Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 27.04.2023, RV/3100035/2023

Kosten für Operation in privater Krankenanstalt mangels nachgewiesener medizinischer Notwendigkeit keine außergewöhnliche Belastung

Rechtssätze


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Stammrechtssätze
RV/3100035/2023-RS1
Kosten für Operationen in privaten Krankenanstalten, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung gedeckt sind, erwachsen dann zwangsläufig, wenn sie aus triftigen medizinischen Gründen anfallen. Die subjektive Sicht und der subjektive Leidensdruck des Patienten können eine medizinische Fachbeurteilung nicht ersetzen.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2020 zu Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen. Der angefochtene Bescheid wird abgeändert. Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem Ende der Entscheidungsgründe zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer reichte am die Erklärung zur ArbeitnehmerInnenveranlagung (L1) 2020 elektronisch beim Finanzamt ein. Darin machte er unter anderem Krankheitskosten von EUR 6.714,39; zusätzliche Kosten aufgrund eines 40-prozentigen Grades der (eigenen) Behinderung von EUR 14.615,33 und zusätzliche Kosten aufgrund eines 60-prozentigen Grades der Behinderung der Ehepartnerin von EUR 1.714,39 als außergewöhnliche Belastungen geltend.

Mit Schreiben vom ersuchte das Finanzamt den Beschwerdeführer um Ergänzung wie folgt: "Bitte senden Sie uns folgende Unterlagen (Kostenaufstellung und Belege):
- Krankheitskosten iHv. 6.714,39 Euro
- unregelmäßige Ausgaben für Hilfsmittel iHv. 14.615,33 Euro bzw. 1.714,39 Euro (Aufteilung zwischen behinderungsbedingten Kosten und allgemeinen Krankheitskosten)

Vergütungen durch die Krankenkasse, das Sozialministeriumservice und/oder eine private Versicherung sind anzuführen! Falls keine Ersätze/Förderungen erhalten wurden, ist dies schriftlich zu dokumentieren."

Der Beschwerdeführer übergab am dem Finanzamt eine Aufstellung über Arzt- und sonstige Behandlungskosten bzw. Medikamente und Heilbehelfe bzw. Hilfsmittel samt Rechnungskopien.

Mit Schreiben vom ersuchte das Finanzamt den Beschwerdeführer um Ergänzung wie folgt: "Bitte schicken Sie uns hinsichtlich der beantragten Kosten in Zusammenhang mit dem "Sanatorium X" noch folgende Unterlagen:
- Nachweis durch ein medizinisches Attest, dass die Operation bzw. die Behandlungen in einem allgemeinen Krankenhaus auf der normalen Gebührenklasse nicht möglich gewesen wäre Haben Sie für diese Kosten Ersätze von der Österreichischen Gesundheitskasse oder einer privaten Krankenversicherung erhalten?

Inwieweit hängen Ihre beantragten Krankheitskosten mit Ihrer Erwerbsminderung von 40 Prozent zusammen? (Vorlage des Bescheides des Sozialministeriumservice samt Sachverständigengutachten)"

Der Beschwerdeführer übermittelte dem Finanzamt mit Begleitschreiben vom weitere Unterlagen. Er führte dazu aus: "Krankheitskosten Bf 6.943,02 Beilage - 2.092,20 ohne Gutachten v. Arzt = 4.850,82. Krankheitskosten Ehegattin 14.234,69

Der Betrag v. 1.714,39 betrifft 2019 und ist für 2020 außer Ansatz. Die Krankheitskosten sind allgemeine Krankheitskosten und sind nicht aufzuteilen. Vergütungen v. d. TgK bzw. Zusatzversicherung sind bereits abgezogen . Siehe Auflistung. Krankheitskosten X: X zieht von sich aus den Ersatz v. d. Gebietskrankenkasse ab - Daher ist der Betrag zur Gänze - 12.520,30 - in Ansatz zu bringen… Triftige medizinische Gründe: Bestätigung v. Dr. A v. . … Die Gesamtkosten betragen nunmehr: 4.850,12 + 14.234,69 = 19.084,81…"

Vorgelegt wurde eine Bestätigung des Dr. A, Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, vom mit folgendem Wortlaut: "Bei der Patientin wurde im Rahmen eines stationären Aufenthaltes im November 2020 eine Operation im Bereich des rechten Kniegelenkes durchgeführt - Totalprothesenimplantation mit kompletter Achsenkorrektur im Bereich des rechten Kniegelenkes. Patientin steht seit vielen Jahren in meiner orthopädischen Betreuung, speziell auch von Seiten des rechten Kniegelenkes. Es wurden immer wieder Infiltrationen durchgeführt. Damit ist es der Pat. Weitestgehend gut gegangen. Im Oktober 2020 hat die Pat. Plötzlich einen massiven Schmerz mit Einklemmmung im Bereich des rechten Kniegelenkes verspürt, sodass das Gehen nicht mehr möglich war. Eine Operation mit kurzzeitiger Terminisierung war unumgänglich. Aufgrund der Covid-Situation konnte sie an der Klinik in Ort_1 absolut keinen Termin bekommen. Glücklicherweise konnten wir im Sanatorium X trotz der gegebenen Covid-Situation einen Termin für November 2020 vereinbaren. Es war die Operation aufgrund dieser akuten Symptomatik nur im Sanatorium X möglich…".

Mit Einkommensteuerbescheid vom setzte das Finanzamt die Einkommensteuer für das Jahr 2020 für ein Einkommen von EUR 31.850,58 mit EUR -378,- fest. Dabei berücksichtigte es Krankheitskosten von EUR 5.005,99; jedoch weder behinderungsbedingte Aufwendungen des Beschwerdeführers (beantragt: EUR 14.615,33) noch solche seiner Gattin (beantragt: EUR 1.714,39). Die Begründung lautet: "Für die Anerkennung von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastung können höhere Aufwendungen als jene, die von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden, nur dann als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, wenn sie aus triftigen medizinischen Gründen erwachsen. Die Vorteile einer Privatklinik, wie die Behandlung durch den Arzt des Vertrauens oder eine kürzere Wartezeit, rechtfertigen noch nicht die Annahme des Vorliegens triftiger medizinischer Gründe. Die vorgelegte Bestätigung wurde im Nachhinein von Ihrem operierenden Arzt und nicht von der Klinik in Ort_1 ausgestellt, weshalb der Nachweis triftiger medizinischer Gründe nicht gelungen ist. Dasselbe gilt für Sonderklassenhonorare.

Die Aufwendungen für die Mundhygiene stellen keine außergewöhnliche Belastung dar, da es sich hierbei nicht um Krankheitskosten, sondern um Vorbeugungsmaßnahmen zur Gesunderhaltung handelt. Wir haben die behinderungsbedingten Kosten für die Ehepartnerin/den Ehepartner oder die eingetragene Partnerin/den eingetragenen Partner nicht berücksichtigt. Der Grund: Ihre/Seine Einkünfte liegen über 6.000 Euro.".

In seiner Beschwerde vom beantragte der Beschwerdeführer die Anerkennung seiner eigenen sowie der Krankheitskosten seiner Gattin. Zu letzteren führte er aus, dass seine Gattin seit Jahren in orthopädischer Betreuung des Dr. A gestanden sei. Ohne dessen schnelle Hilfe im November 2020 wäre das Kniegelenk steif geworden bzw. wäre eine dauernde Immobilität die Folge gewesen. Ein schneller Operationstermin in einem öffentlichen Krankenhaus sei coronabedingt nicht zu bekommen gewesen. Er habe nicht davon ausgehen können, dass die Abgabenbehörde "eine so restriktive Haltung bei der Anerkennung von Krankheitskosten" einnehme.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom änderte das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid 2020 dahin ab, dass die Einkommensteuer für ein Einkommen von EUR 30.604,12 mit EUR -874,- festgesetzt wurde. Die Begründung lautet auszugsweise: "Der Beschwerdeführer … beantragt in seiner Einkommensteuererklärung 2020 unter dem Titel außergewöhnliche Belastungen die Berücksichtigung von Krankheitskosten iHv insgesamt EUR 23.044,11. Die beantragten Kosten unterteilen sich in Krankheitskosten (mit Selbstbehalt) iHv EUR 6.714,39, zusätzliche Kosten bei Behinderung des Antragstellers iHv EUR 14.615,33 und zusätzliche Kosten bei Behinderung des Ehepartners iHv EUR 1.714,39. Bei den beantragten Aufwendungen handelt es sich unter anderem um die Kosten für eine Knieoperation der Ehefrau des Bf. iHv EUR 12.520,30 in der Privatklinik X, Sanatorium X.

Aufgrund der Ergänzungsersuchen des Finanzamtes vom und vom legt der Bf.eine Kostenaufstellung samt Rechnungen und ein Schreiben vom , ausgestellt vom operierenden Arzt, vor. Des Weiteren gibt der Bf. an, dass nunmehr Krankheitskosten (mit Selbstbehalt) in Höhe von EUR 19.084,81 beantragt werden. Im Einkommensteuerbescheid 2020 vom anerkannt das Finanzamt außergewöhnliche Belastungen in Höhe von EUR 5.005,99… Der Nachweis triftiger medizinischer Gründe ist nicht gelungen… Aufgrund der vorgelegten Rechnungen und Belege wurden Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastung mit Selbstbehalt in Höhe von EUR 6.252,45 berücksichtigt."

In seinem Vorlageantrag vom brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst weiter vor, es hätten triftige medizinische Gründe im Sinn einer medizinischen Notlage für die bei seiner Gattin durchgeführte Operation vorgelegen. Ein Termin in einem öffentlichen Krankenhaus hätte nicht ausgemacht werden können, da die Schmerzen akut aufgetreten seien und coronabedingt "nur sehr schwer ein OP-Termin in einem öffentlichen Krankenhaus zu bekommen war", was im übrigen amtsbekannt sei. Es sei schmerzbedingt unmöglich gewesen, Termine, Vereinbarungen oder Dokumentationen zu erstellen. Verwiesen werde auf Judikatur des Bundesfinanzhofes in Deutschland. Des weiteren laboriere seine Gattin seit Jahren an einem Herzleiden, was ein langes Zuwarten auf einen OP-Termin nicht erlaube. Vorgelegt wurden dazu drei Schreiben der Klinik_I, die aus den Jahren 1999 bzw. 2016 datieren.

Das Finanzamt legte die Beschwerde am dem Bundesfinanzgericht vor und wiederholte sein Vorbringen dahin, dass kein konkreter Nachweis des Vorliegens triftiger medizinischer Gründe für die Operation in einer Privatklinik erbracht worden sei. Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergebe sich, dass die Knieprobleme der Ehegattin seit vielen Jahren bestanden hätten und therapiert worden seien. Derartige Operationen würden auch in öffentlichen Krankenhäusern, etwa im Nahebereich des Wohnortes, durchgeführt.

Über Anfrage des Bundesfinanzgerichts vom erstattete die Ärztliche Direktion des Krankenhaus_I am folgende Stellungnahme:

Zur Frage - "Wurden im November 2020 elektive OPs generell aufgeschoben? Wurden OP-Termine (etwa für eine Totalprothesenimplantation des Kniegelenkes) im November 2020 überhaupt vergeben?

Im November 2020 wurden elektive Implantationen von Totalendoprothese des Kniegelenks durchgeführt.

Nach Auswertung der Leistungsdaten von 2020 bzgl. NF230 Implantation einer Totalendoprothese des Kniegelenks und deren Gegenüberstellung mit Daten aus dem Vor-Corona-Jahr 2019 (monatlicher Vergleich, siehe Tabelle), kann folgendes festgehalten werden:

1. Die Versorgungsleistung am Krankenhaus_I war während der ersten Pandemiewelle (März bis Mai 2020), im Vergleich zu den Vorjahreszeiträumen deutlich reduziert.

2. Die Versorgungsleistung am Krankenhaus_I konnte nach der ersten Pandemiewelle (März bis Mai 2020) vollständig wiederhergestellt werden und war in der Folge identisch zu den Vergleichszeiträumen des Vorjahres (Juni bis Dezember 2020).

3. Die Versorgungsleistung am Krankenhaus_I entsprach bzgl. NF230 Implantation einer Totalendoprothese des Kniegelenks im Kalenderjahr 2020 90,1% der Versorgungsleistung des Kalenderjahr 2019, wobei die Einschränkungen der Kapazitäten zwischen März und Mai 2020 stattgefunden haben."

Zur Frage: "Gibt/gab es eine Warteliste/Wartefrist für derartige OPs?

Gemäß § 9a Abs 2 des Tiroler Krankenanstaltengesetzes TirKAG sind Träger von öffentlichen gemeinnützigen Krankenanstalten verpflichtet ein transparentes Wartelistenregime in pseudonymisierter Form für elektive Operationen der Sonderfächer Augenheilkunde und Optometrie, Orthopädie und orthopädische Chirurgie sowie Neurochirurgie zu führen. Im Rahmen des transparenten Wartelistenregimes ist eine Reihung der Patient:innen vorzunehmen.

Die Reihung der Patient:innen für spezifische Interventionen erfolgt anhand medizinischen Priorisierungskriterien (Dringlichkeit) im Rahmen der Indikationsstellung und wird durch die jeweilige Organisationseinheit vorgenommen.

Die Gesamtzahl der vorgemerkten Patient:innen für eine spezifische Intervention je Organisationseinheit, die voraussichtliche Wartezeit (in Wochen) sowie die davon auf die Sonderklasse entfallenden Patient:innen werden ebenfalls dargestellt. Diese Wartelisten werden durch die Spitäler der Landesholding Tirol Kliniken auf folgender Internet-Seite ausgewiesen: OP-Warteliste | tirol kliniken (tirol-kliniken.at)."

Das Bundesfinanzgericht brachte dieses Ermittlungsergebnis dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom zur Kenntnis, worauf dieser im Schreiben vom weiter vorbrachte, dass weder er noch seine Gattin an einem öffentlichen Krankenhaus um einen OP-Termin angefragt hätten. Es sei in der Öffentlichkeit bekannt gewesen, dass Termine verschoben würden bzw. überhaupt ausfielen. Der Eingriff bei seiner Gattin habe angesichts der argen Schmerzen unverzüglich durchgeführt werden müssen. Er sei aufgrund der in § 90 Abs. 1 ABGB normierten Beistandspflicht zwischen Ehegatten verpflichtet gewesen, zur Besserung des Gesundheitszustandes seiner Ehegattin beizutragen. Es seien die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen "und nicht jahrelange restriktive Rechtsprechung der Höchstgerichte und der Verwaltungspraxis der Entscheidung zu Grunde zu legen".

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt und Beweiswürdigung

Der Beschwerdeführer war im Streitjahr Inhaber eines Behindertenpasses, in dem ein Grad der Behinderung von 40 % ausgewiesen ist.

Die Ehegattin des Beschwerdeführers, Ehegattin, war im Streitjahr Inhaberin eines Behindertenpasses, in dem ein Grad der Behinderung von 60 % sowie die Notwendigkeit der Diätverpflegung wegen Magen- und Zuckerkrankheit ausgewiesen sind. Sie hat im Jahr 2020 ein Einkommen von EUR 7.497,78 erzielt (vgl. den Einkommensteuerbescheid vom ).

Der Beschwerdeführer hat nicht nachgewiesen, dass ihm oder seiner Gattin tatsächlich (erhöhte) Aufwendungen aufgrund der jeweiligen Behinderung erwachsen wären.

Der Beschwerdeführer hat im Jahr 2020 eigene Krankheitskosten von insgesamt EUR 4.025,88 getragen. Dies ist angesichts der vorgelegten Rechnungen (: Dr. B; : Dr. C; 7.5., 2.7., 14.7. und : Krankenhaus_I; : Krankenhaus Ort_2, : Dr. D, : Apotheke Ort_1, Sanitätshaus, : Dr. E; 26.2., 25.5., 11.8. und : Dr. F; 17.7. und : Kurinstitut; : Apotheke Ort_2) glaubwürdig und erwiesen.

Der Beschwerdeführer hat im Jahr 2020 Krankheitskosten seiner Ehegattin von insgesamt EUR 14.746,87 getragen. Dies ist angesichts der vorgelegten Rechnungen (13.1. und : Apotheke Ort_2; 10., 23. und : Sanatorium X; 19.11. Sanitätshaus, 17.7. und : Kurinstitut, : Dr. D; 7.2. und : Dr. B) glaubwürdig und erwiesen. In diesen Krankheitskosten sind EUR 13.188,68 an Zahlungen an die Privatklinik X - Sanatorium X für eine dort durchgeführte Totalprothesenimplantation mit kompletter Achsenkorrektur im Bereich des rechten Kniegelenks (vgl. Bestätigung des behandelnden Arztes Dr. A, Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie vom ) enthalten (vgl. Rechnungen vom über EUR 7.520,30; vom über EUR 5.000,-; vom über EUR 450,80 und vom über EUR 217,80).

2. Rechtliche Beurteilung

2.1. Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)

§ 34 EStG 1988 lautet:

"(1) Bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen sind nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muß folgende Voraussetzungen erfüllen:
1. Sie muß außergewöhnlich sein (Abs. 2).
2. Sie muß zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).
3. Sie muß die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).
Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.

(2) Die Belastung ist außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse erwächst.

(3) Die Belastung erwächst dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

(4) Die Belastung beeinträchtigt wesentlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soweit sie einen vom Steuerpflichtigen von seinem Einkommen (§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 5) vor Abzug der außergewöhnlichen Belastungen zu berechnenden Selbstbehalt übersteigt. Der Selbstbehalt beträgt bei einem Einkommen

von höchstens 7 300 Euro …………………………………………………………….…….6%.
mehr als 7 300 Euro bis 14 600 Euro ………………………….……………………………8%.
mehr als 14 600 Euro bis 36 400 Euro …………………………...........................................10%.
mehr als 36 400 Euro ……………………………………………..………………………...12%.
Der Selbstbehalt vermindert sich um je einen Prozentpunkt
- wenn dem Steuerpflichtigen der Alleinverdienerabsetzbetrag oder der Alleinerzieherabsetzbetrag zusteht…"

Gemäß § 34 Abs. 7 EStG 1988 sind Unterhaltsleistungen an Ehegatten insoweit als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig, als sie zur Deckung von Aufwendungen gewährt werden, die beim Unterhaltsberechtigten selbst eine außergewöhnliche Belastung darstellen würden. Dazu zählen insbesondere Krankheits- oder Pflegekosten ().

Auf Sachverhaltsebene steht fest, dass dem Beschwerdeführer und seiner Ehegattin im Jahr 2020 Krankheitskosten entstanden sind. Strittig ist nach dem Parteivorbringen ausschließlich, ob die - darin enthaltenen - Kosten für die bei der Ehegattin vorgenommene Totalprothesenimplantation mit kompletter Achsenkorrektur im Bereich des rechten Kniegelenks in einer privaten Krankenanstalt als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind.

Die Belastung des Einkommens des Beschwerdeführers durch diese krankheitsbedingten Kosten ist zweifellos außergewöhnlich und beeinträchtigt angesichts ihrer Höhe seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Unter Berücksichtigung der gegenüber seiner Ehegattin bestehenden Unterhaltspflicht belasten die Krankheitskosten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers dem Grunde nach aus rechtlichen Gründen zwangsläufig.

Nach ständiger Rechtsprechung (Jakom/Peyerl, EStG, 14.A, Rz 90 zu § 34, "Krankheitskosten" mit Judikaturhinweisen) erwachsen Krankheitskosten, welche die von der gesetzlichen Krankenversicherung gedeckten Kosten übersteigen, dann zwangsläufig, wenn sie aus triftigen medizinischen Gründen anfallen. Diesbezüglich trifft den Antragsteller die Behauptungs- und Beweislast (aaO, Rz 9 zu § 34 mit Judikaturhinweisen). Bloße Wünsche, Vorstellungen und allgemein gehaltene Befürchtungen (laut Beschwerdevorbringen: der schlechte Gesundheitszustand und die eingeschränkte Beweglichkeit der Ehegattin, der Hinweis auf mediale Berichterstattung über Operationsverschiebungen und -absagen und befürchtete lange Wartezeit) reichen nicht aus. Die subjektive Sicht und der subjektive Leidensdruck des Beschwerdeführers und seiner Ehegattin mögen in die medizinische Fachbeurteilung einfließen, können eine solche aber nicht ersetzen.

Mit Tiroler LGBl Nr 122/2012, kundgemacht am , wurde dem § 9a des Tiroler Krankenanstaltengesetzes LGBl Nr 5/1958 jener Abs. 2 angefügt, aufgrund dessen die Träger der öffentlichen sowie der privaten gemeinnützigen Krankenanstalten dafür Sorge zu tragen haben, dass ein transparentes Wartelistenregime - unter anderem - für elektive Operationen für das Sonderfach Orthopädie und orthopädische Chirurgie eingerichtet wird. Zu jenem Zeitpunkt, zu dem sich der Zustand des Kniegelenks der Ehegattin des Beschwerdeführers verschlechterte, waren die öffentlichen und privaten gemeinnützigen Krankenhausträger seit mehreren Jahren verpflichtet, die durchschnittlichen Wartezeiten auf elektive Operationen wie die bei der Ehegattin des Beschwerdeführers vorgenommene offenzulegen.

Nach den Angaben der Ärztlichen Direktion des Krankenhaus_I erfolgt die Reihung der Patienten für die jeweiligen Eingriffe anhand medizinischer Priorisierungskriterien im Rahmen der Indikation.

Zur Frage, ob der Beschwerdeführer sich der Belastung in Höhe der Kosten, welche die von der gesetzlichen Krankenversicherung gedeckten Kosten übersteigen, aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen konnte, führt er ins Treffen, dass seine Frau große Schmerzen hatte und nicht mehr gehen konnte (vgl. Beschwerde) bzw. dass ohne den Eingriff die Gehfähigkeit verloren gegangen wäre und seine Frau aufgrund eines bestehenden Herzleidens nicht lange auf eine Operation warten hätte können (vgl. Vorlageantrag). Schließlich sei ein schneller Operationstermin in einem öffentlichen Krankenhaus aufgrund der Coronapandemie nicht zu bekommen gewesen.

Über Nachfrage der Richterin gab der Beschwerdeführer schließlich an, dass weder er noch seine Ehegattin an einem öffentlichen Krankenhaus um einen Operationstermin angefragt hätten.

Dem gegenüber steht der Inhalt der Stellungnahme der Ärztlichen Direktion des Krankenhaus_I als Vertretung des Trägers der beiden zum Wohnort des Beschwerdeführers und seiner Ehegattin nächstgelegenen öffentlichen Krankenanstalten, an denen vergleichbare elektive Eingriffe durchgeführt werden. Nach deren glaubwürdigen Angaben wurden elektive Eingriffe wie der an der Ehegattin des Beschwerdeführers vorgenommene im November 2020 und den Folgemonaten durchgeführt und entsprach die medizinische Versorgungsleistung im Zeitraum Juni bis Dezember 2020 dem Niveau vor Pandemiebeginn.

Damit wird die Behauptung des behandelnden Arztes (vgl. Bestätigung vom ), die Ehegattin des Beschwerdeführers hätte an der Klinik in Ort_1 keinen Termin bekommen können, entkräftet. Abgesehen von der Schmerzsymptomatik nennt der behandelnde Arzt im Übrigen keine weiteren medizinischen Aspekte, welche die Notwendigkeit der Operation in einer privaten Krankenanstalt darstellen würden.

Insgesamt ist das Beschwerdevorbringen nicht geeignet darzulegen, dass die (Mehr-)Aufwendungen für die Operation an seiner Ehegattin in einer privaten Krankenanstalt aus tatsächlichen medizinischen Gründen zwangsläufig angefallen wären. Die damit in Zusammenhang stehenden Kosten können nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden. Es ergeben sich daher Aufwendungen für eigene Krankheitskosten in Höhe von EUR 4.025,88 und Krankheitskosten der Ehegattin von EUR 1.558,19; welche außergewöhnliche Belastungen nach § 34 Abs. 1 EStG 1988 darstellen.

Der Beschwerdeführer hat trotz Aufforderung seitens des Finanzamtes (Ergänzungsersuchen vom ) keinen Nachweis dafür erbracht, dass ihm oder seiner Ehegattin aufgrund der jeweiligen Behinderung Aufwendungen entstanden wären. Die in der Abgabenerklärung geltend gemachten Beträge können daher nicht als außergewöhnliche Belastungen aufgrund einer Behinderung (ohne Selbstbehalt) berücksichtigt werden.

Gemäß § 35 Abs. 1 EStG 1988 steht Steuerpflichtigen, die außergewöhnliche Belastungen durch eine eigene Behinderung haben, und die keine pflegebedingte Geldleistung erhalten, ein Freibetrag zu. Dieser beträgt bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 35 bis 44 % EUR 164,- pro Jahr (Abs. 3 leg. cit.). Für Ehepartner steht ein solcher Freibetrag nur bei Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag zu. Dem Beschwerdeführer steht daher ein Freibetrag von EUR 164,- aufgrund seiner eigenen Behinderung von 40 % zu.

[...]

2.2. Zu Spruchpunkt II. (Revisionszulässigkeit)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Die rechtliche Würdigung folgt der verwiesenen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung war nicht zu lösen.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100035.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at