Bescheidaufhebung infolge unzureichender Begründung der Schätzungsberechtigung als auch Schätzungsmethode durch die Betriebsprüfung.
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/1477-W/05-RS1 | Ist sowohl die Schätzungsberechtigung als auch die Schätzungsmethode durch die Betriebsprüfung unzureichend begründet, berechtigt dies die Abgabenbehörde zweiter Instanz gemäß den Bestimmungen des § 289 BAO zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung der Sache an das Finanzamt. |
Entscheidungstext
Bescheid
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufungen des Bw., vertreten durch Dkfm. Erik Pencik, Wirtschaftstreuhänder, 1040 Wien, Argentinierstraße 19/4, vom gegen die Bescheide des Finanzamtes für den 21. und 22. Bezirk vom betreffend Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer für die Jahre 1987 bis 1989 beschlossen:
Die Bescheide betreffend Umsatzsteuer, Einkommensteuer sowie Gewerbesteuer für die Jahre 1987 bis 1989 werden gemäß § 289 Abs. 1 BAO unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Der Berufungswerber (Bw.) betreibt das Gewerbe eines Fliesenlegers.
Im Rahmen einer die Jahre 1987 bis 1989 umfassenden Betriebsprüfung ermittelte diese infolge sowohl formeller als auch materieller Buchführungsmängel die Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 1987 bis 1989 gemäß § 184 BAO im Schätzungswege und begründete dies mit sich ergebenden Kalkulationsdifferenzen. Gegen die in weiterer Folge seitens der Abgabenbehörde erster Instanz erlassenen Sachbescheide erhob der Bw. das Rechtsmittel der Berufung und führte darin unter anderem aus, dass die Behörde auf seine bereits im Rahmen der Betriebsprüfung vorgebrachten Einwände nicht eingegangen sei. Mit Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, X wurde gegenständliche Berufung als unbegründet abgewiesen. Im Zuge einer seitens des Bw. gegen diesen Bescheid beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachte Beschwerde, hob dieser mit Erkenntnis vom , Zl. 2000/14/0199 den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. In seiner Begründung dazu führte der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen aus, dass die durch die Betriebsprüfung festgestellten Kalkulationsdifferenzen auf nicht nachvollziehbaren Annahmen beruhten und auf seitens des Bw. vorgebrachte Einwände, die zu einem anderen Ergebnis hätten führen können, nicht eingegangen worden sei.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 184 Abs. 3 BAO ist die Abgabenbehörde zur Schätzung der Grundlagen für die Abgabenberechnung berechtigt, wenn der Abgabepflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen hat, nicht vorlegt oder wenn die Bücher oder Aufzeichnungen sachlich unrichtig sind oder solche formelle Mängel aufweisen, die geeignet sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen. Welche Bücher oder Aufzeichnungen Abgabepflichtige in welcher Form zu führen haben, richtet sich nach den Bestimmungen der §§ 124 bis 131 BAO.
Ist eine Schätzung zulässig, so steht die Wahl der anzuwendenden Schätzungsmethode der Abgabenbehörde im Allgemeinen frei, doch muss das Schätzungsverfahren einwandfrei abgehalten werden, müssen die zum Schätzungsergebnis führenden Gedankengänge schlüssig und folgerichtig sein und muss das Ergebnis, das in der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen besteht, mit der Lebenserfahrung im Einklang stehen. Ziel der Schätzung muss stets die sachliche Richtigkeit der Ergebnisse sein, das heißt, sie soll der Ermittlung derjenigen Besteuerungsgrundlagen dienen, die auf Grund des gegebenen, wenn auch nur bruchstückhaften Sachverhaltes und trotz unzureichender Anhaltspunkte die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben (vg. Stoll, BAO Kommentar, Band 2, Seite 1903ff).
Gemäß § 115 Abs. 1 BAO haben die Abgabenbehörden die abgabepflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Abgabenpflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind. Entsprechend dieser amtswegigen Ermittlungspflicht ist es daher die primäre Aufgabe des Finanzamtes durch eine entsprechende Gestaltung des Ermittlungsverfahrens möglichst einwandfreie und nachvollziehbare Entscheidungsgrundlagen zu ermitteln ().
Dieser Aufgabe ist das Finanzamt im streitgegenständlichen Fall nur unzureichend nachgekommen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2000/14/0199 ausführte, war im Hinblick auf die Mängel der durch die Betriebsprüfung durchgeführten Kalkulation sowohl die Schätzungsberechtigung als auch die Richtigkeit der Schätzungsmethode unzureichend begründet. So erfolgte die durch die Betriebsprüfung durchgeführte Nachkalkulation sowie die daraus resultierende Zuschätzung unter völliger Außerachtlassung der seitens der steuerlichen Vertretung des Bw. in der am erstatteten Vorhaltsbeantwortung vorgebrachten Argumente und des Zahlenmaterials. Während der Bw. in der betreffenden Vorhaltsbeantwortung die Meinung vertrat, in einem Betrieb wie dem seinen sei lediglich von produktiven Arbeitsstunden im Ausmaß von rund 2300 in den Jahren 1987 und 1988 sowie von rund 2000 im Jahr 1989 und fakturierten Leistungserlösen pro Stunde in Höhe von S 214,00 auszugehen, ging die Betriebsprüfung im Rahmen ihrer Nachkalkulation von produktiven Arbeitsstunden von rund 2900 in den Jahren 1987 und 1988 und 2400 im Jahr 1989 sowie von fakturierten Leistungserlösen pro Stunde von S 254,00 aus, ohne jedoch entsprechende Feststellungen im Sachverhaltsbereich zu treffen, warum ein Abweichen von den vom Bw. errechneten Werten für gerechtfertigt gehalten wurde und die vom Bw. angegebenen Zahlen nicht zutreffend waren. Wie der Verwaltungsgerichtshof weiters ausführte, ist den Feststellungen des Prüfers nicht zu entnehmen, dass sich dieser mit der Frage auseinander gesetzt hätte, welcher Stundensatz nach den betreffenden Kennzahlen für einen Betrieb mit der Struktur jenes des Bw. in Betracht komme und auf welchen nachprüfbaren Grundlagen diese Kennzahlen erstellt worden seien. So hätte nämlich ein Ausgehen von den durch den Bw. ermittelten Leistungserlösen pro Stunde in Höhe von S 214,00 bereits zu einer entscheidenden Verringerung der im Beschwerdefall zur Schätzung Anlass gebenden Kalkulationsdifferenzen geführt.
Des weiteren ging die Betriebsprüfung auf die in der betreffenden Vorhaltsbeantwortung vom sowie im Prüfungsverlauf dargelegten Argumente bzw. Unterlagen hinsichtlich des tatsächlichen Ausmaßes der produktiven Arbeitsstunden des G nicht näher ein und ließ auch nachträglich erstellte, vergleichende Aufzeichnungen in Bezug auf die Höhe der produktiven Arbeitsleistung des Helfers M bei ihre Nachkalkulation unberücksichtigt. So lässt sich den Feststellungen des Betriebsprüfungsberichtes nicht entnehmen, warum die gegenständlichen Aufzeichnungen nicht geeignet waren, die Angaben des Bw. zu überprüfen. Die diesbezügliche Argumentation der Betriebsprüfung, die betreffenden Aufzeichnungen seien "im Nachhinein" erstellt worden, ist jedoch für sich allein nicht geeignet, diesen ihre notwendige Beweiskraft abzusprechen, zumal die nachträglich erstellten Aufzeichnungen auf tatsächlichen, wenngleich im Zeitraum der abgabenbehördlichen Prüfung stattgefundenen Arbeitsabläufen beruhen und es der Begründung des Betriebsprüfers nicht zu entnehmen ist, dass sich diese von den Arbeitsläufen in den Zeiträumen in denen die Prüfung durchgeführt wurde, entschieden geändert hätten.
Ebenso blieben seitens der Betriebsprüfung die von der steuerlichen Vertretung vorgebrachten Argumente in Bezug auf die sich aus der Ablauforganisation des Betriebes des Bw. ergebenden Leerzeiten völlig unberücksichtigt. Während diese der Bw. aus den aufgezeigten Gründen in Höhe von geschätzten 7% angab, lässt sich dem Betriebsprüfungsbericht keinerlei Feststellungen entnehmen, aus welchen Gründen die genannten Leerzeiten nicht anerkannt wurden bzw. warum überhaupt keine derartigen Zeiten berücksichtigt wurden. Um abzuklären, ob dem Bw. überhaupt und wenn ja in welcher Höhe Leerzeiten tatsächlich entstanden sind, wird es erforderlich sein, entsprechende Ermittlungen anzustellen, da diesbezügliche Feststellungen einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Höhe des Schätzungsergebnisses bewirken könnten.
Im vorliegenden Fall wird es daher erforderlich sein, unter Einbeziehung sämtlicher in der Vorhaltsbeantwortung vom erstatteten Vorbringen sowie des vorgelegten Zahlenmaterials, das der Struktur des Betriebes entsprechende Ausmaß der produktiven Arbeitsstunden (inklusive jener des G als auch M), der erzielten Leistungserlöse pro Stunde sowie auch allfälliger Leerzeiten zu ermitteln bzw. festzustellen. Erst an Hand entsprechend getroffener Feststellungen unter Einbeziehung und Berücksichtigung des durch den Bw. vorgelegten Kalkulationsmaterials wird es möglich sein, zu beurteilen, ob tatsächlich materielle Unrichtigkeiten der Bücher und Aufzeichnungen vorliegen, welche eine Schätzungsbefugnis ausreichend begründen.
Nach § 289 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde zweiter Instanz, wenn die Berufung weder zurückzuweisen (§ 273) noch als zurückgenommen (§ 85 Abs. 2, § 275) oder als gegenstandslos (§ 256 Abs. 3, § 274) zu erklären ist, diese durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Berufungsvorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können. Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat.
Wie bereits oben ausgeführt, ist es nach der derzeitigen Aktenlage mit dem gegebenen Ermittlungsstand nicht möglich, eine Entscheidung über die gegenständliche Berufung zu treffen. In Anbetracht dieses Umstandes wird es daher für angezeigt erachtet, die angefochtenen Bescheide unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz aufzuheben.
Für die Zurückverweisung spricht zunächst, dass der Gesetzgeber die Pflicht zur Sachverhaltsermittlung bzw. -feststellung auch schon vor der Reform des Rechtsmittelverfahren vorrangig dem Finanzamt auferlegt hat, da schon § 276 Abs. 3 BAO "alt" ausdrücklich die Berufungsvorlage erst nach Durchführung der erforderlichen Ermittlungen anordnete. Es ist nämlich nicht im Sinn des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre umfassenden Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungsrelevanten Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass das mit Wirkung ab dem reformierte Verfahren dem UFS als Rechtsmittelbehörde die Rolle eines unabhängigen Dritten zuweist. Will der UFS dieser Rolle gerecht werden, muss er sich im Wesentlichen auf die Funktion eines Kontroll- und Rechtsschutzorgans beschränken. Es ist nicht die Aufgabe des UFS, die erste Instanz von ihren Aufgaben und Pflichten, den Sachverhalt zu ermitteln, zu entlasten.
Gemäß den gesetzlichen Bestimmungen des § 289 BAO steht die Aufhebung der angefochtenen Bescheide unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz im Ermessen des UFS. Von den durch die gesetzlichen Bestimmungen der Berufungsbehörde eingeräumten Ermessen wird im vorliegenden Berufungsfall deshalb Gebrauch gemacht, weil im gegenständlichen Fall die fehlenden Ermittlungen einen Umfang annehmen, die allein in einem Vorhalteverfahren, in einem Ermittlungsauftrag an die erstinstanzliche Behörde oder im Wege der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem UFS nicht mit einem vertretbaren Aufwand durchgeführt werden können.
Wie bereits dargestellt und wie auch der Verwaltungsgerichtshof in seinem Bezug habenden Erkenntnis ausführte, ist nach dem derzeitigen Verfahrensstand eine Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit der von den Bw. geführten Aufzeichnungen und einer sich daraus ergebenden Schätzungsbefugnis nicht möglich. Eine endgültige Beurteilung kann erst nach Durchführung der noch erforderlichen Ermittlungen erfolgen. Derartige Ermittlungen können durch das Finanzamt wesentlich verwaltungsökonomischer und auch zeitlich kompakter als durch den UFS durchgeführt werden. Eine davon abweichende Vorgangsweise würde das Abgabenverfahren erheblich aufblähen und zeitlich verzögern, weshalb es zweckmäßig erscheint, die betreffenden Ermittlungen von der Abgabenbehörde erster Instanz nachholen zu lassen.
Doch auch Billigkeitsüberlegungen sprechen für die Durchführung dieses Verfahrens durch das Finanzamt, da nach § 115 Abs. 2 BAO den Parteien Gelegenheit zu geben ist, ihre Rechte und rechtlichen Interessen geltend zu machen. Dem ist zunächst im Rahmen der Bescheiderlassung in erster Instanz zu entsprechen. Es liegt daher auch im Interesse des Bw., wenn eine Abklärung des Sachverhaltes bereits vor Bescheiderlassung und nicht erst im Rahmen des Berufungsverfahren erfolgt.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 289 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Bescheidaufhebung Schätzungsmethode Schätzungsberechtigung unzureichende und mangelnde Begründung |
Zitiert/besprochen in | UFS Newsletter 2008/06 UFSaktuell 2009, 25 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at