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OGH vom 13.12.1994, 1Ob1645/94

OGH vom 13.12.1994, 1Ob1645/94

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei Edith P*****, vertreten durch Dr. Werner Schwind, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Elisabeth B*****, 2. Lydia S 3. Isabella H*****, alle vertreten durch Dr. Gerhard Benn-Ibler, Rechtsanwalt in Wien, wegen Zuhaltung eines Mietvertrages (Streitwert S 150.000,--) und Unterfertigung von Bauplänen und einer Vollmacht (Streitwert S 150.000,--), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom , GZ 41 R 74/94-16, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die außerordentliche Revision der beklagten Parteien wird gemäß § 508 a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Im Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages () stand die Verordnung der Bundespolizeidirektion Wien betreffend die Haustorsperre und die Hausbeleuchtung vom , verlautbart im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom , in Geltung, aufgrund deren § 1 die Tore aller im Wiener Polizeirayon gelegenen Häuser in der Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr morgens gesperrt sein mußten. Ausnahmen von dieser Regelung konnten aus berücksichtigungswürdigen Gründen vom zuständigen Bezirkspolizeikommissariat bewilligt werden. Diese Sperrzeiten wurden gleichlautend in den Nachfolgebestimmungen, den Verordnungen (vgl VfGHSlg 6926) des Magistrates der Bundeshauptstadt Wien über die Haustorsperre und die Hausbeleuchtung, MA.62-I/H 2/60, verlautbart im Amtsblatt der Stadt Wien Nr. 24/1960 und MA.62-I/120/71, verlautbart im Amtsblatt der Stadt Wien Nr. 11/72, beibehalten. Gemäß § 2 Abs. 1 der letztgenannten Verordnung kann die Bundespolizeidirektion Wien auf Antrag des Hauseigentümers oder seines verantwortlichen Stellvertreters von den in § 1 vorgeschriebenen Verpflichtungen im Einzelfall Ausnahmen bewilligen, wenn die Mehrheit der Wohnungsinhaber dafür ist und Bedenken vom Standpunkt der öffentlichen Sicherheit, Ruhe und Ordnung nicht entgegenstehen.

Nach ständiger Rechtsprechung bestimmt sich der Umfang des Gebrauchsrechtes des Bestandnehmers zunächst nach dem Inhalt des Vertrages (SZ 19/92, MietSlg 23.135; MietSlg 30.192; MietSlg 36.154; 1 Ob 620/91), sodann nach dem Zweck des Bestandverhältnisses und zuletzt nach dem Ortsgebrauch und der Verkehrssitte (EvBl 1976/127), worunter auch öffentlich-rechtliche Vorschriften zu subsumieren sind (ImmZ 1984, 290; Würth in Rummel2 Rdz 2 zu § 1098). Nach den Feststellungen des Erstgerichtes (S. 10 des Ersturteiles) hatte der Restaurationsbetrieb schon nach dem Zweiten Weltkrieg die ganze Woche über auch an Wochenenden von 7,30 Uhr bis 23 Uhr geöffnet. Erst seit den Sechzigerjahren wurde am Samstag um 15 Uhr zugesperrt, sonntags war Ruhetag. Die Sperrstunde an Wochentagen blieb unverändert 23 Uhr. Damit zeigt sich aber, daß die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen über die Sperrzeit der Haustore von den Parteien nicht zum selbstverständlichen Vertragsinhalt gemacht worden waren. Bedungen war vielmehr der Gasthausbetrieb an allen Wochentagen bis 23 Uhr. Diesen bedungenen Gebrauch hatten die Vermieter durch Offenhalten der beiden den Zugang zum Lokal begrenzenden Haustore zu gewährleisten, da das dem Mieter eingeräumte Benützungsrecht grundsätzlich auch den freien und ungehinderten Zugang zum Bestandobjekt umfaßt (ImmZ 1984, 290; ImmZ 1985, 397). Die Vertragsparteien vertrauten offenbar bei Abschluß des Bestandvertrages darauf, jederzeit die erforderliche Ausnahmebewilligung erlangen zu können, oder es lag eine solche in der Vergangenheit tatsächlich vor.

Der Umfang des Bestandrechtes erfuhr auch keine Änderung dadurch, daß die Betreiber des Restaurationsbetriebes ab den Sechzigerjahren an Wochenenden den Betrieb einschränkten. An die Schlüssigkeit eines Verhaltens im Hinblick auf Vorliegen eines rechtsgeschäftlichen Willens ist ein strenger Maßstab anzulegen. Bei Annahme eines stillschweigenden Verzichtes ist besondere Vorsicht geboten (MietSlg 40.023). Das österreichische Recht kennt eine Verwirkung von Rechten nicht. Die bloße Nichtausübung durch längere Zeit führt daher grundsätzlich nicht zum Rechtsverlust (SZ 59/34; Rummel in Rummel2 Rdz 24 zu § 863).

Gemäß § 1096 Abs. 1 ABGB ist der Vermieter verpflichtet, dem Mieter den bedungenen Gebrauch zu verschaffen. Fehlen die dazu erforderlichen behördlichen Bewilligungen, so hat der Bestandgeber diese einzuholen und auch die Voraussetzungen hiezu, etwa erforderliche Zustimmungserklärungen, zu schaffen (SZ 40/103; MietSlg 39.116; Würth in Rummel2 Rdz 8 zu § 1096). Erst wenn die Genehmigung trotz entsprechender Bemühungen des Bestandgebers versagt wird, obwohl der Bestandgeber alles getan hat, um sie zu erlangen, ist die geschuldete Leistung rechtlich unmöglich geworden (JBl 1975, 206; MietSlg 29.154). Die Beweislast, alle ihm zu Gebote stehenden Mittel ausgeschöpft zu haben, um dem Mieter den bedungenen Gebrauch zu verschaffen, trifft den Vermieter. Seiner Beweispflicht hat er im Fall der Nichtanrufung der Behörde nur dann genügt, wenn er eine so klare Rechtslage dartut, daß mit Gewißheit eine Verweigerung der Genehmigung angenommen werden muß (SZ 63/137; 1 Ob 573/94).

Wie bereits eingangs dargestellt, enthält auch die derzeit in Geltung stehende Kundmachung des Magistrats der Stadt Wien über die Haustorsperre und die Hausbeleuchtung in ihrem § 2 die Möglichkeit der Bewilligung von Ausnahmen hinsichtlich der vorgeschriebenen Sperrzeiten. Daß die Beklagten erfolglos versucht hätten, eine derartige Ausnahmebewilligung zu erlangen, wurde von ihnen im Verfahren nicht behauptet.

Da somit das Gericht zweiter Instanz bei seiner Entscheidung der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gefolgt ist, war die Revision mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.