Nichtigkeit“ im Sinn des in § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG genannten (schweren) Mangels der Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG kann auch noch im Revisionsrekurs gerügt werden ( Klicka in Rechberger , AußStrG² [2013] § 66 Rz 2 mwN) und ist unabhängig davon gegeben, ob es hier wie im Antrag ON 1 ausdrücklich angeführt wird um eine Überprüfung der Freiheitsbeschränkungen „gem. § 19a HeimAufG“ (also nachträglich ) geht, oder ob die von Punkt 2 des Antrags umfasste Medikamentenverabreichung zum Zeitpunkt der Antragstellung weiterhin stattfand (worauf sich die Bewohnervertreterin nunmehr beruft). Daher kommt diesem Umstand im Revisionsrekursverfahren (noch) keine Bedeutung zu. Im fortgesetzten Verfahren wird dies aber klarzustellen und abschließend zu erörtern sein, worauf sich der verfahrenseinleitende Antrag soweit er nicht bereits rechtskräftig erledigt wurde richtet.

Da weitere Erhebungen erforderlich sind, ist die Heimaufenthaltssache gemäß § 58 Abs 3 AußStrG an das Erstgericht zurückzuverweisen.