Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSI vom 02.10.2013, RV/0679-I/12

Keine Nachsicht von Aussetzungs- und Stundungszinsen wegen langer Dauer des Berufungsverfahrens bzw. verwaltungsgerichtlichen Verfahrens

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., vertreten durch X., vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Kufstein Schwaz vom betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen. Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

Entscheidungsgründe

Mit Eingabe vom beantragte der Berufungswerber (kurz: Bw.) die Nachsicht eines Abgabenbetrages in Höhe von 248.743,32 €.

Ausgeführt wurde, dass sich dieser Betrag aus Aussetzungs- und Stundungszinsen betreffend die Einkommensteuern der Jahre 1986 bis 1995 zusammensetze. Zu diesen Einkommensteuernachforderungen sei es im Ergebnis einer in den Jahren 1996 bis 1999 durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung (beim Bw. und bei der F-KG) gekommen.

Über die gegen die Einkommensteuervorschreibungen vom erhobene Berufung vom habe der Unabhängige Finanzsenat erstmals am entschieden. Da diese Entscheidung aufgrund eines Zustellmangels nicht rechtswirksam geworden sei, habe der Unabhängige Finanzsenat am über die Berufung neuerlich abgesprochen. Über die dagegen erhobene Beschwerde habe der Verwaltungsgerichtshof am entschieden.

Somit habe die Verfahrensdauer ab dem Zeitpunkt der Berufungserhebung bis zur Entscheidung des Unabhängigen Finanzsenates mehr als 8 Jahre (bzw. bis zur Beendigung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mehr als 12 Jahre) betragen.

Der Bw. habe die vorgeschriebenen Einkommensteuern zur Gänze bzw. die Aussetzungs- und Stundungszinsen zu 70 % entrichtet.

Da die überlange Dauer des Berufungsverfahrens eine sachliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung begründe und sich der Bw. seit dem Jahr 1996 steuerlich wohl verhalten habe, werde die Nachsicht der noch offenen Aussetzungs- und Stundungszinsen beantragt.

Weiters stellte der Bw. einen Stundungsantrag bis zur Entscheidung über das Nachsichtsansuchen, welchen das Finanzamt mit gesondertem Bescheid vom erledigte.

Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom wies das Finanzamt das Nachsichtsansuchen ab, weil es das Vorliegen von Unbilligkeitsgründen im Sinn des § 236 BAO verneinte. Dem Vorbringen betreffend die lange Dauer des obigen Berufungsverfahrens hielt das Finanzamt entgegen, dass der Bw. eine Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof hätte erheben können.

In der Berufung vom wurde auf das Vorbringen im Nachsichtsantrag verwiesen und ergänzend ausgeführt, dass der der Erledigung des Unabhängigen Finanzsenates vom anhaftende Zustellmangel erst ein Jahr später saniert worden sei. Da dieser Umstand außerhalb der Einflusssphäre des Bw. gelegen gewesen sei, widerspreche eine Verzinsung "für diesen Zeitraum" dem Sinn des Gesetzes.

Das Finanzamt legte die Berufung ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung der Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vor.

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach Lage des Falles unbillig wäre.

Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die in § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Wird die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung verneint, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum (vgl. ).

Die in § 236 Abs. 1 BAO angeführte Unbilligkeit der Abgabeneinhebung kann entweder persönlich oder sachlich bedingt sein.

Der Bw. macht lediglich eine sachliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung geltend. Wie dazu bereits in der Berufungsvorentscheidung zutreffend ausgeführt wurde, ist eine sachliche Unbilligkeit nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und - verglichen mit anderen Fällen - zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (vgl. z. B. ; Ritz, BAO4, § 236 Tz 11, mwN).

Eine derartige Fallkonstellation ist im vorliegenden Berufungsfall nicht gegeben, weil die vom Nachsichtsansuchen umfassten Aussetzungs- und Stundungszinsen eine Abgabenschuld für Nebenansprüche (§ 3 Abs. 2 lit. d BAO) darstellen, deren Entstehen vom Bw. durch die im zugrunde liegenden Berufungsverfahren gestellten Anträge auf Aussetzung der Einhebung (und in der Folge auf Zahlungserleichterung) ausgelöst worden ist und alle Abgabepflichtigen, die in diesem Zeitraum Zahlungsaufschübe in Anspruch genommen haben, in gleicher Weise trifft (vgl. ). Der Verwaltungsgerichtshof hat deshalb schon mehrmals ausgesprochen, dass die Einhebung von Aussetzungszinsen nicht sachlich unbillig ist. Vielmehr ist ein Antrag auf Aussetzung der Einhebung der aus einer abgabenbehördlichen Prüfung resultierenden Abgabenschuld eine vom Abgabepflichtigen selbst getroffene Entscheidung, deren gesetzliche Folgen (Aussetzungszinsen) er hinnehmen muss, ohne sich auf eine sachliche Unbilligkeit berufen zu können (vgl. , mwN). Für die vom Nachsichtsansuchen betroffenen Stundungszinsen kann nichts anderes gelten.

Aus der vom Bw. ins Treffen geführten langen Verfahrensdauer ergibt sich auch keine sachliche Unbilligkeit der Einhebung der Aussetzungs- und Stundungszinsen, weil deren Entstehen in beträchtlicher Höhe durch Entrichtung der ausgesetzten bzw. in der Folge gestundeten Abgaben hätte verhindert werden können (vgl. ). Demnach kommt es auch nicht darauf an, dass die Dauer des in Rede stehenden Berufungsverfahrens außerhalb des Einflussbereiches des Bw. gelegen war. Weiters ist zu berücksichtigen, dass den durch die lange Dauer des Berufungsverfahrens (einschließlich des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens) aufgelaufenen Nebenansprüchen der Zinsengewinn durch den Zahlungsaufschub beim Bw. gegenübersteht (vgl. ; ; ).

Dass die zwischenzeitige Entrichtung der im Nachsichtsantrag angeführten Einkommensteuern nicht zur sachlichen Unbilligkeit der Einhebung der Aussetzungs- und Stundungszinsen führt, scheint evident. Eine solche Unbilligkeit vermag auch die Behauptung nicht zu begründen, der Bw. habe bereits einen Teil dieser Nebenansprüche (70%) entrichtet.

Angemerkt wird noch, dass sich der den Gegenstand des Nachsichtsansuchens bildende Abgabenrückstand (248.743,32 €) nicht nur aus Aussetzungs- und Stundungszinsen zusammensetzt. Vielmehr sind darin auch rückständige Einkommensteuern der Jahre 2006, 2007 und 2010 samt Anspruchszinsen sowie offene Einkommensteuervorauszahlungen für 2010 samt Säumniszuschlägen enthalten. Eine diesbezügliche Einhebungsunbilligkeit hat der Bw. selbst nicht behauptet.

Da aus den dargelegten Gründen keine Unbilligkeit vorliegt, sind die Voraussetzungen für eine Abgabennachsicht nicht gegeben.

Somit war spruchgemäß zu entscheiden.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 236 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Schlagworte
Aussetzungszinsen
Stundungszinsen
lange Dauer
Berufungsverfahren
Verweise

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at