1. Zuläsigkeit der Wiederaufnahme der Verfahren von Amts wegen 2. "Großes" Pendlerpauschale bei einer Wegstrecke von unter 20 km und einer Fahrtdauer mit Massenbeförderungsmittel von weniger als 90 Minuten
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Rudolf Wanke und die weiteren Mitglieder Hofrätin Mag. Irene Eberl, Günter Kastner und LKR Franz Backknecht über die Berufungen der Bw., Adr.Bw., vertreten durch BKS Steuerberatung GmbH & Co KG, 3150 Wilhelmsburg, Untere Hauptstraße 10, gegen die Bescheide des Finanzamtes Lilienfeld St. Pölten, vertreten durch Mag. Alexandra Son, betreffend Wiederaufnahme der Verfahren gemäß § 303 Abs 4 BAO betreffend Einkommensteuer hinsichtlich der Jahre 2007 bis 2009 sowie Einkommensteuer für die Jahre 2007 bis 2010 nach der am am Finanzamt Lilienfeld St. Pölten durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Die angefochtenen Bescheide bleiben unverändert.
Entscheidungsgründe
Die Berufungswerberin(Bw.) bezog im streitgegenständlichen Zeitraum Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Mit Bescheiden betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2007 bis 2009 (datiert vom , und ) wurde zunächst das "große" Pendlerpauschale für 20-40 km (2007 iHv € 1.107,00, 2008 iHv € 1.267,50 und 2009 iHv € 1.356,00),das bereits vom Arbeitgeber berücksichtigt wurde, anerkannt.
Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung beim Arbeitgeber der Bw (D. GmbH) wurde festgestellt, dass der Bw das "große" Pendlerpauschale nicht zusteht.
Das Finanzamt schloss sich den oa Feststellungen der Lohnsteuerprüfung an und nahm mit Bescheiden jeweils datiert vom die Verfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2007 bis 2009 wieder auf und erließ mit gleichem Datum neue Sachbescheide. Begründend wurde jeweils ausgeführt, dass das große Pendlerpauschale laut Lohnsteuerprüfung nicht zustehe, da die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels auf der Strecke Wohnung-Arbeitsplatz grundsätzlich möglich sei und diese weniger als 20 km betrage.
Mit Eingabe vom (eingelangt beim Finanzamt am ) erhob der steuerliche Vertreter der Bw gegen die oa Bescheide Berufung. Begründend wurde ausgeführt, dass keine Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden. Das "große" Pendlerpauschale sei beim Dienstgeber beantragt und im Wege der laufenden Lohnverrechnung bereits berücksichtigt worden, weil in den Lohnzahlungszeiträumen lt. beiliegendem Veranstaltungskalender für die Jahre 2007 bis 2009 unzählige Veranstaltungen stattgefunden hätten, deren Beginn erst am Abend gewesen sei und die Veranstaltungen erst zu einem Zeitpunkt geendet hätten, zu dem kein öffentliches Verkehrsmittel mehr in A. nach B. gefahren sei und dessen Benutzung unmöglich gewesen sei.
Aus diesem Grund stehe der Bw das "große" Pendlerpauschale für die Wegstrecke 2-20 km für die Monate Jänner 2007 bis Dezember 2009 zu und seien richtigerweise vom Dienstgeber im Zuge der Erstellung der laufenden Lohnverrechnung berücksichtigt worden.
Es sei daher die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs 4 BAO für die Jahre 2007 bis 2009 zu Unrecht vorgenommen worden und auch die nachgelagerten Einkommensteuerbescheide für diese Jahre zu Unrecht abgeändert worden.
Abschließend wurde der Antrag gemäß § 276 BAO auf Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde II. Instanz für den Fall der Nichtstattgabe der Berufung durch die Abgabenbehörde I. Instanz gestellt. Weiters wurde der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie auf Entscheidung durch den gesamten Berufungssenat gestellt.
Mit Vorhalt vom wurde die Bw gebeten zu folgenden Punkten Stellung zu nehmen:
"Welche Tätigkeit/Tätigkeiten führen Sie genau aus? Genaue Beschreibung! Sind Sie auch am Abend tätig? Wenn ja, wann? Wie oft? Wie lange? Um Vorlage genauer Arbeitszeit-Aufzeichnungen bzw Dienstpläne wird ersucht!"
Mit Schreiben vom nahm der steuerliche Vertreter der Bw dazu Stellung und legte in Kopie die genauen Zeitaufzeichnungen für die Jahre 2007 bis 2009 vor. Weiters führte dieser aus, dass die Bw seit Jänner 2003 (bis ) folgende Tätigkeiten - auch am Abend - ausgeübt hätte: Angestellte in den Bereichen Gastronomie, Reinigungsmanagement, Büroleitung, Instandhaltungsmanagement, Projekt- und Eventmanagement und Vermietung. Darüberhinaus sei sie gewerberechtliche Geschäftsführerin im Gastronomiebereich vom bis gewesen.
Exemplarisch wird aus den vorgelegten Arbeitsaufzeichnungen der Bw der Monat Jänner 2007 dargestellt:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Tag | KO gest. | GE gest. |
Mo 01. Feiertag | ||
Di 02. | 07:35 | 16:36 |
Mi. 03. | 07:43 | 18:27 |
Do 04. | ||
Fr. 05 | 08:01 | 17:30 |
Sa.06 | 16:29 | 03:11 |
So 07 | ||
Mo 08 | 07:41 | 17:20 |
Di 09 | 07:45 | 18:12 |
Mi 10 | 07:43 | 22:05 |
Do 11 | 07:30 | 17:33 |
Fr. 12 | 07:39 | 13:48 |
Sa 13 | ||
So 14 | ||
Mo 15 | 09:13 | 17:35 |
Di 16 | ||
Mi 17 | 06:53 | 17:22 |
DO 18 | 07:41 | 13:31 |
Fr. 19 | 09:38 | 13:19 |
Sa 20 | ||
So 21 | ||
Mo 22 | 07:44 | 17:03 |
Di 23 | 07:45 | 12:42 |
Mi 24 | 07:41 | 17:16 |
Do 25 | 07:42 | 12:33 |
Fr 26 | 07:41 | 19:23 |
Sa 27 | ||
So 28 | ||
Mo 29 | 07:41 | 16:43 |
Di 30 | 07:40 | 17:14 |
Mi 31 | 07:35 | 19:30 |
Seitens des Finanzamtes wurde aufgrund der Fahrplanauskunft festgestellt, dass die erste Fahrt um 04:31 (Dauer 0:39 inkl. Fußweg und Fahrzeit) und die letzte Fahrt um 22:16 (Dauer 0:34 inkl. Fußweg und Fahrzeit) stattfindet.
Mit Bericht vom wurden die oa Berufungen - ohne Erlassung von Berufungsvorentscheidungen - dem Unabhängigen Finanzsenat zur Entscheidung vorgelegt. In diesem Bericht führte das Finanzamt aus, dass die vorgelegten Zeitaufzeichnungen zeigen würden, dass Fahrten außerhalb der Betriebszeit von öffentlichen Verkehrsmitteln nur in untergeordnetem Ausmaß stattfinden würden. Die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf der Strecke Wohnung-Arbeitsstätte und retour sei daher überwiegend möglich und zumutbar.
Im Zuge des Verfahrens vor der Abgabenbehörde II. Instanz wurde der Bw nach rechtlichen Ausführungen zur Wahrung des Parteiengehörs die nachstehenden Ermittlungsergebnisse des Finanzamtes übermittelt:
"Die Entfernung zwischen ihrem Wohnort (B.) und dem Arbeitsort (A.) beträgt lt. google Maps 9,5 km - 11,3 km.
Laut dem Oebb Fahrplan ist die erste Fahrt um 04:31 Uhr ab B/C Volkshaus und die letzte Fahrt ab A/D 22:16 Uhr möglich.
Eine Auswertung ihrer Arbeitszeitaufzeichnungen hat ergeben, dass es Ihnen an den überwiegenden Arbeitstagen möglich war den Arbeitsweg (Wohnung- Arbeitsstätte und retour) mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen. Nur an einzelnen Tagen (jedoch in einem untergeordneten Ausmaß also weniger als 10 Tage) war der Bw aufgrund der Arbeitszeiten am Abend (Arbeitsende nach 22:00 Uhr) eine Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln nicht möglich.
Die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf der Strecke Wohnung-Arbeitsstätte und retour ist daher überwiegend möglich und zumutbar."
Mit e-mail vom nahm der steuerliche Vertreter dazu wie folgt Stellung:
"Unter der Annahme, dass sofort nach Dienstschluss ein öffentliches Verkehrsmittel erreicht werden kann (also ohne Wartezeit), beträgt der Fußweg vom Dienstort E. bis zur angeführten Busstation (Park & Ride Süd F.) rd. 1,3 km. Der Fußweg von B. Hauptplatz bis zur Wohnadresse beträgt 0,5 km. Für diesen Fußweg benötigt man (vom manchmal unbequemen, jedoch schönen Schuhwerk abgesehen) mindestens eine halbe Stunde. Von der angeführten Ein- bzw. Ausstiegstelle Volkshaus wäre der Fußweg sogar noch um rd. 0,5 km länger.
Die Fahrzeit für den Bus beträgt lt. Vorhaltsbeilage ebenfalls rd. eine halbe Stunde, sodass die gesamte Reisezeit zwischen Dienststelle und Wohnadresse mindestens eine Stunde, wenn nicht mehr, beträgt. Dies auf jeden Fall, egal wann die Arbeitszeit endet, oder noch eine Wartezeit bestünde.
Die Fahrzeit mit dem PKW beträgt lt. Routenplaner für die rd. 10 km allerdings nur 10 Minuten. Die Fahrzeit mit dem öffentlichen Verkehrsmittel dauert daher auf jeden Fall 6 x so lange, als mit dem eigenen PKW.
Für jene Tage, an denen erst die Arbeitszeit endet, wo keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr verkehren, ist es für Frauen undenkbar, im menschenleeren Betriebsgebiet von A. spätnachts mehr als einen Kilometer zu einer öffentlichen Bushaltestelle zu Fuß zu gehen.
Die angesprochenen Richtwerte der LStR stellen einen Auslegungsbehelf dar, der im Gesetz nicht gedeckt ist. Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum in einem Fall auf die dreimal solange Dauer abgestellt wird und im anderen die sechsmal solange Dauer unberücksichtigt bleibt.
Was die Abgabenbehörde aber offensichtlich übersehen hat, ist jener Umstand, dass alle angeführten Busverbindung lt. aktuellem Fahrplan nach 16:43 Uhr nur von Montag bis Freitag geführt werden, also weder an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen. An allen Arbeitstagen, die Samstage, Sonntag und Feiertage betroffen haben, wurden diese seitens des Finanzamtes angeführten Buslinien (zumindest lt. aktuellem Fahrplan) nicht geführt, also eine Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels unmöglich gemacht.
Unsere Berufung bleibt daher vollinhaltlich aufrecht."
Dieses Schreiben wurde dem Finanzamt zur Wahrung des Parteiengehörs am übermittelt.
Mit e-mail vom teilte die Vertreterin des Finanzamtes mit, dass keine Stellungnahme abgegeben wird.
In der am abgehaltenen mündlichen Berufungsverhandlung legte die Vertreterin des Finanzamtes die Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid 2010 dem UFS zur Entscheidung vor. Beide Parteien des zweitinstanzlichen Abgabenverfahrens berichteten übereinstimmend, dass der Sachverhalt jenem der Jahre 2007 bis 2009 entspricht und es sich um die selbe Rechtsfrage handle.
Ergänzend hielt der steuerliche Vertreter fest, dass seiner Ansicht nach die Wiederaufnahmebescheide nicht entsprechend begründet worden seien. Man könne nicht erkennen, auf welche neu hervorgekommenen Tatsachen bzw. auf welchen Tatbestand des § 303 BAO sich die Bescheide stützen würden, ferner sei auch die Ermessensübung nicht begründet worden. Im Übrigen entspreche es der Spruchpraxis des UFS, dass der bloße Verweis auf einen neuen Lohnzettel nicht als Wiederaufnahmegrund ausreiche.
Hinsichtlich der Sachbescheide brachte der steuerliche Vertreter der Bw vor, dass der Dienstgeber der Bw angesichts der unzutreffenden Angaben in der Erklärung zur Gewährung des Pendlerpauschales - die Entfernung zwischen B. und A. beträgt in keinem Fall mehr als 20 km - erkennen hätte müssen, dass er zu Unrecht das Pendlerpauschale in dem bei der Lohnverrechnung berücksichtigten Umfang angewandt habe. Daher erscheine eine direkte Inanspruchnahme des Arbeitnehmers unzutreffend. Es werde dazu auf die RZ 274 und 10.274 der Lohnsteuerrichtlinien sowie auf RZ 10.209 verwiesen.
Seitens der Vertreterin des Finanzamtes werde dem entgegen gehalten, dass für das Finanzamt neu hervorgekommen sei, dass das Pendlerpauschale in der vom Dienstgeber berücksichtigten Höhe unzutreffend gewesen sei. Die Wiederaufnahme sei deswegen verfügt worden, weil der Rechtsrichtigkeit vor der Rechtsbeständigkeit der Vorrang einzuräumen sei. Die Veranlagung der Bw. sei gem. § 41 Abs. 1 Z. 6 erfolgt.
Dass der Arbeitsweg in eine Richtung weniger als 20 km betrage, werde von den beiden Parteien des zweitinstanzlichen Abgabenverfahrens außer Streit gestellt. Ferner werde außer Streit gestellt, dass - wenn ein öffentliches Verkehrsmittel verkehrt - die Wegzeit weniger als 90 Minuten beträgt.
Der steuerliche Vertreter könne nicht sagen, dass im Berufungszeitraum in einem Lohnzahlungszeitraum (Monat) die Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel überwiegend nicht möglich gewesen sei, da auf einem Teil der Strecke der Bus nicht mehr verkehre.
Abschließend ersuchte der steuerliche Vertreter der Bw der Berufung Folge zu geben.
Aus dem Finanzamtsakt für das Jahr 2010 sind nachfolgende Fakten ersichtlich:
Mit Bescheid vom betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2010 wurde das beantragte "große" Pendlerpauschale nicht gewährt.
In der dagegen erhobenen Berufung vom wurden im Wesentlichen die in der Berufung vom vorgebrachten Argumente wiederholt.
Über die Berufung wurde erwogen:
1. Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2007 bis 2009:
Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs 1 lit a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Eine Wiederaufnahme eines mit Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist dann ausgeschlossen, wenn der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumption zu der nunmehr im wiederaufzunehmenden Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können ().
Tatsachen iSd § 303 BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht, geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften ().
Das Hervorkommen von Tatsachen und Beweismittel ist aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen. Daher können zB Kenntnisse des Lohnsteuerprüfers für die Einkommensteuerbescheide neu hervorkommen (vgl. ,0094).
Die Begründungen der Wiederaufnahmebescheide im vorliegenden Fall verweisen als neue Tatsache im obigen Sinn, dass aufgrund der Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung beim Arbeitgeber der Bw die Tatsache neu hervorgekommen ist, dass der Bw das große Pendlerpauschale nicht zusteht.
Wenn der steuerliche Vertreter der Bw in der mündlichen Verhandlung vorbringt, dass der bloße Verweis auf den Lohnzettel nicht als Wiederaufnahmegrund ausreiche, dann übersieht er, dass im vorliegenden Fall nicht auf den Lohnzettel verwiesen wurde, sondern es wurde festgehalten, dass die Wiederaufnahme der Verfahren gem. § 303 Abs 4 BAO aufgrund der Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung beim Arbeitgeber der Bw betreffend das Pendlerpauschale verfügt wurden.
Damit sind die Wiederaufnahmebescheide begründet, mag auch der Bw - da dieser der Inhalt der Feststellungen beim Arbeitgeber nicht bekannt sein muss - ein Anspruch nach § 245 Abs 2 BAO zugestanden sein.
Die Zulässigkeit der Wiederaufnahme verlangt jedoch auch, dass die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens seinerzeit einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Daher ist schon im Wiederaufnahmeverfahren auf die materiell-rechtliche Frage der möglichen Auswirkung auf den Sachbescheid einzugehen.
Ist die Möglichkeit eines Einflusses des geltend gemachten Wiederaufnahmegrundes auf die Sachentscheidung, also die Möglichkeit einer geänderten Entscheidung bei Berücksichtigung des nunmehr hervorgekommenen Sachverhaltes zu verneinen, ist das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren nicht wieder aufzunehmen.
Der Wiederaufnahmegrund muss geeignet sein, in den neuen Sachbescheid einzufließen, auf den Spruch durchzuschlagen.
Wie den rechtlichen Ausführungen unter Punkt 2. der gegenständlichen Entscheidung zu entnehmen ist, war die neu hervorgekommene Tatsache, dass der Bw aufgrund von Erhebungen beim Arbeitgeber das große Pendlerpauschale nicht zusteht, potentiell geeignet, den Spruch der Einkommensteuerbescheide zu beeinflussen.
Die Verfügung der Wiederaufnahme liegt im Ermessen (zB VwGH 2.13.1996, 94/14/0085; , 93/14/0187). Wie bei allen Ermessensentscheidungen kommt dem Gleichheitsgrundsatz, dem Normzweck und den im § 20 genannten Kriterien Bedeutung zu.
Daher ist bei der Ermessensübung grundsätzlich dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (der Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor jenem der Rechtsbeständigkeit (Rechtskraft) zu geben. Dies gilt unabhängig davon, ob sich die Wiederaufnahme letztlich zu Gunsten oder zu Ungunsten der Partei auswirken würde (s. Ritz 4, BAO, § 303 Tz 38).
Da die steuerlichen Auswirkungen auf Grund des Wiederaufnahmegrundes nicht bloß geringfügig sind, ist eine spezielle Unbilligkeit nicht zu erkennen. Zudem liegen hinsichtlich der korrekten Ausübung beim Verfügen der Wiederaufnahme der berufungsgegenständlichen Verfahren, keine Einwendungen des steuerlichen Vertreters der Bw vor.
Dem Einwand des steuerlichen Vertreters der Bw, dass die Ermessensübung seitens des Finanzamtes nicht begründet worden sei, ist entgegenzuhalten, dass im Gegensatz zum Fehlen der Wiederaufnahmsgründe die fehlende Ermessensübung in einem Wiederaufnahmebescheid keinen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt und von der Berufungsbehörde - wie vorstehend geschehen - nachgeholt werden kann.
Die Berufung gegen die Wiederaufnahmebescheide war daher als unbegründet abzuweisen.
2. Einkommensteuer für die Jahre 2007 bis 2009:
Wenn der steuerliche Vertreter der Bw im Zuge der mündlichen Verhandlung vorweg festhält, dass der Dienstgeber angesichts der unzutreffenden Angaben in der Erklärung zur Gewährung des Pendlerpauschales - die Entfernung zwischen B. und A. betrage in keinem Fall mehr als 20 km - erkennen hätte müssen, dass er zu Unrecht das Pendlerpauschale in dem bei der Lohnverrechnung berücksichtigten Umfang angewandt habe und daher eine direkte Inanspruchnahme des Arbeitnehmers unzutreffend sei, dann ist dem entgegenzuhalten, dass es sich dabei um einen Pflichtveranlagungstatbestand im Sinne des § 41 Abs 1 Z 6 EStG 1988 handelt. In einem derartigen Fall ist nach § 83 Abs 2 Z 1 EStG 1988 der Arbeitnehmer unmittelbar in Anspruch zu nehmen.
Nach der Rechtslage vor dem AbgSiG 2007 konnte ein dem Grunde oder der Höhe nach zu Unrecht berücksichtigtes Pendlerpauschale vom Finanzamt nur dann in der Veranlagung berichtigt werden, wenn diese auf Antrag erfolgt. Nahm das Finanzamt in einem solchen Fall die Korrektur vor, konnte der StPfl den Antrag im Berufungsweg zurückziehen. Das Finanzamt musste dann einen gesonderten, auf § 83 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 gestützten Bescheid erlassen. Um dies zu vermeiden, wurde mit dem AbgSiG 2007 der Fall des infolge Abgabe einer unrichtigen Erklärung durch den Arbeitnehmer oder Verletzung der Meldepflicht des Arbeitnehmers zu Unrecht berücksichtigten Pendlerpauschales als neuer Pflichtveranlagungstatbestand in § 41 Abs 1 Z 6 aufgenommen. Steht das bei der Lohnverrechnung berücksichtigte Pendlerpauschale daher nicht oder abweichend von der Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber zu, liegt ein Pflichtveranlagungstatbestand vor (s. Wanke in Wiesner/Grabner/Wanke, MSA EStG 14. EL § 41 Anm. 23a und ).
Strittig ist im gegenständlichen Fall, ob der Bw das große Pendlerpauschale für die beantragten Monate Jänner 2007 bis Dezember 2009 zusteht.
Ausgaben des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zählen nach dieser Gesetzesstelle - vergleichbar mit den Betriebsausgaben - bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit zu den abzugsfähigen Werbungskosten (). Anders als bei den betrieblichen Einkünften sind sie jedoch aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung pauschaliert (Doralt, EStG13, § 16 Tz 100).
Nach § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 sind Werbungskosten auch Ausgaben des Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Für die Berücksichtigung dieser Aufwendungen gilt:
Diese Ausgaben sind bei einer einfachen Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bis 20 km grundsätzlich durch den Verkehrsabsetzbetrag (§ 33 Abs. 5 und § 57 Abs. 3) abgegolten (leg. cit. lit.a).
Beträgt die einfache Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, die der Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend zurücklegt, mehr als 20 km und ist die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zumutbar, dann werden zusätzlich Pauschbeträge - gestaffelt nach der Entfernung - berücksichtigt ("kleine" Pendlerpauschale nach lit.b).
Ist dem Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zumindest hinsichtlich der halben Fahrtstrecke nicht zumutbar, dann werden anstelle der Pauschbeträge nach lit. b die höheren Pauschbeträge nach lit. c berücksichtigt.
Überwiegend in diesem Zusammenhang bedeutet, dass an mehr als der Hälfte der tatsächlichen Arbeitstage im jeweiligen Lohnzahlungszeitraum die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels unzumutbar sein muss. Weiters wird vorausgesetzt, dass die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zumindest hinsichtlich der "halben" Fahrtstrecke nicht zumutbar ist (s. ).
Ob die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel als "zumutbar" zu beurteilen ist, wird unterschiedlich ausgelegt. Der UFS hat in seiner Berufungsentscheidung , den Meinungsstand in Sachen betreffend Zumutbarkeit der Verwendung des öffentlichen Verkehrs in Zusammenhang mit dem Pendlerpauschale zusammengefasst (siehe auch Wanke/Borgmann, "Großes" Pendlerpauschale: ludex non calculat, UFSjournal 2012, 140).
Einhelligkeit besteht demzufolge in Verwaltungspraxis, Spruchpraxis des UFS, Judikatur des VwGH und in der Literatur weitestgehend darin, dass eine Gesamtwegzeit (hin und zurück) von rund 3 Stunden bzw. eine Einzelwegzeit (in eine Richtung) von rund 1 ½ Stunden - auch unter Heranziehung einer Kombination von Individualverkehr und öffentlichem Verkehr ("Park and Ride") - als einem Pendler jedenfalls zumutbar erachtet wird.
Hinsichtlich darüber hinausgehende Wegzeiten bestehen unterschiedliche Auffassungen.
Die Wegzeit umfasst die Zeit vom Verlassen der Wohnung bis zum Arbeitsbeginn oder vom Verlassen der Arbeitsstätte bis zur Ankunft in der Wohnung. Dazu gehören die Gehzeit oder Anfahrtszeit zur Haltestelle des öffentlichen Verkehrsmittels, die Fahrzeit mit dem öffentlichen Verkehrsmittels und Wartezeiten. Stehen verschiedene öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung, ist bei der Ermittlung der Wegzeit immer von der Benützung des schnellsten öffentlichen Verkehrsmittels (zB Schnellzug statt Regionalzug, Eilzug statt Autobus) auszugehen.
Darüberhinaus ist eine optimale Kombination zwischen Massenbeförderungs- und Individualverkehrsmittel (so genannte "Park&Ride-Variante", VwGH 28.20.2008, 2006/15/0319; , 2006/15/0001") zu unterstellen. Dies gilt auch, wenn dadurch die Fahrtstrecke länger wird (vgl. Doralt, a.a.O., § 16 Tz 108).
Anwendung auf den festgestellten Sachverhalt:
Fest steht, dass sich die Wohnung der Bw in Adr.Bw. und die Arbeitsstätte in E. befinden. Laut den Zeitaufzeichnungen der Bw hat die Bw unterschiedliche Arbeitszeiten. An vereinzelten Tagen im Monat arbeitet die Bw aber auch am Samstag bzw. am Sonn- und Feiertag.
Die Bw ist 1964 geboren und hat keine körperlichen Gebrechen oder Beschwerden vorgebracht, die sie an einer Fortbewegung in der durchschnittlichen Gehgeschwindigkeit von 5 km/h hindern würden.
Der steuerliche Vertreter der Bw stellte im Zuge der mündlichen Verhandlung außer Streit, dass - wenn ein öffentliches Verkehrsmittel verkehre - die Wegzeit weniger als 90 Minuten betrage. Damit liegt die Wegzeit der Bw aber immer innerhalb der von Lehre, Rechtsprechung und Verwaltungspraxis jedenfalls als zumutbar angesehenen Wegzeit von 90 Minuten. Eine nähere Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Wegzeiten der Bw erübrigt sich daher.
Die im Zuge des Verfahrens vor dem Unabhängigen Finanzsenat durch die Referentin vorgenommene Auswertung der vorgelegten Arbeitsaufzeichnungen zeigt nachstehendes Verhältnis der Anzahl der Tage an denen der Bw die Benützung eines Massenbeförderungsmittels aufgrund ihrer Arbeitszeiten nicht möglich war und der tatsächlichen Arbeitstage bzw Urlaubs- und Krankenstandstage:
Jahr 2007: Jänner an 2 Tagen (22 tatsächliche Arbeitstage), Februar an einem Tag (13 tatsächliche Arbeitstage und 5 Tage Urlaub), März an 0 Tagen (19 tatsächlichen Arbeitstagen), April an 0 Tagen (13 tatsächlichen Arbeitstagen und 5 Tagen Urlaub), Mai an 2 Tagen (21 tatsächliche Arbeitstage), Juni an 1 Tag (19 Arbeitstagen und 1 Tag Urlaub), Juli an 0 Tagen (10 tatsächlichen Arbeitstagen und 10 Tagen Urlaub), August an 3 Tagen (19 tatsächliche Arbeitstage), September an einem Tag (20 tatsächliche Arbeitstage), Oktober an 2 Tagen (17 tatsächliche Arbeitstage und 4 Tage krank), November an 2 Tagen (20 tatsächliche Arbeitstage), Dezember an einem Tag (17 tatsächliche Arbeitstage).
Jahr 2008: Jänner an einem Tag (23 tatsächliche Arbeitstage), Februar an 3 Tagen (14 tatsächliche Arbeitstage, 4 Tage Urlaub, 5 Tage krank), März an einem Tag (18 tatsächliche Arbeitstage), April an einem Tag (18 tatsächliche Arbeitstage und 1 Tag Urlaub), Mai an einem Tag (18 tatsächliche Arbeitstage), Juni an einem Tag (13 tatsächliche Arbeitstage, 6 Tage Urlaub), Juli an 3 Tagen (10 tatsächliche Arbeitstage und 13 Tage Urlaub), August an 4 Tagen (19 tatsächliche Arbeitstage), September an 2 Tagen (16 tatsächliche Arbeitstage und 2 Tage krank und 4 Tage Urlaub), Oktober an 2 Tagen (22 tatsächliche Arbeitstage), November an 3 Tagen (24 tatsächliche Arbeitstage), Dezember an 2 Tagen (17 tatsächliche Arbeitstage).
Jahr 2009: Jänner an 0 Tagen (16 tatsächliche Arbeitstage und 3 Tagen krank), Februar an einem Tag (16 tatsächliche Arbeitstage und 3 Tage Urlaub), März an 0 Tagen (bei 25 tatsächlichen Arbeitstagen), April 0 Tagen (15 tatsächlichen Arbeitstagen und 5 tagen Urlaub), Mai an einem Tag (14 tatsächliche Arbeitstage und 5 Tage Urlaub), Juni an 0 Tagen (bei 13 tatsächliche Arbeitstage und 5 Tage Urlaub), Juli an 8 Tagen (25 tatsächliche Arbeitstage), August an 4 Tagen (23 tatsächliche Arbeitstage), September an einem Tag (19 tatsächliche Arbeitstage), Dezember an einem Tag (16 tatsächliche Arbeitstage und 3 Tage Urlaub).
Nach Ansicht des Senates zeigen die vorgelegten Arbeitsaufzeichnungen der Bw, dass die Fahrten außerhalb der Betriebszeiten der öffentlichen Verkehrsmittel nur in einem untergeordneten Ausmaß stattgefunden haben.
Dem Erkenntnis des folgend muss die Unzumutbarkeit jedoch an mehr als der Hälfte der tatsächlichen Arbeitstage im jeweiligen Lohnzahlungszeitraum gegeben sein. Wie der oa Darstellung zu entnehmen ist, liegt diese Voraussetzung im gegenständlichen Fall im keinem der streitgegenständlichen Lohnzahlungszeiträume vor.
Dies wurde vom steuerlichen Vertreter der Bw im Zuge der mündlichen Verhandlung auch nicht bestritten.
Nach Ansicht des Senates ist dem Finanzamt daher zuzustimmen, dass es der Bw an den überwiegenden Arbeitstagen der einzelnen Kalendermonate der Streitjahre zumutbar war, für die Hin- und Rückfahrt unter Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel ihren Arbeitsweg in einer Zeit von jeweils nicht mehr als 90 Minuten zurückzulegen.
Wenn der steuerliche Vertreter der Bw in der e-mail vom ua ausführt, dass die Abgabenbehörde offensichtlich übersehen habe, dass alle angeführten Busverbindungen lt. aktuellem Fahrplan nach 16.43 Uhr nur von Montag bis Freitag geführt werden würden, also weder an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen, dann muss dem entgegengehalten werden, dass es sehr wohl lt. Hacon Fahrplanauskunft für den streitgegenständlichen Zeitraum Winterfahrplan 2006/2007, Sommer 2007, Winter 200//2008, Sommer 2008, Winter 2008/2009, Sommer 2009 und Winter 2009/2010 auch an Samstagen und Sonntagen Verbindungen nach 16:43 von A. nach B. gibt bzw gegeben hat.
3. Einkommensteuer für das Jahr 2010:
Da im Zuge der mündlichen Verhandlung seitens des steuerlichen Vertreters nicht in Abrede gestellt wurde, dass der Sachverhalt des Jahres 2010 jenem der Jahre 2007 bis 2009 entspreche, gelten die unter Pkt. 2 der Berufungsentscheidung getätigten Ausführungen sinngemäß auch für das Jahr 2010.
Die Voraussetzungen für die Anerkennung des "großen" Pendlerpauschales liegen im gegenständlichen Fall somit nicht vor.
Es war daher aus oa Gründen spruchgemäß zu entscheiden.
Ergeht auch an Finanzamt
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 303 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 41 Abs. 1 Z 6 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Schlagworte | Wiederaufnahme Ermessen Pflichtveranlagung Unzumutbarkeit Wegzeit |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at