Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSI vom 20.07.2011, RV/0941-I/10

Beschränkte Steuerpflicht in Österreich bei (werk)täglichem Ein- und Auspendeln vom deutschen Wohnsitz zum österreichischen Arbeitsort

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/0941-I/10-RS1
§ 26 Abs. 2 zweiter Satz BAO verlangt für die Begründung des gewöhnlichen Aufenthaltes in Österreich zwar keine ununterbrochene körperliche Anwesenheit über sechs Monate, erfordert jedoch eine Anwesenheit, die über eine bloße körperliche Anwesenheit hinaus in einer stärkeren sachlichen und räumlichen Beziehung zum Aufenthaltsort bzw. Inland steht als dies bei einem nur vorübergehenden Verweilen an Arbeitstagen zum Zwecke der Arbeitsleistung der Fall ist (). Pendelt ein in Österreich nicht selbständig beschäftigter Arbeitnehmer an Werktagen von seinem deutschen Wohnsitz an seinen österreichischen Arbeitsort ein und aus, ohne in Österreich einen Wohnsitz oder eine Schlafstätte innezuhaben, begründet er hierdurch keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich und ist daher in Österreich beschränkt steuerpflichtig.

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Berufungswerbers, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes, vertreten durch Finanzanwalt, vom betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2009 entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen. Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

Entscheidungsgründe

Der Berufungswerber begehrte in seiner am elektronisch eingereichten Erklärung zur (unbeschränkten) Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2009 ua. eine Pendlerpauschale, Kosten der doppelten Haushaltsführung und Familienheimfahrten zu seinem Familienwohnsitz in deutscher_Hauptwohnsitz (Nähe deutscher_Wohnsitz_Nr.2) sowie Vorstellungs- und Weiterbildungskosten als Werbungskosten. Als Wohnanschrift gab der Abgabepflichtige seine deutsche Anschrift in deutsche_Anschrift, an. Über Vorhalt des Finanzamtes vom reichte der Berufungswerber neben Kostenaufstellungen und Bestätigungen ua. einen Mietvertrag über eine Ein-Zimmer-Wohnung (24 m²) in deutscher_Wohnsitz_Nr.1 nach.

Das Finanzamt veranlagte den Abgabepflichtigen im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 (mit Ausfertigungsdatum ) als beschränkt steuerpflichtig mit der Begründung, der Steuerpflichtige habe zu seinem Wohnsitz in deutscher_Wohnsitz_Nr.2 die engeren persönlichen Bindungen (Ehepartner, Kinder und auch die engeren sozialen Bindungen). Dieser Wohnsitz stelle den Mittelpunkt der Lebensinteressen dar. Die Schlafstätte in deutscher_Wohnsitz_Nr.1 erfülle nicht die Kriterien eines Wohnsitzes im Hinblick auf die Grenzgängereigenschaft. Gemäß des DBA-DE Artikel 15 Abs. 1 letzter Satz sei vom Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaates, also Österreich, auszugehen. Nachdem aufgrund des Wohnsitzes in deutscher_Wohnsitz_Nr.2 auch eine unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland gegeben sei, werde eine Doppelbesteuerung hinsichtlich der von der Östrreich.Arbeitgeberin bezogenen und in Österreich zu besteuernden Einkünfte in Deutschland gemäß Art. 23 Abs. 1 lit. a DBA-DE mittels Progressionsvorbehalt vermieden. Da ein tägliches Ein- und Auspendeln zur Arbeitsstätte keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich begründen könne, liege in Österreich eine beschränkte Steuerpflicht gemäß § 70 (ö)EStG vor.

In der hiergegen fristgerecht erhobenen Berufung vom führte der Berufungswerber unter Verweis auf die Lohnsteuerrichtlinien (Pkt. 1.2.3 "gewöhnlicher Aufenthalt im Inland bei ausländischen Arbeitnehmern mit Arbeitsvertrag für die Dauer von mehr als sechs Monaten auch ohne inländischen Wohnsitz") ergänzend aus, er sei ab in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig, da er im Inland einen gewöhnlichen Aufenthalt habe.

Das Finanzamt legte die Berufung der Abgabenbehörde zweiter Instanz direkt ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung vor.

Über die Berufung wurde erwogen:

1.) Im vorliegenden Fall ist strittig, ob der Berufungswerber in Österreich unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig ist. Für die Beurteilung ist hierbei von folgender Rechtslage auszugehen:

Gemäß § 1 Abs. 2 EStG 1988 sind unbeschränkt steuerpflichtig jene natürlichen Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind nach § 1 Abs. 3 EStG 1988 beschränkt steuerpflichtig. Nach § 70 Abs. 1 EStG sind Arbeitnehmer beschränkt lohnsteuerpflichtig, bei denen die Voraussetzungen der § 1 Abs. 3 EStG und § 98 Abs. 1 Z 4 EStG vorliegen.

Einen Wohnsitz im Sinn der Abgabenvorschriften hat gemäß § 26 Abs. 1 BAO jemand dort, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinn der Abgabenvorschriften hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweilt. Wenn Abgabenvorschriften die unbeschränkte Abgabepflicht an den gewöhnlichen Aufenthalt knüpfen, tritt dieser jedoch stets dann ein, wenn der Aufenthalt im Inland länger als sechs Monate dauert. In diesem Fall erstreckt sich die Abgabepflicht auch auf die ersten sechs Monate (§ 26 Abs. 2 BAO).

Unter "Wohnung" sind eingerichtete, zum Wohnen bestimmte Räume zu verstehen, die den Verhältnissen des Steuerpflichtigen angemessen sind, sodass sie ihm ein entsprechendes Heim bieten können. Räumlichkeiten, die nur vorübergehend und notdürftig Unterkunft gewähren, gelten nicht als Wohnung; dabei sind die Gesamtumstände von Bedeutung. Die polizeiliche Meldung ist nicht entscheidend, sie hat allenfalls Indizwirkung. Einen Wohnsitz kann beispielsweise ein Untermietzimmer begründen. Keine "Wohnung" ist hingegen eine Schlafstelle am Arbeitsort, die mit anderen Arbeitnehmern geteilt wird (Doralt, EStG9 (), § 1 Tz 10f; Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuer-Handbuch, Wien 1993, § 1 Tz 11 sowie die dort zitierte Judikatur).

Der gewöhnliche Aufenthalt verlangt grundsätzlich eine (längere, jedoch nicht ständige) körperliche Anwesenheit, also ein Verweilen des Betreffenden (). Man kann - im Gegensatz zum Wohnsitz - nur einen gewöhnlichen Aufenthalt haben, da er eine körperliche Anwesenheit voraussetzt (; ; ). Erforderlich ist eine gewisse sachlich - räumliche Beziehung zum Aufenthaltsort, wobei bei Beurteilung dieser Frage etwa die Lebensverhältnisse und die geschäftlichen Betätigungen mitentscheidend sein werden. Hält sich ein Steuerpflichtiger während der Woche am Betriebsort im Inland auf (wo er auch übernachtet) und kehrt er nur am Wochenende zur Familie ins Ausland zurück, dann genügt die betriebliche Bindung für den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Kehrt der Steuerpflichtige hingegen täglich zu seinem Wohnsitz im Ausland zurück, dann hat er dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt. Personen, die zwar an jedem Werktag ins Inland kommen, nach Verrichtung der Tätigkeit aber ins Ausland zurückkehren, begründen somit grundsätzlich keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland (; ). Bei Grenzgängern (bzw. Tagespendlern) kommt auch die Sechsmonatsregel nicht zur Anwendung. Grenzgänger aus dem Ausland, die sich drei bis vier Tage wöchentlich im Inland aufhalten (iS von nächtigen), haben hingegen im Inland den gewöhnlichen Aufenthalt (Ruppe, BAO³, § 26 Tz 13; Stoll, BAO, § 26, 336ff; Doralt, EStG9 (), § 1 Tz 18ff; Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuer-Handbuch, Wien 1993, § 1 Tz 13f sowie die dort zitierte Judikatur).

2.) Im vorliegenden Fall steht außer Streit, dass der Berufungswerber im strittigen Jahr 2009 nicht in Österreich genächtigt hat bzw. wohnhaft war (keine Schlafstätte in Österreich), sondern an seinen Arbeitstagen von seinem (Zweit)Wohnsitz in deutscher_Wohnsitz_Nr.1 zu seiner nicht selbständigen Tätigkeit in Arbeitsplatz angereist ist. Unstrittig ist weiters, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen in deutscher_Hauptwohnsitz (Familienwohnsitz) gelegen ist (siehe unbestrittene Feststellungen des Finanzamtes im bekämpften Einkommensteuerbescheid 2009).

3.) Strittig ist, ob das tägliche Ein- und Auspendeln (an Arbeitstagen) von Deutschland nach Österreich einen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich begründet oder nicht.

Folgt man obigen rechtlichen Ausführungen so ergibt sich hieraus, dass der Berufungswerber im vorliegenden Fall keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich begründet hat. Wie dargelegt kann eine Person gleichzeitig nur an einem Ort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Dass dies gegenständlich aber nicht der Arbeitsort sein kann, ergibt sich für den Referenten daraus, dass der Berufungswerber nur an Arbeitstagen im Inland verweilte ( kein Wohnsitz in Österreich) und der Mittelpunkt der Lebensinteressen unbestrittenermaßen in Deutschland lag. Wenngleich die Arbeitsverrichtung am Arbeitsplatz im Unternehmen seines Arbeitgebers in Arbeitsplatz ein regelmäßiges, jeweils zeitlich beschränktes Verweilen (bis zur täglichen Rückkehr an seinen Wohnsitz in Deutschland) in Österreich zur Folge hatte, unterhielt der Abgabepflichtige im Jahr 2009 zu Österreich lediglich eine wirtschaftliche Bindung, welche sich eben auf den österreichischen Arbeitsplatz beschränkt hat (siehe auch ).

Der Berufungswerber sieht in seinen Vorbringen die Begründung eines Aufenthaltes in Österreich im Ersatztatbestand des § 26 Abs. 2 zweiter Satz BAO verwirklicht. Dieser Ansicht kann jedoch nicht gefolgt werden. Selbst wenn die Begründung des Aufenthaltes im Sinne der bezogenen Gesetzesstelle keine ununterbrochene körperliche Anwesenheit über sechs Monate verlangt, wäre dazu doch eine Anwesenheit erforderlich, die über eine bloße körperliche Anwesenheit hinaus in einer stärkeren sachlichen und räumlichen Beziehung zum Aufenthaltsort bzw. Inland steht als dies bei einem nur vorübergehenden Verweilen an (lediglich) Arbeitstagen zum Zwecke der Arbeitsleistung der Fall ist. Dem täglichen Ausmaß eines solchen jeweils stundenweisen Aufenthaltes in Österreich kommt daher keine Rechtserheblichkeit zu, ist doch der Berufungswerber lediglich in Österreich beschäftigt, lebt jedoch bzw. hat seinen Wohnsitz ausschließlich in Deutschland (siehe auch ).

4.) Der Verweis des Berufungswerbers auf die Lohnsteuerrichtlinien, aus welcher sich seiner Ansicht nach ein gewöhnlicher Aufenthalt in Österreich ergebe, kann der Berufung zu keinem Erfolg verhelfen, besteht doch für den Referenten keine Bindung hieran. Die Lohnsteuerrichtlinien sind zudem ein Auslegungsbehelf zum EStG, nicht aber eine vom Finanzamt zwingend zu beachtende Dienstanweisung. Dem Abgabepflichtigen kommt demgemäß auch kein Rechtsanspruch auf Beachtung der Lohnsteuerrichtlinien durch das Finanzamt zu.

5.) Zusammengefasst ist sohin auszuführen, dass der Berufungswerber im strittigen Jahr 2009 weder über einen Wohnsitz noch über einen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich verfügte, sodass dieser nach § 1 Abs. 3 EStG beschränkt steuerpflichtig ist. Die beschränkte Steuerpflicht erstreckt sich auf die im § 98 EStG aufgezählten Einkünfte, sohin ua. auf Einkünfte aus im Inland ausgeübter nicht selbständiger Arbeit (§ 98 Abs. 1 Z 4 EStG). Nach § 70 Abs. 1 EStG ist der Berufungswerber als Arbeitnehmer, bei dem die Voraussetzungen der §§ 1 Abs. 3 und 98 Abs. 1 Z 4 EStG vorliegen, beschränkt lohnsteuerpflichtig.

Nach dem Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, DBA-Deutschland, BGBl III 2002/182, stellt Deutschland als Wohnsitzstaat den Ansässigkeitsstaat dar. Gemäß Artikel 15 Abs. 1 letzter Satz kommen Vergütungen aus unselbständiger Arbeit dem Tätigkeitsstaat zu, wenn die Arbeit dort ausgeübt wird, sodass Österreich auch nach DBA-D das Besteuerungsrecht an den streitgegenständlichen Einkünften zusteht. Aus dem Wohnsitz des Berufungswerbers in Deutschland leitet sich zudem eine unbeschränkte Steuerpflicht des Abgabepflichtigen in Deutschland ab. Zur Abwehr einer sich hieraus ergebenden Doppelbesteuerung der streitgegenständlichen Einkünfte sind diese Einkünfte in Deutschland von der Bemessungsgrundlage gemäß Art 23 Abs. 1 lit a DBA-D freigestellt, werden jedoch für den Progressionsvorbehalt herangezogen.

6.) Abschließend wird bemerkt, das die Einkommensteuererklärung bzw. das Berufungsvorbringen nicht als Antrag gemäß § 1 Abs. 4 EStG qualifiziert werden kann, beruft sich doch zum einen der Steuerpflichtige ausdrücklich auf einen "gewöhnlichen Aufenthalt" in Österreich. Zum anderen ergeben sich aus dem Vorbringen und der Aktenlage weder, dass die "Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu neunzig Prozent der österreichischen Einkommensteuer unterliegen", noch dass die "nicht der österreichischen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte nicht mehr als 11.000,00 € betragen" haben. Zudem hat der Abgabepflichtige nicht die Höhe der nicht der österreichischen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Abgabenbehörde nachgewiesen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 1 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 70 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 1 Abs. 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 26 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 26 Abs. 2 zweiter Satz BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Art. 23 Abs. 1 lit. a DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002
Verweise

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at