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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 21.11.2022, RV/5100314/2022

Geschäftsführerhaftung bei Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Susanne Feichtenschlager in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***RA***, über die Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid des Finanzamtes Österreich vom , Steuernummer ***123***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Schreiben vom teilte das Finanzamt der Beschwerdeführerin mit, dass die Firma ***X*** GmbH Abgaben in Höhe von 27.528,01 € nicht entrichtet hätte. Es möge dargelegt werden, weshalb die Beschwerdeführerin nicht dafür Sorge getragen habe, dass die angeführten Abgaben entrichtet worden seien. Falls vorhandene Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet worden seien, sei dies durch geeignete Unterlagen zu belegen. Anhand des beigelegten Fragenbogens mögen die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin offengelegt werden.

Mit Schreiben vom gab der rechtliche Vertreter der Beschwerdeführerin dazu bekannt, dass die vom Masseverwalter überwiesene Quote nicht berücksichtigt worden sei. Es seien auch keine Löhne mehr ausbezahlt worden, sodass sich für Lohnsteuer und Dienstgeberbeitrag keine Haftung ergeben würde. Für Körperschaftsteuer und Säumniszuschlag würden keine Haftungsnormen bestehen. Übrig bleibe die Umsatzsteuer. Es werde eine Aufstellung der Steuerberaterin übermittelt, aus der sich eine Ungleichbehandlung von einem Prozent ergeben würde, wobei man hier über eine Zug-um-Zug Verknüpfung streiten könne.

Mit Bescheid vom machte das Finanzamt die Haftung für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der Primärschuldnerin im Ausmaß von 20.088,01 € geltend. Die Abgaben wurden wie folgt aufgeschlüsselt:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Abgabenart
Zeitraum
Fälligkeit
Betrag (Euro)
Umsatzsteuer
2019
245,18
Umsatzsteuer
12/2019
7.959,66
Umsatzsteuer
11/2019
6.701,20
Lohnsteuer
12/2019
3.976,62
Dienstgeberbeitrag
12/2019
718,18
Dienstgeberbeitrag
01/2020
84,76
Dienstgeberbeitrag
02/2020
84,76
Dienstgeberbeitrag
03/2020
75,01
Dienstgeberbeitrag
04/2020
73,07
Dienstgeberbeitrag
05/2020
73,07
Zuschlag zum DB
12/2019
62,61
Zuschlag zum DB
01/2020
7,39
Zuschlag zum DB
02/2020
7,39
Zuschlag zum DB
03/2020
6,55
Zuschlag zum DB
04/2020
6,37
Zuschlag zum DB
05/2020
6,37
Summe
20.088,01

Nach Darlegung der rechtlichen Grundlagen wurde begründend ausgeführt, dass die im Spruch angeführten Abgabenschuldigkeiten bei der Primärschuldnerin uneinbringlich seien, da mit Beschluss des ***LG*** das Konkursverfahren nach Verteilung aufgehoben worden sei. Da Miete, aktuelle Lebensversicherung und div. Versicherung zur Gänze beglichen worden seien, sei davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt zwar Geldmittel vorhanden gewesen seien, diese aber nicht zur (anteiligen) Entrichtung der Abgabenschulden verwendet worden seien. Da bei der Tilgung der Schulden der Gesellschaft die Abgabenschulden schlechter als die übrigen Verbindlichkeiten behandelt worden seien, sei von einer Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes auszugehen.
Unter Hinweis auf § 78 Abs. 3 EStG 1988 wurde darauf hingewiesen, dass die Lohnsteuer vom Gleichbehandlungsgebot ausgenommen sei.
Die Geltendmachung der Haftung stelle die einzige Möglichkeit zur Durchsetzung des Abgabenanspruches dar. Weiters könne aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse bzw. künftigen Erwerbsmöglichkeiten nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Haftungsschulden auch beim Haftungspflichtigen uneinbringlich seien. Die Haftungspflichtige habe in Zusammenhang mit der Wahrnehmung ihrer Pflichten auffallend sorglos gehandelt. Aus diesen Gründen sei die Geltendmachung der Haftung geboten.
Die Quote in Höhe von 25,063966 % sei berücksichtigt worden.

Mit Schriftsatz vom wurde durch den rechtlichen Vertreter der Beschwerdeführerin das Rechtsmittel der Beschwerde eingebracht und begründend ausgeführt, dass die Haftung des Geschäftsführers nur greifen würde, wenn eine Ungleichbehandlung von Statten gegangen sei. Die GmbH habe ihre Zahlungen im Dezember 2020 vollkommen eingestellt. Es seien keine Löhne mehr ausbezahlt worden, keine Lieferanten bezahlt worden und nur notwendige Zug-um-Zug Geschäfte wie Rechtsanwalt, Gericht, Steuerberater, Miete, Leasing etc. betrieben worden. Aus der beiliegenden Geldflussrechnung der Steuerberaterin würde sich ergeben, dass eine Ungleichbehandlung von 1 % vorliege. Dieser Betrag werde auch anerkannt.
Es werde beantragt, den angefochtenen Haftungsbescheid als rechtwidrig aufzuheben und die Haftung der Beschwerdeführerin mit 0,00 € festzusetzen, in eventu die Haftung mit 200,88 € festzusetzen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und der Beschwerdeführerin den Ersatz der Kosten des Verfahrens zuzusprechen.

Mit Schreiben vom forderte das Finanzamt die Beschwerdeführerin auf, folgende Unterlagen zum Nachweis der Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorzulegen: Auflistung sämtlicher Gläubiger, alle auf die einzelnen Verbindlichkeiten geleisteten (auch die zur Gänze bezahlten) Zahlungen, Kontoauszüge ab , bis zu welchem Zeitpunkt wurden die Geschäftsführer-Bezüge ausbezahlt bzw. auf dem entsprechenden Konto verbucht?

Mit Schreiben vom gab die Vertretung der Beschwerdeführerin bekannt, dass die Kontoauszüge nicht in Händen der Beschwerdeführerin sondern beim Masseverwalter seien. Vorgelegt wurde ein Konvolut Kontoblätter der Primärschuldnerin.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Begründend wurde nach Darlegung der Rechtslage im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei den im haftungsgegenständlichen Zeitraum getätigten Zahlungen (Überweisungen) lediglich um Zug-um-Zug Geschäfte gehandelt habe, die zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig gewesen seien. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausführe, könne im Fall der Befriedigung betriebsnotwendiger Forderungen von einer anteiligen Begleichung aller Verbindlichkeiten keine Rede sein.
Da laut Beschwerde erst im Dezember 2020 die Zahlungen vollständig eingestellt worden seien, sei davon auszugehen, dass zu den jeweiligen Fälligkeitstagen entsprechende Mittel zur Begleichung der Abgabenschuldigkeiten vorhanden gewesen seien.

Mit Schreiben vom 19. April 2022wurde Vorlageantrag eingebracht. Ein ergänzendes Vorbringen wurde nicht erstattet.

Mit Vorlagebericht vom legte das Finanzamt die Beschwerdesache dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Am richtete das Bundesfinanzgericht folgendes Schreiben an das Finanzamt:
"in Zusammenhang mit den oben angeführten Beschwerden betreffend ***GatteBf1*** und ***Bf1*** bedürfen folgende Punkte einer Aufklärung:• Die Umsatzsteuer 2019 ist im Haftungsescheid mit einem Betrag von 245,18 € enthalten, laut Abgabeninformationssystem haftet sie derzeit mit 6,85 € aus.Die Umsatzsteuer 11/2019 ist im Haftungsescheid mit einem Betrag von 6.701,02 € enthalten, laut Abgabeninformationssystem haftet sie derzeit mit 2.203,06 € aus.Es möge dargelegt werden, wie es zu dieser Reduktion kam. Sollte im Ausmaß von 238,33 € bzw. 4.497,96 € eine Einbringlichkeit bei der Primärschuldnerin vorliegen, ist beabsichtigt, der Beschwerde insofern stattzugeben.• Eine Firmenbuchabfrage hat ergeben, dass Herr ***GatteBf1*** nur bis Geschäftsführer der Primärschuldnerin war. Folgende Abgaben, die im Haftungsbescheid vom enthalten sind, waren nach diesem Stichtag fällig: DB 02/2020, DB 03/2020, DB 04/2020, DB 05/2020, DZ 02/2020, DZ 03/2020, DZ 04/2020, DZ 05/2020. Es ist beabsichtigt, der Beschwerde des ***GatteBf1*** insofern stattzugegeben, als jene Abgaben, die nach fällig geworden sind, von der Haftung ausgeschieden werden.Um Stellungnahme wird ersucht.Um Beantwortung dieses Schreibens wird binnen drei Wochen ab dessen Zustellung ersucht !"

Am richtete das Bundesfinanzgericht folgendes Schreiben an die Beschwerdeführerin:
"Es ist unbestritten, dass Sie in der Zeit zwischen und Geschäftsführerin der ***X*** GmbH waren, welche am wegen Vermögenslosigkeit aus dem Firmenbuch gelöscht wurde. Die derzeit beim Finanzamt noch aushaftenden Abgabenverbindlichkeiten sind daher bei der Primärschuldnerin uneinbringlich.Aufgabe des Geschäftsführers ist es, im Verwaltungsverfahren allfällige Gründe aufzuzeigen, die ihn daran gehindert haben, die Abgabenschulden am oder nach dem Fälligkeitstag zu begleichen. Er hat darzustellen, dass ab dem Zeitpunkt, an welchem die von der Haftungsinanspruchnahme erfassten Abgaben fällig geworden sind, keine Geldmittel der Gesellschaft mehr vorhanden waren. Es hat nicht die Abgabenbehörde das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung nachzuweisen, sondern der zur Haftung herangezogenen Geschäftsführer das Fehlen ausreichender Mittel.Die haftungsgegenständlichen Abgaben waren zwischen und fällig. In diesem Zeitraum wurden keine Zahlungen gegenüber dem Finanzamt getätigt. Der Beschwerde vom ist zu entnehmen, dass jedenfalls Zug-um-Zug Geschäfte getätigt wurden, sodass davon auszugehen ist, dass die liquiden Mittel nicht anteilig auf alle Gläubiger gleichmäßig verteilt wurden.Der Vertreter haftet nicht für sämtliche Abgabenschulden des Vertretenen in voller Höhe, sondern nur im Umfang der Kausalität zwischen seiner schuldhaften Pflichtverletzung und dem Entgang der Abgaben. Reichten die liquiden Mittel nicht zur Begleichung sämtlicher Schulden aus und haftet der Vertreter nur deswegen, weil er die Abgabenforderungen nicht wenigstens anteilig befriedigt und den Abgabengläubiger somit benachteiligt hat, dann erstreckt sich die Haftung des Vertreters auch nur auf den Betrag, um den der Abgabengläubiger bei gleichmäßiger Befriedigung aller Forderungen mehr erlangt hätte, als er infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des Vertreters tatsächlich erhalten hat. Der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, obliegt allerdings dem Vertreter. Weist er nach, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre, dann haftet er nur für die Differenz zwischen diesem und dem tatsächlich bezahlten Betrag. Tritt der Vertreter diesen Nachweis nicht an, dann kann ihm die uneinbringliche Abgabe allerdings zur Gänze vorgeschrieben werden ().Das gegenständliche Beschwerdeverfahren kann nur dann teilweise erfolgreich sein, wenn nachgewiesen wird, mit welchem Anteil die Finanzverwaltung bei einer Gleichbehandlung befriedigt worden wäre. Dafür ist eine Aufstellung vorzulegen, aus der hervorgeht, über welche finanziellen Mittel die Primärschuldnerin im haftungsgegenständlichen Zeitraum verfügt hat, wie diese verwendet wurden und in welchem Ausmaß die haftungsgegenständlichen Abgaben bei Gleichbehandlung allerVerbindlichkeiten befriedigt worden wären. Dann würde die Haftung auf diesen Anteil eingeschränkt werden. Es wird darauf hingewiesen, dass die bloße Vorlage von Kontoblättern dieser Nachweispflicht nicht entspricht.Im Erkenntnis vom , Ra 2016/16/0097, hat der Verwaltungsgerichtshof auf Folgendes hingewiesen: "In den Erkenntnissen vom , 2008/15/0283, und vom , 2000/15/0168, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Verpflichtung nach § 80 BAO hinsichtlich der Lohnsteuer über das Gebot der gleichmäßigen Behandlung aller Schulden (aller Gläubiger) hinausgeht; aus den Bestimmungen des § 78 Abs. 3 EStG ergibt sich die Verpflichtung, dass die Lohnsteuer - ungeachtet des Grundsatzes der Gleichbehandlung aller andrängenden Gläubiger - jeweils zur Gänze zu entrichten ist."Das Beschwerdevorbringen, es seien keine Löhne mehr ausbezahlt worden, deckt sich nicht mit der Aktenlage, zumal Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag bis einschließlich Mai 2020 gemeldet wurden.Um Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Schreibens wird ersucht !"

Mit Schreiben vom legte das Finanzamt dar, dass die Zahllast zur Umsatzsteuer 2019 laut Erklärung 327,18 € betragen habe. Davon 74,936034 % (die Quote würde 25,063966 % betragen) würde einen Betrag von 245,18 € ergeben, der im Haftungsbescheid enthalten sei. Zur Reduktion im Abgabeninformationssystem sei es gekommen, weil vom Masseverwalter nach Insolvenzeröffnung folgende Erklärungen mit den entsprechenden Guthaben eingebracht worden seien:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Erklärung/Abgabenart
Guthaben in Euro
U 06/2020
0,00
U 07/2020
83,25
U 08/2020
57,52
U 09/2020
62,67
Summe
203,44

Diese Guthaben sei am an dem Masseverwalter ausbezahlt worden. Diese Auszahlung habe im Abgabeninformationssystem zu einem "vermeintlichen" Rückstand geführt. Da aufgrund der Insolvenzeröffnung alle Rückstände ausgesetzt worden seien. Dieser "Rückstand" (203,44 €) sei sodann, als die U 02/2021 vom Masseverwalter eingebracht worden sei (Guthaben von 532,77 €), gegengerechnet worden. Diese Gegenrechnung habe den Betrag von 320,33 € ergeben (523,77 - 203,44). Bei der Umsatzsteuer 2019 sei eine Nachforderung von 327,18 € entstanden, wovon nun der Betrag von 320,00 € abgezogen worden sei. Diese Verrechnungen hätten schlussendlich zu dem Betrag von 6,85 E geführt, der nun am Abgabeninformationssystem aushaften würde.
Die Zahllast zur Umsatzsteuer 11/2019 habe lt. Erklärung 13.882,20 € betragen. Zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung seien davon noch 9.145,75 € offen gewesen. Dieser Rückstand habe sich wiederum um die 203,44 € auf 8.942,20 € verringert (Korrektur der Masseforderung im System durch diese "Umwandlung"). Davon 74,936034 % würden den Betrag von 6.701,22 € ergeben, der im Haftungsbescheid herangezogen worden sei. Zu der Reduktion auf 2.203,0 € im Abgabeninformationssystem sei es gekommen, da nach der Anmeldung der Insolvenzmasse einerseits die Quote in der Höhe von 1.401,52 € überwiesen und andererseits vom Masseverwalter die U 01/2021 € mit einem Guthaben von 5.337,73 € eingebracht worden sei. Im Abgabeninformationssystem hätten diese Vorgänge zu der Reduktion auf 2,203,06 € geführt (8.942,31 € - 1.401,52 € - 5.337,73 € = 2.203,06 €).
Diese Verrechnungen seien jedoch erst alle vorgenommen worden, nachdem das Insolvenzverfahren bereits eröffnet gewesen sei und hätten daher nach Ansicht der Abgabenbehörde keine Auswirkungen auf die Beträge bzw. die Einbringlichkeit im Haftungsverfahren.

Soweit für das gegenständliche Verfahren relevant legte die beschwerdeführende Partei mit Schreiben vom ein Konvolut von Forderungsanmeldungen zum Beweis dafür vor, dass an die Dienstnehmer keine Löhne ausbezahlt worden seien. Aus diesen vier Forderungsanmeldungen geht hervor, dass vier Dienstnehmer für Dezember 2019 insgesamt Forderungen in Höhe von 16.322,00 € geltend machen. Weiters wurde die Stellungnahme der Steuerberaterin samt Berechnung der Haftung vorgelegt. Im Jänner 2020 (Insolvenzanmeldung ) seien tatsächlich noch Löhne ausbezahlt worden, für die Beschwerdeführerin 6.000,00 €, für ihren Gatten 1.200,00 €. Der Gatte sei nur geringfügig beschäftigt gewesen (400,00 mtl.), die Beschwerdeführerin sei Geschäftsführerin gewesen. Bei beiden sei keine Lohnsteuer angefallen. Haftung würde für DB und DZ für diese ausbezahlten Beträge anfallen. Für das Finanzamt wären das 305,28 €. Weitere Zahlungen seien nicht geleistet worden. Vereinzelt seien Zahlungseffekte durch Einbehalten oder Guthaben entstanden. Doch auch diese Beträge seien minimal.

Mit Schreiben vom gab das Finanzamt zum Schreiben der beschwerdeführenden Partei vom bekannt, dass laut Abfrage beim Sozialversicherungsträger ***GatteBf1*** nicht bei der Beschwerdeführerin "beschäftigt" gewesen sei. Er sei von bis bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen als gewerblich selbständiger Erwerbstätiger mit einer Bemessungsgrundlage von 30.933,74 € gemeldet und somit wohl als Geschäftsführer/Gesellschafter tätig gewesen und nicht als unselbständiger Erwerbstätiger auf geringfügiger Basis. Wenn tatsächlich eine geringfügige Beschäftigung und keine Geschäftsführertätigkeit vorgelegen hätte, dann wäre auch die Meldung zur Sozialversicherung über Jahre falsch erfolgt.
Im Zuge der Beantwortung des Ergänzungsersuchens vom am sei vom Vertreter der Beschwerdeführerin ein Auszug aus dem Firmen-Lohnkonto vorgelegt worden, aus dem ersichtlich sei, dass in den Monaten 1 bis 5 das Gehalt verbucht und ausbezahlt worden sei. In diesem Auszug aus dem Firmen-Lohnkonto seien auch die Lohnnebenkosten wie DB und DZ angeführt.
Darüber hinaus seien folgende Abgaben von der steuerlichen Vertreterin der Primärschuldnerin zu den angegebenen Zeiträumen dem Finanzamt gemeldet worden:


Diese Meldungen seien auch im Zuge des Insolvenzverfahrens nicht berichtigt worden, was jedoch notwendig gewesen wäre, wenn tatsächlich keine Zahlungen erfolgt seien. Aufgrund der angeführten Meldungen der Selbstbemessungsabgaben seien diese Beträge abzüglich der Quote zu Recht in den Haftungsbescheid aufgenommen worden.

Am leitete die beschwerdeführende Partei ein E-Mail der Steuerberaterin an die beschwerdeführende Partei und an den Rechtsvertreter der beschwerdeführenden Partei an die zuständige Richterin weiter:
"Zwischen Auszahlung und Meldung ist sehr wohl ein Unterschied. Soweit wir die Bankkonten haben - habe ich diese Zahlungen berücksichtigt, weitere Zahlungen sind mir nicht bekannt, aber wurden natürlich in der LV korrekt abgerechnet und gemeldet. Warum dies in der Insolvenz in der Anmeldung nicht korrigiert wurde kann ich leider nicht sagen.
Außerdem denke ich, das Gericht hat hier wo falsche Zuordnungen. Anbei die Lohnverrechnungen 2018, 2019, 2020. Bereits seit Ende 2018 ist hier ersichtlich, dass
***GatteBf1*** nur noch geringfügig beschäftigt ist und ***Bf1*** hier die Geschäftsführung wieder übernommen hat. ***GatteBf1*** hatte allerdings auch ein Dienstverhältnis, das hat nichts mit der ***X*** zu tun, eventuell passierte bei Gericht wo hier eine Verwechslung oder Zurechnung.
Nochmals zur Erklärung: Die Meldung der Abgaben erfolgte direkt von uns aus der Kanzlei; wieweit die Löhne da noch ausbezahlt wurden, ist dabei nicht relevant. Es werden alle offenen Abgaben gemeldet. Das Firmenlohnkonto ist nicht maßgeblich für eine Auszahlung - sondern nur für die Abrechnung, daraus kann KEIN Zahlungsfluss abgeleitet werden. Der Zahlungsfluss ist aus den von mir übermittelten Daten ablesbar
."

Mit Schreiben vom zog die beschwerdeführende Partei den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Die Firma ***X*** GmbH (Primärschuldnerin) wurde durch Einbringung des Einzelunternehmens ***X*** e.U. mit Erklärung vom gegründet.
Mit Beschluss des ***LG*** vom wurde das Sanierungsverfahren über das Vermögen der ***X*** GmbH eröffnet.
Mit Beschluss des Landesgerichtes **LG** vom wurde die Bezeichnung von Sanierungs- auf Konkursverfahren geändert.
Mit Beschluss des ***LG*** vom wurde das Konkursverfahren nach Schlussverteilung (Quote 25,063966 %) aufgehoben.
Mit Beschluss des ***LG*** vom wurde die Firma wegen Vermögenslosigkeit gelöscht.
Die am ***Datum***1984 geborene Beschwerdeführerin war in der Zeit von bis Geschäftsführerin der Primärschuldnerin.
In der Zeit von bis war auch ***GatteBf1***, der Gatte der Beschwerdeführerin, als Geschäftsführer der Primärschuldnerin im Firmenbuch eingetragen. Tatsächlich übte er die Geschäftsführertätigkeit nur in der Zeit von bis September 2018 aus.

Die haftungsgegenständlichen Abgaben wurden in der Zeit zwischen und fällig. In diesem Zeitraum wurden gegenüber dem Finanzamt keine Zahlungen geleistet.
Welche finanziellen Mittel in dieser Zeit der Primärschuldnerin zur Verfügung standen, wurde trotz mehrfacher diesbezüglicher Aufforderung nicht dargelegt. Fest steht jedenfalls, dass notwendige Zug-um-Zug Geschäfte getätigt wurden. Das heißt, manche Gläubiger (zB Rechtsanwalt, Gericht, Steuerberater, Strom, Miete Leasing etc) wurden zu 100 % befriedigt, während der Abgabengläubiger keine Zahlungen erhielt.

Im Beschwerdeverfahren wurde trotz mehrmaliger diesbezüglicher Aufforderung nicht nachgewiesen, dass das Gleichbehandlungsgebot eingehalten wurde, das heißt, dass sämtliche Gläubiger im gleichen Ausmaß befriedigt worden sind. Es wurde auch nicht dargelegt, in welchem prozentuellen Ausmaß die Verbindlichkeiten des Finanzamtes bedient worden wären, wenn alle Verbindlichkeiten im gleichen Ausmaß befriedigt worden wären.

Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den vorgelegten Akten, den Parteienvorbringen, Einsicht in das Firmenbuch und aus dem Abgabeninformationssystem.

Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wurde überzeugend dargelegt, dass ***GatteBf1*** nur deshalb als Geschäftsführer eingesetzt worden war, weil seine Frau im August 2017 Zwillinge zur Welt gebracht hatte und daher nicht als Geschäftsführerin zur Verfügung stand. Ab September 2018 übte sie diese Tätigkeit wieder aus. Der Gatte war zwar noch weiterhin als Geschäftsführer im Firmenbuch eingetragen, die für die abgabenrechtlichen Belange zuständige Geschäftsführerin war jedoch wieder ***Bf1***.

Das Gleichbehandlungsgebot bedeutet, dass sämtliche Gläubiger mit derselben Quote befriedigt werden. Das heißt, um dem Gleichbehandlungsgebot nachzukommen, müssen sämtlichen Verbindlichkeiten zum jeweiligen Fälligkeitstag den zu diesem Zeitpunkt verfügbaren finanziellen Mittel gegenübergestellt werden. Mit der daraus resultierenden Quote sind sodann alle Gläubiger gleichmäßig zu befriedigen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf der Vertreter bei der Entrichtung von Verbindlichkeiten Abgabenschulden nicht schlechter behandeln als andere Schulden; er hat die Schulden im gleichen Verhältnis zu befriedigen (Gleichbehandlungsgrundsatz). Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes kann sich nicht nur bei der Tilgung bereits bestehender Verbindlichkeiten, sondern auch bei sogenannten Zug-um-Zug-Geschäften ergeben. ()

Im gegenständlichen Verfahren wurde seitens der Beschwerdeführerin mehrmals darauf hingewiesen, dass die Primärschuldnerin ihre Zahlungen im Dezember 2020 vollkommen eingestellt hätte. Es seien nur noch notwendige zug-um-Zug Geschäfte (Rechtsanwalt, Gericht, Steuerberater, Strom, Miete, Leasing, etc) bezahlt worden. Damit wurde aber gleichzeitig dargelegt, dass das Gleichbehandlungsgebot nicht gewahrt wurde. Sobald nämlich nur ein einziger Gläubiger zur Gänze befriedigt wird, während die fälligen Abgabenverbindlichkeiten nicht oder nicht zur Gänze getilgt werden, liegt eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vor.

Im Erkenntnis vom , Ra 2016/16/0097, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass der Vertreter nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die nicht entrichteten Abgaben der Gesellschaft auch dann haftet, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel zur Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht ausreichen, es sei denn, er weist nach, dass er die Abgabenschuld im Verhältnis nicht schlechter behandelt hat als bei anteiliger Verwendung der vorhandenen Mittel für die Begleichung aller Verbindlichkeiten. Eine Betrachtung der Gläubigergleichbehandlung hat zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zu erfolgen.

Die Beschwerdeführerin hat zwar Kontoblätter der Primärschuldnerin übermittelt, aber es wurde keine Aufstellung vorgelegt, aus der hervorgeht, über welche finanziellen Mittel die Primärschuldnerin im Zeitpunkt der Fälligkeiten der haftungsgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten verfügt und wie sie diese Mittel verwendet hat. Es wurde nicht dargelegt, mit welchem Anteil sämtliche Gläubiger befriedigt worden wären, wenn die vorhandenen Mittel auf alle Gläubiger gleichmäßig verteilt worden wären.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I.

Die in den Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen werden durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten.

Gemäß § 9 Abs 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Nach § 80 Abs 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Geltendmachung der Haftung nach § 9 BAO voraus, dass eine uneinbringliche Abgabenforderung gegen den Vertretenen besteht, die als haftungspflichtige in Frage kommende Person zum Personenkreis des §§ 80 ff BAO gehört, eine schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten des Vertreters vorliegt und die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war.

3.1.1. Zur Vertreterhaftung

Unstrittig ist, dass die Beschwerdeführerin zwischen und Geschäftsführerin der Primärschuldnerin war.

Die Haftung nach § 9 BAO stellt nicht die Haftung für einen Schaden dar, welcher dem Abgabengläubiger bei Gesamtbetrachtung der Abgabenschulden mehrerer Abgabenschuldner entstanden ist, sondern der Tatbestand des § 9 BAO stellt darauf ab, dass Abgabenschulden eines Abgabepflichtigen nicht eingebracht werden können.

Als Geschäftsführerin der Primärschuldnerin war die Beschwerdeführerin im haftungsrelevanten Zeitraum ( bis ) ihr abgabenrechtlicher Vertreter.

3.1.2. aushaftende Abgabenschuldigkeiten gegenüber der Primärschuldnerin

Die haftungsgegenständlichen Abgaben haften am Abgabenkonto der Primärschuldnerin unbestritten unberichtigt aus.

Lediglich die Umsatzsteuer 2019 und die Umsatzsteuer 11/2019 haften nicht mehr in voller Höhe aus. Das Finanzamt hat jedoch überzeugend dargelegt, dass es dazu aufgrund von Buchungsvorgängen gekommen ist, die Zeiträume nach Insolvenzeröffnung betroffen habe.

3.1.3. Zur Uneinbringlichkeit

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung (). Sie darf nur dann geltend gemacht werden, wenn der Ausfall nicht nur beim Erstschuldner, sondern auch bei mit ihm verbundenen Gesamtschuldnern sowie bei außerhalb des § 9 BAO Haftenden eindeutig feststeht (vgl. Ritz, BAO6, § 9 Tz 4 und 7, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Eine Entrichtung durch Dritte - allenfalls auch durch Überrechnung von Guthaben (§ 215 Abs. 4 BAO) - würde dazu führen, dass insoweit die Abgabenschuldigkeit erfüllt wäre; eine derartige Zahlung wäre auch noch im Beschwerdeverfahren über einen Haftungsbescheid zu berücksichtigen ().

Im gegenständlichen Fall steht die Uneinbringlichkeit unbestritten fest, da laut Beschluss des ***LG*** vom die Primärschuldnerin wegen Vermögenslosigkeit nach Aufhebung des Konkurses und Schlussverteilung gelöscht wurde.

3.1.4. Zur Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten

Für die Haftung relevant ist die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten (zB Entrichtungspflicht in § 80 Abs 1 letzter Satz, aus der das Gleichbehandlungsgebot abgeleitet wird, Einbehaltungs- und Abfuhrpflicht gem § 78 Abs. 3 EStG 1988 für Lohnsteuer oder gem § 95 Abs. 2 Satz 2 EStG 1988 für Kapitalertragsteuer).

Den Vertreter trifft die Verpflichtung zur rechtzeitigen Entrichtung bzw. Abfuhr von Abgabenverbindlichkeiten. Der Zeitpunkt, für den zu beurteilen ist, ob der Vertreter die Gleichbehandlungpflicht erfüllt hat, bestimmt sich danach, wann die Abgabe nach den abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wäre. Bei Selbstbemessungsabgaben ist maßgebend, wann die Abgabe bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung zu entrichten oder abzuführen gewesen wäre ().

Aufgabe des Geschäftsführers ist es, im Verwaltungsverfahren allfällige Gründe aufzuzeigen, die ihn daran gehindert haben, die Abgabenschulden am oder nach dem Fälligkeitstag zu begleichen. Er hat darzustellen, dass ab dem Zeitpunkt, an welchem die von der Haftungsinanspruchnahme erfassten Abgaben fällig geworden sind, keine Geldmittel der Gesellschaft mehr vorhanden waren. Es hat nicht die Abgabenbehörde das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung nachzuweisen, sondern der zur Haftung herangezogenen Geschäftsführer das Fehlen ausreichender Mittel.

Der Vertreter haftet nicht für sämtliche Abgabenschulden des Vertretenen in voller Höhe, sondern nur im Umfang der Kausalität zwischen seiner schuldhaften Pflichtverletzung und dem Entgang der Abgaben. Reichten die liquiden Mittel nicht zur Begleichung sämtlicher Schulden aus und haftet der Vertreter nur deswegen, weil er die Abgabenforderungen nicht wenigstens anteilig befriedigt und den Abgabengläubiger somit benachteiligt hat, dann erstreckt sich die Haftung des Vertreters auch nur auf den Betrag, um den der Abgabengläubiger bei gleichmäßiger Befriedigung aller Forderungen mehr erlangt hätte, als er infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des Vertreters tatsächlich erhalten hat. Der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, obliegt allerdings dem Vertreter. Weist er nach, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre, dann haftet er nur für die Differenz zwischen diesem und dem tatsächlich bezahlten Betrag. Tritt der Vertreter diesen Nachweis nicht an, dann kann ihm die uneinbringliche Abgabe allerdings zur Gänze vorgeschrieben werden ().

Im gegenständlichen Haftungsverfahren hat die Beschwerdeführerin keine Angaben über die finanziellen Mittel der Primärschuldnerin während des haftungsgegenständlichen Zeitraumes gemacht. Es wurde keine Aufstellung bzw. Berechnung vorgelegt, aus der ersichtlich wäre, in welchem Ausmaß das Finanzamt bei gleichmäßiger Behandlung aller Gläubiger befriedigt worden wäre. Dass noch finanzielle Mittel vorhanden waren und andere Gläubiger noch (in vollem Ausmaß) befriedigt worden sind, ergibt sich aus den Ausführungen der beschwerdeführenden Partei, wonach Zug-um-Zug Geschäfte getätigt worden sind.

Wenn schließlich vorgebracht wird, dass die Beschwerdeführerin über die Kontoauszüge der Primärschuldnerin nicht verfügt, weil diese beim Masseverwalter wären, so ist dem entgegenzuhalten, dass es dem Vertreter obliegt, entsprechende Beweisvorsorge zu treffen (). Schon im Hinblick auf eine mögliche Inanspruchnahme als Haftungsschuldner ist es dem Vertreter zumutbar, spätestens dann, wenn im Zeitpunkt der Beendigung der Vertreterhaftung fällige Abgabenschuldigkeiten unberichtigt aushaften, jene Informationen zu sichern, die ihm im Fall der Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger die Erfüllung der Darlegungspflicht im beschriebenen Sinn zu ermöglichen.

Wie nunmehr bereits ausführlich dargelegt wurde, hat die Beschwerdeführerin die liquiden Mittel nicht anteilig auf alle Gläubiger gleichmäßig verteilt. Darüber hinaus hat sie keinen Nachweis erbracht, in welcher Höhe die Abgabenverbindlichkeiten bei gleichmäßiger Befriedigung aller Forderungen zu bedienen gewesen wären. Das Finanzamt hat daher entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes agiert, indem es die Haftung für die aushaftenden Abgabenverbindlichkeiten in voller Höhe ausgesprochen hat.

Wenn nunmehr die Steuerberaterin der Beschwerdeführerin in den Raum stellt, dass die Lohnabgaben nicht den ausbezahlten Löhnen entsprechend gemeldet worden seien, so wäre es an ihr gelegen, für eine entsprechende Richtigstellung zu sorgen. Eine Vorlage der Lohnkonten der Jahre 2018 und 2019 wird dieser Verpflichtung nicht gerecht.

Von der Beachtung des Gleichbehandlungsgebotes ausgenommen ist die Lohnsteuer. Die Verpflichtung eines Vertreters nach § 80 BAO geht hinsichtlich der Lohnsteuer über das Gebot der gleichmäßigen Behandlung aller Gläubiger hinaus. Aus der Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG 1988, wonach in Fällen, in denen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht ausreichten, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten ist, ergibt sich, dass jede vom Vertreter vorgenommene Zahlung voller vereinbarter Arbeitslöhne, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die darauf entfallende Lohnsteuer ausreichen, eine schuldhafte Verletzung seiner abgabenrechtlichen Pflichten mit den Rechtsfolgen des § 9 Abs. 1 BAO darstellt (). Nach ständiger Rechtsprechung ist die auf die ausbezahlten Löhne entfallende Lohnsteuer jedenfalls einzubehalten und spätestens am Fälligkeitstag in voller Höhe zu entrichten. Jede vom Geschäftsführer vorgenommene Zahlung voller vereinbarter Arbeitslöhne stellt eine schuldhafte Verletzung seiner abgabenrechtlichen Pflichten dar, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die Abfuhr der darauf entfallenden Lohnsteuer ausreichen und auch abgeführt werden. Die Bestimmung stellt nicht auf jene Gründe ab, die dazu geführt haben, dass nicht die volle Lohnsteuer abgeführt wurde.

Im Erkenntnis vom , Ra 2016/16/0097, hat der Verwaltungsgerichtshof auf Folgendes hingewiesen: "In den Erkenntnissen vom , 2008/15/0283, und vom , 2000/15/0168, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Verpflichtung nach § 80 BAO hinsichtlich der Lohnsteuer über das Gebot der gleichmäßigen Behandlung aller Schulden (aller Gläubiger) hinausgeht; aus den Bestimmungen des § 78 Abs. 3 EStG ergibt sich die Verpflichtung, dass die Lohnsteuer - ungeachtet des Grundsatzes der Gleichbehandlung aller andrängenden Gläubiger - jeweils zur Gänze zu entrichten ist."

Schon im Erkenntnis vom , 2001/15/0187, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass das allfällige Fehlen liquider Mittel das Unterlassen der Abfuhr von Lohnsteuer nicht hätte entschuldigen können.

Dem ist zu entnehmen, dass die einbehaltene Lohnsteuer zur Gänze zur späteren Abfuhr zu verwenden ist und bei sich bis zum Abfuhrzeitpunkt geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen nicht dem Gleichbehandlungsgebot unterliegt.

Somit trifft den Vertreter nach § 80 BAO die Verpflichtung, die Lohnsteuer einerseits einzubehalten und andererseits - ungeachtet wirtschaftlicher Schwierigkeiten und des Gleichbehandlungsgebotes - zur Gänze dem Finanzamt zum Fälligkeitstag abzuführen.

Daraus ergibt sich eindeutig, dass die Lohnsteuer für ausbezahlte Löhne immer abzuführen ist. Beim Vorhandensein ausreichender Mittel ist die Lohnsteuer vom vollen ausbezahlten Lohn abzuführen, wenn nicht ausreichende Mittel vorhanden sind, ist der zur Auszahlung gelangende Lohn entsprechend zu kürzen. Das bedeutet, dass die Beschwerdeführerin bereits im Zeitpunkt der Auszahlung der Löhne im Dezember 2019 dafür hätte sorgen müssen, dass bei Fälligkeit der Lohnsteuer, also am , ausreichend liquide Mittel vorhanden sein würden, um die Lohnsteuer für die ausbezahlten Löhne an das Finanzamt überweisen zu können. Dass die Beschwerdeführerin diesbezüglich nicht die entsprechenden Vorkehrungen getroffen hat, stellt eine Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten dar.

Von einer Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten ist daher insgesamt hinsichtlich der haftungsgegenständlichen Abgaben auszugehen.

3.1.5. Verschulden

Nach ständiger Rechtsprechung hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich war, widrigenfalls angenommen wird, dass die Pflichtverletzung schuldhaft war (; ; ; vgl. Ritz, BAO6, § 9 Tz 22).

Als schuldhaft im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO gilt jede Form des Verschuldens. Leichte Fahrlässigkeit genügt.

Dass die Beschwerdeführerin ihre abgabenrechtlichen Pflichten, nämlich die pünktliche und vollständige Entrichtung bzw. Abfuhr der Abgabenverbindlichkeiten der Primärschuldnerin aus deren vorhandenen Mitteln, schuldhaft verletzt hat, wurde bereits ausführlich dargelegt.

3.1.6. Kausalzusammenhang

Im Haftungsverfahren nach § 9 BAO hat der Vertreter darzulegen, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich war, widrigenfalls angenommen wird, dass die Pflichtverletzung schuldhaft gewesen ist. Bei schuldhafter Pflichtverletzung spricht die Vermutung für eine Kausalität zwischen Pflichtverletzung und dem Abgabenausfall (, mit Verweis auf ).

Infolge der schuldhaften Pflichtverletzung durch die Beschwerdeführerin konnte die Abgabenbehörde daher auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung Ursache für die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben war.

3.1.7. Ermessen

Die Heranziehung zur Haftung gemäß § 224 BAO ist in das Ermessen (§ 20) der Abgabenbehörde gestellt, wobei die Ermessensentscheidung innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ist (; vgl. Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren³, § 224 Anm. 11).

Unter Billigkeit versteht die ständige Rechtsprechung die "Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei", unter Zweckmäßigkeit das öffentliche Interesse, insbesondere an der Einbringung der Abgaben (Ritz, BAO6, § 20 Tz 7).

Von der Beschwerdeführerin wurde nichts dahingehend vorgebracht, weshalb die Haftung wegen ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geltend gemacht werden dürfe. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf die Haftung nicht nur bis zur Höhe der aktuellen Einkünfte und des aktuellen Vermögens des Haftungspflichtigen geltend gemacht werden, sondern auch darüber hinaus. Eine Vermögenslosigkeit oder das Fehlen von Einkünften des Haftungspflichtigen steht in keinem Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung (). Eine allfällige derzeitige Uneinbringlichkeit schließt nicht aus, dass künftig erzielte Einkünfte oder künftig neu hervorgekommenes Vermögen zur Einbringlichkeit der Haftungsschuld führen. Die Beschwerdeführerin ist 37 Jahre alt, sodass noch viele Jahre der Erwerbsfähigkeit vor ihr liegen und mit der Einbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben noch zu rechnen ist.

Da der Abgabenausfall auf ein Verschulden der Beschwerdeführerin zurückzuführen ist, ist den Zweckmäßigkeitsgründen der Vorrang einzuräumen. In Hinblick auf die Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin ist die Geltendmachung der Haftung die einzige Möglichkeit, für die Einbringlichkeit der gegenständlichen Abgaben zu sorgen.

Zu Spruchpunkt II.

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im gegenständlichen Fall sind die zu klärenden Rechtsfragen durch die zitierte ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einheitlich entschieden, sodass eine ordentliche Revision nicht zulässig ist.

Aus den dargelegten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 224 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 78 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Verweise











ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.5100314.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at