Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSW vom 12.10.2011, RV/2709-W/11

Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sich der Beihilfenwerber für Ausbildungszwecke in Österreich aufhält

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., Adr, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf vom betreffend Abweisung des Antrages auf Zuerkennung der Familienbeihilfe ab Februar 2010 entschieden:

Der Berufung wird Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Entscheidungsgründe

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag der Berufungswerberin (Bw.) auf Zuerkennung der Familienbeihilfe ab Februar 2010 ab. In der Begründung wurde ausgeführt, dass für Kinder, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, mangels intensiver Anbindung an Österreich kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe, weil sie sich nach §§ 8 oder 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) zwar rechtmäßig, aber nur vorübergehend zu Ausbildungszwecken in Österreich aufhielten.

In der rechtzeitig eingebrachten Berufung verweist die Bw. im Wesentlichen auf die Entscheidung des , und bringt darüber hinaus vor, dass sie seit eine Aufenthaltsgenehmigung besitze und sich daher rechtmäßig in Österreich aufhalte. Auch eine qualifizierte Nahebeziehung zum Inland sei gegeben, da sie einerseits ihren beruflichen Lebensmittelpunkt in Wien habe und andererseits auch familiäre Bindungen (der Vater, die Großmutter und der Urgroßvater seien gebürtige Österreicher) zu Österreich bestünden.

Im Zuge eines in der Folge durchgeführten Vorhalteverfahrens legte die Bw. eine Aufstellung ihrer Lebenshaltungskosten vor, aus welcher ersichtlich ist, dass diese je zur Hälfte von ihr und ihrem Lebensgefährten bestritten werden. Weiters gab sie bekannt, dass sie ihren Vater, der Rentner sei und in Belgien lebe, 2x jährlich besuche. Zu ihrer Mutter hätte sie keinerlei Kontakt, weshalb sie nicht wisse, wo diese sich aufhalte oder arbeite. Vorgelegt wurden weiters u.a. die Anmeldebescheinigung für EWR-Bürger vom , der Lehrvertrag samt Zusatzvereinbarung vom , die Anmeldung zum Berufsschulbesuch, eine Schulbesuchsbestätigung für das Schuljahr 2010/2011 und eine Bescheinigung der Securex Integrity, Freie Sozialversicherungskasse, Brüssel, dass seit dem für die Bw. keine Kinderzulagen mehr gezahlt werden.

Mit Berufungsvorentscheidung des Finanzamtes 12/13/14/Purkersdorf vom wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. Unter Bezugnahme auf die Bestimmung des § 2 Abs. 8 FLAG führte das Finanzamt als Kriterien, die für die Annahme eines Mittelpunkts der Lebensinteressen in Österreich sprechen, die Verehelichung mit einem österreichischen Staatsbürger, eigene Existenzmittel, die nicht aus Unterhaltsleistungen der Eltern im Ausland oder aus Ersparnissen stammen, Versicherung in der österreichischen Sozialversicherung, Zusage für unbefristete Ausübung der Beschäftigung nach Abschluss der Ausbildung und eigene adäquate Wohnung an. Auf Grund der Tatsache, dass die Bw. bis zum Beginn ihrer Beschäftigung bzw. Ausbildung im Ausland aufhältig gewesen sei, der Aufenthalt im Hinblick auf die vorgesehene Lehrzeit vorerst zwei Jahre andauern werde und ein Aufenthaltstitel für Ausbildungszwecke vorliege, sei derzeit nur von einem vorübergehenden Aufenthalt in Österreich auszugehen. Daher lägen die Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe nicht vor.

Im Vorlageantrag führte die Bw. zusammengefasst aus, dass die vom Finanzamt genannten Kriterien "prophetischer Herkunft" seien. Die Zukunft stehe in den Sternen. Im übrigen sei sie mit einem Österreicher verlobt und werde im nächsten Sommer heiraten. Als Lehrling sei sie in der österreichischen Sozialversicherung pflichtversichert und erfülle somit auch dieses Kriterium. Weiters bewohne sie derzeit eine adäquate Wohnung, in die sie gemeinsam mit ihrem Verlobten am eingezogen sei. Sie habe einen Aufenthaltstitel für einen länger als drei Monate dauernden Aufenthalt vorgelegt. Auch wenn die derzeitige Aufenthaltsgenehmigung nur für die Dauer ihrer Ausbildung ausgestellt sei, bedeute dies nicht, dass sie nicht vorhabe, in Österreich zu bleiben. Ihr Lebensmittelpunkt befinde sich jedenfalls in Österreich.

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß § 6 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat.

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. a FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen (bei Vorliegen der schon für die minderjährigen Vollwaisen erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen) Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie das 26. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.

Folgender Sachverhalt wird als erwiesen angenommen und der gg. Beurteilung zu Grunde gelegt:

Die am XXXX geborene Bw. hat laut Aktenlage seit Beginn des Jahres 2010 ihren Wohnsitz in Österreich. Dort wohnt sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten und führt mit ihm einen gemeinsamen Haushalt. Die Bw. war zunächst als Arbeiterin bei der GmbH beschäftigt. Mit hat sie bei diesem Unternehmen eine Ausbildung (Lehre) als Hotel- und Gastgewerbeassistentin begonnen, die voraussichtlich bis dauern wird. Sie verfügt über eine Anmeldebescheinigung für EWR-Bürger, die für Zwecke der Ausbildung ausgestellt wurde. Seit dem wird für die Bw. keine Kinderzulage mehr an ihren Vater gezahlt.

Auf Grund des festgestellten Sachverhaltes liegen die Voraussetzungen für einen Eigenanspruch auf Familienbeihilfe vor.

Für Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, enthält darüber hinaus § 3 FLAG 1967 Sonderregelungen.

Solche Personen haben gemäß § 3 Abs. 1 FLAG 1967 nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Bei EU-Bürgern wird der gültigeAufenthaltstitel gemäß §§ 8 und 9 NAG durch Vorlage der Anmeldebescheinigung dokumentiert, was im vorliegenden Fall erfolgt ist. Die Bw. verfügt über eine solche Anmeldebescheinigung für EWR-Bürger gemäß § 53 NAG, und hält sich daher rechtmäßig im Sinne des § 9 NAG in Österreich auf. Sie erfüllt somit die in § 3 Abs. 1 FLAG 1967 genannte Anspruchsvoraussetzung.

Die Ansicht des Finanzamtes, dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe nicht vorliegen, weil ein Aufenthaltstitel für Ausbildungszwecke vorliegt, wird vom UFS nicht geteilt.

Richtig ist, dass die Anmeldebescheinigung als Zweck des Aufenthalts "Ausbildung" anführt. Allerdings kann der Tatsache, dass es sich dabei "nur" um das Aufenthaltsrecht zu einem bestimmten Zweck (Ausbildung) handelt, nach Auffassung des Unabhängigen Finanzsenats keine entscheidungswesentliche Bedeutung zukommen; setzt doch die Bestimmung des § 3 Abs. 1 FLAG lediglich einen nach §§ 8 und 9 des NAG rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich voraus, jedoch keinen unbefristeten Aufenthaltstitel.

Um in den Genuss der österreichischen Familienbeihilfe zu gelangen, reicht die Vorlage einer Anmeldebescheinigung für EWR-Bürger aber dennoch nicht, wenn sich nach den Umständen des Einzelfalles ergibt, dass sich der Antragsteller nur vorübergehend in Österreich aufhält und keine ausreichende Anbindung an Österreich besteht. Zutreffend hat daher das Finanzamt auf die Bestimmung des § 2 Abs. 8 FLAG 1967 verwiesen, welche nämlich für den Anspruchsberechtigten das Vorliegen des Mittelpunktes der Lebensinteressen in Österreich fordert und damit eine weitere Anspruchsvoraussetzung, die sowohl für Ausländer als auch für Österreicher gleichermaßen besteht, normiert.

Nur wenn auch dieses Anspruchserfordernis erfüllt ist, kann daher der Bw. Familienbeihilfe gewährt werden.

Der geforderte Nahebezug ist im vorliegenden Berufungsfall nach Auffassung des unabhängigen Finanzsenates vorhanden.

Die Bw. hält sich seit Jänner 2010 ununterbrochen in Österreich auf. Sie wohnt hier gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, absolviert in Wien die Ausbildung zur Hotel- und Gastgewerbeassistentin und verbringt den weitaus überwiegenden Teil des Jahres in Österreich. 2x jährlich besucht sie ihren in Belgien wohnhaften Vater; zur Mutter, deren Aufenthaltsort nicht bekannt ist, besteht kein Kontakt.

Wenngleich die Tatsache, dass die von der Bw. erwähnten Vorfahren in Österreich geboren sind, für die persönlichen Beziehungen der Bw. rechtlich nicht von Belang sind, vermochte sie dennoch durchaus glaubhaft darzulegen, dass sie auf Grund ihrer familiären Situation die engeren persönlichen Beziehungen zu Österreich hat. Darüber hinaus ist sie aber auch bemüht, ihren beruflichen Werdegang in Österreich aufzubauen und fortzusetzen.

Der zumindest auf die zweijährige Dauer der Berufsausbildung ausgelegte (und mittlerweile immerhin schon 21 Monate dauernde) Inlandsaufenthalt der Bw. ist unter den gegebenen Umständen jedenfalls nicht als derartig kurzfristig anzusehen, um Zweifel daran zu erwecken, daß der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Bw während des Streitzeitraumes im Bundesgebiet gelegen war. Die Absicht, den Mittelpunkt der Lebensinteressen für immer im Bundesgebiet beizubehalten, wird von § 2 Abs. 8 FLAG nicht gefordert (vgl. ).

Weiters ist zu berücksichtigen, dass es - im Gegensatz zu vergangenen Zeiten - auf Grund der verstärkt zu erkennenden Mobilität beispielsweise durchaus immer häufiger der Fall ist, dass eine Berufsausbildung, aber auch eine berufliche Tätigkeit über einen bestimmten Zeitraum an einem Ort, in einem anderen Zeitraum an einem anderen Ort ausgeübt wird und dies dazu führen kann, dass sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen - auch mehrmals - verlagert.

Bei der gegebenen Sachlage ist nach Auffassung des UFS davon auszugehen, dass im zu beurteilenden Zeitraum der Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet gelegen ist, weil die persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen der Bw. Österreich gelten.

Unverständlich ist allerdings der Verweis der Bw. auf die Entscheidung des ; hatte doch der UFS in dem dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt die Frage zu beurteilen, ob eine subsidiär Schutzberechtigte, die Grundversorgung bezieht, Anspruch auf Familienbeihilfe hat.

Aus den oben angeführten Gründen war jedoch der Berufung Folge zu geben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at