OGH vom 11.07.2012, 3Ob100/12w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj M***** S*****, vertreten durch das Land Niederösterreich als besonderer Vertreter des Kindes in Unterhaltsangelegenheiten, dieses vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Amstetten, über den Revisionsrekurs des Vaters M***** T*****, vertreten durch Mag. Florian Kucera, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom , GZ 23 R 401/11k 92, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Haag vom , GZ 1 P 49/05k U 87, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der 12 jährige M*****, in Pflege und Erziehung seiner Mutter, wohnt mit dieser im westlichen Niederösterreich. Er ist einkommens und vermögenslos.
Der in den Niederlanden wohnende Vater, den keine weiteren Sorgepflichten treffen, erzielt als Selbständiger ein im Juli 2008 außer Streit gestelltes durchschnittliches Nettoeinkommen von monatlich 1.750 EUR. Er verpflichtete sich zur Zahlung eines vorläufigen Unterhaltsbetrags von 150 EUR monatlich. Ihm steht ein einmal im Monat auszuübendes Besuchsrecht im Ausmaß von 8 Tagen zu.
Die Parteien vereinbarten, dass das überdurchschnittliche Ausmaß des Besuchsrechts bei der Unterhaltsbemessung durch einen 10%igen Abzug zu berücksichtigen sei.
Der Minderjährige begehrte zuletzt die Festsetzung des monatlichen Unterhalts vom bis mit 250 EUR, vom bis mit 285 EUR und ab mit 315 EUR.
Der Vater wendete zunächst ein, mit der Mutter vereinbart zu haben, die Pflege und Erziehung mit ihr gemeinsam zu bestreiten und kein Geld für den Unterhalt voneinander zu verlangen. Das habe in den Niederlanden auch funktioniert, bis die Mutter mit dem gemeinsamen Sohn und einer weiteren Tochter im September 2004 nach Österreich gezogen sei. Zur Einhaltung der Vereinbarung habe er in der Nähe von deren Haus eine Wohnung gemietet. Er habe durch die Reise und Aufenthaltszeiten in Österreich Einkommenseinbußen. In der Folge bezifferte er die Besuchskosten mit monatlich 1.000 EUR.
Ursprünglich hatte der Vater für die in Niederösterreich angemietete Wohnung monatliche Kosten von 344,20 EUR (2005) aufzuwenden, welche bis Jänner 2009 auf 384,32 EUR stiegen. Danach erwarb er um 170.000 EUR ein Haus in derselben Gemeinde. Die Mutter erzielte in den Jahren 2005 bis 2008 nur geringe Einkünfte, maximal 831 EUR pro Monat.
Das Erstgericht verpflichtete den Vater zu monatlichen Unterhaltsleistungen gemäß dem Antrag des Minderjährigen. Es verwies auf monatliche Gesamtbesuchskosten von 750 EUR, wenn man von (inzwischen fiktiven) monatlichen Kosten für die Wohnungsmiete sowie Reisekosten nach Österreich unter Zugrundelegung der Aufwendungen für Billigflüge ausgehe. Die vom Vater begehrte Anrechenbarkeit der Kosten für den Hauskauf und die damit verbundenen Aufwendungen lehnte das Erstgericht mit der Begründung ab, dass zur Besuchsrechtsausübung das Eigentumsrecht an einem Haus nicht erforderlich sei.
Das Rekursgericht änderte über Rekurs des Vaters die erstgerichtliche Unterhaltsfestsetzung dahin ab, dass für den Zeitraum vom bis 160 EUR, vom bis 180 EUR und ab 200 EUR zu zahlen seien. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es (nachträglich) mit der Begründung zu, die nicht vollständig aufgeklärte Einkommenssituation der Mutter könnte auf die Höhe der nach den bindenden Rechtsausführungen des Obersten Gerichtshofs vorzunehmenden maßvollen Reduktion des Geldunterhaltsanspruchs Einfluss haben. Im Übrigen verwies das Rekursgericht darauf, dass der Vater seine konkreten Besuchskosten nicht nachgewiesen habe, unter (fiktiver) Zugrundelegung der Anmietung der ursprünglichen Wohnung sowie der Anreise mit Billigflügen aber bei Berücksichtigung der weiteren für den Vater auflaufenden Besuchskosten die vom Obersten Gerichtshof genannte Grenze von 800 EUR für die Besuchskosten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überschritten werde. Dadurch habe es zu einer Abwägung der Interessen des Kindes bzw nach richterlichem Ermessen zu einer maßvollen Reduktion des Geldunterhalts zu kommen, weil der unterhaltspflichtige Elternteil seiner Besuchspflicht nachkommen müsse, ohne den eigenen Unterhalt zu gefährden. Der Vater stelle zwar in Anbetracht eines Hauskaufs der Mutter deren festgestelltes Einkommen in Frage, das keinen Beitrag zum Kindesunterhalt ermögliche, andererseits sei auch unerklärlich wie das vom Vater einbekannte monatliche Einkommen von 1.750 EUR zur Bestreitung der von ihm angegebenen Besuchskosten von 1.000 EUR monatlich (oder sogar mehr) reiche und er gleichzeitig um 170.000 EUR ein Haus kaufen könne. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des zu beurteilenden Einzelfalls habe eine Reduktion der monatlichen Unterhaltsbeiträge stattzufinden.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Vaters, mit dem er den gänzlichen Entfall seiner Geldunterhaltspflicht anstrebt, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
Der Oberste Gerichtshof hat sich in seinem Aufhebungsbeschluss vom , 3 Ob 10/09f, ausführlich mit den hier anzuwendenden Grundsätzen der Unterhaltsbemessung im Falle außergewöhnlich hoher Kosten für die Ausübung des Besuchsrechts auseinandergesetzt und festgehalten, dass ein unterhaltspflichtiger Elternteil seiner Besuchspflicht nachkommen können muss, ohne den eigenen Unterhalt zu gefährden. Wenn Besuchskosten festgestellt werden sollten, die nur 800 EUR oder darunter ausmachen, werde ausgehend von dem festgestellten monatlichen Einkommen von 1.750 EUR nach Abzug des bekämpften Unterhaltsbeitrags von 285 EUR sowie der Besuchskosten die Belastbarkeitsgrenze für den Unterhaltspflichtigen nicht überschritten. Für den Fall höherer Besuchskosten sprach der erkennende Senat aus, ein für alle Fälle konzipiertes Berechnungssystem müsse bei atypischen Verhältnissen scheitern. Die hier zu beurteilenden Verhältnisse weichen vom „Normalfall“ ab, bei dem die Tragung der durch die Entfernung der Wohnsitze verursachten Kosten der Besuchskontakte dem Besuchsberechtigten zugemutet werden können. Hier könne der Geldunterhalt nur mit Augenmaß nach richterlichem Ermessen erfolgen. Der aus dem Gesetz ableitbare Vorrang des Unterhaltsanspruchs gegenüber dem Recht auf persönlichen Verkehr lasse es nicht zu, den Unterhaltsanspruch in größerem Ausmaß als schon dargelegt zu Gunsten umfangreicher Besuchsrechtsausübung einzuschränken.
Der Revisionsrekurswerber vermag in seinem Rechtsmittel keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen, zumal die Grundsätze für die allfällige Minderung des Unterhaltsanspruchs infolge besonders hoher Besuchskosten bereits umfassend dargelegt wurden (3 Ob 10/09f). Die darüber hinaus angedeuteten Bezüge zum Gemeinschaftsrecht bzw die Anregung, ein Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof einzuleiten, lassen unberücksichtigt, dass sich bei der hier vorzunehmenden Unterhaltsbemessung keine Fragen der Auslegung oder Gültigkeit von Unionsrecht stellen.
Die vom Rekursgericht vorgenommene Unterhaltsbemessung nach den besonderen Umständen dieses Falls bildet keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung. Hiebei ist zu berücksichtigen, dass der Vater weder die von ihm ins Treffen geführten hohen Besuchskosten, die seiner Meinung nach die vom Erstgericht angenommenen 750 EUR pro Monat bei Weitem übersteigen, konkret darzulegen und zu bescheinigen vermochte, noch stellte er konkrete nachvollziehbare Behauptungen zum Einkommen der Kindesmutter auf, die es nachvollziehbar erscheinen ließen, dem Kind eine höhere Reduktion seines Unterhaltsanspruchs zuzumuten, als vom Rekursgericht dem Vater ohnehin zugestanden wurde (vgl zur qualifizierten Behauptungslast auch im Bereich des vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verfahrens außer Streitsachen: RIS Justiz RS0083783; RS0006261). Der Revisionsrekurswerber kann sich überdies durch die angefochtene Unterhaltsbemessung vor allem nicht beschwert erachten, wenn ungeachtet seiner von ihm unklar gelassenen eigenen Einkommens und Vermögenssituation (Hauskauf um 170.000 EUR trotz seiner Ansicht nach existenzgefährdend hoher Besuchskosten) ohnehin eine erhebliche Reduktion der vom Erstgericht ausgehend vom zugestandenen monatlichen Einkommen ausgemessenen Unterhaltsansprüche vorgenommen wurde.
Der Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.