Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 28.03.2023, RV/2100286/2021

Keine Haftung für Abgaben, die nach der Zurücklegung der Geschäftsführung fällig werden

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter X. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Rein & Partner Steuerberatung GmbH, Oberer Markt 1, 8190 Birkfeld, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Haftungsbescheid nach § 9 BAO, Steuernummer 12-345/6789, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert. Der Beschwerdeführer wird für folgende Abgaben als Haftungspflichtiger in Anspruch genommen:


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Abgabenart
Zeitraum
ursprl. Fälligkeit
Betrag in Euro
Umsatzsteuer
2018
244,16
Umsatzsteuer
3/2019
12.594,37
Säumniszuschlag
2019
112,01
Säumniszuschlag
2019
35,98
Säumniszuschlag
2019
290,52
Summe
13.277,04

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Schreiben des Finanzamtes vom wurde der Beschwerdeführer (Bf.) als Geschäftsführer der K. GmbH darüber in Kenntnis gesetzt, dass Vertreter juristischer Personen dafür zu sorgen hätten, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, vorschriftsmäßig entrichtet werden.
Bei der K. GmbH hafteten folgende Abgabenbeträge aus:

Weiters führte das Finanzamt wörtlich aus:
"2. Laut Firmenbuchauszug waren Sie von bis , als Vertreter der K. GmbH (in weiterer Folge kurz GmbH genannt) bestellt. Auf Grund Ihrer Funktion, als zur Vertretung der GmbH nach außen berufenes Organ, als Geschäftsführer oblag Ihnen die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Verpflichtung der Vertretenen.
3. Da die unter Punkt 1 angeführten Abgabenbeträge während Ihrer Vertretungsperiode fällig bzw. nicht entrichtet wurden, muss das Finanzamt bis zum Beweis des Gegenteils davon ausgehen, dass Sie der Ihnen aufgetragenen Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten der Vertretenen nicht vorschriftsgemäß nachgekommen sind.
4. Die genannten Beträge sind bei der GmbH als uneinbringlich anzusehen. Dies ergibt sich zweifelsfrei daraus, da über das Vermögen der GmbH am das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.
5. Sofern die GmbH bereits ab den jeweiligen Fälligkeitstagen der Abgaben nicht mehr über ausreichende liquide Mittel zur (vollen) Bezahlung aller Verbindlichkeiten verfügte, werden Sie ersucht, dies durch eine Auflistung sämtlicher Gläubiger ab dem Zeitpunkt der Abgabenfälligkeiten (siehe Punkt 1) gleichzeitig oder früher fällig gewordenen Forderungen darzulegen. In dieser Aufstellung müssen alle damaligen Gläubiger der GmbH (auch die zur Gänze bezahlten) sowie die auf einzelne Verbindlichkeiten (Gläubiger) geleisteten Zahlungen (Quoten) enthalten sein. Außerdem sind alle verfügbar gewesenen liquiden Mittel (Bargeld und offene Forderungen) anzugeben bzw. gegenüber zu stellen. Für den Nachweis der quotenmäßigen Erfüllung der Gläubigergleichbehandlung ist eine rechnerische Darstellung vorzulegen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Vertreters, im Verwaltungsverfahren allfällig vorliegende Gründe aufzuzeigen, die ihn daran gehindert haben, die Abgabenschuld am oder nach dem Fälligkeitstag zu begleichen (
2007/13/0137).
Es steht Ihnen aber frei, die maßgebliche finanzielle Situation ab Eintritt der Abgabenfälligkeiten, die offenen Verbindlichkeiten und die erbrachten Tilgungsleistungen an alle einzeln anzuführenden Gläubiger der GmbH auch auf andere Art und Weise einwandfrei bekannt zu geben.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes obliegt Ihnen als Vertreter, Nachweise dafür, wie viel Zahlungsmittel zur Verfügung gestanden sind und in welchem Ausmaß die anderen Gläubiger der GmbH noch Befriedigung erlangten, zu erbringen. Im Fall der Nichterbringung dieser Nachweise muss das Finanzamt davon ausgehen, dass Sie die Ihnen obliegende Verpflichtung, die fällig gewordenen Abgaben aus den verwalteten Mitteln zu entrichten, schuldhaft verletzt haben, und diese Pflichtverletzung auch ursächlich für den Abgabenausfall bei der GmbH ist. Unter diesen Umständen haften Sie für die uneinbringlichen Abgabenschuldigkeiten im vollen Ausmaß (zB
2005/15/0114).
6. Wird der Nachweis einer Gläubigergleichbehandlung nicht in nachvollziehbarer Weise erbracht, liegt es im Ermessen des Finanzamtes, die Haftung für die unter Punkt 1 genannten Abgabenbeträge auszusprechen, bei Benachteiligung des Abgabengläubigers im Ausmaß der nachgewiesenen Benachteiligung der Abgabenschuldigkeiten gegenüber den anderen Verbindlichkeiten der GmbH (z.B.
2000/15/0168). Da der öffentliche Auftrag zur Ergreifung aller Mittel, vollstreckbare Abgaben einzubringen, bei einer vorzuwerfenden Pflichtverletzung allfällige Einzelinteressen verdrängt (z.B. 2004/14/0112), sähe sich das Finanzamt veranlasst, die gesetzliche Vertreterhaftung gegen Sie im erforderlichen Ausmaß geltend zu machen.
…"

Mit Schreiben vom ersuchte der Bf. durch seine steuerliche Vertreterin die Frist zur Abgabe einer Stellungnahme im gegenständlichen Verfahren bis zu verlängern.

Im angefochtenen Bescheid nahm die belangte Behörde den Bf. für folgende Abgaben als Haftungspflichtigen nach § 9 BAO in Anspruch:

Wörtlich führte der angefochtene Bescheid Folgendes aus:
"Sie waren vom bis als Geschäftsführer der K. GmbH (kurz GmbH) eingetragen. Somit waren Sie Vertreter der GmbH im Sinne der §§ 9 und 80 BAO.
Nach
§ 9 Abs. 1 BAO haften die in § 80 Abs. 1 BAO Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertreter auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Die im Rahmen des
§ 224 BAO zu treffende Ermessensentscheidung iSd § 20 BAO ist innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenze nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Wesentliches Ermessenskriterium ist die Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalles. Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftungsnorm folgt, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel ermessenskonform ist, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich ist (VwGH 25.6.2990, 89/15/0067).
Die oben angeführten Abgaben wurden an den Fälligkeitstagen nicht entrichtet. Die schuldhafte Verletzung Ihrer abgabenrechtlichen Pflichten als Vertreter der Gesellschaft ist somit gegeben. Es wurde keine Gläubigergleichbehandlung dem Finanzamt vorgelegt.
Die Haftungssumme wurde bereits um die Insolvenzquote von 22 % gekürzt.
Hinsichtlich der Lohnsteuer ergibt sich die schuldhafte Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten aus der Nichtbeachtung der Kürzungspflicht (§ 79 Abs. 1 bzw. 78 Abs. 3 EStG).
Demzufolge sind auszubezahlende Löhne entsprechend zu kürzen, wenn die vorhandenen Mittel für die Entrichtung der Löhne und die darauf entfallenden Lohnabgaben nicht ausreichen.
Die Körperschaftsteuer für die Jahre 2003 bis 2006, sowie die daraus resultierenden Anspruchszinsen sind nicht nachgelassen worden, da die Quote des außergerichtlichen Vergleiches nicht eingehalten wurde.
Der Haftungsschuldner haftet auch dann für die nicht entrichteten Abgaben der Gesellschaft, wenn die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, es sei denn, er weist nach, dass er diese Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet, die Abgabenschulden daher im Verhältnis nicht schlechter behandelt hat als andere Verbindlichkeiten.
Verschulden des Vertreters:
Verletzungen abgabenrechtlicher Pflichten berechtigen nur dann zur Haftungsinanspruchnahme, wenn die Verletzung schuldhaft erfolgte. Eine bestimmte Schuldform ist hierfür nicht erforderlich (
96/14/0158; 2000/16/0601). Daher reicht leichte Fahrlässigkeit ( 91/13/0037, 95/15/0137).
Der Vertreter hat dazutun, weshalb er nicht dafür habe Sorge getragen, dass der Vertretene die Abgaben entrichtet hat, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden darf (
95/15/0137; 99/14/0277; 98/16/0348). In der Regel wird nämlich nur der Vertreter jenen ausreichenden Einblick in die Gebarung des Vertretenen haben, der ihm entsprechende Behauptungen und Nachweise ermöglicht ( 97/15/0115; 99/14/0128). Der Vertreter hat für die Möglichkeit des Nachweises seines pflichtgemäßen Verhaltens vorzusorgen ( 89/14/0132). Ihm obliegt kein negativer Beweis, sondern die konkrete (schlüssige) Darstellung der Gründe, die etwa der rechtzeitigen Abgabenentrichtung entgegenstanden ( 89/13/0212)."

In seiner Beschwerde führte der Bf. durch seine steuerliche Vertreterin Folgendes aus:

"Laut Bescheid solle Herr Bf. zu einer Haftung in Höhe von € 227.308,96 herangezogen werden. Im Haftungsbescheid wurde die Haftung für Kapitalertragsteuern für die Jahre 2012, 2013 und 2014 im Ausmaß von
• € 35.524,91 für das Jahr 2012
• € 35.551,36 für das Jahr 2013 und
• € 20.224,08 für das Jahr 2014
vorgeschrieben. Die Bezeichnung dieser Positionen ist falsch. Das Abgabenkonto der K. GmbH wurden niemals mit Kapitalertragsteuern für die Zeiträume 2012, 2013 und 2014 im genannten Ausmaß belastet, es wurde allerdings die K. GmbH für Abzugssteuern gemäß § 99 EStG für einen polnischen Subunternehmer namens "Pl." zur Haftung herangezogen; diese Beträge wurden auf dem Abgabenkonto belastet.
Es kann daher für diese Positionen schon aufgrund der fehlerhaften Bezeichnung der Abgaben keine Haftung begründet werden. Es ist anzumerken, dass gegen die Vorschreibung dieser Abgaben das Rechtsmittel der Beschwerde eingebracht wurde und die Entscheidung darüber beim Bundesfinanzgericht anhängig ist. Es ist zur Zeit noch keine diesbezügliche Entscheidung ergangen.
Haftung für Abgaben, die bereits vor der Zeit der Geschäftsführung fällig wurden:
Herr Bf. war vom bis als Geschäftsführer der K. GmbH im Firmenbuch eingetragen.
Da Herr Bf. erst mit Geschäftsführer der K. GmbH wurde, haftet er nicht für die Einbringlichkeit jener Abgaben, die vor seiner Zeit als Geschäftsführer fällig wurden. (Erkenntnis des ). In dem Erkenntnis wird ausgeführt, dass
§ 9 BAO nicht auf eine faktische Wahrnehmung der steuerlichen Obliegenheiten abstellt. Maßgebend für die Vertreterhaftung ist die gesellschaftsrechtliche Stellung als Vertreter bzw. als Geschäftsführer der GesmbH. Dies gilt unabhängig davon, ob die betreffende Person tatsächlich als Geschäftsführer tätig ist oder nur auf dem Papier.
"Daraus ergibt sich, dass dem Beschwerdeführer hinsichtlich solcher Abgabenforderungen, welche nicht während seiner Funktionsperiode gesetzlich fällig geworden sind, nicht zur Haftung herangezogen werden kann, weil er eben hinsichtlich solcher Abgabenforderungen nicht als Vertreter der GmbH fungiert hat." Der Geschäftsführer kann somit nur für jene Abgabenforderungen zur Haftung herangezogen werden, die während seiner Funktionsperiode fällig geworden sind.

Die Trennung in jene Abgaben, die vor der Tätigkeit als Geschäftsführer fällig wurden und jene Abgaben, die während der Zeit als Geschäftsführer fällig wurden, liegt dieser Beschwerde als Beilage 1 bei. Während seiner Zeit als Geschäftsführer wurden € 136.008,61 fällig; für diesen Betrag kann er theoretisch zur Haftung herangezogen werden. Für € 91.300,35 kann er nicht zur Haftung herangezogen werden, die diese Abgaben vor seiner Zeit als Geschäftsführer fällig wurden.

Gleichbehandlung der Gläubiger/ Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes:
Wenn nun trotz fehlender Pflichtverletzung eine Haftung bestünde, so wäre diese Haftung für jene Beträge anzuwenden, die in der Zeit seiner Geschäftsführung entstanden sind. Diese Beträge sind in der Beilage 2 dargestellt.

Eine Haftung tritt nur dann ein, wenn der Abgabengläubiger schlechter gestellt wurde als andere Gläubiger. Es müsste der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt sein.

Es wurde für die Fälligkeitszeiträume Mai und Juni 2019 eine Untersuchung dahingehend gemacht, ob der Abgabengläubiger besser oder schlechter gestellt wurde als alle anderen Gläubiger. Diese Berechnung ist in der Beilage 2 ersichtlich. Die Berechnung, ob nun der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt wurde, geht davon aus, dass jener Prozentsatz, den die Verbindlichkeiten des Finanzamts an den Gesamtverbindlichkeiten zum Monatsletzten betragen, auch an das Finanzamt zu bezahlen gewesen wäre. Wenn dieser Prozentsatz nicht an das Finanzamt bezahlt wurde, so liegt eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vor.
Im Mai des Jahres 2019 betragen die Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt 24,88% der Gesamtverbindlichkeiten. Es wären daher bei Zahlungen im Mai von € 1.279.404,11 24,88 % dieses Betrages an das Finanzamt zu leisten gewesen. Theoretisch wären somit € 318.315,04 an das Finanzamt zu bezahlen gewesen. Bei einem Rückstand beim Finanzamt ohne den Lohnsteuern von € 215.229,03 ergebe dies bei einer theoretischen Zahlung von € 318.315,04 einen Prozentsatz der Tilgung der Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt von 147,90 %. Da in diesem Monat an das Finanzamt € 228.642,72 bezahlt wurde, haftet Herr Bf. für dieses Monat nicht.

Die gleichen Berechnungen wurden für Juni 2019 durchgeführt. Es ergibt sich für Juni 2019 eine mögliche Haftung von € 50.043,07. Die Darstellung der Gleichbehandlung bzw. das Ausmaß der Verletzung der Gleichbehandlung ist ebenfalls in der Beilage 2 dargestellt.
Anträge
Ich stelle Namens und Auftrags unseres Mandanten den Antrag, den Haftungsbescheid der Beschwerde folgend abzuändern.

Weiters stelle ich Namens und Auftrags unseres Mandanten den
Antragim Falle einer direkten Weiterleitung der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht, aufAbhaltung einer mündlichen Verhandlung."

Im Rahmen der erlassenen Beschwerdevorentscheidung wurde der Beschwerde teilweise stattgegeben und der Bf. für folgende Abgaben als Haftungspflichtiger in Anspruch genommen:

In ihrer Begründung führt die belangte Behörde u.a. aus:
"Zusammensetzung der Haftungssumme:

Eine Haftung für angeführte Kapitalertragsteuer kann dem Grunde nach nicht durchgesetzt werden, da das Abgabenkonto der K. GmbH nicht mit dieser Abgabenart belastet wurde.
Der Beschwerde hinsichtlich Heranziehung von Kapitalertragsteuer 2012, 2013 sowie 2014 wird aufgrund nicht bestehender Grundlagenbescheide stattgegeben. Diese Abgaben werden in der Beschwerde auch unter dem Punkt "Haftung für vor Begründung der Vertreterfunktion fällig gewordene Abgaben" angesprochen. Aufgrund der Aufhebung dieser Abgaben erfolgt diesbezüglich keine weitere Ergänzung.

Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes
Im Zuge der Beschwerde wird für die Fälligkeitszeiträume Mai und Juni 2019 eine Berechnung iZm dem Gleichbehandlungsgrundsatz vorgelegt. Die Abgabenschuldigkeiten gegenüber der Abgabenbehörde sind auf die Beträge, die in der Zeit der Geschäftsführung entstanden sind gekürzt.

Warum keine Gleichbehandlung erfolgte, wurde auch in der Beschwerde nicht vorgebracht, es liegt daher ein schuldhaftes Verhalten des ehemaligen Vertreters vor. Den Vertreter trifft dabei eine qualifizierte Behauptungs- und Konkretisierungslast (
2006/13/0121).

Der Bf. bestreitet das Vorliegen einer schuldhaften Pflichtverletzung durch Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes der Gläubiger nicht. Vielmehr berechnet er die etwaige Gläubigerbenachteiligung im Monat Juni mit € 50.043,07. Bei der eingebrachten Berechnungstechnik kann grundsätzlich auf die der Zahlungstheorie geschlossen werden, welche auf die tatsächlich geleisteten Zahlungen abstellt. Der Berechnungsansatz wurde dem der Zahlungstheorie angepasst und im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung entsprechend neu berechnet.
Die Zahlungsquote ergibt sich demnach einerseits aus den Zahlungen und Verbindlichkeiten der restlichen Gläubiger pro Monat und andererseits aus den Abgabenverbindlichkeiten und -Zahlungen (abzgl. Lohnsteuer). Die Differenz dieser Quoten ergibt die Differenzquote für die Haftung.

Bei einer solchen Nachweisführung haftet der Vertreter nur für die Differenz zwischen diesem und dem tatsächlich bezahlten Betrag ( 2007/13/0137; 2011/16/0116). Somit ist der Beschwerde in diesem Beschwerdepunkt in folgendem Ausmaß (Einschränkung der Haftung) Folge zu geben:

Hinsichtlich der Lohnsteuer ergibt sich aus den Bestimmungen des § 78 Abs. 3 EStG die Verpflichtung, dass die Lohnsteuer - ungeachtet des Grundsatzes der Gleichbehandlung aller andrängenden Gläubiger - jeweils zur Gänze zu entrichten ist. Bereits im Erkenntnis vom , 2001/15/0187, hat der VwGH ausgesprochen, dass das allfällige Fehlen liquider Mittel das Unterlassen der Abfuhr von Lohnsteuer nicht hätte entschuldigen können. Die einbehaltene Lohnsteuer ist zur Gänze zur späteren Abfuhr zu verwenden und unterliegt bei sich bis zum Abfuhrzeitpunkt geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen nicht dem Gleichbehandlungsgebot und ist auch nicht in die Quotenberechnung miteinzubeziehen.
…"

In seinem rechtzeitig überreichten Vorlageantrag führte der Bf. aus, er habe seine Geschäftsführung dem Gesellschafter der K. GmbH (=K.H.GmbH) gegenüber mit zurückgelegt. Lediglich auf Grund der Blockadehaltung des Gesellschafters der K. GmbH wurde er erst mit als Geschäftsführer aus dem Firmenbuch ausgetragen. Auf Grund des Zurücklegens der Geschäftsführung mit hafte er für die im Mai 2019 fällig gewordenen Abgaben nicht. Die entsprechende Kündigungserklärung wurde beigelegt.

Im Vorlagebericht verwies das Finanzamt im Wesentlichen auf seine in der Beschwerdevorentscheidung gemachten Ausführungen und die teilweise Stattgabe der Beschwerde hinsichtlich der Kapitalertragsteuer und der Berechnung des Quotenschadens.

In der weiteren Folge übermittelte die belangte Behörde eine an die StA Graz übersandte Sachverhaltsdarstellung der K.H. GmbH (= Gesellschafterin der K. GmbH) vom , in der unter anderem auf den im Vorlageantrag angesprochenen Rücktritt des Bf. als Geschäftsführer vom hingewiesen wurde (Pkt. 14, Satz 1).

Mit Schreiben vom wurde auf die Anberaumung einer mündliche Verhandlung verzichtet.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Hinsichtlich des grundsätzlichen Umfangs des Haftungsbetrages kann basierend auf die Berechnung in der Beschwerdevorentscheidung bei der Beurteilung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aufgebaut werden. Der Bf. hat im Vorlageantrag keine weiteren Einwendungen vorgebracht, sodass diese Feststellungen als unbedenklich übernommen werden können.

Entsprechend dem Neuvorbringen des Bf. im Vorlageantrag, dass er bereits am gegenüber der Hauptgesellschafterin die Zurücklegung der Geschäftsführung mitgeteilt habe ist davon auszugehen, dass dies auch erfolgt ist, auch wenn der diesbezügliche Umlaufbeschluss der K. GmbH erst am über (formelle) Abberufung des Bf. und Bestellung des Mag. K.R. als neuen Geschäftsführers gefasst und dann anschließend im Firmenbuch am eingetragen wurde.

Dies hat zur Folge, dass die am fällig gewordenen Abgabenschuldigkeiten nicht mehr von der Verantwortung des Bf. als Geschäftsführer erfasst sind und daher aus dem Haftungsbetrag auszuscheiden waren.

2. Beweiswürdigung

Die Beweiswürdigung ergibt sich aus der im Wesentlichen unbestrittenen Aktenlage und dem schlüssigen Vorbringen des Bf. über den seinerzeitig erklärten Rücktritt als Geschäftsführer. Diese Tatsache ist auch einer von der K.H. GmbH in einem anderen Zusammenhang verfassten Sachverhaltsdarstellung an die StA Graz vom , in der dieser Rücktritt auch konkludent bestätigt wird, sodass davon ausgegangen werden kann, dass dieser der K.H. GmbH als Alleingesellschafterin der K. GmbH auch gegenüber entsprechend erklärt wurde.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (teilweise Stattgabe)

3.1.1. Rechtsquellen

Bundesabgabenordnung

§ 9 Abs. 1 BAO

Die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter haften neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

§ 80 Abs. 1 BAO

Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, daß die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Abs. 2
Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter, soweit ihre Verwaltung reicht, die im Abs. 1 bezeichneten Pflichten und Befugnisse.
Abs. 3
Vertreter (Abs. 1) der aufgelösten Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach Beendigung der Liquidation ist, wer nach § 93 Abs. 3 GmbHG zur Aufbewahrung der Bücher und Schriften der aufgelösten Gesellschaft verpflichtet ist oder zuletzt verpflichtet war.

3.1.2. Rechtliche Würdigung

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf der Vertreter bei der Entrichtung von Schulden die Abgabenschulden nicht schlechter behandeln als andere Schulden; er hat die Schulden im gleichen Verhältnis zu befriedigen (Gleichbehandlungsgrundsatz).

Bei Selbstberechnungsabgaben ist für die Frage, ob die Gesellschaft über Mittel für die Abgabenentrichtung verfügt hat, bereits der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären (). Für die übrigen Abgaben erfährt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Haftung des Vertreters nur dann eine Einschränkung, wenn er den Nachweis erbringt, welcher Abgabenbetrag auch bei gleichmäßiger Befriedigung der Gläubiger uneinbringlich geworden wäre.

Damit der Geschäftsführer seine qualifizierte Behauptungs- und Konkretisierungslast erfüllt, ist die Darstellung der konkreten finanziellen Situation der Gesellschaft und ihrer Gebarung im fraglichen Zeitpunkt erforderlich. Konsequenterweise haftet der Geschäftsführer ansonsten für die von der Haftung betroffenen Abgabenschulden zur Gänze (, mwN).

Ein Nachweis, ob der Gesellschaft ausreichende Mittel zur Abgabenentrichtung fehlten bzw. ob sämtliche Gläubiger der Gesellschaft gleichbehandelt wurden, wurde von der Bf. in der eingereichten Aufstellung zur Beschwerde ansatzweise erbracht. Nach Korrekturen durch die belangte Behörde errechnete sie eine allgemeine Zahlungsquote von 58,43%. Dieser stellte sie die bezogen auf die FA-Verbindlichkeiten geleistete Quote von 34,47% gegenüber und errechnete einen Quotenschaden von 23,96%, welcher auf diejenigen Abgaben angewandt wurde, für die der Gleichbehandlungsgrundsatz maßgeblich war. Hinsichtlich der Lohnabgaben für Mai 2019 (Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag für den Dienstgeberbeitrag 5/2019), fällig am , trifft den Bf. - wie bereits ausgeführt - kein Verschulden, weshalb sich darüber weitere Ausführungen erübrigen.

Hat der Geschäftsführer im Haftungsverfahren den ihm obliegenden Entlastungsbeweis in Bezug auf die Abgabenentrichtung nur teilweise erbracht, kann die Behörde schon deshalb eine die Inanspruchnahme zur Haftung rechtfertigende schuldhafte Pflichtverletzung annehmen ().
Als schuldhaft im Sinne der Bestimmung des § 9 BAO gilt jede Form des Verschuldens, somit auch leichte Fahrlässigkeit (). Infolge der schuldhaften Pflichtverletzung durch die Bf. konnte die Abgabenbehörde nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung Ursache für die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben war ().

Die im Rahmen des § 224 BAO zu treffende Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO ist innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenze nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Wesentliches Ermessenskriterium ist die Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalles. Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftungsnorm folgt, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel ermessenskonform ist, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich ist (). Zur Ermessensentscheidung des Finanzamtes hat die Bf. kein Vorbringen erstattet.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Im Übrigen wird auf die oa. Vorjudikatur des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 224 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.2100286.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at