Nachsicht, Unbilligkeit der Einhebung
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RV/0515-K/07-RS1 | Die Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten in Höhe von € 3.400,00 kommt nicht in Betracht, wenn der Nachsichtswerber über ein monatliches Pensionseinkommen in Höhe von € 1.400,00 netto verfügt, Hälfteeigentümer eines Wohnhauses ist, und Kreditverbindlichkeiten bei der Hausbank in Höhe von € 55.000,00 in Raten bezahlt. Eine solche Nachsicht, ausschließlich zu Lasten des Staates, verstößt überdies gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aller Gläubiger. |
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des P, Pensionist, G, vertreten durch DDr. W, Wirtschaftsprüfer, A-Str. 37, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes I, vertreten durch Herrn Z, vom betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen. Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.
Entscheidungsgründe
Mit Eingabe vom teilte der Berufungswerber (im Folgenden: Bw.) mit, dass es ihm nicht möglich sei, seinen Abgabenrückstand (Einkommensteuernachforderung aus dem Jahre 1997) zu bezahlen. Er beziehe eine Berufsunfähigkeitspension und war in den vergangenen Jahren arbeitsunfähig. Er besitze einen Behindertenpass.
Am stellte das Finanzamt die wirtschaftlichen Verhältnisse des Abgabenschuldners fest. Er ist Pensionist und Miteigentümer einer Haushälfte in seiner Heimatgemeinde. Die Kreditverbindlichkeiten bei der Hausbank belaufen sich auf € 55.000,00 und sind dafür monatlich € 766,00 zu bezahlen. Die monatlichen Betriebskosten belaufen sich auf € 170,00 an Heizkosten und € 110,00 an Stromkosten. Die Krankenzusatzversicherung beträgt € 217,00 monatlich und habe der Bw. € 102,52 für seine Lebensversicherung zu bezahlen. Die Lebensversicherung dient der Hausbank zur Sicherstellung des Kredites.
Nachdem das Finanzamt den Bw. ersuchte, bekannt zu geben, ob der Abgabenrückstand gelöscht oder nachgesehen werden solle, teilte der Bw. mit, er beantrage vorrangig die Löschung der Abgabenschulden. Hinsichtlich der Nachsicht werde auf das nunmehrige Krankheitsbild hingewiesen und mitgeteilt, dass der gegenständliche Abgabenrückstand bereits mehr als "10 Jahre rückliegend ist", sodass unter Umständen Verjährung eingetreten sei (Schriftsatz vom ).
Mit Eingabe vom brachte der Bw. ergänzend zu seinem Nachsichtsbegehren vor, dass die Einhebung des Rückstandes für ihn eine erhebliche Härte darstelle und unter Umständen seinen Nahrungsstand gefährde.
Mit angefochtenem Bescheid vom wies das Finanzamt die beantragte Nachsicht des Abgabenrückstandes in Höhe von € 3.401,86 als unbegründet ab und führte begründend aus, dass es sich bei gegenständlichen Abgabenschuldigkeiten lediglich um einen Bruchteil der offenen Bankverbindlichkeiten in Höhe von € 55.000,00 handelt. Daher gehe das Finanzamt davon aus, dass die Einhebung der Abgabenschuldigkeiten keine Existenzgefährdung auslösen werde.
In der schriftlichen Berufung vom führte der Bw. aus, er habe € 55.000,00 an Bankverbindlichkeiten für eine Kommanditgesellschaft zu bezahlen. Die weitere Vorschreibung des Einkommensteuerbetrages stelle eine erhebliche Härte dar.
Nachdem das Finanzamt mit Berufungsvorentscheidung vom die Berufung als unbegründet abgewiesen hat, beantragte der Bw. durch seinen steuerlichen Vertreter die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde II. Instanz und führte begründend wörtlich schriftlich aus:
"Zur weiteren Begründung wird mitgeteilt, dass das Finanzamt bei der Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse übersehen hat, dass derzeit Schulden von ca. € 55.000,-- bestehen. Wenn die Nachsicht von € 3.200,-- gewährt wird, kann natürlich meine Mandantschaft von dem entsprechenden Kredit weitere € 3.200,-- an Kapital rückführen."
Daraus folge, dass sein Mandant durch die Nachsicht auch einen bedeutenden Zinsvorteil erwirken könnte und früher schuldenfrei sein würde.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können auf Antrag des Abgabepflichtigen fällige
Abgabenschuldigkeiten ganz oder zum Teil nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Gemäß § 236 Abs. 2 BAO findet Abs. 1 auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.
Die Unbilligkeit im Sinne des § 236 Abs. 1 BAO kann "persönlich" oder "sachlich" bedingt sein. Eine "persönliche" Unbilligkeit liegt insbesondere dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlagen des Nachsichtswerbers gefährdet. Eine "sachliche" Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit anderen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt.
Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nichtbeeinflussbare Weiseeine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartendeAbgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportionalzum auslösenden Sachverhalt ist (, 0265).
Eine derartige Unbilligkeit des Einzelfalles ist aber nicht gegeben, wenn lediglich eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage vorliegt, also die vermeintliche Unbilligkeit für die davon Betroffenen aus dem Gesetz selbst folgt und für deren Hintanhaltung der Gesetzgeber selbst hätte vorsorgen müssen.
Da die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles tatbestandsmäßige Voraussetzung für die im § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung ist, ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr, wenn die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung verneint ().
Im Nachsichtsverfahren liegt das Hauptgewicht der Behauptungs- und Beweislast naturgemäß beim Nachsichtswerber. Dieser ist verpflichtet, im Nachsichtsansuchen die gemäß § 236 BAO bedeutsamen Umstände offen zu legen.
Im Nachsichtsansuchen führt der Bw. aus, dass die Einkommensteuernachforderungen des Jahres 1997 iHv. € 3.401.00 mehr als zehn Jahre zurückliege und er darüberhinaus € 55.000,00 bei der Hausbank zu entrichten habe.
Aus diesem Vorbringen ergibt sich, dass der vom Bw. aufgezeigte Unbilligkeitsgrund keinen Einzelfall darstellt. Der Umstand, dass die Abgabenbehörden Einkommensteuern nachfordern, ist eine Folge der allgemein gültigen Rechtslage, die den Bw. in gleicher Weise trifft, wie alle anderen wirtschaftlich, unternehmerisch Tätigen.
Die Nachsicht aus sachlichen Gründen verlangt einen außergewöhnlichen Geschehensablauf, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weiseeine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Judikatur wiederholt ausgeführt, dass eine Unbilligkeit nicht vorliege, wenn sie ganz allgemein die Auswirkung genereller Normen ist (, , 2004/16/0151). Dies trifft auf den vorliegenden abgabenrechtlichen Sachverhalt zweifellos zu. Soweit der Bw. meint, die Einkomensteuernachforderung des Jahres 1997 sei verjährt, ist darauf zu verweisen, dass Einwendungen gegen den Abgabenanspruch im Abgabenverfahren zu erheben sind.
Schwierige wirtschaftliche Verhältnisse, wirtschaftliche Notlagen (), die die Existenz des Abgabepflichtigen zu gefährden drohen, können persönliche Unbilligkeiten der Einhebung indizieren. Die Frage, ob die Existenz der Person des Abgabepflichtigen gefährdet ist, ist nach der Einkommens- und Vermögenslage (und nach der voraussehbaren Entwicklung) ohne Abzug der zu entrichtenden (nachsichtsverfangenen) Abgaben () zu beurteilen.
Grundsätzlich ist der Abgabepflichtige gehalten, für die Zahlung der Abgaben vorzusorgen. Hiezu wird festgestellt:
Der Bw. bezieht Pensionseinkünfte iHv. ca. € 1.400,00 monatlich, 14mal pro Jahr. Die Gattin des Bw. bezieht monatlich Einkünfte aus nicht selbständiger Erwerbstätigkeit in Höhe von € 1.100,00.
Was die persönliche wirtschaftliche Situation des Bw. anlangt, erweisen sich die Ausführungen bei genauerer Betrachtung als nicht ausreichend stichhaltig. Was die Höhe der (notwendigen) Lebenshaltungskosten anlangt, die mit den Verhältnissen unselbständiger Erwerbstätiger verglichen werden können, wird auf den nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG geltenden Ausgleichszulagenrichtsatz in Höhe von € 662,99 verwiesen. Daraus ergibt sich, dass eine Person, mit einem Betrag von jährlich € 9.281,86 (14 Monate gerechnet) oder monatlich € 773,49 das Auslangen finden müsse.
Der Bw. verfügt durchschnittlich über einen monatlichen Betrag iHv. € 1.400,00, welcher sich aus einer Pensionszahlung zusammensetzt. Damit liegt er deutlich über dem vom Gesetzgeber normierten Existenzminimum für eine bzw. auch zwei Personen.
Der Bw. ist vermögend und besitzt einen Hälfteanteil an einem Wohnhaus.
Dem Gesetzgeber kann dabei nicht unterstellt werden, bei der Bemessung der lebensnotwendigen Grundbedürfnisse die Wohnkosten nicht zu berücksichtigen.
Abschließend ist zu berücksichtigen, dass der Bw. zwar bereit ist, seine wesentlich höheren Bankverbindlichkeiten abzustatten, die Abgabenschulden jedoch im Nachsichtswege nachgesehen werden sollten. Eine Differenzierung zwischen Abgabenschulden und Bankverbindlichkeiten ist jedoch ausgeschlossen, zumal dies eine Ungleichbehandlung von Gläubigern einseitig zu Lasten des Staates gehen würde.
Es ist nicht begründbar, dass der Bw. Bankverbindlichkeiten in hohen monatlichen Raten abstattet und Abgabenverbindlichkeiten vollkommen unberücksichtigt blieben. Dem Bw. ist die Abstattung des aushaftenden Rückstandes in geringen monatlichen Raten (ca. € 200,00) gleichermaßen zumutbar, wie er auch die Bankverbindlichkeiten in Raten (ca. € 700,00) abstattet.
Wenngleich die Entrichtung der Abgabenschuld in Raten die Lebensverhältnisse des Bw. durchaus beeinträchtigt, erscheint das Vorbringen des Bw. schlichtweg nicht geeignet eine existenzgefährdende Wirkung festzustellen, weil der Bw. gleichzeitig Zahlungen für die Abstattung der Bankverbindlichkeiten und der laufenden Wohnbaudarlehen erübrigt.
Auf Grund der oben dargestellten wirtschaftlichen Situation konnte eine persönliche Unbilligkeit nicht erblickt werden, da die Einhebung der strittigen Abgaben nicht die Existenz gefährden kann. Diese müsste gerade durch die Einhebung der Abgabe verursacht oder entscheidend ("auch") mitverursacht sein (, , 95/15/0053, , 94/16/0125). Eine solche scheint aber selbst nach dem Vorbringen des Bw. nicht vorzuliegen, weil für den Bankgläubiger durchaus Rückzahlungsbeträge erübrigt werden können.
Die Beurteilung, ob eine Unbilligkeit vorliegt, ist keine Ermessensfrage (), sondern die Auslegung eines unbestimmten Gesetzesbegriffes (, , 94/13/0047, 0049, 0050). Sind alle Nachsichtsvoraussetzungen gegeben, so liegt die Bewilligung der Nachsicht im Ermessen der Abgabenbehörde (), wobei sich dieses an den Ermessenskriterien des § 20 BAO (Zweckmäßigkeit und Billigkeit) zu orientieren hat.
Im Übrigen hat der VwGH wiederholt dargetan, eine Nachsicht könne im Rahmen des im § 236 Abs. 1 BAO eingeräumten Ermessens nicht im für den Bw. positiven Sinne gewährt werden, wenn er ausschließlich zu Lasten der Finanzverwaltung und zu Gunsten anderer Gläubiger ginge (, , 94/13/0047, 0049, 0050, , 95/15/0090, , 2002/14/0082).
Da die gemäß § 236 Abs. 1 BAO vorgesehene Voraussetzung, nämlich das Vorliegen einer Unbilligkeit der Einhebung, nicht erkannt werden kann, war die Berufung aus Rechtsgründen abzuweisen. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Klagenfurt am Wörthersee, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 236 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | RV/0076-K/06 RV/0270-K/08 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at